Inhalt

VG München, Urteil v. 11.05.2022 – M 9 K 20.5553
Titel:

Klage einer Gemeinde gegen Baugenehmigung für Schwimmteich

Normenkette:
BauGB § 34, § 35, § 36 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bauakzessorisch genutzte Flächen sind wegen des Zusammenhangs mit der Wohnnutzung noch dem Innenbereich zuzurechnen, jedoch nicht geeignet, einen Bebauungszusammenhang herzustellen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Frage, ob ein Hausgarten und seine Nutzung noch bebauungsakzessorisch sind, ist nur darauf abzustellen, ob die Größe angemessen und üblich ist. Auf die konkrete Nutzung kommt es nicht an. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
akzessorische Wohnnutzung durch Pool, Abgrenzung zum Außenbereich bei großen Gärten, Schwimmteich, Baugenehmigung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 14.03.2023 – 2 ZB 22.1948
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19307

Tenor

I.Der Bescheid des Landratsamts Miesbach vom 20. Oktober 2020 wird aufgehoben.
II.Der Beklagte und der Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

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Die Gemeinde als Klägerin wendet sich gegen die durch das Landratsamt erteilte baurechtliche Tekturgenehmigung für einen großflächigen Schwimmteich und die Ersetzung des mit Beschluss vom 12. März 2020 verweigerten Einvernehmens.
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Der beigeladene Bauherr ist Eigentümer der FlNr. 305/13 im Gemeindegebiet. Das ca. 5.500 m² große Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus bebaut, das der Beigeladene mit einer entsprechenden Baugenehmigung umgebaut und renoviert hat. Das Grundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
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Am 20. Februar 2020 stellte der Beigeladene einen Tekturantrag für das Vorhaben „Umbau und Renovierung des bestehenden Wohnhauses, Anbau einer Tiefgarage an der Nordseite, Nutzungsänderung des Garagenanbaus zu Büroräumen, Verlängerung des Pools ins Freie und Anbau von zwei Balkonen“. Beantragt wurde die Tekturgenehmigung für die Außenanlage und für die Errichtung des hier verfahrensgegenständlichen Schwimmteichs als Biotop mit Retentions- und Filterbecken und einer Wasserfläche von 144,25 m².
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Mit Beschluss vom 12. März 2020 verweigerte die Klägerin das gemeindliche Einvernehmen. Der Teil des Grundstücks, auf welchem der Schwimmteich entstehe, gehöre bereits zum Außenbereich. Der Flächennutzungsplan sehe dort eine landwirtschaftliche Fläche vor. Das Vorhaben beeinträchtige öffentliche Belange und verstoße in mehreren Punkten gegen die Gestaltungssatzung der Gemeinde. Mit weiterem Schreiben vom 14. Oktober 2020 teilte die Klägerin nach erneuter Beteiligung mit, dass die Ablehnung des gemeindlichen Einvernehmens aufrechterhalten bleibe.
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Mit Bescheid vom 20. Oktober 2020 genehmigte das Landratsamt den Tekturantrag für den Schwimmteich (Ziffer 1) und ersetzte das gemeindliche Einvernehmen (Ziffer 2). In Ziffer 3 wurde eine mit Bescheid vom 27. November 2019 verfügte Baueinstellung aufgehoben und unter Ziffer 4 Abweichungen von der Gestaltungssatzung erteilt. Als Auflage wurde verfügt, dass die in der Erstgenehmigung bzw. in den vorausgegangenen Nachtragsbaugenehmigungen festgelegten Forderungen (Bedingungen, Auflagen) zu beachten und einzuhalten sind, soweit sie nicht durch diesen Bescheid geändert werden. Das fehlende gemeindliche Einvernehmen sei rechtswidrig versagt worden und werde deshalb nach Art. 67 Abs. 1 BayBO i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB ersetzt. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB zu beurteilen, da auch der südwestliche Teil des Grundstücks mit dem Schwimmteich noch dem Innenbereich zuzuordnen sei. Die Trennungslinie zwischen Bebauungszusammenhang und Außenbereich werde am Ortsrand zwar unmittelbar hinter den letzten der mit den übrigen Häusern in einem Zusammenhang stehenden Wohnhäusern gezogen. Diese unmittelbar an die Hauswand der letzten Bebauung anschließende Grenzziehung bewirke nicht, dass deshalb auch die rückwärtigen Flächen mit auf das Hauptgebäude bezogene Nutzungen wie z.B. Hof, Garten oder Nebenanlage ebenfalls bereits zum Außenbereich gehörten. Der Schwimmteich sei eine solche auf das Hauptgebäude bezogene Nutzung.
