Titel:
Fahrtenbuchauflage bei erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts und erstmaligem Verkehrsverstoß
Normenkette:
StVZO § 31a Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Die Auferlegung eines Fahrtenbuches setzt keinen wiederholten Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift oder eine hierdurch eingetretene Gefährdung voraus. Vielmehr ist bereits im Falle der erstmaligen Begehung eines Verkehrsverstoßes, der im Fall seiner Ahndung zur Eintragung von wenigstens einem Punkt im Verkehrszentralregistergesetz geführt hätte (hier Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts um 44 km/h), die Auferlegung eines Fahrtenbuches gerechtfertigt und verhältnismäßig, weil es sich um einen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht i. S. d. § 31a I 1 StVZO handelt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fahrtenbuch, Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts um 44 km/h, Autohandel, Fahrtenbuchauflage, Verkehrsverstoß von einigem Gewicht, erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts, erstmaliger Verkehrsverstoß, Entbehrlichkeit konkreter Gefährdung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 22.07.2022 – 11 ZB 22.895
Fundstelle:
BeckRS 2022, 18963
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Landratsamts … vom 05.11.2021, mit welchem ihm die zwölfmonatige Führung eines Fahrtenbuches zu seinem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … auferlegt wurde.
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Der Kläger betreibt einen Fahrzeughandel, in dessen Rahmen er eigenen Angaben zufolge im April 2021 ein Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … zum Verkauf anbot und dabei ihm bekannte aber auch unbekannte Personen zu Probefahrtzwecken fahren ließ.
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Am 18.04.2021 um 16:18 Uhr wurde mit diesem Fahrzeug auf der K. Straße auf Höhe der Hausnummer 74 in … die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 44 km/h (nach Toleranzabzug) überschritten. Diese Feststellung wurde durch ein geeichtes Geschwindigkeitsmessgerät und Frontfoto dokumentiert.
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Mit Schreiben vom 29.04.2021 übersandte das Bayerische Polizeiverwaltungsamt dem Kläger einen Zeugenfragebogen mit dem Frontfoto des Fahrzeuges samt Fahrzeugführerin. Hierin wurde dem Kläger der Tatvorwurf einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG, § 49 StVO gegen den verantwortlichen Fahrer eröffnet.
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Der Kläger sandte den hinsichtlich der Personendaten ausgefüllten Zeugenfragebogen am 06.05.2021 an das Bayerische Polizeiverwaltungsamt zurück. Er äußerte sich dahingehend, dass er nicht gefahren sei und die Person auf dem Foto für ihn nicht erkennbar sei. Ferner meldete der Kläger am gleichen Tag das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … ab und ließ ein Ersatzfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … auf sich zu.
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Das Bayerische Polizeiverwaltungsamt ersuchte daraufhin mit Schreiben vom 10.05.2021 die Polizeiinspektion … zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen zur Fahrerfeststellung. Die Wohnanschrift des Klägers wurde daraufhin mehrfach von Polizeibeamten aufgesucht, woraufhin die Lebensgefährtin des Klägers als mögliche Fahrerin ausgeschlossen werden konnte. Der Kläger gab erneut an, die Person auf dem Frontfoto nicht zu kennen. Auch weitere Ermittlungen im Umfeld des Klägers blieben erfolglos, keiner der umliegenden Anwohner konnte sachdienliche Angaben zu der verantwortlichen Fahrzeugführerin machen.
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Das Bußgeldverfahren wurde daher durch Verfügung des Bayerischen Polizeiverwaltungsamts vom 21.06.2021 eingestellt und das Landratsamt … zur Prüfung einer etwaigen Fahrtenbuchauflage ersucht.
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Mit Schreiben vom 07.10.2021 hörte das Landratsamt … den Kläger zur beabsichtigten Anordnung eines Fahrtenbuches an. Der Kläger äußerte sich daraufhin mit Schreiben vom …10.2021. Bei Probefahrten kontrolliere er lediglich, ob ein gültiger Führerschein vorliege. Personalien dürfe er nicht abspeichern.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 05.11,2021, dem Kläger zugestellt am 06.11.2021, verpflichtete das Landratsamt … den Kläger, vom 15.11.2021 bis zum 14.11.2022 für sein Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … sowie etwaige Nachfolgefahrzeuge ein Fahrtenbuch zu führen (Ziffern 1 und 2 des Bescheids). Weiter verfügte das Landratsamt u.a. eine Pflicht zur Aufbewahrung und Vorlage unter im einzelnen bezeichneter Zwangsgelder (Ziffern 5 bis 7, 9 des Bescheids) und ordnete die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 5, 6 und 7 (Ziffer 8 des Bescheids) an. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Kläger auferlegt und eine Gebühr von 160,00 EUR sowie Auslagen in Höhe von 2,76 EUR festgesetzt (Ziffer 10 und 11 des Bescheids).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anordnung eines Fahrtenbuches zur Abwehr von Gefahren für den öffentlichen Straßenverkehr erforderlich sei, da auch bei künftigen Verstößen damit zu rechnen sei, dass ein verantwortlicher Fahrzeugführer nicht ermittelt werden könne. Angesichts der Schwere des begangenen Verkehrsverstoßes sei daher die Anordnung eines zwölfmonatigen Fahrtenbuchs erforderlich und angemessen. Nur so könne das spezialpräventive Ziel, den unbekannten Fahrzeugführer von einem erneuten Fehlverhalten abzuschrecken und damit die Allgemeinheit vor Schaden zu bewahren, erreicht werden.
