Inhalt

VG München, Beschluss v. 27.07.2022 – M 7 S 21.5967
Titel:

Eintragungsfähigkeit eines ausländischen Doktortitels

Normenketten:
PAuswG § 5 Abs. 2 Nr. 3, § 28 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, § 29 Abs. 1, § 30
PassG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 11 Abs. 1 Nr. 2, § 12 Abs. 1 S. 1, § 14
Leitsätze:
1. Die Eintragung eines Doktorgrades im Personalausweis mit der Abkürzung „Dr." setzt voraus, dass der Ausweisinhaber berechtigt ist, den Doktorgrad in der Bundesrepublik mit dieser Abkürzung ohne Zusatz zu führen. Dementsprechend handelt es sich bei dieser Eintragung ohne Berechtigung um eine unzutreffende, weil inhaltlich unrichtige Eintragung, die die Ungültigkeit des Personalausweises nach sich zieht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der in Österreich erworbenen Doktorgrad „Doktor der gesamten Heilkunde“ („Doctor medicinae universae“ - „Dr. med. univ.“) darf in der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Abkürzung „Dr.“ ohne Zusatz in Ausweisdokumenten geführt werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einziehung eines ungültigen Personalausweises, Einziehung eines ungültigen Reisepasses, Eintragungsfähigkeit eines ausländischen Doktortitels, Formelle Rechtswidrigkeit der Sofortvollzugsbegründung, Ermessensausfall, Intendiertes Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19336

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17. November 2022 (M 7 K 21.5966) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2021 wird hinsichtlich der Nr. 1 des Bescheids angeordnet und hinsichtlich der Nr. 2 des Bescheids wiederhergestellt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner am 17. November 2021 erhobenen Klage gegen die Einziehung seines Personalausweises und Reisepasses mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2021 sowie die hierzu ergangenen Folgeanordnungen.
2
Dem Antragsteller wurde durch die Medizinische Fakultät der …-Universität … gemäß § 66 i.V.m. § 81 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Studien an den Universitäten (Universitäts-Studiengesetz - UniStG, BGBl. I Nr. 48/1997 (Österreich)) nach positiver Beurteilung aller im Bundesgesetz über die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 123/1973 (Österreich), idgF., in der Studienordnung für die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 473/1978 (Österreich) sowie im Studienplan für die Studienrichtung Medizin an der Universität … vorgeschriebenen Prüfungen mit Bescheid vom … Juni 1998 der akademische Grad „Doktor der gesamten Heilkunde“ („Doctor medicinae universae“ - „Dr. med. univ.“) verliehen. Der Antragsteller habe das im Spruch angeführte Studium am … Juni 1998 erfolgreich abgeschlossen und die Voraussetzungen für die Verleihung des akademischen Grades erfüllt.
3
Auf Antrag des Antragstellers wurde daraufhin im Jahr 2001 der akademische Grad „Dr.“ in dessen Personaldokumenten eingetragen und auch in die Folgedokumente, zuletzt in die am 1. Juli 2021 von der Antragsgegnerin ausgestellten Dokumente (Personalausweis und Reisepass), übernommen.
4
Mit Schreiben vom 2. August 2021 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass die erworbene Qualifikation „Doktor der gesamten Heilkunde - Dr. med. univ.“ dem deutschen Staatsexamen entspreche. Es sei nach den vorliegenden Unterlagen kein Promotionsverfahren absolviert worden; der Titel sei aufgrund der bestandenen vorgeschriebenen Prüfungen verliehen worden (sog. Berufsdoktorat). Eintragungsfähig im Register seien nur akademische Grade, die in einem eigenen Promotionsverfahren verliehen worden seien. Die bereits ausgehändigten Personaldokumente (Reisepass und Personalausweis) seien einzuziehen. Der Antragsteller wurde gebeten, zur Neubeantragung der Dokumente vorzusprechen und die bisherigen Dokumente mitzubringen.
5
Mit Schreiben an die Antragsgegnerin vom 5. August 2021 und vom 8. August 2021 teilte der Antragsteller unter Verweis auf die einschlägigen Normen u.a. mit, dass ein vor Einführung des Universitätsgesetzes 2002 (Österreich) verliehenes Doktorat der gesamten Heilkunde - wie in seinem Fall 1998 - nach einem durch drei Rigorosen und eine zusätzliche wissenschaftliche Leistung (Dissertation oder Wahlfach) abgeschlossenen Doktoratsstudium ein vollwertiges Doktorat und kein sog. Berufsdoktorat sei. In Österreich sei sowohl die vollständige Form „Dr. med. univ.“ wie auch die Abkürzung „Dr.“ ohne Fakultätsbezeichnung in Verbindung mit dem Namen üblich.
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Hierauf erwiderte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 9. und 11. August 2021 und vertiefte den Vortrag zur ihrer Rechtsauffassung, wonach der akademische Grad des Antragstellers ein nicht eintragungsfähiges Berufsdoktorat darstelle, und forderte den Antragsteller nochmals auf, die bereits ausgehändigten Personaldokumente vorzulegen. Andernfalls würden Herausgabebescheide für die Personaldokumente erlassen.
7
Mit E-Mail vom 13. August 2021 bestellten sich die bereits im Verwaltungsverfahren Bevollmächtigten des Antragstellers und nahmen - im Wesentlichen unter Wiederholung der Ausführungen des Antragstellers - mit Schreiben vom 10. September 2021 Stellung.
