Inhalt

VG München, Urteil v. 19.05.2022 – M 31 K 20.31900
Titel:

Verfolgung und Bedrohung durch Mitglieder der terroristischen Gruppe „Leuchtender Pfad“ bzw. deren Familienangehörigen in Peru (verneint)

Normenketten:
EMRK Art. 3
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b, § 3c, 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c S. 1
Leitsätze:
1. Die Familie wird in der Rechtsprechung zwar durchaus als soziale Gruppe anerkannt, aber gerade in politisierten Konflikten verliert die Familienzuschreibung an Relevanz, wenn der Person keine individuelle Verfolgung wegen politischer Überzeugung droht. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht in Peru keine Situation im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG, wonach Parteien oder Organisationen den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. In Peru besteht im Falle der Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure grundsätzlich die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative, weil der Einfluss der Organisation „Leuchtender Pfad“ signifikant gesunken ist und sich auf Randgebiete Perus beschränkt. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylverfahren, Herkunftsland Peru, Peru, inländischen Fluchtalternative, nichtstaatliche Akteure, Leuchtender Pfad, Behandlungsmöglichkeiten, medizinische Versorgung, Terrorismusbekämpfung, familiäres Umfeld, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19358

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist peruanische Staatsangehörige. Sie reiste am 3. Februar 2020 auf dem Landweg über Spanien und Frankreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 3. März 2020 einen Asylantrag.
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Nach vorheriger persönlicher Anhörung am 25. Mai 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 17. Juni 2020, der Klägerin zugestellt am 26. Juni 2020, den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Peru oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
3
Am 2. Juli 2020 erhob die Klägerin persönlich zur Niederschrift beim Urkundsbeamten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Beantragt wird sinngemäß,
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den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2020, Aktenzeichen 8061558-361, aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen, hilfsweise ihr die Flüchtlingseigenschaft oder weiter hilfsweise den subsidiären Schutz zuzuerkennen, und noch weiter hilfsweise festzustellen, dass bei ihr Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Peru vorliegen.
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Zur Begründung verweist die Klägerin im Wesentlichen auf ihre Angaben im Rahmen des behördlichen Verfahrens.
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Die Beklagte übersandte die Behördenakten; sie stellt keinen Antrag.
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Mit Beschluss vom 25. April 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Mit Beschluss vom 19. Mai 2022 wurde das vorliegende Verfahren der Klägerin mit dem ihres Bruders (M 31 K 20.30911) zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist sowohl im Hauptantrag als auch in den Hilfsanträgen unbegründet.
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Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Asylberechtigung oder der hilfsweise begehrten Flüchtlingseigenschaft oder des weiter hilfsweise angestrebten subsidiären Schutzes. Gleiches gilt für die noch weiter hilfsweise beantragte Feststellung, dass bei ihr ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Peru besteht. Vielmehr erweist sich der streitbefangene Bescheid des Bundesamts vom 17. Juni 2020 als rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG oder des internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG.
13
Der Vortrag der Klägerin vor dem Bundesamt sowie im gerichtlichen Verfahren ist nicht geeignet, ihre Verfolgung oder das Drohen eines ernsthaften Schadens in Peru i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG oder §§ 3 ff. AsylG ausreichend zu belegen.
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1.1 Weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG noch der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG liegen bei der Klägerin vor.
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Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Asylberechtigte oder Flüchtling rechtfertigen würde, ist aus dem Vortrag der Klägerin nicht ableitbar.
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Gemäß Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
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Die Furcht vor Verfolgung (Art. 16a Abs. 1 GG, § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Der in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchst. d der RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 18.4.1996 - 9 C 77.95, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07, ZAR 2008, 192; U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377; U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936; U.v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162).
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Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Es ist Sache des Ausländers, die Gründe seiner Verfolgung und Bedrohung in schlüssiger Form vorzutragen (vgl. §§ 15, 25 AsylG). Dabei hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmige Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei dessen Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung oder Bedrohung begründet ist, sodass ihm nicht zuzumuten ist, in das Herkunftsland zurückzukehren.
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Gemessen daran kann dem Vortrag der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts nicht entnommen werden, dass sie von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren (vgl. § 3c AsylG) vor ihrer Ausreise aus Peru aus asylrelevanten Gründen verfolgt wurde bzw. bei einer Rückkehr nach Peru mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit von diesen verfolgt werden würde. Das Gericht geht davon aus, dass für die Klägerin im Falle der Rückkehr keine Verfolgungsgefahr besteht.
