Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.07.2022 – 9 ZB 22.901
Titel:

Isolierte Befreiung für genehmigungsfreie Gartenhütte

Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 14, § 23 Abs. 5 S. 1
Leitsatz:
Nach § 23 Abs. 5 S. 1 BauNVO können, wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen iSd § 14 BauNVO zugelassen werden. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Isolierte Befreiung, Grundzüge der Planung, Nebenanlagen außerhalb der Baugrenzen, Funktionslosigkeit, Befreiungspraxis
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 03.02.2022 – AN 3 K 20.1047
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19827

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt für die Errichtung eines Abstellraums für Gartengeräte und Brennholz auf seinem Wohngrundstück (FlNr. … Gemarkung D* … … …, F* …*) eine isolierte Befreiung von Baugrenzenfestsetzungen des Bebauungsplans Nr. 436 der Beklagten. Unter Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ist geregelt: „Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO sowie Garagen sind nur innerhalb der Baugrenzen und eingeschossig zulässig.“
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Mit Bescheid vom 4. Mai 2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Seine Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 3. Februar 2022 abgewiesen. Für die geplante, aufgrund ihrer Ausmaße (8,00 m x 3,50 m x 2,67 m) genehmigungsfreie Gartenhütte, bestehe kein Anspruch des Klägers auf die erforderliche isolierte Befreiung. Die Festsetzung Nr. 1 sowie die Festsetzungen zu den Baugrenzen seien wirksam. Letztere seien auch nicht funktionslos geworden. Eine Befreiung komme nicht in Betracht, weil das Bauvorhaben die Grundzüge der Planung berühre. Außerdem lägen auch die übrigen Voraussetzungen einer Befreiung nicht vor. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Zulassungsantrag, den der Kläger auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), Divergenz gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) stützt, hat keinen Erfolg.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen vor, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 - 2 BvR 2426/17 - juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - juris Rn. 9). Dies ist hier nicht der Fall.
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a) Die Kritik des Klägers, das Verwaltungsgericht habe eine nicht nachvollziehbare Differenzierung zwischen dem Wortlaut der textlichen Festsetzung Nr. 1 und ihrem Regelungsgehalt vorgenommen, führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der Entscheidung.
7
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO, nicht aber § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO, als Rechtsgrundlage für die textliche Festsetzung unter Nr. 1 angesehen. Danach können, wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO zugelassen werden (vgl. auch BVerwG, U.v. 21.3.2013 - 4 C 15.11 - juris Rn. 10 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.2.2020 - 9 ZB 18.1092 - juris Rn. 7; VGH BW, U.v. 9.4.2019 - 8 S 1527/17 - juris Rn. 43, 45 m.w.N.). Ausgehend davon, dass hier „etwas anderes“ im Sinne der genannten Norm festgesetzt wurde, ist das Erstgericht der Argumentation des Klägers hinsichtlich eines Verbots von Nebenanlagen nach § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO und einem hieraus resultierenden Abwägungsergebnisfehler zu Recht nicht gefolgt (vgl. Henkel in BeckOK BauNVO, Stand April 2022, § 14 Rn. 39.1; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand August 2021, § 14, Rn. 68 f. m.w.N.). Mit dem klägerischen Vortrag, dass textliche Festsetzungen wörtlich zu nehmen seien und kein Auslegungsspielraum bestehe, ist dies nicht in Frage gestellt.
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b) Das Verwaltungsgericht hat entgegen dem Zulassungsvorbringen auch nicht unberücksichtigt gelassen oder falsch bewertet, dass im Geltungsbereich des hier gegenständlichen Bebauungsplans zahlreiche Nebengebäude außerhalb der Baugrenzen errichtet worden seien.