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Mit Bescheid vom 19. Oktober 2021 wurde der Antragsteller von der Antragsgegnerin aufgefordert, den am 1. Juli 2021 von der Antragsgegnerin ausgestellten Personalausweis (Nr. 1) sowie den ebenfalls am 1. Juli 2021 von der Antragsgegnerin ausgestellten Reisepass (Nr. 2) bei deren Melde- und Gewerbeamt/Passamt abzugeben. Für den Fall, dass der Antragsteller den Verpflichtungen in Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids nicht bis zum 5. November 2021 nachkomme, werde ein Zwangsgeld i.H.v. 100,- Euro fällig (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheids wurde festgestellt und die sofortige Vollziehung der Nr. 2 des Bescheids angeordnet (Nr. 4). Dem Antragsteller wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt und eine Gebühr i.H.v. 50,- Euro sowie Auslagen i.H.v. 4,11 Euro festgesetzt (Nr. 5).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 PAuswG bzw. § 11 Abs. 1 Nr. 2 PassG sei ein Personaldokument ungültig, wenn Eintragungen unzutreffend seien. Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 PAuswG bzw. § 15 Abs. 1 Nr. 1 PassG sei der Inhaber verpflichtet, dieses unverzüglich der zuständigen Behörde vorzulegen. Im vorliegenden Fall sei dieser Verpflichtung nicht nachgekommen worden. Ein ungültiger Personalausweis könne nach § 29 Abs. 1 PAuswG, ein ungültiger Reisepass nach § 12 Abs. 1 PassG eingezogen werden. Gemäß Nr. 12.1.1 Abs. 2 der Passverwaltungsvorschrift - PassVwV - zu § 12 PassG sei ein ungültiger Pass einzuziehen, wenn der Mangel, der zur Ungültigkeit geführt habe, nicht behoben werden könne. Diese Vorschrift gelte analog für Personalausweise. Die Androhung des Zwangsgeldes stützte sich auf die - im Einzelnen ausgeführten - einschlägigen Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts. Im Hinblick auf den Personalausweis werde mit Verweis auf § 30 PAuswG die sofortige Vollziehung festgestellt. Demnach habe eine Anfechtungsklage gegen die Einziehung nach § 29 Abs. 1 PAuswG keine aufschiebende Wirkung. Im Hinblick auf den Reisepass werde die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet, da das öffentliche Interesse an der Einziehung gegenüber dem Interesse des Bürgers an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs überwiege. Ein Zuwarten bis zur endgültigen Rechtskraft hätte zur Folge, dass der Bürger für einen derzeit unabsehbaren Zeitraum in der Öffentlichkeit durch die Vorlage des Reisepasses weiterhin mit einem nicht eintragungsfähigen akademischen Grad auftrete. Es bestehe ein öffentliches Interesse daran, dass der Bürger nur mit einem den tatsächlichen Rechtsverhältnissen entsprechenden Reisepass im öffentlichen und privaten Rechtsverkehr im In- und Ausland in Erscheinung trete. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug sei daher höher zu bewerten als die persönlichen Interessen des Betroffenen. Die Kostenentscheidung beruhe auf den - im Einzelnen genannten - Vorschriften des Kostenrechts.
10
Hiergegen haben die Bevollmächtigten des Antragstellers am 17. November 2021 Klage erhoben (M 7 K 21.5966) und zugleich einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt.
11
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, mit Bescheid der …-Universität … vom 18. Juni 1998 sei dem Kläger der akademische Grad „Dr. der gesamten Heilkunde“ („Doctor medicinae universae - Dr. med. univ.“) verliehen worden. Basierend hierauf sei im Jahr 2001 erstmals von der Verwaltungsgemeinschaft E. … der Zusatz „Dr.“ in die Personaldokumente eingetragen worden. Dieser Eintrag sei so erhalten geblieben. Auch nach einer Überprüfung durch die Verwaltungsgemeinschaft R. … im Jahr 2011 sei der Eintrag „Dr.“ in den Personaldokumenten des Antragstellers bestehen geblieben. Im Jahr 2013 sei der Antragsteller nach B. … umgezogen. Im Meldeamt der Antragsgegnerin sei die neue Adresse in die Personaldokumente des Antragstellers aufgenommen worden. Der Zusatz „Dr.“ sei hierbei unbeanstandet geblieben. Im Jahr 2021 habe der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Erneuerung seiner Personaldokumente beantragt. Auch hierbei sei von der Antragsgegnerin der Eintrag „Dr.“ sowohl im Personalausweis als auch im Reisepass des Antragstellers übernommen worden. Erst nach Aushändigung der Personaldokumente an den Antragsteller habe die Antragsgegnerin vom Antragsteller die Vorlage von Unterlagen zur Verleihung seines akademischen Grades verlangt. Hierbei sei die Antragsgegnerin zu dem unzutreffenden Ergebnis gelangt, dass der Eintrag „Dr.“ zu Unrecht erfolgt sei. Die Antragsgegnerin verlange nunmehr die Rückgabe der ausgestellten Personaldokumente. Im Ergebnis unstreitig sei, dass nach aktueller Rechtslage der Titel des Klägers „Dr. med. univ.“ lediglich noch Diplomniveau aufweise. Diese Reduzierung sei aber erst im Zuge des Universitätsgesetzes im Jahr 2002 erfolgt. Vorher, also auch im Jahr 1998, als der Kläger den Titel erworben habe, sei derselbe Titel an ein Doktoratsstudium gebunden gewesen. Einschlägig sei hier noch die Studienordnung 1978 bzw. das dieser Studienordnung zugrunde liegende Bundesgesetz über die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 123/1973, gewesen. Zu absolvieren seien drei Rigorosen und eine zusätzliche wissenschaftliche Leistung (Dissertation oder Wahlfach) gewesen. Demnach stelle das abgeschlossene Doktoratsstudium des Antragstellers sehr wohl ein vollwertiges Doktorat und nicht lediglich ein sogenanntes Berufsdoktorat dar. Dies habe sich der Kläger anlässlich der hiesigen Streitigkeit nochmals von der medizinischen Universität … bestätigen lassen. Eine entsprechende E-Mail des Herrn Magister W. vom 3. November 2021 werde in der Anlage überlassen und hierauf Bezug genommen. Es werde bestätigt, dass der Antragsteller zum damaligen Zeitpunkt im Jahr 1998 ein Doktoratsstudium abgeschlossen habe. Demnach sei die Eintragung des Titels „Dr.“ zu Recht erfolgt. Verwiesen werde insoweit auf Art. 68 des Bayerischen Hochschulgesetzes. Ergänzend hierzu werde auf das deutsch-österreichische Abkommen über die Anerkennung von Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich vom 4. August 1983 verwiesen, welches zur Zeit der Promotion des Antragstellers und der erstmaligen Eintragung des Zusatzes „Dr.