Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 12.07.2022 – M 32 K 18.33508
Titel:

Unglaubhafigkeit einer vorgetragenen Zwangsprostitution in Italien - Gefahr für Rückkehrer nach Nigeria (verneint)

Normenketten:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 16a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1 S. 1
VwGO § 78 Abs. 1, § 84 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (vgl. BVerwG BeckRS 2019, 18363). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Trotz der der allgemein schwierigen Lebensbedingungen in Nigeria besteht für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und ohne Hilfe Dritter zu überleben. Zwar ist die Situation für alleinstehende Frauen in Nigeria - und damit auch für deren Kinder - besonders schwierig. Jedoch ist es auch für alleinstehende Frauen nicht unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen und ohne Hilfe Dritter zu überleben, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden. (Rn. 18)  (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert hat, ist es nicht hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Vor dem Hintergrund des asylrechtlichen Beschleunigungsgebots meint Unanfechtbarkeit im Sinne des § 84 Abs. 1 S. 3 VwGO iVm § 78 Abs. 1 AsylG auch den Ausschluss des Antrags auf mündliche Verhandlung nach der ansonsten geltenden allgemeinen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Nigeria, Schwierige Lage in Nigeria, aber keine Bedrohung oder Verfolgung, Ausreise nach Italien, Eine Woche, Prostitution für die Zuhälterin „Madame“ in Mailand in Italien, Keine Erbringung der Dienstleistung an die Freier, gleichwohl Zahlung, Völlige Unglaubwürdigkeit, Offensichtlich unbegründete Asylklage, Unanfechtbarer Gerichtsbescheid, Zwangsprostitution, Nigeria, interne Fluchtalternative, COVID-19-Pandemie, Rückkehrprognose, alleinstehende Frauen, Gesundheitssystem, Familienverband, Gerichtsbescheid, Unanfechtbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19364

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.  
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. 

Tatbestand

1
Die Kläger, Mutter - Klägerin zu 1) - und der in Italien im Dezember 2016 geborene Sohn - Kläger zu 2) -, deren Identität nicht gesichert ist, sind nach Angaben der Klägerin zu 1) nigerianische Staatsangehörige vom Volk der Bini und am 2. Juli 2018 auf dem Landweg nach Deutschland eingereist. Am 16. August 2018 wurden förmliche Asylanträge gestellt.
2
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 16. August 2018 trug die Klägerin zu 1) im Wesentlichen vor, dass sie in Nigeria nicht bedroht oder verfolgt worden sei. Nach dem Tod ihrer Eltern im Jahr 2005 hätten sich die Dinge für die Familie aber sehr schwierig gestaltet. Sie und ihre Brüder hätten bei der Großmutter gelebt. Die Großmutter habe eine Frau gekannt, die helfen wollte. Diese Frau habe der Klägerin zu 1) angeboten, nach Italien zu gehen, um dort als Babysitterin für ihre Tochter zu arbeiten. Sie nahm sie dann mit nach Lagos, wo sie acht Monate auf die erforderlichen Papiere für die Ausreise gewartet habe. Die Schwester der Frau mit dem Namen „Madame“ habe sie dann am Flughafen in Italien abgeholt. Das sei im Jahr 2009 gewesen, als sie 16 Jahre alt gewesen sei. Sie sei in ein Haus mit weiteren Mädchen gebracht worden. Dort sei ihr von „Madame“ eröffnet worden, dass sie die Ausreisekosten durch Prostitution zu tilgen habe. So sei sie unter Beobachtung der anderen Mädchen auf die Straße gegangen und habe sich prostituiert. Sie habe aber gegenüber den Freiern keine Dienstleistungen erbracht, diese hätten aber trotzdem bezahlt. Das sei so eine Woche gegangen. Einmal habe sie von der Polizei kontrolliert worden. Sie sei aber nicht verstanden worden, da die Beamten kein Englisch verstanden hätten. Sie sei dann weggeschickt worden. An diesem Abend sei sie von ihrer Zuhälterin geschlagen worden, weil sie so lange weggeblieben sei. An einem anderen Tag sei sie wieder von der Polizei kontrolliert worden, und sie habe der Polizei ihre Situation erzählt. Die Polizei habe daraufhin „Madame“ verhaftet. Danach habe sie ca. acht Jahre in Italien gelebt, und zwar bei dem Vater ihres Sohnes. Zurückbezahlt habe sie der Zuhälterin nichts. An Forderungen würden 70.000 Euro geltend gemacht. Die Polizei habe sie weit von „Madame“ und ihrer Schwester weggebracht. Diese hätten sie zunächst auch nicht gefunden, aber später doch, und sie hätten ihr gesagt, dass sie sie umbringen würden für das, was sie ihnen angetan hätte. Sie ließen sie auch verprügeln, sie sei in ein Krankenhaus gekommen. Sonst wisse niemand in Nigeria von ihrer einwöchigen Tätigkeit als Prostituierte in Italien. Für ihren Sohn machte die Klägerin zu 1) keine eigenen Gründe geltend.
