Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.01.2022 – 10 CS 22.233
Titel:

Maskenpflicht bei Versammlung

Normenketten:
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 8
VwGO § 80 Abs. 5, § 146
BayVersG Art. 15 Abs. 1
IfSG § 28a Abs. 1
15. BayIfSMV § 9 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Die Pflicht zum Tragen der Maske bei einer Versammlung legt schon keine Beeinträchtigung des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit der Versammlungsteilnehmer nahe.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch bei einer Versammlung unter freiem Himmel können trotz der geringeren Aerosolproblematik Infektionsgefahren durch Tröpfchen- und/oder Aerosolübertragungen bestehen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlung, Maskenpflicht, Subsidiäre Visierpflicht, Befreiung, SARS-CoV-2-Virus, Corona, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Verhältnismäßigkeit, Infektion
Fundstelle:
BeckRS 2022, 1932

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. In Abänderung von Nr.
III. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Januar 2022 wird der Streitwert für beide Instanzen jeweils auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 26. Januar 2022, mit dem dieses ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen von der Antragsgegnerin erlassene Beschränkungen, namentlich die Maskenpflicht und subsidiär die Visierpflicht sowie die Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung hinsichtlich der Befreiung von der Maskenpflicht samt Identitätsnachweis, für die Versammlungsteilnehmer der von ihnen für den 30. Januar 2022 von 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr angezeigten stationären Versammlung auf der T.wiese in M. mit 10.000 Personen unter dem Motto „Für Versammlungsfreiheit, eine freie Impfentscheidung und einen kidsfreedomday“ abgelehnt hat.
2
Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Eilantrags im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Annahme einer Infektionsgefahr durch die Versammlung − gestützt auf die Aussagen und Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts - aufgrund der Übertragungsmöglichkeiten des SARS-CoV-2-Virus auch im Freien und der Verbreitung der Omikron-Variante - nicht zu beanstanden sei und die Beschränkungen in dem angegriffenen Bescheid, die Anordnung einer FFP2-Maskenpflicht (Nr. 6), subsidiär die Anordnung einer Visierpflicht (Nr. 7) und die Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung hinsichtlich der Befreiung von der Maskenpflicht samt Identitätsnachweis (Nr. 8), sich voraussichtlich als verhältnismäßige Infektionsschutzmaßnahmen erweisen würden.
3
Zur Begründung ihrer am 27. Januar 2022 (um 20:34 Uhr) eingereichten Beschwerde bezweifeln die Antragsteller die von dem Verwaltungsgericht und der Antragstellerin vorgenommene Gefahrenprognose und monieren unter anderem unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 2021 zur sogenannten „Bundesnotbremse“ (1 BvR 781/21 u.a. - juris) einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
4
Sie beantragen der Sache nach,
5
unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Januar 2022 (Az. M 33 S 22.332) die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage gegen Nrn. 6, 7 und 8 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 21. Januar 2022 anzuordnen.
6
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schreiben vom 28. Januar 2022,
7
die Beschwerde zurückzuweisen.
8
Sie verteidigt unter Hinweis auf aktuelle Infektions- und Belegungszahlen der Münchner Krankenhäuser mit bestätigten COVID-19-Fällen die im angefochtenen Bescheid angestellte Gefahrenprognose und nimmt ergänzend zur Verhältnismäßigkeit der angeordneten Beschränkungen Stellung.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
10
1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, auf das sich nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die Prüfung des Senats beschränkt, erweisen sich die angegriffenen Beschränkungen voraussichtlich als rechtmäßig, sodass bei der im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlichen Abwägung das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiegt.
11
a) Materieller Maßstab der angefochtenen Beschränkungen der stationären Versammlung der Antragsteller sind insbesondere die von ihnen gerügten Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit.
12
aa) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend (vgl. BVerfG, B.v. 13.4.1994 - 1 BvR 23/94 - BVerfGE 90, 241 <247> = juris Rn. 26 m.w.N.).