“ in die Personaldokumente in Geltung gewesen sei. Dieses Abkommen regele lapidar, dass die Führung eines Doktorgrades in der Form gestattet gewesen sei, wie er im Staate der Verleihung aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen habe geführt werden dürfen. Die im Herkunftsland zugelassene und nachweislich übliche Abkürzung im vorliegenden Fall sei „Dr.“. Demnach habe diese Eintragung zu Recht auch in den Personaldokumenten des Klägers vorgenommen werden können. Hingewiesen werde weiterhin auf die Regelung in „§ 4 Abs. 1 Ziffer 4.1.3 Satz 2 PassVwV“. Demnach müssten Doktorgrade nur dann nachgewiesen werden, wenn sie sich nicht schon aus dem Personalausweis, einem früheren Pass oder dem Melderegister ergäben. Im Fall des Antragstellers sei die Eintragung bereits im Sommer 2001 durch die Verwaltungsgemeinschaft E. … erfolgt. Demnach sei eine erneute Überprüfung durch die Antragsgegnerin bereits nicht angezeigt und daher rechtswidrig gewesen. Im Ergebnis sei die Eintragung des Titels „Dr.“ rechtmäßig erfolgt und seit 20 Jahren rechtmäßig in den Personaldokumenten des Antragsstellers enthalten gewesen. Der Antragsteller habe daher jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes einen Anspruch darauf, dass dies so bleibe. Nachdem die Antragsgegnerin selbst zunächst die Personaldokumente des Antragstellers mit entsprechender Eintragung „Dr.“ gefertigt habe, könne eine nachträgliche Löschung dieser Einträge lediglich in Form einer Rücknahme des ursprünglichen Verwaltungsakts erfolgen. Die Rücknahmevoraussetzungen des Art. 48 BayVwVfG lägen jedoch nicht vor. Das Vertrauen des Klägers auf den Bestand des Verwaltungsakts sei nach den obigen Ausführungen jedenfalls schutzwürdig. Im Ergebnis könne die Antragsgegnerin vom Antragsteller weder im Hinblick auf den Personalausweis noch auf den Reisepass die Abgabe derselben verlangen. Nachdem eine Abgabepflicht des Antragstellers nicht bestehe, sei auch die Anordnung des Zwangsgeldes in Nr. 3 des Bescheids rechtswidrig. Die Klage werde im Hinblick auf die dargelegten Umstände voraussichtlich Erfolg haben. Daher sei im Hinblick auf Nr. 1 des Bescheids die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, im Hinblick auf Nr. 2 des Bescheids die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Die Anordnung des Sofortvollzugs im Hinblick auf Nr. 2 des Bescheids sei auch für sich betrachtet rechtswidrig. Es bestehe kein nachvollziehbares Interesse daran, die Öffentlichkeit vor einem „falschen“ Dr. … … zu schützen. Unstreitig dürfe der Antragsteller jedenfalls die Bezeichnung „Dr. med. univ.“ weiterführen und auch unter dieser Bezeichnung weiterhin praktizieren und öffentlich wirken. Es sei daher nicht ersichtlich, weshalb es aus Gründen des öffentlichen Interesses nicht zumutbar sein solle, eine Eintragung in den Personaldokumenten des Klägers, die bereits mehr als 20 Jahre vorgelegen habe, jedenfalls noch so lange zu belassen, bis über die Klage in der Hauptsache entschieden sei. Diese Umstände habe die Antragsgegnerin bei der Anordnung des Sofortvollzugs unberücksichtigt gelassen. Aus diesem Grund sei dem Eilantrag im Hinblick auf Nr. 2 des Bescheids stattzugeben.
12
Der Antragsteller beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 19.10.2021 anzuordnen, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des Bescheids vom 19.10.2021 wiederherzustellen.
13
Die Antragsgegnerin beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
14
Zur Begründung wird unter Wiederholung der Bescheidsbegründung ergänzend ausgeführt, bei dem von der …-Universität … verliehenen akademischen Grad „Dr. med. univ.“ handele es sich um ein Berufsdoktorat, welches ohne Durchführung eines ordentlichen Promotionsverfahrens und ohne Fertigung einer Dissertation erlangt worden sei. Die Eintragung sei weder im Melderegister noch in Personaldokumenten möglich (vgl. Nr. 4.1.3 PassVwV). Somit seien sowohl die Eintragungen durch vorher zuständige Behörden als auch die von der Beklagten zunächst vorgenommene Eintragung fehlerhaft gewesen. Im Klageverfahren M 7 K 21.5966 wird zudem ausgeführt, im Hinblick auf Nr. 4.1.3 PassVwV sei eine Übernahme ohne nähere Nachprüfung möglich, um unnötigen Aufwand zu vermeiden, wenn feststehe, dass die Berechtigung zum Führen des Doktorgrads schon früher geprüft worden sei. Daraus folge andererseits, dass die Regelung nicht schematisch angewandt werden dürfe. In der Praxis würde oft so verfahren, dass die Vorlage der Verleihungsurkunde gefordert werde, wenn den Pass oder Personalausweis eine andere Behörde ausgestellt habe. Auf die Angaben im Melderegister dürfe keineswegs blind vertraut werden. Stets sei darauf zu achten, ob die Angaben dort in geprüfter Form (also mit Nachweisen zu ihrer Richtigkeit) vorlägen oder nicht. Die rechtswidrige Eintragung eines Doktorgrades könne im Extremfall als Beihilfe zum Missbrauch von Titeln gewertet werden und damit strafrechtliche Risiken bergen. In den Informationen zur Führung ausländischer akademischer Grade in Bayern des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst (Stand: Januar 2021) sei unter Punkt 2.2, 2. Absatz explizit ausgeführt, dass Doktorgrade, die ohne Promotionsstudien und -verfahren vergeben würden, sog. Berufsdoktorate, nicht mit der Abkürzung „Dr.“ ohne fachlichen Zusatz und ohne Herkunftsbezeichnung geführt werden dürften. In Punkt 8.5 werde darauf hingewiesen, dass das Bayerische Hochschulgesetz nur ein allgemeines Recht zur Führung des jeweiligen akademischen Grades ausspreche. Dieses könne durch andere Gesetze eingeschränkt sein. Insbesondere regelten melde- und personenstandsrechtliche Vorschriften sowie Bestimmungen des Passgesetzes und des Gesetzes über Personalausweise die Voraussetzungen für die Eintragung von Graden in Personenstands- und Ausweisdokumenten sowie ins Melderegister. Es sei also bei Berufsdoktoraten zwingend zwischen Führungsrecht und Eintragungsanspruch zu unterscheiden. Die Einziehung von Pässen oder Passersatzpapieren sei ein Realakt und kein Verwaltungsakt. Deren Herausgabe könne mit Mitteln des Verwaltungszwangs betrieben werden. Gegen den Passinhaber könne zunächst ein Herausgabebescheid mit der Androhung eines Zwangsgelds erlassen werden, was im vorliegenden Fall auch geschehen sei. Zusammenfassend sei festzustellen, dass der akademische Grad „Dr. med. univ.“ des Antragstellers weder im Personalausweis noch im Reisepass eintragungsfähig sei und der Antragsteller deshalb zur Abgabe der genannten Personaldokumente und Neubeantragung zumindest eines Dokuments verpflichtet sei.