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Der Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2020 Klage erhoben und beantragt,
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Der Bescheid des Landratsamts vom 20. Oktober 2020 betreffend die Tektur vom 20. Februar 2020, Außenanlagen und Errichtung eines Schwimmteichs, wird aufgehoben.
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Das gemeindliche Einvernehmen sei zu Unrecht ersetzt worden und das mit Tekturbescheid genehmigte Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Dies verletze die Klägerin als Gemeinde in eigenen Rechten. Der Bereich des Grundstücks, in dem sich der Schwimmteich befinde, sei als Teil des Außenbereichs i.S.v. § 35 BauGB zu qualifizieren. Die Grenze zum Innenbereich verlaufe vorliegend an der westlichen und südlichen Außenfassade des Wohnhauses. Das Schwimmbecken sei nicht zu einer funktionsgerechten Nutzung des Wohnhauses erforderlich, da anders als im Falle eines im Außenbereich gelegener Hausgartens Wohnhäuser regelmäßig nicht über eine solche Einrichtung verfügten und deshalb keine wohnakzessorische Nutzung vorläge. Das nicht privilegierte Vorhaben beeinträchtige die Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB, da es im Widerspruch zum Flächennutzungsplan errichtet worden sei, der eine landwirtschaftliche Fläche mit ökologischer und gestalterischer Funktion ausweise. Es bestehe auch die Gefahr einer Splittersiedlung, § 35 Abs. 3 Nr.7 BauGB.
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Der Beklagte beantragte,
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Klageabweisung.
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Der Schwimmteich sei als zum Innenbereich zugehörig anzusehen, da eine bebauungsakzessorische Nutzung vorläge. Es handle sich um eine untergeordnete Nebenanlage i.S.d. § 14 Abs. 1 BauNVO, da er der Wohnnutzung räumlich-gegenständlich untergeordnet sei und zugleich deren Funktion diene. Der Schwimmteich sei dazu bestimmt, den Wohnnutzungszweck eines Grundstücks maßgeblich zu fördern, da er der gesundheitlichen Vorsorge und körperlichen Betätigung diene, die entsprechend vielfältiger Wohngewohnheiten auch in räumlicher Nähe mit dem Wohnhaus stattfinden könnten. In dieser Gemeinde gehörten eigene Schwimmbecken zur üblichen Nutzung. Der Schwimmteich werde im Übrigen naturnah gestaltet und solle auch der Gestaltung des Gartens dienen. Er befinde sich in einer Entfernung von nur 15 m zur Terrasse in einem Gesamt - Gartenensemble. Die Klägerin habe in vergleichbaren Fällen bisher ihr Einvernehmen erteilt, z.B. für ein 25 m² großes Gartenhäuschen in einer Entfernung von ca. 25 m vom Haupthaus auf FlNr. 233/4 und ein Gartenhäuschen in einer Entfernung von ca. 22 m vom Haupthaus entfernt auf FlNr. 305/4. die Ziffer 3, Aufhebung der Baueinstellung, habe hier lediglich klarstellende Funktion, da mit der Erteilung der Tekturgenehmigung die Baueinstellung automatisch außer Kraft getreten sei.
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Der Bevollmächtigte des Beigeladenen beantragte,
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Klageabweisung.
