Titel:
Anfechtung der Wahl zum Gesamtpersonalrat beim Bayerischen Rundfunk
Normenketten:
BayPVG Art. 24, Art. 25
WO-BayPVG § 20, § 25
Leitsätze:
1. Ist eine Angabe auf dem Stimmzettel über die genannten Pflichtangaben des § 25 Abs. 3 S. 1 WO-BayPVG hinaus wählerbeeinflussend, ist sie unzulässig. Dies ist dann der Fall, wenn bei den Wählern der falsche Eindruck entstehen kann, über die Liste „ver.di“ und die ausdrücklich bezeichneten Kandidaten hinaus würden die weiteren Kandidaten zu keiner Gewerkschaft gehören. (Rn. 20 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gemäß § 20 Abs. 5 WO-BayPVG ist die Sitzung, in der das Wahlergebnis festgestellt wird, für die Beschäftigten öffentlich. Hiervon ist auch die Auszählung der Stimmen als damit verbundener Teil umfasst. Um dem Öffentlichkeitsprinzip zu genügen, bedarf es der Bekanntgabe aller (Auszählungs-)Termine an die Beschäftigten. (Rn. 23 – 26) (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist nicht erforderlich für eine erfolgreiche Wahlanfechtung wegen des Verstoßes gegen die Öffentlichkeit, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Auszählung Fehler unterlaufen sind, die im Falle öffentlicher Auszählung nicht eingetreten oder geheilt worden wären. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Personalvertretungsrecht des Landes, Wahlanfechtung, Gewerkschaftszugehörigkeit auf Stimmzettel bei einzelnen Kandidaten, Öffentlichkeit der Stimmenauszählung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19352
Tenor
I. Soweit der Antrag zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Wahl des Gesamtpersonalrats des B. R. wird für ungültig erklärt.
III. Die Kosten der Verfahren hat die Beteiligte zu 1) zu tragen.
IV. Der Gegenstandswert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Gegenstand des Verfahrens ist eine Anfechtung der Wahl des Gesamtpersonalrats beim B. R.
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Im Zeitraum vom 22. Juni bis 12. Juli 2021 fanden beim B. R. die Personalratswahlen im Wege schriftlicher Stimmenabgabe und aufgrund mehrerer Listen („Die NEUEN“, „FREIE Liste“, „ver.di“) durch Listenwahl statt. Auf den Stimmzetteln war bei einzelnen Kandidaten der Liste „FREIE Liste“ deren Mitgliedschaft beim Bayerischen Journalistenverband durch Klammerzusatz „(BJV)“ vermerkt. Im Wahlausschreiben vom 27. April 2021 wird als Termin zur Feststellung des Wahlergebnisses der 20. Juli 2021 vermerkt. Ausgezählt wurde am 13. und 14. Juli 2022 und am 16. Juli 2021 das Ergebnis der Wahl in der Wahlniederschrift vermerkt. Der Wahlvorstand hatte die Listenverantwortlichen vorab über die vorgezogene Auszählung informiert. Darüber hinaus war keine Information der Öffentlichkeit über die Auszählung erfolgt.
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Am 27. Juli 2021 haben die Antragsteller zu 1) bis 11) schriftlich und die Antragsteller zu 12) bis 14) am 30. Juli 2021 (teilweise) zur Niederschrift beim Verwaltungsgericht München die Wahl angefochten. Die Bevollmächtigte der Antragsteller zu 1) bis 11) hat mit Schriftsätzen vom 7. Oktober 2021 umfangreich Wahlanfechtungsgründe vorgetragen, insbesondere im Zusammenhang mit einer aus Sicht der Antragsteller (nur) beschränkt erlaubten und eine Wahlanfechtung begründenden Möglichkeit zur Wahlwerbung. Als weitere Wahlanfechtungsgründe wird unter anderem auf den Vermerk der Zugehörigkeit einzelnen Kandidaten zum Bayerischen Journalistenverband auf der Liste „FREIE Liste“ hingewiesen. Auch sei bei der Auszählung gegen das Prinzip der Öffentlichkeit verstoßen worden. Hinsichtlich der Einzelheiten sowie der übrigen Wahlanfechtungsgründe wird auf die schriftsätzlichen Ausführungen sowie die Ausführungen in der Anhörung am 26. Juli 2022 Bezug genommen.