13
Das Vorbringen der Antragsteller, die Pflicht zum Tragen von Masken bedeute auch eine „tiefgreifende Beeinträchtigung“ ihres Rechts auf Meinungsfreiheit, weil sie „den Menschen unkenntlich“ mache, „die Mimik im Gesicht, den Gefühlsausdruck, als Zeichen der Beschränkung des wörtlichen Kontakts“ verberge, legt nach Auffassung des Senats schon eine Beeinträchtigung dieses Schutzbereichs und damit einen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit der Versammlungsteilnehmer nicht nahe. Die Versammlungsteilnehmer können weiterhin auf der Versammlung ihre Meinung äußern. Die allein aus Gründen des Infektionsschutzes zur Gefahrenabwehr aufgrund von Art. 15 Abs. 1 BayVersG, einem allgemeinen Gesetz, angeordnete Maskenpflicht ist im Hinblick auf die Äußerung von Meinungen, insbesondere auch das Versammlungsmotto „Für Versammlungsfreiheit, eine freie Impfentscheidung und einen kidsfreedomday“, neutral. Selbst wenn man aber die streitbefangene Maskenpflicht auch als Behinderung der freien Meinungsäußerung der Versammlungsteilnehmer ansehen würde, ergäbe sich bei der Abwägung - auch unter Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für die freiheitliche demokratische Grundordnung und der Wechselwirkung von Grundrecht und Auslegung der Schranke − im Ergebnis nichts anderes als das im Folgenden zum Grundrecht der Versammlungsfreiheit Festgestellte.
14
bb) Art. 8 Abs. 1 des GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 - 1 BvQ 94/20 - juris Rn. 14 m.w.N.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 − juris Rn. 16).
15
Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wobei solche Beschränkungen im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Versammlungsgrundrechts auszulegen sind. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind daher nur zum Schutz gleichrangiger anderer Rechtsgüter und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, B.v. 21.11.2020 - 1 BvQ 135/20 - juris Rn. 6). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Beschränkungen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen.
16
Dementsprechend kann die zuständige Behörde gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG eine Versammlung verbieten oder beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei die Unverletzlichkeit und den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und Ehre des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und den Bestand der staatlichen Einrichtungen (BVerfG B. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352> = juris Rn. 77). Mit der Aufnahme von Versammlungsbeschränkungen in den Katalog möglicher Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) gemäß § 28a Abs. 1 IfSG hat der Gesetzgeber die Wertung vorweggenommen, dass solche Beschränkungen grundsätzlich geeignet sind, Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner zu begegnen und einer Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken (vgl. § 28 Abs. 3 Satz 1 IfSG; BayVGH, B.v. 31.1.2021 - 10 CS 21.323 - Rn. 17 ff.). Auf dieser Grundlage muss nach § 9 Abs. 1 Satz 1 der 15. BayIfSMV bei Versammlungen unter freiem Himmel zwischen allen Teilnehmern ein Mindestabstand von 1,5 m gewahrt werden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 der 15. BayIfSMV haben die gemäß Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörden erforderlichenfalls sicherzustellen, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein vertretbares Maß beschränkt bleiben.
17
b) Gemessen daran zeigt auch die Beschwerdeschrift nicht auf, dass die angegriffenen Beschränkungen sich voraussichtlich als unangemessener Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit der Antragsteller erweisen werden.
18
aa) Nicht durchdringen können die Antragsteller mit ihren Einwänden gegen die von dem Verwaltungsgericht und der Antragsgegnerin angestellte Gefahrenprognose. Soweit sie rügen, dass die Exekutive entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht fortlaufend gewinnen, aufbereiten und korrigieren würde, bleibt der Vortrag vage und pauschal. Die Antragstellerseite blendet zudem aus, dass es das Verwaltungsgericht nicht bei der Feststellung belassen hat, dass ihm aufgrund der Kürze der Zeit die Verschaffung eigener belastbarer Sachkenntnis der Infektionsgefahren des Versammlungsgeschehens unmöglich ist. Das Verwaltungsgericht hat in der Folge unter Quellenangabe auf die Aussagen und Erkenntnisse des Robert-Koch-Instituts rekurriert (vgl. BA S. 9).