15
Hierauf erwiderten die Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 11. Januar 2022 und führten ergänzend aus, die Antragsgegnerin verkenne, dass sich im Hinblick auf das Doktorat des Antragstellers die Verhältnisse geändert hätten. Als der Kläger im Jahr 1998 seinen Doktortitel erhalten habe, habe es sich gerade nicht um ein Berufsdoktorat gehandelt. Die im Jahr 1998 bestehende österreichische Rechtslage werde definiert durch das Allgemeine Hochschulstudiengesetz (Österreich) von 1966, das Bundesgesetz über die Studienrichtung Medizin (Österreich) von 1973 und die Studienordnung von 1978. Die wiederum im Jahr 2001 in Deutschland bestehende Rechtslage werde definiert durch die „Allgemeine Genehmigung zur Führung ausländischer akademischer Grade“ von 1989 und das deutsch-österreichische Abkommen über die Anerkennung von Gleichwertigkeit im Hochschulbereich von 1983. Demnach sei ein in Österreich erworbener Doktortitel in Deutschland führbar „in der Form (…), die im Herkunftsland festgelegt oder nachweisbar üblich ist“ bzw. „wie er im Staate der Verleihung aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen geführt werden darf“. Die in Österreich zugelassene und nachweislich übliche Abkürzung für den vorliegenden Titel sei jetzt wie auch in der Vergangenheit „Dr.“. Demnach sei die Eintragung in die Personaldokumente des Antragstellers korrekt gewesen. Die von Seiten der Antragsgegnerin vorgelegten älteren Literaturnachweise bezögen sich ausschließlich auf die aktuelle Rechtslage im Hinblick auf den erworbenen Doktorgrad, welche aber für den vorliegenden Fall nicht entscheidend sei. Dies zeige sich u.a. schon darin, dass der als Anlage 1 vorgelegte Auszug aus dem rehmnetz-Newsletter sich auf solche medizinischen Doktorgrade beziehe, die erst mit dem Universitätsstudiengesetz 1997 bzw. mit dem Universitätsgesetz 2002 für nach diesem Zeitpunkt begonnene Studien eingeführt worden seien. Nicht einschlägig seien die dortigen Ausführungen aber in den Fällen, in denen das Studium bereits vorher begonnen worden sei, wie im Fall des Antragstellers. In diesen Fällen habe das Doktoratsstudium - gleichwertig mit Dissertation oder Wahlfachausbildung - zum Erwerb eines vollwertigen Doktortitels geführt. Der Doktortitel sei in der erfolgten Weise zutreffend und rechtmäßig in die Personaldokumente des Antragstellers eingetragen worden. Dort sei die Eintragung auch 20 Jahre lang rechtmäßig vorhanden gewesen. Insofern habe der Antragsteller Anspruch darauf, dass dies auch so belassen werde.
16
Hierauf erwiderte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 15. Februar 2022, dass die Gegenseite weiterhin verkenne, dass es sich beim akademischen Grad des Antragstellers um ein Berufsdoktorat handele, da der Doktorgrad nicht in einem eigenen wissenschaftlichen Promotionsverfahren erworben worden sei. Weiterhin sei festzustellen, dass der Antragsteller beharrlich den Unterschied zwischen Führungsrecht nach dem Hochschulgesetz und Eintragungsanspruch nach den gesetzlichen Bestimmungen des Melde-, Pass- und Ausweisrechts ignoriere.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren und im Klageverfahren M 7 K 21.5966 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
18
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
19
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, insbesondere statthaft. Die Einziehung von Personaldokumenten wie Reisepass und Personalausweis ist - anders als die Antragsgegnerin meint - kein Realakt, sondern ein Verwaltungsakt (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2016 - 5 CS 16.2133 - juris Rn. 14; Beimowski/Gawron, Passgesetz Personalausweisgesetz, 1. Aufl. 2018, PaßG § 12 Rn. 4 sowie PAuswG § 29 Rn. 2 m.w.N.), sodass in der Hauptsache die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO die statthafte Klageart darstellt. Der einstweilige Rechtsschutz richtet sich demnach im Hinblick auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 30 des Gesetzes über Personalausweise und den elektronischen Identitätsnachweis (Personalausweisgesetz) - PAuswG - hinsichtlich der Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids sowie § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hinsichtlich der Nr. 2 des Bescheids, für welche seitens der Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet wurde, vorliegend nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. auch § 123 Abs. 5 VwGO).
20
Der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Nr. 1 bzw. Nr. 2 des Bescheids vom 19. Oktober 2021 ist begründet, da das Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner in der Hauptsache erhobenen Klage das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Im Übrigen erweist sich auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung bzgl. der Nr. 2 des Bescheids als formell rechtswidrig.
21
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem kraft Gesetzes bestehenden beziehungsweise von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache als wesentliches, wenn auch nicht alleiniges Indiz für die vorzunehmende Interessenabwägung zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Hauptsacherechtsbehelf offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer (dann reinen) Interessenabwägung.
22
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage begründet. Im vorliegenden Fall besteht ein überwiegendes privates Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 19. Oktober 2021, da die Klage in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben dürfte.
23
Die in Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids jeweils getroffene Verpflichtung des Antragstellers, die für ihn am 1. Juli 2021 von der Antragsgegnerin ausgestellten Personaldokumente (Personalausweis und Reisepass) bei dieser abzugeben, dürfte jeweils rechtswidrig sein und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier des Bescheidserlasses, abzustellen.
24
Es spricht vorliegend zwar viel dafür, dass die Personaldokumente des Antragstellers ungültig sein dürften. Dies kann im Ergebnis hier jedoch dahinstehen, da die angefochtenen Verfügungen jedenfalls ermessensfehlerhaft ergangen sein dürften.
25
Nach § 29 Abs. 1 PAuswG kann die Einziehung eines Personalausweises erfolgen, wenn der Ausweis nach § 28 PAuswG ungültig ist. Ein Personalausweis ist gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 PAuswG insbesondere dann ungültig, wenn Eintragungen unzutreffend sind. Entsprechendes gilt nach § 12 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 PassG für den Reisepass. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 PAuswG enthält der Personalausweis, nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 PassG der Reisepass, als Angabe über die Person des Inhabers u.a. dessen Doktorgrad, wobei gemäß § 9 Abs. 3 Satz 2 PAuswG die Angaben zum Doktorgrad freiwillig sind. Ein Doktorgrad im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 PAuswG ist im Personalausweis mit der Abkürzung „Dr.“ einzutragen. Die Eintragung dieser Angabe setzt voraus, dass der Ausweisinhaber berechtigt ist, den Doktorgrad in der Bundesrepublik mit dieser Abkürzung ohne Zusatz zu führen. Dementsprechend handelt es sich bei der Eintragung der Abkürzung „Dr.“ ohne diese Berechtigung um eine unzutreffende, weil inhaltlich unrichtige Eintragung, die nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 PAuswG die Ungültigkeit des Personalausweises nach sich zieht (vgl. BVerwG, B.v. 2.12.2015 - 6 B 33/15 - juris Rn. 18 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 13.12.1988 - 1 C 54.86; BayVGH, B.v. 13.8.2021 - 5 ZB 19.2519 - juris Rn. 12 m.w.N.; vgl. auch Nr. 4.1.3 PassVwV). Die Eintragung in der für das Führen des Doktorgrades zulässigen Form verstieße gegen das Personalausweisgesetz, eine Eintragung ohne den beim Führen des Doktorgrades unerlässlichen Zusatzes wäre mit dem Gesetz über die Führung akademischer Grade unvereinbar, weil sie dem Personalausweisinhaber ein rechtswidriges Führen des Doktorgrades ermöglichte (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.1988 - 1 C 54/86 - juris Rn. 12). Entsprechendes gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 PassG i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 PassG in Bezug auf den Reisepass.
