Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 05.08.2022 – Verg 7/22
Titel:

Vergabenachprüfungsverfahren: Kostenentscheidung bei Beschwerderücknahme; Streitwert des Beschwerdeverfahrens

Normenketten:
GWB § 71
GKG § 50 Abs. 2
Leitsätze:
1. Nimmt der Antragsteller seine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer zurück, so ist iRd nach § 71 GWB zu treffenden Kostenentscheidung auch zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller durch die Beschwerderücknahme in die Position des Unterlegenen begeben hat. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Entscheidung, ob der Antragsteller auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen eines Beigeladenen zu tragen hat, ist zu berücksichtigen, ob der Beigeladene das Beschwerdeverfahren durch Stellen von Anträgen und schriftsätzlichen Vortrag gefördert hat. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Streitwert im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer beläuft sich gem. § 50 Abs. 2 GKG zunächst auf 5% der sich aus dem Angebot des beschwerdeführenden Bieters ergebenden Bruttoauftragssumme. Etwaige Optionen, die sich der Auftraggeber einräumen lässt, sind zusätzlich mit einem Aufschlag von 50% des Auftragswertes zu veranschlagen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Vergabeverfahren, Rücknahme, Kosten, Auslagen, Streitwert, Bruttoauftragssumme, Option, Beigeladene
Vorinstanzen:
BayObLG, Beschluss vom 03.06.2022 – Verg 7/22
Vergabekammer Ansbach, Beschluss vom 29.03.2022 – RMF-SG21-3194-7-2
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19743