3
Mit Bescheid vom 23. August 2018 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebung nach Nigeria oder einen anderen Staat, in den die Kläger einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, wurde angedroht. In der Begründung des Bescheids wird ausgeführt, dass die Erzählung hinsichtlich der Zwangsprostitution in Italien nicht glaubwürdig sei. Schon der Umstand, dass Freier für nicht erhaltene Leistungen Geld bezahlt hätten, sei kaum nachvollziehbar. Nicht zu verstehen sei auch der Vortrag im Hinblick auf das behauptete Auffinden der Klägerin zu 1) durch die Schwestern und die Druckausübung im Hinblick auf die Geldforderung. Die Darstellung der Klägerin zu 1) sei ein Märchen. Auf die detaillierten Ausführungen im Bescheid sei verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 12. September 2018, bei Gericht eingegangen am 14. September 2018, erhob der Bevollmächtigte der Kläger gegen den Bescheid Asylklage zum Verwaltungsgericht München und nahm zur Begründung auf die Angaben vor dem Bundesamt Bezug. Die Klägerin sei im fünften Monat schwanger.
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Das Gericht hörte die Parteien zum Erlass eines Gerichtsbescheides.
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Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage bleibt ohne Erfolg.
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Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
9
Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung begegnet keinen Bedenken, ebenso nicht die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.
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1. Das Gericht folgt gemäß § 77 Abs. 2 AsylG den zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamts. In der Tat ist der Vortrag der Klägerin zu 1) zu einer einwöchigen Zwangsprostitution in Italien vollkommen unglaubwürdig, schon was die Bezahlung durch die Freier ohne eine Erbringung der Leistung angeht. An der Lebenserfahrung vorbei geht es auch, wenn die Klägerin eine Bedrohung durch die Schwestern in Italien behauptet, wo sie doch dort seit dem Schlagen durch die Zuhälterin acht (!) Jahre lang bei dem Vater ihres Sohnes gelebt haben will, ohne Anlass zu sehen, das Land zu verlassen. Das Gericht zögert nicht, die Geschichte als reines Konstrukt zu werten. Im Übrigen hat, wie das Bundesamt ebenfalls zutreffend ausführt, die angebliche Zwangsprostitution in Italien nichts mit eines asylrelevanten Verfolgung in Nigeria zu tun. Niemand weiss dort von ihrer einwöchigen Tätigkeit, eine Reviktimisierung, so eine solche Argumentationsfigur überhaupt anzuerkennen ist, scheidet schon von daher aus. Ansonsten hat die Klägerin zu 1) selber angegeben, in Nigeria keine Bedrohung oder Verfolgung erlebt zu haben. Nach Überzeugung des Gerichts wollte die Klägerin zu 1) den nicht leichten Verhältnissen in Nigeria entkommen und hat zu diesem Zweck eine Geschichte erfunden.
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Lediglich ergänzend führt das Gericht zu den nationalen Abschiebungsverboten noch Folgendes aus:
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a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 25).
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Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
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Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (BVerwG, U.v. 13.06.2013 - 10 C 13.12 - Rn. 24 f.; VGH B​W, U.v. 24.07.2013 - A 11 S 697/13 - juris Rn. 79 ff.).
15
Außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden.
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Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist - wie im Rahmen von §§ 3 ff. AsylG und § 4 AsylG - der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich aber auch ausreichend, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Es ist allerdings keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13). Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 23 ff.) macht letztlich deutlich, dass bei „nichtstaatlichen“ Gefahren für Leib und Leben ein sehr hohes Gefahrenniveau erforderlich ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 27 m.w.N.). Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche) - vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304) - Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
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Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation. Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat (zum Ganzen vgl. VG München, B.v. 29.5.2019 - M 32 S 18.30208 - Rn. 20 ff, noch nicht veröffentlicht). Bei der Prüfung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 16). Von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband ist für die Rückkehrprognose in der Regel auch dann auszugehen, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 19).