26
Nach summarischer Prüfung dürfte es sich vorliegend bei der Eintragung des Doktorgrades in den Ausweisdokumenten des Antragstellers in der Form „Dr.“ um eine unzutreffende Eintragung handeln. Der Antragsteller dürfte nicht berechtigt sein, den an der Universität … im Jahr 1998 erworbenen Doktorgrad „Doktor der gesamten Heilkunde“ („Doctor medicinae universae“ - „Dr. med. univ.“) in der Bundesrepublik Deutschland auch in der Abkürzung „Dr.“ ohne Zusatz zu führen.
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Dabei dürfte davon auszugehen sein, dass die Behörde nicht gehindert war, einen Nachweis des Doktorgrades vom Antragsteller zu verlangen. Nr. 4.1.3.2 PassVwV, wonach Doktorgrade nur nachgewiesen werden müssen (z. B. durch eine Verleihungsurkunde oder ein Besitzzeugnis), sofern sie sich nicht schon aus dem Personalausweis, einem früheren Pass oder dem Melderegister ergeben, dürfte dem nicht entgegenstehen. Die Vorschrift dürfte lediglich i.S.e. Arbeitserleichterung für die Behörde die Anforderungen an deren Prüfungspflicht senken, wenn sie den Nachweis durch entsprechende Eintragungen als ausreichend geführt ansieht. Eine Entbindung von der Nachweispflicht durch den Titelinhaber dürfte damit ebenso wenig bezweckt sein, wie eine Beschränkung der Prüfungskompetenz der Behörde, die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BMG stets für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Melderegisters einzustehen hat.
28
Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG kann ein ausländischer akademischer Grad, der von einer nach dem Recht des Herkunftslandes anerkannten Hochschule oder anderen Stelle, die zur Verleihung dieses Grades berechtigt ist, aufgrund eines tatsächlich absolvierten und ordnungsgemäß durch Prüfung abgeschlossenen Studiums verliehen worden ist, in der Form, in der er verliehen wurde, unter Angabe der verleihenden Institution genehmigungsfrei in der Bundesrepublik Deutschland geführt werden. Entsprechendes gilt für die im Herkunftsland zugelassene oder nachweislich übliche Abkürzung. Nach Art. 68 Abs. 4 Satz 1 BayHSchG gehen die Vereinbarungen und Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten über Gleichwertigkeit im Hochschulbereich und Vereinbarungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland den Regelungen dessen Abs. 1 vor. Auf die Angabe der verleihenden Hochschule darf danach im Falle eines Hochschulgrades u.a. aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemäß Art. 68 Abs. 4 Satz 1 BayHSchG i.V.m. Ziffer 1 der Vereinbarung der Länder in der Bundesrepublik Deutschland über begünstigende Regelungen gemäß Ziffer 4 der „Grundsätze für die Regelung der Führung ausländischer Hochschulgrade im Sinne einer gesetzlichen Allgemeingenehmigung durch einheitliche gesetzliche Bestimmungen vom 14.04.2000“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 21. September 2001 i.d.F. vom 28. Mai 2021) verzichtet werden. Entsprechend regelt Art. 5 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Österreich über Gleichwertigkeit im Hochschulbereich (BGBl. 2004 II S. 127), dass der Inhaber eines österreichischen akademischen Grades berechtigt ist, diesen Grad in der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Dabei ist nach Art. 5 Abs. 2 der Grad in der verliehenen Form zu führen. Abkürzungen sind in der festgelegten, andernfalls in der im Herkunftsstaat üblichen Form zu führen. Nach Ziffer 2 des Beschlusses der Kulturministerkonferenz vom 21. September 2001 i.d.F. vom 28. Mai 2021 können zudem Inhaber von in einem wissenschaftlichen Promotionsverfahren erworbenen Doktorgraden, die in den in Ziffer 1 bezeichneten Staaten oder Institutionen erworben wurden, anstelle der im Herkunftsland zugelassenen oder nachweislich allgemein üblichen Abkürzung gemäß Ziffer 1 des Beschlusses vom 14. April 2000 wahlweise die Abkürzung „Dr.“ ohne fachlichen Zusatz und ohne Herkunftsbezeichnung führen. Dies gilt nicht für Doktorgrade, die ohne Promotionsstudien und -verfahren vergeben werden (sog. Berufsdoktorate) und für Doktorgrade, die nach den rechtlichen Regelungen des Herkunftslandes nicht der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation der Studienabschlüsse zugeordnet sind (vgl. auch Nr. 4.1.3 PassVwV). Für letztere gilt gemäß den einführenden Erläuterungen zum Beschluss Ziffer 1, d.h. Originalform ohne Herkunftszusatz.
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Nach diesen Grundsätzen dürfte der dem Antragsteller verliehene österreichische akademische Grad des „Dr. med. univ.“ keinen in der Bundesrepublik Deutschland eintragungsfähigen akademischen Doktorgrad darstellen.
30
Zunächst dürfte es sich bei der Abkürzung „Dr.“ nicht um eine im Herkunftsland Österreich zugelassene oder allgemein übliche Abkürzung des Titels „Dr. med. univ.“ i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayHSchG handeln.