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Der Kläger führt hierzu aus, es befänden sich im Plangebiet Schwarzbauten. Die Beklagte habe angegeben, ihr Fokus richte sich unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Personals sowie der Gewichtigkeit auf solche, die nachbarrechtlich relevant seien. Sie bringe damit nicht nur zum Ausdruck, dass sie über die Schwarzbauten aufgrund deren Vielzahl keine Kontrolle habe, sondern auch, dass der Ausschluss von untergeordneten Nebengebäuden nicht zu den tragenden Erwägungen ihrer Planung gehöre und Abweichungen dem planerischen Konzept nicht entgegenstünden. Dies zeige auch die Änderungsplanung von 1995, wonach Gartenhäuser in bestimmten Bereichen zulässig sein sollten. Es gebe dementsprechend Nebenanlagen, für die Befreiungen erteilt worden seien. Hinsichtlich der „Grundzüge der Planung“ sei dies zu berücksichtigen. Mit dieser Argumentation, die bereits die gebotene Auseinandersetzung mit den tragenden Erwägungen des Urteils vermissen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2021 - 9 ZB 20.874 - juris Rn. 9 m.w.N.), kann der Kläger nicht durchdringen.
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Das Verwaltungsgericht hat im Zusammenhang mit seiner Beurteilung, ob die festgesetzten Baugrenzen funktionslos geworden sein könnten, berücksichtigt, dass im Baugebiet offensichtlich zahlreiche Nebenanlagen sowie auch Hauptanlagen im Widerspruch zu Festsetzungen des Bebauungsplans errichtet wurden. Unabhängig davon, dass die klägerseits genannte Zahl von 104 Anlagen nicht substantiiert sei und inwieweit es sich hierbei um Schwarzbauten handele, sei jedenfalls die durch die Baugrenzenfestsetzung vorgegebene Gliederungsstruktur des Baugebiets noch deutlich erkennbar sowie die offene Baustruktur gewahrt und kein Zustand erreicht, der das Vertrauen in den Bestand der gesamten Baugrenzen gänzlich entfallen lasse (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2010 - 4 B 22.10 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 6.7.2020 - 15 ZB 20.96 - juris Rn. 16). Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer isolierten Befreiung von den Baugrenzen nach § 31 Abs. 2 BauGB, weil die Grundzüge der Planung berührt seien. Die festgesetzten Baufenster zeigten durchgehend einen gewissen Mindestabstand der Bebauung zur vorderen und hinteren Grundstücksgrenze; die „offene, parkartige Struktur“ der ehemaligen US-Armee-Siedlung habe gesichert werden sollen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit die Auffassung vertreten, dass sich eine bestehende „Befreiungspraxis“ der Beklagten, auf die sich der Kläger hinsichtlich der Bestimmung der Grundzüge der Planung berufe, nicht auf diese, sondern nur auf die Frage der Funktionslosigkeit einer Festsetzung auswirken könne. Selbst wenn aber der Gegenmeinung zu folgen wäre, beziehe sich die Praxis der Beklagten auf kleinere Nebenanlagen im Maß von 3 m mal 2 m entsprechend einem Änderungsplanentwurf von 1995. Auch bei Wahrunterstellung der behaupteten Legalisierung einer Nebenanlage mit 15 m² Grundfläche sei kein Bezugsfall für die vom Kläger begehrte Befreiung für sein Vorhaben mit einer Grundfläche von 28 m² ersichtlich.