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Das Bauvorhaben sei nach § 34 BauGB zulässig, da die Gartenfläche zum Innenbereich zähle. Maßgeblich seien die konkreten örtlichen Verhältnisse, insbesondere auch die Ausdehnung der Nachbargärten. Der rückwertige Grundstücksbereich bis zur Grundstücksgrenze sei bereits vom Voreigentümer als Hausgarten angelegt, gepflegt und genutzt worden. Der östlich angrenzende Nachbargarten ende in Süden auf der gleichen Linie wie der Garten des Vorhabensgrundstücks. An der südwestlichen Ecke des Vorhabensgrundstücks sei eine topografische, natürliche Abgrenzung zu dem dort beginnenden in Gelände ansteigenden Waldstück vorhanden. Die Sträucher an der südlichen Grundstücksgrenze stellten eine natürliche Abgrenzung gegenüber der dahinterliegenden Wiese dar. Der Schwimmteich sei eine bebauungsakzessorische Nutzung auf der Gartenfläche. Es handle sich nicht lediglich um einen Swimmingpool, sondern um einen Teich, der sich dadurch auszeichne, dass er auch zum Schwimmen geeignet sei, jedoch mit Flachwasser und Pflanzzonen naturnah angelegt und wie ein Gartenteich in die Gartengestaltung eingebunden sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin läge eine akzessorische Nutzung nicht nur dann vor, wenn diese zur funktionsgerechten Nutzung eines Wohnhauses erforderlich sei, sondern bereits dann, wenn diese Nutzung die Hauptnutzung ergänze bzw. fördere. Der Schwimmteich sei im Hinblick auf sein bauliches Gewicht der deutlich größeren Hauptanlage untergeordnet. Die angeführte Rechtsprechung betreffe anders gelagerte Sachverhalte.
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Das Gericht hat Beweis erhoben, durch einen Augenschein unter Einbeziehung der angrenzenden Grundstücke, soweit diese vom Klägergrundstück aus einsehbar waren. Topografische Besonderheiten, z.B. ein deutlicher Anstieg zum Wäldchen an der Süd-West-Seite des Grundstücks, bestehen keine. Das Vorhabensgrundstück und die anschließenden Grundstücke sind weitgehend eben. Der Schwimmteich selber ist teilweise bereits eingewachsen; die beabsichtige Gestaltung als Teich war zu erkennen.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat Erfolg.
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Die Klage ist zulässig. Die Klägerin ist als Gemeinde klagebefugt, da sie geltend machen kann, dass sie durch die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens und die Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit in ihrer gemeindlichen Planungshoheit betroffen ist (ständige Rechtsprechung z.B. BVerfG B. v. 25.8.2014 - 4 B 20.14).
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Die Klage ist begründet.
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Die Tekturgenehmigung vom 20. Oktober 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihrer gemeindlichen Planungshoheit und damit in eigenen Rechten, § 113 VwGO. Der Schwimmteich befindet sich im Außenbereich, § 35 BauGB und eine wohnakzessorische Nutzung besteht nicht. Das gemeindliche Einvernehmen wurde deshalb rechtswidrig ersetzt. Die Klägerin durfte ihr Einvernehmen aus den sich aus § 35 BauGB ergebenden Gründen versagen, § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Die Baugenehmigung war deshalb aufzuheben.
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Die Südwand des Wohnhauses des Beigeladenen und der östlich angrenzenden beiden Wohnhäuser auf den Nachbargrundstücken bilden die Grenze zu dem im Süden liegenden Außenbereich. Das Wohnhaus des Beigeladenen ist im Norden, Westen und Süden von Grünflächen umgeben. Das Grundstück des Beigeladenen sowie das östlich angrenzende Grundstück haben Richtung Süden ungefähr die selbe Länge. Der Beigeladene hat an der Ostseite seines Grundstücks einen weiteren Swimmingpool als Verlängerung des am Haus befindlichen Hallenbads mit Poolterrasse. Ungefähr auf der gleichen Höhe wie dieses Schwimmbad hat der östliche Nachbar im Anschluß an sein Wohnhaus ebenfalls einen Pool/Teich. Auf dem Vorhabensgrundstück gibt es verschiedene weitere Nebengebäude, unter anderem ein Spielhaus an der Südgrenze.