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Nach Rücknahme der Anträge durch die Antragsteller zu 13) und 14) am 11. März 2022 bzw. 1. Juli 2022 hat die Bevollmächtigte der Antragsteller zu 1) bis 11) in der Anhörung am 26. Juli 2022 beantragt,
Die Wahl des Gesamtpersonalrats des B. R. in der Zeit vom 22.06.2021 bis 12.07.2021 wird für ungültig erklärt.
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Die Beteiligte zu 1) hat durch die Vertreterin der Intendantin des B. R. beantragt,
den Antrag in der Hauptsache abzulehnen,
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und mit Schriftsatz vom 19. Januar 2021 sowie in der Anhörung zu den geltend gemachten Wahlanfechtungsgründen Stellung genommen, worauf hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen wird.
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Der Beteiligte zu 2) hat keinen Antrag gestellt, sich aber seinerseits mit Schriftsatz vom 20. Januar 2022 und in der Anhörung zu den geltend gemachten Wahlanfechtungsgründen geäußert. Auch insoweit wird verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte mit der Niederschrift über die Anhörung am 26. Juli 2022 sowie die beigezogenen Unterlagen des Wahlvorstands Bezug genommen.
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Der Antrag ist zulässig und begründet. Bei der Wahl des Gesamtpersonalrats beim B. R. wurde gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen, deren Einfluss auf das Wahlergebnis nicht ausgeschlossen ist, so dass die Wahl für ungültig zu erklären ist.
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1. Die Wahlanfechtung wurde i.S.v. Art. 53a Abs. 1, Art. 25 Bayerisches Personalvertretungsgesetz (BayPVG) zulässig durch mindestens drei wahlberechtigte Beschäftigte der Dienststelle erhoben. Die Vorschriften des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes gelten insoweit gemäß Art. 84 BayPVG auch für den B. R.
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Die Wahlanfechtungen der Antragsteller zu 12) bis 14) sind bei gebotener - sachdienlicher - Auslegung so zu verstehen, dass die Antragsteller sich dem Antrag vom 27. Juli 2021 anschließen wollten. Schließlich beziehen sich die Antragsteller ausdrücklich auf eine Sammelklage, auf der sie nicht mitunterzeichnen konnten. Die ursprünglich getrennt erfassten Verfahren wurden daher im Termin am 26. Juli 2022 nicht nur zur gemeinsamen Verhandlung, sondern auch gemeinsamen Entscheidung verbunden.
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Soweit die Antragsteller zu 13) und 14) ihren Antrag jeweils aus persönlichen Gründen zurückgenommen haben, ist das Verfahren einzustellen, vgl. Art. 82 Abs. 2 BayPVG i.V.m. § 81 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz. Auswirkungen auf die verbleibende Zulässigkeit der Wahlanfechtung hat dies im Übrigen nicht.
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2. Bei der Wahl des Gesamtpersonalrats beim B. R. wurde gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen.
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Dabei gelten gemäß § 53 Abs. 1 der Wahlordnung zum Bayerischen Personalvertretungsgesetz (WO-BayPVG) die Vorschriften der §§ 1 bis 30 und 34 bis 43 WO-BayPVG entsprechend.
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Auf den Stimmzetteln befanden sich durch die Angabe der Gewerkschaftszugehörigkeit einzelner Kandidaten unzulässige Angaben (a)). Zudem wurde gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz bei der Auszählung der Stimmen verstoßen (b)).
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a) Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 WO-BayPVG sind auf dem Stimmzettel die Vorschlagslisten in der Reihenfolge der Ordnungsnummer unter Angabe von Familienname, Vorname, Amts- und Berufs- oder Funktionsbezeichnung und Beschäftigungsstelle der Bewerber aus dem Wahlvorschlag nebeneinander aufzuführen. Hierbei handelt es sich um die grundlegende Wahlvorschrift über die Stimmzettel und eine grundsätzlich abschließende Angabe über dessen Inhalt (vgl. auch OVG Bautzen, B.v. 1.3.2018 - 9 A 53/17.PL - beck-online), mit Ausnahme von § 25 Abs. 3 Satz 2 WO-BayPVG, wonach bei gruppenfremden Bewerbern zusätzlich die Gruppenzugehörigkeit anzugeben ist. Werden darüber hinaus Angaben in den Stimmzettel über die einzelnen Kandidaten aufgenommen, so liegt jedenfalls dann ein Verstoß gegen diese wesentliche Wahlvorschrift vor, wenn die Angabe geeignet ist, das Wahlverhalten zu beeinflussen.