19
Nicht zum Erfolg führen auch das Ausführungen der Antragsteller zu der fehlenden Fähigkeit des PCR-Tests, eine Infektion nachzuweisen, der Fehlerhaftigkeit aller daran anknüpfenden staatlichen Maßnahmen, insbesondere auch der fehlerhaften Gleichsetzung von Inzidenzen und Infizierten, und einer durch Impfungen hervorgerufenen Übersterblichkeit. Nach dem Robert-Koch-Institut, dessen Einschätzung und Bewertung der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 - 1 BvQ 28/20 - juris Rn. 13; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 - Vf. 6-VII-20 - juris Rn. 16; stRspr des BayVGH, vgl. z.B. B.v. 1.11.2020 - 10 CS 20.2449 - juris Rn. 17) und auf den das Verwaltungsgericht zutreffend Bezug genommen hat, wurden für eine labordiagnostische Untersuchung zur Klärung des Verdachts auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 PCR-Nachweissysteme entwickelt und validiert. Diese gelten als „Goldstandard“ für die Diagnostik (vgl. unter Verweis auf wissenschaftliche Quellen: RKI, Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, https://www...de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html; ...).
20
Die Maßgeblichkeit der von dem Robert-Koch-Institut ermittelten Inzidenzwerte wird im Übrigen - neben anderen Maßstäben − weiterhin in § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG vom Bundesgesetzgeber vorgegeben und ist damit zumindest nicht evident sachwidrig (vgl. BayVerfGH, E.v. 22.3.2021 - Vf. 23-VII-21 - Rn. 26 ff.), sodass es - jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes - nicht darauf ankommt, auf welcher Grundlage die vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Fallzahlen ermittelt wurden (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2021 - 10 CS 21.1113 - juris Rn. 19). Auch im Übrigen haben die Testnachweise auf der Grundlage eines PCR-Tests vielfältig Eingang in das geltende staatliche Schutzmaßnahmenkonzept gefunden (vgl. § 4 Abs. 6 Nr. 1 der 15. BayIfSMV). Dass dies unter Berücksichtigung des einschlägigen Einschätzungsspielraums sowohl der Legislative als auch der Exekutive evident sachwidrig wäre, zeigt die Beschwerdeschrift nicht substantiiert auf. Laut der Beschwerdeerwiderung der Antragsgegnerin liegt die 7-Tage-Inzidenz in ihrem Zuständigkeitsbereich aktuell bei 1.830,3.
21
Der Einwand einer durch Impfungen hervorgerufenen Übersterblichkeit ist eine substanzlos Behauptung und lässt zudem die gebotene Auseinandersetzung mit den hierzu verfügbaren statistischen Quellen vermissen (vgl. https://www...de....html).
22
Auch greifen die Einwände der Antragsteller gegen die von der Antragsgegnerin herangezogenen (absoluten) Belegungszahlen in den Kliniken in ihrem Stadtgebiet nicht durch, wonach aktuell 407 Betten mit bestätigten COVID-19-Fällen belegt seien, davon 65 Intensivbetten (am Tag zuvor: 61). Die Antragsteller bestreiten lediglich, dass die von der Antragsgegnerin angeführten Intensivbetten wegen COVID-19 belegt seien, argumentieren damit, dass es systemimmanent sei, Intensivstationen bis zum Letzten auszulasten, um betriebswirtschaftlich gewünschte Ergebnisse zu erzielen, und weisen darauf hin, dass es bislang keine Überlastung der Münchner Kliniken und auch des Gesundheitssystems insgesamt gegeben habe. Zur Erfüllung des Tatbestandes des Art. 15 Abs. 1 BayVersG ist es indes nicht erforderlich, dass sich eine Gefahr bereits verwirklicht und der befürchtete Schaden schon eingetreten ist. Das schlichte Bestreiten der Belegungssituation reicht ohnehin nicht aus, die konkreten und − über den als Quelle angegebenen Link und die dort aufgeführten weiterführenden Links - nachvollziehbaren Angaben der Antragsgegnerin in Zweifel zu ziehen, wonach ein Teil der ICU-Verfügbarkeit der Einrichtungen als rot gekennzeichnet ist (vgl. https://stadt.muenchen.de/infos/corona-fallzahlen-muenchen.html u. https://www...de/‘/intensivregister).