31
Unter einer zugelassenen Abkürzung im vorstehenden Sinne ist nicht jede nicht verbotene bzw. nicht sanktionierte Abkürzungsweise zu verstehen, sondern nur diejenige Abkürzung, die positiv (z. B. durch Gesetz oder durch Verleihungsakt) im Herkunftsland geregelt ist. Die Abkürzung „Dr.“ dürfte dabei keine solche zugelassene Abkürzung des österreichischen Grades „Doktor der gesamten Heilkunde“ bzw. „Doctor medicinae universae“ sein, der ausweislich des Verleihungsbescheids mit „Dr. med. univ“ abzukürzen sein dürfte. Daneben dürfte es darauf, ob die Abkürzung „Dr.“ als eine im Herkunftsland nachweislich allgemein übliche Abkürzung des o.g. Grades anzusehen ist, nicht ankommen, da es bei verständiger Würdigung von Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayHSchG auf eine nachweislich allgemein übliche Abkürzung im Herkunftsland nur ankommen dürfte, soweit es - anders als hier - keine positiv festgelegte, d.h. zugelassene Abkürzung gibt (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 11.12.2013 - 15 K 3040/09 - juris Rn. 30 ff. bestätigt durch HessVGH, U.v. 13.5. 2015 - 8 A 644/14 - juris Rn. 39). Hierfür spricht auch, dass andernfalls im Hinblick auf Art. 68 Abs. 4 Satz 2 BayHSchG die Regelung in Art. 5 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Österreich über Gleichwertigkeit im Hochschulbereich (BGBl. 2004 II S. 127), wonach die in Österreich mit dem Studienabschluss verliehenen Grade in Humanmedizin („Dr. med. univ.“) und Zahnmedizin („Dr. med. dent.“) in Deutschland nur mit vollständigem fachlichem Zusatz geführt werden dürfen, bei kumulativer Zulässigkeit der zugelassenen Abkürzung „Dr. med. univ.“ und ggf. allgemeinüblichen Abkürzung „Dr.“ in Bayern stets leer laufen würde. Im Übrigen ergibt sich auch aus dem Anhang zu den Empfehlungen zur Eintragung akademischer Grade in Urkunden des Österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung nichts Anderes. Dort heißt es: „Da die Eintragung akademischer Grade in einer abgekürzten Form erfolgt, wird für jeden Grad, wo vorhanden, die im betreffenden Staat offiziell (z.B. durch Gesetz) vorgesehene, ansonsten - und zwar in diesem Fall kursiv - eine allgemein übliche oder eine von ENIC NARIC AUSTRIA vorgeschlagene Abkürzung angeführt. Im Einzelfall hat jedoch eine in der Verleihungsurkunde genannte Abkürzung Vorrang, selbst wenn sie anders lautet als die in diesem Arbeitsbehelf angeführten (vgl. Österreichisches Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Führung akademischer Grade, abgerufen am 27.7.2022 unter https://www.bmbwf.gv.at/dam/jcr:9692b709-bbc7-48b9-9521-d69604ba95c3/AKADEMI SCHE%20GRADE%202021_Mai%202021.pdf, B. Anhang Einführung).“ Für Österreich gilt danach, dass der akademische Grad „Doktor der gesamten Heilkunde“ mit „Dr. med. univ.“ abzukürzen und einzutragen ist. Eine „allgemein übliche“ Abkürzung ist hingegen nicht vorgesehen (vgl. Österreichisches Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, a.a.O. B. Anhang, Hauptteil I, Österreich, Ebene 2).
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Weiterhin dürfte der Antragsteller auch nicht gemäß Art. 68 Abs. 4 Satz 1 BayHSchG i.V.m. Ziffer 2 des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 21. September 2001 i.d.F. vom 28. Mai 2021 berechtigt sein, die Abkürzung „Dr.“ ohne fachlichen Zusatz und ohne Herkunftsbezeichnung in der Bundesrepublik Deutschland zu führen, da der dem Antragsteller verliehene akademische Titel „Dr. med. univ.“ auch nach den rechtlichen Regelungen des Herkunftslandes nicht der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation der Studienabschlüsse zuzuordnen sein dürfte.
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Dem Antragsteller wurde per Bescheid vom 24. Juni 1998 auf Grundlage von § 66 i.V.m. § 81 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Studien an der Universität (Universitäts-Studiengesetz - UniStG), BGBl. I Nr. 84/1997 (Österreich) nach positiver Beurteilung aller im Bundesgesetz über die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 123/1973 (Österreich), in der Studienordnung für die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 473/1978 (Österreich) sowie im Studienplan für die Studienrichtung Medizin an der Universität Innsbruck vorgeschriebenen Prüfungen der Doktortitel „Doktor der gesamten Heilkunde“ („Doctor medicinae universae“, „Dr. med. univ.“) verliehen.
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Die Parteien gehen zunächst übereinstimmend und zutreffend davon aus, dass es sich bei dem in Österreich nach Abschluss des Studiengangs Humanmedizin verliehenen Titel „Doktor der gesamten Heilkunde“ („Doctor medicinae universae“ - „Dr. med. univ.“) um ein sog. Berufsdoktorat (vgl. auch Einstufung in der ANABIN-Datenbank der Kultusministerkonferenz) handelt. Der Titel weist jedenfalls seit Einführung der neuen Studienordnung für das Diplomstudium Humanmedizin (202) zum Wintersemester 2002/2003 lediglich noch Diplomniveau auf (vgl. E-Mail der Universität Innsbruck vom 3. November 2021, Anlage K3; „Abgespeckter Titel“, Dr. F. in Deutsches Ärzteblatt 26/2016, S. 1268, abgerufen am 27.7.2022 unter https://www.aerzteblatt.de/archiv/180523/Medizinische-Promotion-Abgespeckter-Titel; vgl. auch Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung: Österreichische akademische Grade, abgerufen am 27.7.2022 unter https://www.bmbwf.gv.at/dam/jcr:dc982912-2c1d-4d00-8365-a565a7d2c459/2.4.4.1%20Akademische%20Grade%20%C3%96ffUniv.pdf). Er ist gemäß den aufgezeigten Grundsätzen in der Bundesrepublik Deutschland daher in der Originalform ohne Herkunftszusatz zu führen. Entsprechend stellt auch Art. 5 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Österreich über Gleichwertigkeit im Hochschulbereich (BGBl. 2004 II S. 127) explizit klar, dass die in Österreich mit dem Studienabschluss verliehenen Grade in Humanmedizin („Dr. med. univ.“) und Zahnmedizin („Dr. med. dent.“) in Deutschland nur mit vollständigem fachlichem Zusatz geführt werden dürfen.