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Der Klammerzusatz „(BJV)“ bei drei Kandidaten auf der Vorschlagsliste „FREIE Liste“, der auf deren Zugehörigkeit bzw. Mitgliedschaft beim Bayerischen Journalistenverband hindeutet, ist geeignet, das Wahlverhalten zu beeinflussen und die Wähler zudem in die Irre zu führen.
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(1) Zwar wird die Bezeichnung der Liste als „FREIE Liste“ nicht dadurch irreführend und unzulässig, dass einzelne Kandidaten gewerkschaftszugehörig sind (vgl. hierzu HessVGH, B.v. 23.3.2017 - 22 A 2145/16.PV - juris Rn. 57 ff.). Das Kennwort des Wahlvorschlags ist daher nicht zu beanstanden.
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Soweit in der Anhörung auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 12. April 2007 - 15 S 940/05 - verwiesen und argumentiert wurde, es käme darauf an, ob eine Irreführung vorliege, bezieht sich diese Entscheidung ebenso auf eine Irreführung durch ein Kennwort und gerade nicht auf zusätzliche Angaben auf dem Stimmzettel. Die - zulässige - Verwendung von Gewerkschaftsbezeichnungen zur Kennzeichnung von Wahlvorschlägen steht vorliegend gerade nicht im Streit.
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(2) Es kann vorliegend aber bei den Wählerinnen und Wählern der Eindruck entstanden sein, über die Liste „ver.di“ und die drei ausdrücklich bezeichneten Kandidaten hinaus würden die weiteren Kandidaten zu keiner Gewerkschaft gehören, weil sich bei den anderen Kandidaten insoweit gerade keine Klammerzusätze finden. Dass es sich bei dem Klammerzusatz auf der Liste „FREIE Liste“ nur um eine freiwillige und vereinzelte Angabe handelt, kann sich der Wähler jedenfalls nicht erschließen. Vielmehr vermittelt der Stimmzettel den Eindruck, die Gewerkschaftszugehörigkeit sei entsprechend aufgeführt. Dies ist jedoch durchaus nicht ausgeschlossen. Die Bevollmächtigte der Antragsteller hat im Parallelverfahren zur Wahl des örtlichen Personalrats vorgetragen, auf der Liste „Die NEUEN“ hätten auch enttäuschte ver.di-Mitglieder kandidiert; wäre deren Gewerkschaftszugehörigkeit auf dem Stimmzettel gestanden, hätten sicherlich einige ver.di-Mitglieder weniger Skrupel gehabt, sich von ihrer ver.di-Liste abzuwenden und eine andere Liste zu wählen. Zudem ist in der Anhörung am 26. Juli 2022 gerade auch die Mitgliedschaft von Kandidaten bei der Deutschen Orchestervereinigung im Raum gestanden.
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(3) Über das beim Wähler somit etwaig verursachte Missverständnis hinaus ist die Angabe der Zugehörigkeit zum BJV auch geeignet, das Wahlverhalten erheblich zu beeinflussen. Ist einerseits herauszustellen, dass die Angabe gerade Transparenz schaffen kann und wohl sollte, dass auf der Liste „FREIE Liste“ auch Gewerkschaftsmitglieder kandidieren (gerade vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zur Kandidatur von Gewerkschaftsmitgliedern auf „freien“ Listen (s.o.)), kann dies gerade aber ein Grund sein, diesen Kandidaten den Vorzug zu geben oder auch gerade nicht. Auch auf die bereits zuvor in Bezug genommenen Angaben der Bevollmächtigten über die Kandidatur von ver.di-Mitgliedern auf anderen Listen und deren (von der Bevollmächtigten angenommenen) Bedeutung wird verwiesen. Der Klammerzusatz vermag jedenfalls nicht unwesentlich die Wahlentscheidung zu beeinflussen.
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Ist aber eine Angabe auf dem Stimmzettel über die genannten Pflichtangaben des § 25 Abs. 3 Satz 1 WO-BayPVG hinaus wählerbeeinflussend, ist sie unzulässig.
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b) Gemäß § 20 Abs. 5 WO-BayPVG ist die Sitzung, in der das Wahlergebnis festgestellt wird, für die Beschäftigten öffentlich.
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Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) gilt der Öffentlichkeitsgrundsatz auch für die Auszählung der Wahl zum Gesamtpersonalrat. § 53 Abs. 1 WO-BayPVG verweist insoweit auf eine entsprechende Geltung der §§ 1 bis 30 und 34 bis 43.