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Der Kläger hat bereits nicht nachvollziehbar begründet, warum im Baugebiet vorhandene Schwarzbauten und eingeschränkte, insbesondere personelle Möglichkeiten der Beklagten, hiergegen vorzugehen, den Schluss rechtfertigen könnten, dass der Ausschluss von Nebenanlagen außerhalb der Baugrenzen nicht zu den tragenden Erwägungen der Planung gehört. Darüber hinaus verhält sich der Kläger nicht dazu, dass das Verwaltungsgericht das Vorhaben jedenfalls als eines angesehen hat, welches in Bezug auf die Grundzüge der Planung noch ins Gewicht fällt, weil es aufgrund seiner Dimensionen nicht mehr der Befreiungspraxis der Beklagten hinsichtlich kleinerer Nebenanlagen entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 - 4 C 10.09 - BVerwGE 138, 166/181 = juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 23.2.2021 - 9 ZB 20.12 - juris Rn. 13 m.w.N.). Ob der Übung der Beklagten, bei Nebenanlagen unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen zuzulassen, überhaupt Bedeutung für die Bestimmung der Grundzüge der Planung beizumessen ist (vgl. zum Meinungsstand dazu, ob die Grundzüge der Planung durch die Erteilung einer Befreiung zur Disposition gestellt werden können: BayVGH, B.v. 14.7.2016 - 1 ZB 15.443 - juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 26.7.2018 - 2 ZB 17.1656 - juris Rn. 3; VG München, U.v. 7.10.2021 - M 1 K 18.2308 - juris Rn. 30; U.v. 21.1.2020 - M 1 K 18.2496 - juris Rn. 46 m.w.N.), war danach nicht entscheidungserheblich.
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Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Befreiungspraxis der Beklagten nur wesentlich kleinere Nebenanlagen als das Bauvorhaben umfasst, hat der Kläger innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO auch nicht in Zweifel gezogen. Das mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrungversehene Urteil des Verwaltungsgerichts wurde dem Bevollmächtigten des Klägers laut Empfangsbekenntnis am 4. März 2022 zugestellt. Die Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB am 4. Mai 2022. Der Hinweis des Klägers in seinem Schriftsatz vom 8. Juli 2022 auf eine kürzlich („wohl im Mai 2022“) erteilte Baugenehmigung für eine Garage in der unmittelbaren Nachbarschaft, die außerhalb der Baugrenzen zu liegen komme, stellt somit keine zulässige Ergänzung der Zulassungsgründe dar (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a, Rn. 53), sondern war verspätet (vgl. BVerwG, B.v 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 16.9.2021 - 9 ZB 21.120 - juris Rn. 13 m.w.N.). Im Übrigen wäre das „neue“ Vorbringen wohl auch nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, a.a.O. Rn. 77). Denn nach der Stellungnahme der Beklagten betrifft die Überschreitung der Baugrenze durch die von ihr genehmigte Nachbargarage nur eine Teilfläche von etwa 6 m².
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c) Da das Zulassungsvorbringen, soweit es die Frage betrifft, ob das Bauvorhaben die Grundzüge der Planung berührt, nach Vorstehendem nicht durchgreift, kommt es auf den Vortrag zu den übrigen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht mehr an.
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2. Der gerügte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargetan (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2019 - 9 ZB 16.597 - juris Rn. 15 m.w.N). Der Kläger benennt zwar eine obergerichtliche Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 14.7.2016 - 1 ZB 15.443 - juris), die eine andere Auslegung zum Begriff der Grundzüge der Planung vornehme als das Verwaltungsgericht, jedoch keine divergierenden Rechtssätze. Zudem legt er nicht dar, wieso die Entscheidung auf der Abweichung beruhen sollte, obwohl das Erstgericht die Grundzüge der Planung jedenfalls wegen der Ausmaße der hier in Rede stehenden Nebenanlage als berührt angesehen hat. Auf die Ausführungen zu 1. b) wird Bezug genommen.
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3. Schließlich kommt auch die Zulassung der Berufung wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht in Betracht. Hierzu führt der Kläger lediglich aus, dass wegen der Divergenz zwischen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und der benannten obergerichtlichen Rechtsprechung im Interesse der Rechtseinheit und Rechtssicherheit die Auslegung des Begriffs „Grundzüge der Planung“ zu klären sei. Soweit hieraus eine ausreichend konkrete grundsätzliche Rechtsfrage abgeleitet werden könnte, fehlt es jedenfalls an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2022 - 9 ZB 21.3227 - juris Rn. 15 m.w.N.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).