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Die Klägerin begründet ihre Furcht vor Verfolgung und Bedrohung maßgeblich damit, sie habe Peru aus Sicherheitsgründen verlassen, weil sie von Mitgliedern der terroristischen Gruppe „Leuchtender Pfad“ („Sendero Luminoso“) bzw. deren Familienangehörigen bedroht worden sei. Denn ihr im Jahr 2003 verstorbener Vater sei beim Geheimdienst der Polizei in Peru tätig gewesen und habe in dieser Funktion die Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung bekämpft. Da diese Terroristen lange in Haft waren, seien diese nun auf Rache aus. Die Kinder der ehemaligen Terroristen würden nun teilweise bei der Polizei arbeiten und seien so an die Adresse der Klägerin und ihrer Familie gekommen; darüber hinaus sei in Peru generell sehr leicht, persönliche Daten anderer Personen herauszufinden. Eines Tages sei die Klägerin mit ihrer Mutter auf dem Markt gewesen und da habe sich ihnen ein junger Mann genähert und ihnen gesagt, dass er sich rächen würde und sie und ihre Mutter „voll mit Blei machen“ würde; anschließend sei er in der Menschenmasse verschwunden. Daraufhin habe ihre Mutter ihr von der früheren Tätigkeit ihres Ehemanns, also des Vaters der Klägerin, als V-Mann erzählt und gemeint, die Klägerin und ihr Bruder sollten besser weggehen, damit man ihnen nicht das „Leben kaputt mache“. Daraufhin hätten zunächst die Klägerin und kurze Zeit später auch ihr Bruder (paralleles Verfahren M 31 K …*) Peru verlassen. Nach ihrer Ausreise seien noch Zettel mit Drohungen bei ihr zu Hause angekommen. Außerdem sei ihre Mutter nochmals in ähnlicher Weise bedroht worden, was diese auch bei der Polizei angezeigt habe. Den Vorfall auf dem Markt habe sie erst später zur Anzeige gebracht. Daraufhin war eine Verfügung der örtlichen Behörde („Resolución subprefectural“) vom 12. November 2019 ergangen, mit welcher präventive Schutzmaßnahmen zugunsten der Mutter sowie deren Familie („Y FAMILIA“) erlassen wurden. Die Klägerin habe jedoch wegen der verbreiteten Korruption und der Infiltration durch Kinder der früheren Terroristen kein Vertrauen in die peruanische Polizei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung teilt die Klägerin mit, dass ihr Bruder (M 31 K 20.30911) aufgrund seiner gesundheitlichen Situation, nach Peru zurückgekehrt sei und gemeinsam mit der Mutter in eine andere Gegend von Peru umgezogen sei.
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Dieser Vortrag der Klägerin vermag zur Überzeugung des Gerichts die vorgetragene Furcht vor Verfolgung und Bedrohung nicht zu begründen. Er stellt sich als in wesentlichen Punkten vage, widersprüchlich und insgesamt als unglaubhaft dar.
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Denn schon hinsichtlich der Datierung der Bedrohung auf dem Markt ihrer Heimatstadt blieb die Klägerin im Ungefähren: Im Rahmen der Anhörung nannte sie kein Datum, sondern berichtete die Ereignisse, seien „an einem Tag“ geschehen. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung gab sie an, sie wisse es nicht mehr genau, sie meine, es sei „Ende Dezember 2019 oder Anfang Januar 2020“ gewesen. Eine solche Unklarheit bezüglich der geschilderten Ereignisse wirft Zweifel an der Glaubwürdigkeit auf. Denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung können Betroffene zu solchen Vorgängen, die für ihre Biographie von besonderer Bedeutung sind - die Klägerin schildert Drohungen, die unmittelbarer Anlass für die Flucht aus der Heimat gewesen sein sollen -, lebensnahe und detaillierte Angaben, die auch für Dritte - wie hier das Gericht - nachvollziehbar sind, geben. Daran fehlt es vorliegend eklatant hinsichtlich der zeitlichen Einordnung.
23
Darüber hinaus steht diese Äußerung im Widerspruch zu den Angaben ihres Bruders im Parallelverfahren M 31 K 20.30911 und denen der Mutter, die in den Entscheidungsgründen der behördlichen Verfügung vom 12. November 2019 (Behördenakte Bl. 214) zugrunde gelegt wurden, wonach die Ereignisse im Juni 2019 stattgefunden haben sollen.
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Auch hinsichtlich der erhaltenen schriftlichen Drohungen konnte die Klägerin keine genauere zeitliche Einordnung vornehmen; auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung präzisierte sie lediglich, diese seien nach der Bedrohung auf dem Markt erfolgt und dass darin die Rede davon gewesen sei, dass man sich nun an den Kindern rächen werde.