§ 20 Abs. 5 WO-BayPVG ist daher nicht von der entsprechenden Geltung ausgenommen. Soweit § 43 WO-BayPVG zur Bezirkspersonalratswahl keine vergleichbare Regelung zu § 20 Abs. 5 WO-BayPVG enthält, steht dies der entsprechenden Geltung gemäß § 53 Abs. 1 WO-BayPVG bei der Gesamtpersonalratswahl zum einen nicht entgegen. Zum anderen findet sich für die Wahl des Bezirkspersonalrats in § 33 WO-BayPVG ebenso ein Verweis auf die Vorschriften der §§ 1 bis 30, soweit sich nichts anderes aus den §§ 34 bis 42 WO-BayPVG ergebe.
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Von der Öffentlichkeit der Sitzung zur Feststellung des Wahlergebnisses ist auch die Auszählung der Stimmen als damit verbundener Teil umfasst, wie sich schon systematisch aus § 20 Abs. 2, 3 WO-BayPVG ergibt. Schließlich beginnt die Sitzung des Wahlvorstandes mit der Öffnung der bis dahin verschlossenen Wahlurnen (§ 20 Abs. 2 WO-BayPVG; Resch in Ballerstedt u.a., Bayerisches Personalvertretungsgesetz mit Wahlordnung, Stand März 2022, § 20 Rn. 21 ff. - juris mit ausführlicher Beschreibung des Sitzungsablaufs). Auch würde es dem Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes widersprechen, wenn die - eher fehleranfällige - Auszählung - noch nicht-öffentlich wäre und erst die zusammenfassende Feststellung. Der Grundsatz der (Dienststellen)Öffentlichkeit dient der Sicherung einer ordnungsgemäßen Durchführung der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses, indem er eine Möglichkeit der allg. Überwachung bietet, damit der Verdacht von Wahlergebnismanipulationen hinter verschlossenen Türen erst gar nicht aufkommen kann. Nicht nur die Auszählung der Stimmen als solche, sondern die Ermittlung und die Feststellung des Wahlergebnisses muss danach als Gesamtvorgang im Großen und Ganzen beobachtet werden können (Resch, a.a.O. Rn. 13 m.w.N.)
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Um dem Öffentlichkeitsprinzip zu genügen, bedarf es einer Bekanntgabe des Termins an die Beschäftigten (vgl. a. § 6 Abs. 2 Buchst. r WO-BayPVG; BAG, B.v. 15.11.2000 - 7 ABR 53/99 juris Rn. 12 ff.; Resch, a.a.O. Rn. 15). Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu ausgeführt:
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„Diese Anforderungen ergeben sich aus dem Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsgebots. Das in § 18 Abs. 3 BetrVG statuierte Erfordernis der Öffentlichkeit entspricht der Bedeutung, die der Feststellung des Wahlergebnisses in einem demokratischen Rechtsstaat zukommt (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, zu BT-Drucks. VI/2729 S. 21). Interessierte Personen sollen die Möglichkeit erhalten, die Ordnungsmäßigkeit der Feststellung des Wahlergebnisses beobachten zu können, damit der Verdacht von Wahlergebnismanipulationen „hinter verschlossenen Türen“ nicht aufkommen kann. Zur Herstellung dieser Beobachtungsmöglichkeit genügt es entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2) nicht, daß jeder Interessierte auf Nachfrage beim Wahlvorstand erfahren hätte, wann und wo die Stimmen ausgezählt werden. Informiert der Wahlvorstand die Betriebsöffentlichkeit von sich aus weder über den Umstand, daß die Stimmen öffentlich ausgezählt werden, noch über Ort und Zeit der Auszählung, hat die Betriebsöffentlichkeit nicht den erforderlichen ungehinderten Zugang zur Beobachtung der Auszählung. Es hängt dann von Zufällen ab, ob der einzelne überhaupt von der Möglichkeit der Beobachtung erfährt. Es ist nicht selbstverständlich, daß jeder Arbeitnehmer ohne entsprechende Information damit rechnet, der Auszählung beiwohnen zu können. Das Erfordernis, selbst aktiv zu werden und sich nach dem Bestehen einer Teilnahmemöglichkeit sowie nach deren Ort und Zeit zu erkundigen, ist geeignet, Zugangsberechtigte von vornherein von der Teilnahme auszuschließen, sei es auf Grund von Unkenntnis, sei es durch die psychologische Hemmschwelle, die einer Nachfrage entgegenstehen kann. Eine solche Auslegung des § 18 Abs. 3 BetrVG brächte das mit dem Öffentlichkeitsgebot bezweckte Kontrollrecht nicht wirksam zur Geltung. Denn wenn interessierte Personen den Wunsch, ihr Kontrollrecht wahrzunehmen, gerade gegenüber den zu kontrollierenden Personen im Vorfeld offenbaren müssen, um Ort und Zeitpunkt ihrer Kontrollmöglichkeit zu erfahren, gibt dies vermeidbaren Anlaß zu Mißtrauen bzw. Mißdeutungen. Diese werden gerade durch eine jederzeit und ohne Ankündigung mögliche Kontrolle besonders wirkungsvoll verhindert.