23
Verhehlt ist weiter der Hinweis der Antragsteller darauf, dass die ansteckendere Omikron-Variante nur sehr viel leichteren Krankheitsverläufe verursache und dies zu einer Herdenimmunität der Bevölkerung führe. Nach dem Robert-Koch-Institut ist die Omikron-Variante deutlich übertragbarer als die früheren Varianten. Das Gesundheitswesen und auch weitere Versorgungsbereiche können durch den Fallzahlanstieg stark belastet werden (vgl. RKI, Risikobewertung zu COVID-19 v. 14.1.2022, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html/). Im Übrigen setzen sie den insofern einschlägigen Ausführungen der Antragsgegnerin in dem angegriffenen Bescheid zu den Gefahren für insbesondere ungeimpfte Personen nichts an Substanz entgegen (vgl. Bescheid, S. 9 u. 20).
24
Fehl geht schließlich der Einwand der Antragstellerseite, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Prognose nicht ausreichend auf den konkreten Versammlungsort (Theresienwiese) abgestellt habe. Das Verwaltungsgericht hat sich mit der Übertragbarkeit des SARS-CoV-2-Virus im Freien ausdrücklich auseinandergesetzt (vgl. BA S. 9).
25
bb) Die Beschwerdeschrift zeigt auch nicht auf, dass sich die angegriffenen Beschränkungen voraussichtlich als unverhältnismäßig erweisen.
26
Insbesondere stellen die Antragsteller im Beschwerdeverfahren die Geeignetheit der Maskenpflicht, der Gefahr einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu begegnen, nicht mit dem Einwand in Frage, dass die Schäden, die durch das Tragen von Masken verursacht würden, mindestens genauso hoch seien wie der behauptete Schutz. Nach § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 IfSG kann die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht) eine notwendige Schutzmaßnahme darstellen. Damit ist die Geeignetheit der Schutzmaßnahme indiziert. Abgesehen davon zeigt das pauschale und substanzlose Beschwerdevorbringen nicht auf, dass insoweit relevante Gesundheitsgefahren drohen (vgl. BayVerfGH, E.v. 13.1.2022 − Vf. 88-IVa-21 - juris Rn. 28: „eine gewisse Beeinträchtigung des allgemeinen Wohlbefindens der Betroffenen“). Gleiches gilt für das schlichte Bestreiten der Antragsteller, dass die Maskenpflicht dem Schutz des Einzelnen dient. Die Beschwerdeschrift setzt sich insofern nicht den Ausführungen der Antragsgegnerin zu dem durch FFP2-Masken gewährleisteten Eigenschutz im Gegensatz zum Fremdschutz auseinander (vgl. Bescheid, S. 20).
27
Das Beschwerdevorbringen ist auch nicht geeignet, die Erforderlichkeit der angegriffenen Beschränkungen in Zweifel zu ziehen. Die Antragsteller tragen hierzu vor, dass es unter den Versammlungsteilnehmern zu wenig Gesprächen und keinem hinreichend nahen Kontakt („Umarmungen“) kommen werde, weil diese die gesamte Zeit über Rednern zuhören sollten und daher ihre Aufmerksamkeit auf diese konzentriert sei, so dass der Mindestabstand als Schutzmaßnahme ausreiche.
28
Insoweit ist die Annahme des Verwaltungsgerichts (vgl. BA S. 11) und der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden, dass auch im Freien dort, wo massenhaft Menschen eng zusammenkommen, trotz der geringeren Aerosolproblematik Infektionsgefahren durch Tröpfchen- und/oder Aerosolübertragungen bestehen, und dass dieses Szenario im vorliegenden Fall bei der von den Antragstellern angezeigten Versammlung unter freiem Himmel zu prognostizieren ist. Denn noch stärker als beim Atmen und Sprechen werden beim Schreien und Singen Aerosole ausgeschieden. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber infektiösen Partikeln jeglicher Größe im Umkreis von 1 bis 2 Metern um eine infektiöse Person herum erhöht (vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 26.11.2021, unter „2. Übertragungswege“, abrufbar unter: https://www.....de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; ...). Auf Versammlungen, bei denen die Versammlungsteilnehmer lautstark Zustimmung und Ablehnung bekunden, sind bei lebensnaher Betrachtung Schreien, Skandieren und Singen üblich.