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Auf weitere Nachfrage des Gerichts, welche Maßnahmen auf Grundlage der behördlichen Verfügung vom 12. November 2019 zum Schutz ihrer Mutter und ihrer Familie und damit einschließlich der Klägerin angeordnet und ergriffen worden seien, konnte die Klägerin keine Angaben machen und betont, man habe ohnehin kein Vertrauen auf deren Wirksamkeit gehabt, weil die Kinder der Terroristen mittlerweile bei der Polizei arbeiteten. Auf Nachfrage erklärte sie, dieser Umstand sei allgemein bekannt.
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Auch die zwischenzeitlich erfolgte Rückkehr des Bruders nach Peru aus gesundheitlichen Gründen wirft Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Ausreisegründe auf: denn selbst wenn die Schwere der gesundheitlichen Probleme des Bruders eine Rückkehr in den Schoß der Familie begründen mag, so wäre es doch mit Blick auf die behauptete lebensbedrohliche Lage in Peru naheliegender, wenn auch die Mutter zumindest versucht hätte, das Land zu verlassen, um sich in Deutschland oder einem anderen Land um den Bruder zu kümmern; hierzu teilte die Klägerin lediglich mit, der Bruder sei mit der Mutter in eine andere Gegend von Peru umgezogen.
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Unabhängig vom Vorstehenden würde aus den geschilderten Ereignissen selbst bei Wahrunterstellung kein Verfolgungsgrund resultieren, da es sich allein um kriminelles Unrecht handelte, das von privater Seite gegen die Klägerin begangen worden wäre.
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Dahinstehen kann dabei, ob überhaupt an ein für die Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung maßgebliches Merkmal i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG bzw. Art. 16a Abs. 1 GG angeknüpft wird. Denn wenn - wie vorgetragen - das Rachemotiv für die Bedrohung im Umstand begründet sein soll, dass die Klägerin Tochter eines ehemaligen Akteurs in der Terrorismusbekämpfung ist, so müsste allein die familiäre Verbundenheit die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG begründen. Die Familie wird in der Rechtsprechung zwar durchaus als soziale Gruppe anerkannt, aber gerade in politisierten Konflikten verliert die Familienzuschreibung an Relevanz, wenn der Person keine individuelle Verfolgung wegen politischer Überzeugung droht (vgl. Hruschka in Huber/Mantel, AufenthG, 3. Aufl. 2021, AsylG § 3b Rn. 30).
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Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass eine Verfolgung durch einen gemäß § 3c AsylG relevanten Akteur zu befürchten wäre. Es besteht zur Überzeugung des Gerichts auf Grundlage der Auskunftslage in Peru keine Situation im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG, wonach Parteien oder Organisationen den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen. Zwar wird in bestimmten ländlichen Gegenden Perus im Kampf gegen den Drogenhandel immer wieder der Notstand ausgerufen (etwa Provinzen des sogenannten VRAEM, also das Gebiet der Flüsse Ene, Apurímac und Mantaro, und Grenzgebiete zu Kolumbien und Brasilien, vgl. Länderinformationen Peru, im Internet abrufbar auf der Seite des Auswärtigen Amtes, zuletzt aufgerufen am 19. Mai 2022) und in einigen Regionen, darunter auch Junín, woher die Klägerin stammt, ist die Sicherheitslage als prekär zu bezeichnen (BAMF, Länderreport Peru, 2021, S. 5); dies erreicht aber jedenfalls nicht ein Ausmaß, dass davon auszugehen wäre, dass der peruanische Staat nicht willens oder nicht in der Lage wäre, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Wird eine Verfolgung von privater Seite geltend gemacht, so bedarf es einer eingehenden Prüfung, inwieweit Schutz gegen Verfolgung durch staatliche Akteure erlangt werden kann.