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Die Möglichkeit, daß insbesondere in größeren Betrieben oft schon aus Raumgründen nicht die gesamte Belegschaft bei der Auszählung zugegen sein kann, rechtfertigt es nicht, eine Verkleinerung der Beobachtergruppe durch Verzicht auf eine allgemeine Information herbeizuführen mit der Folge, daß sie nur aus einem Kreis von „Eingeweihten“ besteht. Ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit ist es bei einem zu geringen Fassungsvermögen des Auszählungsraumes zulässig, weiteren Personen den Zutritt zu versagen (Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 13 WO Rn. 3; Däubler/Kittner/Klebe-Schneider BetrVG 7. Aufl. § 13 WO Rn. 5; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 13 WahlO Rn. 3).“
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(BAG, B.v. 15.11.2000 - 7 ABR 53/99 - juris Rn. 13 u. 14).
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Vorliegend wurde im Wahlausschreiben vom 27. April 2021 der 20. Juli 2022 zur Feststellung des Wahlergebnisses benannt. Tatsächlich wurde jedoch bereits am 13. und 14. Juli 2021 ausweislich der beigezogenen Wahlunterlagen ausgezählt und unter dem 16. Juli 2021 in der Wahlniederschrift das Ergebnis der Wahl festgestellt. Anhaltspunkte, dass die vorgezogene Auszählung und Ergebnisfeststellung anderweitig bekannt gegeben wurde, liegen keine vor. Damit wurde gegen § 20 Abs. 5 WO-BayPVG verstoßen.
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Dass die Listenverantwortlichen vom Wahlvorstand über die vorgezogene Auszählung informiert wurden oder dies gar eventuell - wie vorgetragen - von den Listenverantwortlichen gewünscht war, vermag den Verstoß gegen die Wahlvorschriften nicht zu heilen. Auf die vorstehend zitierten Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zur unzulässigen Verkleinerung der Beobachtergruppe wird auch insoweit Bezug genommen. Im Übrigen wurde in der Anhörung deutlich, dass selbst ein Listenverantwortlicher am 16. Juli 2021 überrascht gewesen sei, dass die Auszählungen schon abgeschlossen waren und bereits das Ergebnis zusammengezählt wurde, als er zur Sitzung des Wahlvorstands hinzustieß.
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Auch die - pandemiebedingten - besonderen Umstände bei der Personalratswahl 2021 machen den Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz nicht unerheblich. Der Gesetzgeber hat in § 56a WO-BayPVG gerade deshalb Sonderregelungen für die Wahlen 2021 gefasst, die Regelung in § 20 Abs. 5 WO-BayPVG jedoch nicht angetastet.
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Somit wurde bei der Wahl zum örtlichen Personalrat gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen.
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3. Bei beiden Verstößen kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie das Ergebnis der Wahl beeinflusst haben.
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Ein Verstoß gegen die Öffentlichkeit könnte zwar ggf. unter besonderen Umständen des Einzelfalls dann folgenlos bleiben, wenn während der gesamten Auszählung tatsächlich die Öffentlichkeit anwesend gewesen wäre und die fehlende Information der Öffentlichkeit letztlich keine Kausalität entfaltete. Hierfür liegen aber gerade keine hinreichenden Anhaltspunkte vor.
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Nicht erforderlich für eine erfolgreiche Wahlanfechtung ist, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Auszählung Fehler unterlaufen sind, die im Falle öffentlicher Auszählung nicht eingetreten oder geheilt worden wären (vgl. BAG,
B.v. 15.11.2000 - ABR 53/99 - juris Rn. 18.; Resch in Ballerstedt/Schleicher u.a., Bayerisches Personalvertretungsgesetz mit Wahlordnung, Stand März 2022, § 20 WO-BayPVG Rn. 30 - juris).