Tenor

1. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GWB sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen. Bei der Kostenentscheidung der Vergabekammer hat es sein Bewenden.
2. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 80.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union die Lizenzierung und Implementierung einer Software zur Therapieplanung in ihren Kliniken im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. Die Antragstellerin hat sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene gewandt. Die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer hat die Antragstellerin mit sofortiger Beschwerde angegriffen. Ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu verlängern, hat der Senat mit Beschluss vom 3. Juni 2022 abgelehnt. Die Antragstellerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 5. Juli 2022 die sofortige Beschwerde zurückgenommen.
2
Die Beigeladene beantragt nunmehr:
Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen.
3
Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin haben nach Rücknahme der sofortigen Beschwerde keine weiteren Anträge gestellt.
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Den Beteiligten ist Gelegenheit gegeben worden, zum Streitwert Stellung zu nehmen. Hierzu hat sich inhaltlich nur die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 4. Juli 2022 geäußert.
II.
5
Nach Rücknahme der sofortigen Beschwerde ist von Amts wegen über die Kosten und den Streitwert der Beschwerde zu entscheiden.
6
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2, § 71 GWB. Es entspricht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands der Billigkeit, der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Aus den im Beschluss vom 3. Juni 2022 dargelegten Gründen wäre die Antragstellerin und Beschwerdeführerin ohne Rücknahme wahrscheinlich unterlegen. Zudem hat sie sich durch die Rücknahme ihres Rechtsmittels in die Rolle der Unterlegenen begeben (vgl. zur Rücknahme eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung: BGH, Beschl v. 8. März 2021, KVR 96/20, juris Rn. 2; zur Rücknahme einer sofortigen Beschwerde: BayObLG, Beschluss vom 8. November 2021, Verg 10/21, juris Rn. 23; zur Rücknahme eines Nachprüfungsantrags: BayObLG, Beschluss vom 26. Oktober 2021, Verg 4/21, juris Rn. 3; OLG München, Beschluss vom 6. November 2020, Verg 9/20, juris Rn. 4; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Oktober 2020, Verg 13/20, juris Rn. 15). Es entspricht aus den dargelegten Gründen auch der Billigkeit, der Antragstellerin die durch das Rechtsmittel angefallenen, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen aufzuerlegen. Die Beigeladene hat das Beschwerdeverfahren durch Stellen von Anträgen und schriftsätzlichen Vortrag gefördert (vgl. zu diesem Kriterium im Rahmen der Kostenentscheidung BGH, Beschluss vom 8. März 2021, KVR 96/20, juris Rn. 3; BayObLG, Beschluss vom 8. November 2021, Verg 10/21, juris Rn. 24; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Februar 2020, Verg 21/19, juris Rn. 9; von Werder in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 175 Rn. 43).
7
Ferner entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GWB der Antragstellerin aufzuerlegen. Ihr Antrag, die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer zu verlängern, wurde insbesondere im Hinblick auf die mangelnden Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde abgelehnt. Aus denselben Erwägungen hat die Antragstellerin auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nötigen Auslagen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu tragen. Letztere hat sich auch insoweit durch Anträge und Sachvortrag aktiv beteiligt.
8
Die Kostenentscheidung der Vergabekammer lässt (Ermessens-) Fehler nicht erkennen, § 182 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 GWB.
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2. Gemäß § 50 Abs. 2 GKG war der Streitwert auf bis zu 80.000,00 Euro festzusetzen.
10
Der Streitwert im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer einschließlich des Verfahrens über den Antrag nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB beträgt nach § 50 Abs. 2 GKG fünf Prozent der Bruttoauftragssumme. Dabei ist regelmäßig auf die Summe des Angebots abzustellen, das der Antragsteller eingereicht hat, da er mit dem Nachprüfungsantrag seine Chance auf den Auftrag wahren will (BGH, Beschluss vom 18. März 2014, X ZB 12/13, juris Rn. 7; OLG München, Beschluss vom 21. Oktober 2019, Verg 13/19, juris Rn. 75). Zusätzlich zu berücksichtigen sind auch Optionen, die sich der Auftraggeber einräumen lässt, da auch diese einen wirtschaftlichen Wert darstellen, der dem Ausschreibungsgegenstand innewohnt und das Interesse der Bieter an dem Auftrag mitbestimmt (BGH, a. a. O., Rn. 11; OLG München, a. a. O., Rn. 76 f.). Allerdings ist die Ungewissheit darüber, ob der Auftraggeber das Optionsrecht ausüben wird, mit einem angemessenen Abschlag vom vollen Auftragswert zu berücksichtigen. Dieser Abschlag ist im Regelfall auf 50% zu veranschlagen (für Verlängerungsoptionen: BGH, a. a. O., Rn. 13; BayObLG, Beschluss vom 25. Juli 2022, Verg 6/22, noch nicht veröffentlicht; OLG Rostock, Beschluss vom 30. September 2021, 17 Verg 3/21, juris Rn. 85; OLG München, Beschluss vom 24. März 2021, Verg 12/20, juris Rn. 119; OLG Frankfurt, Beschluss vom 1. Oktober 2020, 11 Verg 9/20, juris Rn. 79; bezüglich einer Option auf weitere Leistungsphasen der HOAI KG, Beschluss vom 12. Mai 2021, Verg 1008/20, juris Rn. 3; für Erweiterungs- und Verlängerungsoptionen Krohn in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 4. Aufl. 2022, GWB § 182 Rn. 135).
11
Entgegen den Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 4. Juli 2022 kommt es maßgeblich allerdings nicht auf das Preisblatt im indikativen Angebot der Antragstellerin vom 28. Oktober 2021, sondern auf die angebotenen Preise aus dem finalen Angebot vom 3. Dezember 2021 an. Der Antragstellerin ist es mit ihrem Nachprüfungsantrag vor allem um die Wahrung der Zuschlagschancen für dieses Angebot gegangen, da sie primär die Wiederholung der Wertung unter Ausschluss des Angebots der Beigeladenen begehrt hat. Zu berücksichtigen ist daher die unter Ziff. 5 des Preisblatts vom 3. Dezember 2021 angeführte Summe der Projekt- / Investitionskosten zuzüglich der hierauf entfallenden Umsatzsteuer. Zudem sind die unter Ziff. 6 und Ziff. 7 dieses Preisblatts angeführten Summen für die optional angebotene Wartung / Pflege sowie die optional angebotene Anpassung zu berücksichtigen, jeweils unter Addition der Umsatzsteuer. Allerdings sind nach den vorgenannten Grundsätzen die Kosten für die nur optional angebotenen Leistungen aufgrund der Unsicherheit, ob die Antragsgegnerin die Option ausübt, mit einem Abschlag von 50% zu bewerten. Anhaltspunkte für einen höheren oder niedrigen Abschlag sind nicht erkennbar. Insbesondere führt es zu keiner anderen Bewertung, dass es sich vorliegend nicht um Verlängerungsoptionen handelt, sondern um die dem Auftraggeber eröffnete Möglichkeit, inhaltlich weitergehende Leistungen zu beauftragen. Die Unsicherheit, ob der Auftraggeber dieses Recht ausübt, verbleibt mangels anderer Anhaltspunkte gleich.
12
Insgesamt errechnet sich hieraus ein Streitwert von bis zu 80.000,00 Euro.