30
Die pauschale Behauptung, es sei allgemein bekannt, dass die Polizei in Peru korrupt sei und daher keine Hilfe zu erwarten sei, begründet nicht die nach § 3c Nr. 3 AsylG erforderliche Annahme, die in § 3c Nr. 1 und 2 AsylG genannten Akteure seien erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Gericht herangezogenen Erkenntnismitteln, denen zufolge Drogenhandel, organisierte Kriminalität sowie Korruption auf allen politischen Ebenen einschließlich der Polizei in Peru zwar durchaus verbreitet ist (vgl. Human Rights Watch, World Report Peru 2020, S. 14), aber jedenfalls nicht berichtet wird, dass Sicherheitsbehörden generell nichts willens oder unfähig seien, einen effektiven Schutz der Bürger zu garantieren. Vielmehr wird seit einigen Jahren in öffentlichkeitswirksamen Gerichtsverfahren gegen Korruption auf höchster politischer Ebene vorgegangen (Human Rights Watch, ibid.). Auch der Kampf gegen die organisierte Kriminalität wurde in den letzten Jahren verstärkt, u.a. auf Grundlage eines neuen Gesetzes vom 1. Juli 2014 („Ley contra el Crimen Organizado - Ley N° 30077“, vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests, Peru: Criminality, including frequency, reporting of, and government response (2012-February 2015), S. 4 und 6). Mit Blick auf die behördliche Verfügung vom 12. November 2019, mit der zu Gunsten der Mutter der Klägerin und deren Familie präventive Schutzmaßnahmen angeordnet wurden, zeigt sich bereits der Wille der zuständigen Behörden, die Familie vor Übergriffen zu schützen; konkrete Anhaltspunkte, dass hierdurch effektiver Schutz nicht erreicht werden kann, wurden nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
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Nach alledem kann allein aufgrund der pauschalen Behauptung der Klägerin, die Polizei sei korrupt nicht davon ausgegangen werden, die Polizei sei nicht willens oder unfähig, sie vor Bedrohungen durch Nachfahren von Terroristen zu schützen.
32
Eine weitere Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 VwGO) war nicht geboten, da es die Klägerin unter Verstoß gegen ihre Mitwirkungslast unterlassen hat, von sich aus einen ausreichend schlüssigen und widerspruchsfeien Sachverhalt zu schilden (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 86 Rn. 47). Nach Auffassung des Gerichts hat sich die Klägerin im Juli 2019 aus ungeklärten, indes nicht verfolgungsrelevanten Gründen zu einem Verlassen Perus entschlossen; eine schutzrelevante Bedrohung in ihrer Heimat ist nicht gegeben.
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Bei einer Gesamtschau des klägerischen Vortrags erweist sich dieser als unglaubhaft.
34
Es drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Klägerin zur angeblichen Bedrohung im Wesentlichen nicht ein von ihr selbst erlebtes, sondern ein in weiten Teilen erfundenes Geschehen schildert.
35
Eine Verfolgung in Peru durch staatliche oder insbesondere nichtstaatliche Akteure steht somit zur Überzeugung des Gerichts für die Klägerin nicht zu befürchten.
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1.2 Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des hilfsweise angestrebten subsidiären internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 4 AsylG.
37
Sowohl der Vortrag der Klägerin vor dem Bundesamt als auch derjenige im gerichtlichen Verfahren ist nicht geeignet, das Drohen eines ernsthaften Schadens in Peru i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG ausreichend zu belegen.
38
Subsidiär schutzberechtigt ist, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe (Satz 2 Nr. 1), der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (Satz 2 Nr. 2) oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlich bewaffneten Konflikts (Satz 2 Nr. 3). Nach 4 Abs. 3 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens treten; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.
39
Es ist nach dem Vortrag der Klägerin nicht ersichtlich, dass einer dieser Tatbestände einschlägig wäre. Ein hier einzig in Betracht kommender ernsthafter Schaden in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG liegt nicht vor.
40
Bei der von der Klägerin vorgebrachten Furcht vor Angreifern aus dem familiären Umfeld von verurteilten Terroristen würde es sich lediglich um kriminelles Unrecht von privater Seite handeln, so dass es - wie vorstehend unter 1.1 ausgeführt - am erforderlichen Merkmal des relevanten Akteurs gemäß § 3c AsylG fehlt.
41
Der Klägerin droht zur Überzeugung des Gerichts weder aufgrund der Sicherheitslage noch ihrer persönlichen Situation als Auslandsheimkehrerin ein ernsthafter Schaden. Davon abgesehen ist weder vorgetragen noch entspricht es aktueller Erkenntnislage, dass in Peru eine derart defizitäre Gesundheitsversorgung bestünde, die überhaupt ein Fehlen angemessener Behandlungsmöglichkeiten oder gar eine Verweigerung medizinischer Versorgung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung begründete.
42
1.3 Die Klägerin hat zudem die Möglichkeit, internen Schutz gemäß § 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG in Peru zu erlangen.