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Zu keiner anderen Bewertung dürfte aber auch die Berücksichtigung des Umstandes führen, dass der Antragsteller sein Studium noch nach der alten Studienordnung absolviert hat, wonach der Studiengang Medizin (201) als Doktoratsstudium ausgestaltet war (vgl. E-Mail der Universität Innsbruck vom 3. November 2021, Anlage K3; vgl. auch Übersicht über die medizinischen Studiengänge der Universität Wien, abgerufen am 27.7.2022 unter https://www.meduniwien.ac.at/web/studierende/mein-studium/). Gemäß § 13 des Bundesgesetzes über die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 123/1973 (Österreich) sowie § 9 der Studienordnung für die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 473/1978 (Österreich) konnte der Studierende danach zwischen a) einer vertieften Ausbildung in einem der Prüfungsfächer der drei Rigorosen, b) einer Ausbildung in anderen Fächern im Hinblick auf die wissenschaftlichen Zusammenhänge, auf den Fortschritt der Wissenschaften oder auf die Erfordernisse der wissenschaftlichen Ausbildung für den ärztlichen Beruf nach Maßgabe der vorhandenen Lehr- und Fachrichtungen oder c) der Anfertigung einer Dissertation über ein der Studienrichtung Medizin zugehöriges Fach wählen. Dabei dürfte es sich jedenfalls bei der - vom Antragsteller absolvierten - Wahlfachausbildung nach Buchstabe a oder b im Sinne einer vertieften wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem konkreten Fachgebiet ohne Anfertigung einer Dissertation nicht um eine eigenständige wissenschaftliche Leistung i.S.e. wissenschaftlichen Promotionsverfahrens handeln, die der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation der Studienabschlüsse zugeordnet werden kann. Aufgrund des Fehlens einer als eigenständigen wissenschaftlichen Forschungsarbeit ausgewiesenen Dissertation dürfte mithin die Gleichwertigkeit mit einem deutschen Doktorgrad - oder auch einem österreichischen Doktorgrad i.e.S. nicht gegeben sein (vgl. § 83 Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten und ihre Studien (Universitätsgesetz 2002 - UG), BGBl. I Nr. 120/2002 (Österreich), der die Anfertigung einer Dissertation zwingend vorsieht, ebenso § 62 Abs. 1 Satz 1 Bundesgesetz über die Studien an den Universitäten (Universitäts-Studiengesetz - UniStG), BGBl. I Nr. 48/1997 (Österreich); entsprechend sah auch bereits § 36 Abs. 2 Bundesgesetz vom 15. Juli 1966 über die Studien an den wissenschaftlichen Hochschulen (Allgemeines Hochschul-Studiengesetzt), BGBl. Nr. 177/1966 (Österreich) vor, dass Doktorgrade auf Grund der besonderen Studiengesetze Bewerbern verliehen werden, welche die ordentlichen Studien zurückgelegt und ihre Fähigkeit zur selbstständigen wissenschaftlichen Arbeit durch die Verfassung einer Dissertation und die Ablegung der vorgeschriebenen Prüfung bewiesen haben.; vgl. hierzu auch die Rspr. zu den sog. „kleinen Doktorgraden“ z.B. BayVGH, B.v. 6.8.2007 - 5 ZB 06.3411 - juris Rn. 7; HessVGH, U.v. 13.5.2015 - 8 A 644/14 - juris Rn. 65; VG Neustadt (W.straße), U.v. 11.7.2018 - 5 K 781/17.NW - juris Rn. 31). Dass eine Gleichstellung des früheren Doktoratsstudiums Medizin mit dem jetzigen Studium zur Erlangung eines medizinischen Doktorats nicht gegeben sein dürfte, zeigt zudem der Umstand, dass auch für diejenigen Studierenden, die zum Doktoratsstudium Medizin 201 nach der alten Studienordnung zugelassen waren und dieses unter Ausnutzung der eingeräumten Übergangsfristen fortgesetzt haben (vgl. Studienplan und Übergangsfristen für das Doktoratsstudium Medizin (UN 201) an der Medizinischen Universität Wien, abgerufen am 27. Juli 2022 unter https://www.meduniwien.ac.at/web/studierende/mein-studium/doktoratsstudium-medizin/studienplan-und-uebergangsfristen/) nicht den als der Ebene 3 der Doktorgrade zuzuordnenden akademischen Grad „Doktor der medizinischen Wissenschaft“ verliehen bekommen, sondern nach wie vor den Grad „Doktor der gesamten Heilkunde“. Entsprechend ist der danach verliehene Titel auch nicht etwa als „früherer akademischer Grad“ und Doktortitel in den Empfehlungen zur Eintragung akademischer Grade in Urkunden des Österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung gelistet (vgl. Österreichisches Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Führung akademischer Grade, abgerufen am 27.7.2022 unter https://www.bmbwf.gv.at/dam/jcr:9692b709-bbc7-48b9-9521-d69604ba95c3/AKADEMI SCHE%20GRADE%202021_Mai%202021.pdf, B. Anhang, Hauptteil I, Österreich, Anhang: frühere akademische Grade (ab 1945)).
Schließlich dürfte der Antragsteller eine Berechtigung zum Führen seines Grades in der abgekürzten Form „Dr.“ auch nicht unter Vertrauens- oder Bestandsschutzgesichtspunkten beanspruchen können. Der Antragsteller dürfte nämlich auch nach der im Zeitpunkt der Verleihung gültigen Rechtslage nicht berechtigt gewesen sein, seinen akademischen Titel in der von ihm begehrten Abkürzungsform ohne Zusatz zu führen. Nach Art. 4 Abs. 1 des deutsch-österreichischen Abkommens über die Anerkennung von Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich vom 4. August 1983 (BGBl. 1983 II, 566) hatte der Inhaber eines Doktorgrades oder eines akademischen Grades, der unmittelbar zur Aufnahme eines Doktorstudiums/Doktoratsstudiums berechtigt, das Recht, diesen in der Form zu führen, wie er im Staate der Verleihung geführt werden darf. § 67 Abs. 1 Satz 1 UniStG (Österreich) wiederum sah vor, dass ein akademischer Grad in der in der Verleihungsurkunde festgelegten Form zu führen ist. Dies umfasst jedoch im Falle des Antragstellers die Abkürzung „Dr.“ ohne Zusatz gerade nicht. Nichts Anderes dürfte sich auch im Hinblick auf § 67 Abs. 1 Satz 1 UniStG (Österreich) ergeben, wonach das Recht zum Führen des akademischen Titels auch das Recht umfasst, dessen Eintragung in abgekürzter Form in öffentliche Urkunden zu verlangen. Denn auch hierfür dürfte allein die in der Verleihungsurkunde bestimmte Abkürzung maßgeblich sein (vgl. Österreichisches Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Führung akademischer Grade, abgerufen am 27.7.2022 unter https://www.bmbwf.gv.at/dam/jcr:9692b709-bbc7-48b9-9521-d69604ba95c3/AKADEMI SCHE%20GRADE%202021_Mai%202021.pdf, B. Anhang Einführung).
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Die in den Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids durch die Antragsgegnerin ausgesprochenen Verpflichtungen erweisen sich bei summarischer Prüfung gleichwohl als rechtswidrig.
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Nach § 29 Abs. 1 PAuswG kann ein nach § 28 Abs. 1 und Abs. 2 PAuswG ungültiger Ausweis, nach § 12 Abs. 1 Satz 1 PassG ein nach § 11 PassG ungültiger Pass eingezogen werden. Bei diesen Ermächtigungsnormen handelt es sich ihrem Wortlaut nach um Ermessensvorschriften (vgl. zum Prüfungsumfang bei Ermessensentscheidungen § 114 Satz 1 VwGO). Eine in das Ermessen der Behörde gestellte Verfügung muss grundsätzlich erkennen lassen, auf welcher Grundlage die Behörde ihre Ermessenentscheidung getroffen hat, dass alle wesentlichen Gesichtspunkte in ihre Entscheidung eingeflossen sind und dass die öffentlichen sowie die privaten Interessen zutreffend erkannt und gewichtet wurden (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2019 - 8 CS 18.2364 - juris Rn. 29). Eine fehlende Begründung der Ermessensentscheidung im Verwaltungsakt hat eine Indizwirkung für eine fehlende Ermessensausübung (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2016 - 9 ZB 15.2027 - juris Rn. 11). Zwar kann sich bei fehlender Begründung einer Ermessensentscheidung die Ermessensausübung ausnahmsweise auch aus sonstigen Umständen ergeben, der Nachweis durch die Behörde muss allerdings zweifelsfrei geführt werden können (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2019 - 8 CS 18.2364 - juris Rn. 32).