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Zwar sind die allgemeinen Lebensbedingungen in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas mit ca. 200 Millionen Einwohnern, schwierig. Es besteht aber dennoch für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und ohne Hilfe Dritter zu überleben. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen ca. 70% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2019, S. 8, 21), der größte Teil der Bevölkerung hat nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Wasser und Strom, es existiert kein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Bedürftige und Leistungen der allgemeinen Kranken- und Rentenversicherung kommen nur Beschäftigen im formellen Sektor und damit schätzungsweise nur 10% der Bevölkerung zugute. Die medizinische Versorgung ist zudem gerade auf dem Land mangelhaft und liegt auch in den Großstädten in der Regel unter europäischem Standard (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2019, S. 22). Darüber hinaus werden die Rechte des Kindes in Nigeria nur unzureichend gewährleistet; zwei Drittel der Kinder werden nicht richtig oder unterernährt. Die staatlichen Schulen sind im Allgemeinen in einem schlechten Zustand und Gewalt und sexuelle Übergriffe gegenüber Schülerinnen und Schülern sind an den meisten Schulen Alltag. Schließlich besuchen nur gut 60% der Kinder die Primarschule und nur 40% die Sekundarstufe. Kinderarbeit und -prostitution, Vernachlässigung und Aussetzung von Kindern sind verbreitet (Auswärtiges Amt, Stand: September 2017, S. 15 sowie Stand: September 2019, S. 14). Ferner ist die Situation für alleinstehende Frauen in Nigeria - und damit auch für deren Kinder - nach den vorliegenden Erkenntnismitteln besonders schwierig. So ist davon auszugehen, dass sie trotz der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden. Da es in Nigeria keine staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die (Groß-)Familie, Nachbarn oder Freunde abhängig. Jedoch ist es auch für den Personenkreis der alleinstehenden Frauen nicht unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen und ohne Hilfe Dritter zu überleben, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2017, S. 16 f. sowie Stand: September 2019, S. 14 f.). Auch insoweit kann nur in besonders gelagerten Einzelfällen ein Abschiebungsverbot bestehen (vgl. VG Aachen, U.v. 24.5.2012 - 2 K 2051/10.A - juris Rn. 32).
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Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass im Fall einer Rückkehr der Kläger nach Nigeria die zu erwartende Situation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer derartig erheblichen Gefahrensituation verbunden wäre, aufgrund derer ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vorläge, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ wären. Bei einer Gesamtschau der Lebensverhältnisse der Kläger ist auch unter Berücksichtigung der zweifellos schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bedingungen, die für den Großteil der Bevölkerung Nigerias bestehen, die Befürchtung nicht gerechtfertigt, für die Kläger werde es mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen, für sich in Nigeria den existentiellen Lebensunterhalt zu sichern, ein Obdach zu finden und Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung zu erhalten. Denn die Klägerin zu 1) ist jung, gesund und erwerbsfähig.
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Die COVID-19 Pandemie und die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ändern an dieser Beurteilung nichts.
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Laut den allgemein zugänglichen Quellen gibt es gegenwärtig in Nigeria 67.412 bestätigte Corona-Fälle (Deutschland: 1.042.700), davon 4.357 aktuelle Fälle (Deutschland: 304.300) und 1.173 Todesfälle (Deutschland: 16.123), Stand: 29.11.2020;
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siehe etwa Nigeria Centre for Disease Control, https://www.ncdc.gov.ng/;
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https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-07-14-de.pdf? blob=publicationFile),
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was angesichts einer Gesamtbevölkerung von ca. 200 Millionen (Deutschland: 83 Millionen) einem Prozentsatz von etwa 0,000337 (Deutschland: 0,012563) entspricht).
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Bei diesen Zahlen fehlen zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt greifbare Anhaltspunkte für eine ein Abschiebungsverbot rechtfertigende so erhebliche Verschlechterung der humanitären Lage und der allgemeinen Lebensbedingungen durch die Covid-19 Pandemie, dass von einem ganz außergewöhnlichen Fall und zwingenden humanitären Gründen gesprochen werden könnte. Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert hat (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 15; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.), hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. Hierzu führte bereits das Verwaltungsgericht Würzburg mit Gerichtsbescheid vom 1.7.2020, Az. W 8 K 20.30151 - juris Rn. 35 folgendes aus: „Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-​19-​Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist. So wurde ein Notfallfonds für das „Nigeria Centre for Disease Control“ eingerichtet, ebenso wie Konjunkturpakete, um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern; außerdem wurden Nahrungsmittel verteilt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-​19-​Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-​10-​Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-​19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.; https://reliefweb.int/report/nigeria/nigeria-​humanitarian-​fund-​allocation-​covid-​19-​and-​humanitarian-​response, vom 16.6.2020; https://www.theafricareport.com/26444/coronavirus-​recession-​in-​nigeria-​likely-​despite-​measures-​in-​place/, vom 20.4.2020). Darüber hinaus hat der internationale Währungsfonds Soforthilfen für Nigeria in Höhe von 3,4 Milliarden US-​Dollar gewährt (https://www.imf.org/en/News/Articles/2020/04/28/pr20191-​nigeria-​imf-​executive-​board-​approves-​emergency-​support-​to-​address-​covid-​19, vom 28.4.2020)“. Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an.