29
Die Dynamiken, welche eine (Groß-)Versammlung freisetzt, stehen der Einhaltung von dauerhaften Mindestabständen zwischen den Teilnehmern entgegen. Bei Versammlungen kann daher nicht stets und hinreichend verlässlich davon ausgegangen werden, dass die erforderlichen Mindestabstände eingehalten werden (vgl. OVG NW, B.v. 14.1.2022 - 13 B 33/22.NE - juris Rn. 40). Die Einwände der Antragsteller sind daher, wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat, bei einer Versammlung von 10.000 Versammlungsteilnehmern lebensfern und in der Praxis illusorisch. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Antragsteller selbst lediglich davon sprechen, dass die Versammlungsteilnehmer zuhören sollen (Unterstreichung d. Senats). Daran ändert auch das in Nr. 5 des angegriffenen Bescheides angeordnete Cluster-Gebot nichts, welches den Versammlungsbehörden vor Ort die Übersicht und ein schnelles Einschreiten ermöglicht, zumal, wie die Antragsgegnerin im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht angeführt hat, die Antragsteller kein Hygienekonzept zu der Formierung, Lenkung und Auflösung der Cluster vorgelegt haben.
30
Die Beschwerdeschrift zeigt auch nicht auf, dass die von dem Verwaltungsgericht und der Antragsgegnerin vorgenommene Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne fehlerhaft ist. Die Ausführungen der Antragsteller zu der Mäßigung der Staatsgewalt in der Pandemie sind lediglich allgemein gefasst und lassen einen Bezug zu der konkret angezeigten Versammlung und den konkreten Abwägungsgesichtspunkten vermissen. Die Antragsteller greifen zudem nicht substantiiert an, dass die Beschränkungen dem individuellen Gesundheitsschutz, also Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer, insbesondere der ungeimpften Versammlungsteilnehmer, sowie der Sicherung der Funktionalität des Gesundheitssystems zu dienen bestimmt sind (vgl. BA S. 11). Dass demgegenüber ein tiefgreifender Eingriff in die Kommunikationsgrundrechte inmitten steht, zeigt die Beschwerdeschrift nicht auf. Insbesondere setzt sie der Feststellung des Verwaltungsgerichts nichts entgegen, dass die Versammlung weitgehend unter Wahrung ihres Charakters stattfinden kann (vgl. BA S. 13). Die aktive Beteiligung der Teilnehmer an der Versammlung wird von der Maskenpflicht und den übrigen Beschränkungen nicht berührt. Die Versammlungsteilnehmer können auch weiterhin auf der Versammlung Präsenz zeigen, ihren Standpunkt kundtun und dafür einstehen.
31
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
32
3. Die den Beschluss des Verwaltungsgerichts abändernde Streitwertfestsetzung beruht auf dem Umstand, dass auf Antragstellerseite eine Personenmehrheit besteht. Bei Personenmehrheiten auf Beteiligtenseite (subjektive Klagehäufung) erfolgt grundsätzlich eine Zusammenrechnung der Streitwerte, weil das Prozessrechtsverhältnis zwischen einem Kläger zu einem Beklagten regelmäßig einen eigenen Streitgegenstand bildet (vgl. Schindler Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, GKG, 35. Aufl., Stand: 1.10.2021, § 39 Rn. 22). Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, ist der insofern jeweils anzusetzende Auffangwert in Höhe von 5.000 Euro nicht gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern (stRspr., vgl. jüngst: BayVGH, B.v. 14.5.2021 - 10 CS 21.1385 - juris Rn. 29). Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG.
33
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.