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Nach dem Ergebnis des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung ist der Schwimmteich keine akzessorische Wohnnutzung mehr. Der Außenbereich beginnt im vorliegenden Fall an der Süd- und Westgrenze des Wohnhauses des Beigeladenen, da dies das Ende der Bebauung mit zum Aufenthalt bestimmten Hauptgebäuden darstellt und nur dieser Teil am östlich vorliegenden Bebauungszusammenhang noch teilnimmt. Diese unmittelbar an die letzte Bebauung anschließende Grenzziehung hat nicht zur Folge, dass die angrenzenden rückwertigen und seitlichen Flächen zum Außenbereich gehören, wenn sie durch Nutzungen geprägt werden, die auf das Hauptgebäude bezogen sind. Solche bauakzessorisch genutzten Grundstücksteile sind z.B. die Flächen, die mit Nebenanlagen nach § 12 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 BauNVO bebaut sind oder ein Hausgarten im üblichen Umfang. Diese bauakzessorisch genutzten Flächen sind wegen des Zusammenhangs mit der Wohnnutzung noch dem Innenbereich nach § 34 BauGB zuzurechnen, jedoch nicht geeignet, einen Bebauungszusammenhang herzustellen (BayVGH v. 23.5.2007 - 2 ZB 07.455). Für die Abgrenzung gilt im Hinblick auf die Schonung des Außenbereichs ein strenger Maßstab (OVG Schleswig B.v. 26.9.2012 - 1 LA 42/12).
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Die Kammer ist der Auffassung, dass entgegen der von Teilen der Rechtsprechung vertretenen Ansicht auch ein Swimmingpool eine solche bauakzessorische Nutzung sein kann. Für die Frage, ob ein Hausgarten und seine Nutzung noch bebauungsakzessorisch sind, ist nur darauf abzustellen, ob die Größe angemessen und üblich ist. Wie ein solcher Hausgarten genutzt wird, ist Sache des Eigentümers, dem es im Rahmen des rechtlich Zulässigen überlassen bleibt, ob er einen Pool errichtet oder Blumen pflanzt.
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Der Schwimmteich des Beigeladenen wurde nicht in einer Gartenfläche gebaut, die nach den bauakzessorischen Grundsätzen noch im Bebauungszusammenhang mit dem Wohnhaus steht. Maßgeblich dafür, was ein angemessener und üblicher Hausgarten ist, sind nicht absolute Quadratmeterzahlen, sondern eine Bewertung des konkreten Sachverhalts im Einzelfall insbesondere dort, wo keine einheitliche Bebauung am Ortsrand besteht. Unmaßgeblich ist die Größe des Grundstücks, die eingezäunte Fläche oder die Anlage als Garten, da grundsätzlich nur ein Hausgarten einbezogen wird, der die Fläche einer Verlängerung und Fortsetzung der Wohnnutzung im Freien hat. Auf die Größe der Gärten in der Umgebung kommt es daher für die Frage der Zugehörigkeit zum Außenbereich nicht an. Unerheblich ist, dass das Grundstück bereits durch den Voreigentümer als Gartengrundstück eingezäunt und angelegt wurde.
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Gemessen an diesen Maßstäben endet nach dem Ergebnis des Augenscheins und der Erörterung in der mündlichen Verhandlung der wohnakzessorische Bebauungszusammenhang ungefähr auf Höhe der Südgrenze des Swimmingpools, der an der Ostseite vom Hallenbad aus ins Freie verlängert wurde. Der weiter südwestlich gebaute Schwimmteich liegt nicht mehr innerhalb dieser Fläche, sondern auf einem Teil des Grundstücks, das zum Außenbereich gehört. Diese Grenzziehung berücksichtigt, dass ein Swimmingpool im Freien in Verlängerung des Hallenbads an das Wohnhaus angrenzt und mit den an der Südwand des Wohnhauses angrenzenden Flächen der Terrasse eine typische Erweiterung der Wohnnutzung im Freien mit den dazu gehörenden Nebengebäuden und etwas Gartenfläche darstellt.
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Als Bauvorhaben im Außenbereich beeinträchtigt der Schwimmteich die Belange des § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB (Flächennutzungsplan) und § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB (Belange des Natur- und Landschaftsschutzes). Auch eine Beeinträchtigung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB, Gefahr der Entstehung einer Splittersiedlung, ist nicht auszuschließen, da eine bauliche Anlage im Außenbereich vor allem in Anschluss an eine Innenbereichsbebauung Vorbild für weitere bauliche Vorhaben ist und als Bezugsfall dient.
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Vergleichbare Bezugsfälle gibt es keine. Der Swimmingpool des Nachbarn im Osten und die beiden kleinen Nebengebäude auf Nachbargrundstücken entsprechen der Bebauung auf dem Grundstück des beigeladenen Bauherren.
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Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154, § 155 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 f. ZPO.