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Dass die Kläger an dem Virus erkranken könnten und die Erkrankung einen so schweren Verlauf nehmen könnte, dass insoweit das Existenzminimum der Kläger nicht mehr sichergestellt werden könnte, ist angesichts der derzeitigen Kenntnisse somit nicht beachtlich wahrscheinlich.
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Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK kann angesichts des Vortrags der Kläger und der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel nicht festgestellt werden.
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b. Ebenso wenig sind die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich.
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Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. Für die Annahme einer „konkreten“ Gefahr im Sinne dieser Vorschrift genügt aber nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzuwenden und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. „Konkret“ ist die Gefahr, wenn die Verschlechterung „alsbald“ nach der Rückkehr des Betroffenen in den Heimatstaat einträte, weil er dort auf unzureichende Möglichkeiten der Behandlung seiner Leiden träfe und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - juris Rn. 13; U.v. 22.3.2012 - 1 C 3/11 - juris Rn. 34; OVG Münster, U.v. 18.1.2005 - 8 A 1242/03.A - juris Rn. 53; BayVGH, B.v. 23.5.2017 - 9 ZB 13.30236 - juris Rn. 28). Zudem muss eine auf den Einzelfall bezogene, individuell bestimmte und erhebliche, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretende Gefährdungssituation vorliegen und es muss sich um Gefahren handeln, die dem Ausländer landesweit drohen, denen er sich also nicht durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann.
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Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen allgemein ausgesetzt ist bzw. sind, werden indes allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
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Somit gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also - wie hier - die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
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Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen liegen nicht vor. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst also nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist also nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz bei existentiellen Gesundheitsgefahren (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 - 11 ZB 15.30054 - juris Rn. 10; OVG Münster, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - juris Rn. 56). Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
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Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (Satz 3). Ergänzend zu den in § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genannten Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind auch weiterhin die Kriterien heranzuziehen, die das Bundesverwaltungsgericht als Mindestanforderungen an ein qualifiziertes fachärztliches Attest herausgearbeitet hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251 ff.). Danach muss sich aus dem fachärztlichen Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, etwa mit Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden, deren Behandlungsbedürftigkeit, der bisherige Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) sowie im Fall einer auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützten PTBS, deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, in der Regel auch eine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht wurde.
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Gemessen hieran liegen dem Gericht keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Kläger an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leiden, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Gesundheitliche Aspekte waren im gesamten Verfahren kein Thema.
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Dasselbe gilt unter Berücksichtigung der derzeitigen COVID-19 (sog. Corona-) Pandemie. Die Gefahr, an einer Corona-Infektion zu erkranken, ist auch in Nigeria eine Gefahr, der die dortige Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist. Derartige Gefahren werden allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
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Diese Voraussetzungen einer solchen landesweiten Extremgefahr sind in Nigeria auch im Hinblick auf die COVID-19 Pandemie nicht erfüllt. Eine individuelle, außergewöhnliche Gefahrenlage in diesem Sinne, welche die Schwelle der allgemeinen Gefährdung übersteigt, ist für den Kläger im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch bei Berücksichtigung der oben ausgeführten Verbreitung des Corona-Virus nicht erkennbar. Der Kläger müsste sich überdies genauso wie bei anderen Erkrankungen gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria behelfen (vgl. VG Würzburg, GB.v. 1.7.2020 - W 8 K 20.30151 - juris Rn. 29ff, 36ff m.w.N.).
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2. Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Klage gegen die Entscheidung über den Asylantrag war sogar als offensichtlich unbegründet abzuweisen, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG unanfechtbare Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 7.11.2008 - 2 BvR 629/06 - juris m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG). Aus den Entscheidungsgründen muss sich klar ergeben, weshalb das Gericht zu einem Urteil nach § 78 Abs. 1 AsylG kommt, warum also die Klage nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird (BVerfG a.a.O.).
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Die Voraussetzungen einer qualifizierten Klageabweisung sind vorliegend gegeben. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit des Asylbegehrens (siehe oben Ziff. 1).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Dieser Gerichtsbescheid ist unanfechtbar, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG. Vor dem Hintergrund des asylrechtlichen Beschleunigungsgebots (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 14) meint Unanfechtbarkeit im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG auch den Ausschluss des Antrags auf mündliche Verhandlung nach der ansonsten geltenden allgemeinen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (dazu Redeker in BeckOK MigR, 7. Ed. 1.10.2020, AsylG § 78 Rn. 64; ausführlich hierzu VG München, GB.v. 6.2.2006 - M 22 K 07.50600 - juris Rn. 23; GB.v. 8.2.2008 - M 22 K 07.51094 - juris Rn. 33; GB.v. 11.10.2018 - M 1 K 17.42573 - juris Rn. 15; GB.v. 28.2.2019 - M 32 K 17.42655; GBv. 24.6.2021 - M 32 K 19.31051).