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Gemessen daran ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Behörde das ihr in § 29 Abs. 1 PAuswG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 PassG eingeräumte Ermessen erkannt und entsprechend ausgeübt hat. So hat die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid zu den Nrn. 1 und 2 unter Verweis auf Nr. 12.1.1 Abs. 2 PassVwV lediglich ausgeführt, dass ein ungültiger Pass (analog der Personalausweis) einzuziehen ist, wenn der Mangel, der zur Ungültigkeit geführt hat, nicht behoben werden kann. Damit hat die Antragsgegnerin zu erkennen gegeben, dass sie davon ausgegangen ist, dass die Einziehung als zwingende Folge auszusprechen ist, wenn ein ungültiger Pass vorliegt und der die Ungültigkeit begründende Mangel nicht behoben werden kann. Damit hat sie jedoch übersehen, dass auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 PAuswG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 PassG die Einziehung keine zwingende Rechtsfolge ist. Die Behörde hat vielmehr im Rahmen ihrer Ermessensausübung etwaige Missbrauchs- und Fälschungsgefahren den Interessen des Dokumenteninhabers gegenüberzustellen (vgl. Beimowski/Gawron, Passgesetz Personalausweisgesetz, 1. Aufl. 2018, PaßG § 12 Rn. 4). Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen stillschweigend ausgeübt hat (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 18 m.w.N.). Denn es ist auch bei Auslegung des streitgegenständlichen Bescheids aus dem Gesamtzusammenhang nicht erkennbar, dass sich die Antragsgegnerin zur Frage der Ermessensausübung hinsichtlich der in den Nrn. 1 und 2 getroffenen Anordnungen überhaupt Gedanken gemacht oder die Ausübung des Ermessens für so selbstverständlich gehalten hat, dass sie einen besonderen Hinweis darauf für überflüssig gehalten hat (vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, B.v. 15.1.1988 - 7 B 182/87 - juris Rn. 7). Insoweit kann vorliegend dahinstehen, ob zugunsten der Antragsgegnerin die Grundsätze des intendierten Ermessens eingreifen würden (vgl. im Hinblick auf die Einziehung des Reisepasses nach § 12 Abs. 1 PassG bejahend BayVGH, B.v. 5.12.2008 - 5 CS 08.2869 - juris Rn. 9; im Hinblick auf die Einziehung des Personalausweises nach § 29 Abs. 1 PAuswG ablehnend HessVGH, U.v. 13.5.2015 - 8 A 644/14 - juris Rn. 70 ff.). Auch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum sog. gelenkten bzw. intendierten Ermessen entbinden nicht von der Ermessensausübung als solcher, sondern machen allenfalls eine Darlegung entsprechender Erwägungen in den Bescheidsgründen entbehrlich (vgl. BVerwG, U.v. 16.6. 1997 - 3 C 22/96 - juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 19.4.2016 - 12 B 15.2304 - juris Rn. 35). Die Antragsgegnerin hätte demnach in jedem Fall prüfen müssen, ob nicht die besonderen Umstände des Einzelfalles eine Ausnahme vom Regelfall der Einziehung gebieten und eine entsprechende Feststellung treffen müssen (vgl. Geis in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: April 2022, VwVfG § 40 Rn. 28).
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Die vollständige Verkennung des zustehenden Ermessensspielraums (Ermessensnichtgebrauch) kann vorliegend auch nicht mehr durch nachträglichen - bislang nicht erfolgten - Vortrag im gerichtlichen Verfahren geheilt werden (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 17). § 114 Satz 2 VwGO schafft die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (BVerwG, U.v. 5.9.2006 - 1 C 20/05 - juris Rn. 22 m.w.N.).
40
Im Übrigen - ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankommt - erweist sich auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung bzgl. der Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids als formell rechtswidrig. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Passeinziehung nicht in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Dieses muss bei der schriftlichen Begründung des besonderen Interesses der Behörde an der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO zum Ausdruck kommen (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2016 - 5 CS 16.2133 - juris Rn. 14). Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid werden diesen Vorgaben nicht gerecht. Die Begründung des Sofortvollzugs erschöpft sich allein in der Aussage, dass durch die Weiterverwendung des Passes bis zum Eintritt der Rechtskraft für einen derzeit unabsehbaren Zeitraum in der Öffentlichkeit eine falsche Vorstellung über die Eintragungsfähigkeit des akademischen Grades des Antragstellers erweckt werden könnte, obwohl ein öffentliches Interesse daran besteht, dass ein Bürger nur mit einem den tatsächlichen Rechtsverhältnissen entsprechenden Reisepass im Rechtsverkehr auftritt. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um den Hinweis auf die allgemeine Funktion von Pässen (vgl. § 1 Abs. 1 PassG), nicht aber um eine einzelfallbezogene Begründung, warum die damit verbundenen Folgen nicht für den Übergangszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung hingenommen werden können. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage drängt sich im vorliegenden Fall jedoch geradezu auf, da der Doktortitel des Antragstellers bereits seit dem Jahr 2001 - mithin über 20 Jahre hinweg - in dessen Personaldokumenten eingetragen war. Insoweit ist die - bei festgestellter Ungültigkeit als endgültige Maßnahme vorgesehene - Einziehung des Passes nach § 12 PassG von der Sicherstellung nach § 13 PassG zu unterscheiden, die vom Gesetzgeber als vorübergehendes Sicherungsinstrument ausgestaltet ist. Anders als die Sicherstellung hat der Gesetzgeber die Einziehung in § 14 PassG gerade nicht für sofort vollziehbar erklärt (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2016 - 5 CS 16.2133 - juris Rn. 14). Im Übrigen ergibt sich auch aus der Regelung des § 30 PAuswG, wonach die Einziehung des Personalausweises kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, kein weniger strenger Maßstab im Hinblick auf die Begründungsanforderungen im vorliegenden Fall. Denn die Einziehung des Reisepasses stellt gegenüber der Einziehung des Personalausweises grundsätzlich einen deutlich massiveren Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Reisefreiheit des Passinhabers dar, sodass mangels gleich gelagerter Interessenslage die Wertung des § 30 PAuswG nicht ohne Weiteres auf § 12 PassG übertragbar ist. Ohne eine besonders begründete Anordnung des Sofortvollzugs muss es daher für die Einziehung des Reisepasses bei der nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebenen aufschiebenden Wirkung der Klage verbleiben.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz - GKG - unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 30.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.