43
Nach der Auskunftsklage besteht im Falle der Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure in Peru die grundsätzliche Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative, weil der Einfluss der Organisation „Leuchtender Pfad“ signifikant gesunken ist und sich auf Randgebiete Perus beschränkt (BAMF, Länderreport Peru, 2021, S. 33f). Die Umstände des Einzelfalls gebieten keine Abweichung hiervon. Selbst unterstellt, die Klägerin wäre in ihrer Heimatstadt Huancayo tatsächlich Nachstellungen von Angreifern aus dem familiären Umfeld von verurteilten Terroristen ausgesetzt, führt dies nicht zum Ausschluss der Möglichkeit des Erlangens internen Schutzes in Peru. Dies zunächst schon deshalb, weil die Klägerin sich seit Juli 2019 und somit bereits seit knapp drei Jahren nicht mehr in ihrer Heimat aufhält. Zur Überzeugung des Gerichts ist es nach der allgemeinen Lebenserfahrung wenig wahrscheinlich, dass potentielle Verfolger willens wären, die Klägerin nach mehreren Jahren außer Landes landesweit ausfindig zu machen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass mit der Ausreise der Klägerin die Nachstellungen beendet wurden; Anhaltspunkte für eine landesweite, systematische, langfristige Verfolgung von Familienmitgliedern von (ehemaligen) Akteuren der Terrorismusbekämpfung durch Nachfahren der Mitglieder der Organisation „Leuchtender Pfad“ sind nicht ersichtlich. Vielmehr schreitet die weitere staatliche Verfolgung der Taten - wenn auch langsam - voran (vgl. Human Rights Watch, World Report Peru 2022).
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2. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheiden unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in Peru und der individuellen Umstände der Klägerin ebenfalls aus.
45
Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass die Lage des Betroffenen und seine Lebensumstände im Fall einer Aufenthaltsbeendigung erheblich beeinträchtigt würden, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen - hier nicht vorliegenden - Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 - 26565/05 - NVwZ 2008, 1334; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris; B.v. 25.10.2012 - 10 B 16/12 - juris). Unabhängig davon, in welchen Fällen existenzbedrohende Armut im Sinne von Art. 3 EMRK relevant sein kann, liegen Anhaltspunkte hierfür nicht vor.
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Die Klägerin ist volljährig und nach Aktenlage arbeitsfähig. Insbesondere wurde weder vorgetragen noch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht arbeitsfähig sei. Hinweise darauf, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr - allein oder gegebenenfalls mit familiärer Unterstützung, namentlich durch die im Heimatland lebende (Groß-) Familie, insbesondere der Mutter, - nicht in der Lage sein wird, das Existenzminimum für sich zu sichern, sind auch im Übrigen nicht ersichtlich. Es ist nichts dafür erkennbar, dass die Klägerin, die in ihrer Heimat aufgewachsen und sozialisiert ist und über einen Hochschulabschluss verfügt, nicht in der Lage wäre, im Falle der Rückkehr ihren Lebensunterhalt zumindest „mit ihrer Hände Arbeit“, wenn gegebenenfalls auch auf eher niedrigem Niveau, so doch noch ausreichend zu bestreiten. Im Rahmen der Anhörung gab die Klägerin an, als Sicherheitsassistentin gearbeitet zu haben. Bessere wirtschaftliche oder soziale Perspektiven in Deutschland begründen im Übrigen kein Abschiebungsverbot.
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Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Danach soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
48
Bei den in Peru vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise dann nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - juris; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris), wenn ein Einzelner gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, liegt nach dem vorstehend Ausgeführten nicht vor. Auch aus den Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie folgt schließlich nichts anderes, wie sich zur Überzeugung des Gerichts ohne weiteres aus der aktuellen Erkenntnislage ergibt (vgl. z.B. Länderbericht Peru des Auswärtigen Amts, Homepage des AA, zuletzt aufgerufen am 19.5.2022; BayVGH, B.v. 5.8.2021 - 19 ZB 21.1143 - juris Rn. 26).
49
Ferner liegt bei der Klägerin kein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis dergestalt vor, dass die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 3.7.2012 - 13a B 11.30064 - juris Rn. 34; vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, 4. Update Oktober 2021, § 60 AufenthG Rn. 104 m.w.N.). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - juris Rn. 56). Posttraumatische Belastungsstörungen oder andere schwerwiegende psychische Erkrankungen können nur in Ausnahmefällen bei unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland dann zu einem Abschiebungsverbot führen, wenn die konkrete erhebliche Gefahr besteht, dass sich die Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers alsbald nach seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird (Hailbronner, aaO, Rn. 109).
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Nach §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Die normative Vermutung nach § 60a Abs. 2c AufentG ist mithin nicht widerlegt.
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3. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie gegen die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG bestehen schließlich ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
52
Sonach war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
53
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.