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Folglich war die Wahl für ungültig zu erklären.
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4. Dahinstehen können die übrigen geltend gemachten Wahlanfechtungsgründe.
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Es ist allerdings - bezugnehmend auf die Erörterung in der Anhörung am 26. Juli 2022 - darauf hinzuweisen, dass das Gericht die - von den Antragstellern schwerpunkt-mäßig ins Feld geführten - Wahlanfechtungsgründe im Zusammenhang mit Beschränkungen der Wahlwerbung durchaus zweifelhaft sieht. Eine Wahlanfechtung kann gemäß Art. 25 BayPVG auf Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften begründet werden. Weder im Bayerischen Personalvertretungsgesetz noch in der hierzu ergangenen Wahlordnung finden sich jedoch nähere Vorschriften zur Wahlwerbung (vgl. auch VG München, B.v. 10.6.2021 - M 20 PE 21.2851 - juris Rn. 24 ff.). Die Beschränkungen der Wahlwerbung bezüglich des Zeitraums, der Art und dem Umfang nach benachteiligten wohl nicht einzelne Listen mehr als andere, so dass sie wohl nicht als unzulässige Wahlbeeinflussung zugunsten oder zulasten einzelner Listen durch die Dienststellenleitung zu qualifizieren wären. Dem FMS vom 1. Februar 2021 - 26-P 1051-3/30 -, mit dem insoweit für die Wahlen 2021 jeder Liste zwei statt nur bislang einer E-Mail an die Beschäftigten erlaubt wurden, dürfte insoweit jedenfalls gegenüber dem B. R. keine verbindliche, bei Verstoß eine Wahlanfechtung begründende Wirkung zukommen, zumal dieses Schreiben erkennbar an den Ressortbereich des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat gerichtet war. Auch im Übrigen erscheint zweifelhaft, dass konkretisierende Angaben in FMS zur wesentlichen Wahlvorschrift i.S.v. des Art. 25 BayPVG werden können.
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5. Die Kosten des Verfahrens hat die betroffene Dienststelle zu tragen. Während in Personalvertretungsstreitigkeiten ein gerichtlicher Ausspruch über die Kosten an sich entbehrlich ist, erfolgte dieser vorliegend (deklaratorisch) aufgrund der im Verfahren aufgeworfenen Frage, ob die Kosten eines Wahlanfechtungsverfahrens durch Beschäftigte zu den von der Dienststellenleitung zu tragenden Kosten umfasst seien, da sie nicht vom Personalrat verursacht seien. Nach Art. 24 Abs. 2 BayPVG hat die Dienststelle die Kosten der Wahl zu tragen. Zu den Kosten der Wahl gehören (jedoch) alle Kosten, die mit der Einleitung und Durchführung der Wahl sowie der gerichtlichen Überprüfung des Wahlergebnisses verbunden sind (vgl. BVerwG, B.v. 11.10.10 - 6 P 16.09 - juris Rn. 14 m.w.N.; Resch in Ballerstedt/Schleicher u.a., Bayerisches Personalvertretungsgesetz mit Wahlordnung, Stand März 2022, Art. 24 BayPVG Rn. 19 - juris).
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6. Da in dem Rechtsstreit Gerichtskosten nicht erhoben werden, war der Gegenstandswert gemäß § 33 Abs. 1 RVG auf erfolgten Antrag der Bevollmächtigten der Antragsteller hin festzusetzen. Die Höhe des Gegenstandswerts richtet sich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Der objektive Charakter des Beschlussverfahrens gebietet es in aller Regel beim Gegenstandswert den Regelstreitwert (ggf. erhöht oder erniedrigt) festzusetzen. Nach der hier maßgeblichen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 5.10.2007 - 18 C 07.1214, 18 C 07.1215) ist grundsätzlich von einem Gegenstandswert von 5.000,- EUR auszugehen. Das gilt auch für den hier vorliegenden Fall. Wenngleich die Anträge der Antragsteller zu 12) bis 14) zunächst unter einem eigenen Aktenzeichen geführt wurden, handelt es sich - wie dargestellt - um eine Angelegenheit, so dass keine Erhöhung des Gegenstandswerts angezeigt war.