Auf die Einzelheiten wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom …12.2021, eingegangen am 06.12.2021, erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,
den Bescheid des Landratsamts … vom 05.11.2021 aufzuheben.
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Der Bevollmächtigte des Klägers begründete die Klage insbesondere damit, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nicht gegeben seien, sie habe lediglich bestrafenden Charakter.
13
Auf die Einzelheiten wird Bezug genommen.
14
Mit Schreiben vom 21.12.2021 erwiderte das Landratsamt die Klage unter Bezugnahme auf die Akten und die Begründung des Bescheids vom 05.11.2021 und beantragte, die Klage abzuweisen.
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Die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches sei rechtmäßig. Insbesondere sei auch die Dauer von 12 Monaten angesichts des erheblichen Verkehrsverstoßes angemessen.
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Mit Beschluss vom 29.12.2021 hat die Kammer die Streitsache zur Verhandlung und Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Am 21.01.2022 fand die mündliche Verhandlung statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 21.01.2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 05.11.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches liegen vor.
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Nach § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihr zugelassene Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
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Mit dem festgestellten Geschwindigkeitsverstoß war eine Zuwiderhandlung gegen eine Verkehrsvorschrift zweifelsohne gegeben. Insbesondere verfängt der Einwand des Klägers, dass es sich hierbei nur um einen einmaligen Verstoß gehandelt und er selbst bislang nur kleine Verkehrssünden im Verwarnbereich begangen habe, nicht. § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO setzt gerade keinen wiederholten Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift oder eine hierdurch eingetretene Gefährdung voraus. Vielmehr ist bereits im Falle der erstmaligen Begehung eines Verkehrsverstoßes, der - wie hier - im Fall seiner Ahndung zur Eintragung von wenigstens einem Punkt im Verkehrszentralregistergesetz geführt hätte, die Auferlegung eines Fahrtenbuches gerechtfertigt und verhältnismäßig, weil es sich um einen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht i. S. d. § 31a I 1 StVZO handelt (BayVGH, B. v. 12.03.2014 - 11 CS 14.176 = BeckRS 2014, 49135 Rn. 10). Nicht erforderlich ist, dass es zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen ist (vgl. BVerwG, U. v. 17.5.1995 - 11 C 12/94 = BVerwGE 98, 227/229; B.v. 09.09.1999 - 3 B 94/99 = BayVBI. 2000, 380). Ferner ist es nicht erforderlich, dass eine Wiederholungsgefahr besteht (BVerwG, B. v. 23.6.1989 - 7 B 90/89 - NJW 1989, 2704), so dass auch die bloße Androhung einer Fahrtenbuchauflage für den Fall einer erneuten Zuwiderhandlung, bei der der verantwortliche Fahrzeugführer nicht festgestellt werden kann, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kein milderes, ebenfalls in Betracht kommendes Mittel wäre (BayVGH, B.v. 12.03.2014 - 11 CS 14.176 = BeckRS 2014, 49135 Rn. 10).
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Die belegte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 44 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften stellt zweifelsfrei einen Geschwindigkeitsverstoß von schwerem Gewicht dar und wäre mit einem Bußgeld in Höhe von 200,00 EUR, zwei Punkten sowie einem Monat Fahrverbot belegt.
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Ferner war auch die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich, da die Behörde/ die Polizei alle ihr zumutbaren und angemessenen Ermittlungsmaßnahmen zur Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers getroffen hat (vgl. BayVGH, B. v. 12.3.2014 - 11 CS 14.176 = BeckRS 2014, 49135 Rn. 8). Auch wurde der Zeugenfragebogen innerhalb von zwei Wochen nach Tatbegehung an den Kläger übersandt. Zudem hat die Polizei hier mehrfach angemessene Ermittlungen sowohl beim Kläger selbst als auch in dessen Umfeld veranlasst, welche jedoch allesamt erfolglos blieben. Ob der Kläger von der Person der verantwortlichen Fahrzeugführerin tatsächlich Kenntnis hatte (wie es die ermittelnden Polizeibeamten annahmen), und die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers deshalb mitverschuldet hat, ist dagegen nicht entscheidend (BayVGH, B.v. 03.05.2019 - 11 ZB 19.213 = BeckRS 2019, 8672). Im Übrigen dürfte es eine reine Schutzbehauptung des Klägers sein zu argumentieren, er kenne den Fahrer/ die Fahrerin des Fahrzeugs einer jeweiligen Probefahrt im Rahmen der gewerblichen Tätigkeit nicht, da dies jeglichem Erfahrungswert eines Gewerbebetriebes und auch höchst eigenen Interessen widerspricht. Sollte diese Praxis tatsächlich zutreffen, wäre diese Handlungsweise vollständig dem Kläger zuzurechnen und würde ihn keinesfalls exkulpieren. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, welche anderen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen noch erfolgversprechend hätten sein sollen.
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Zuletzt vermag das Gericht auch keinen im Rahmen des § 114 S. 1 VwGO relevanten Ermessensfehler zu erkennen.
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Der Beklagte hat das ihm nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eingeräumte Ermessen zweckentsprechend betätigt und die Grenzen zulässiger Ermessenausübung nicht überschritten. Ferner genügt die Anordnung der Führung des Fahrtenbuches insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der das Ermessen, dass dem Beklagten hinsichtlich der Anordnungen zukommt, begrenzt. Sie dient einem legitimen Zweck und ist als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen. Mit der präventiven Zielsetzung, künftige Verkehrsverstöße dadurch zu vermeiden, dass der jeweilige Fahrer mit einer leichten Aufklärbarkeit des Verstoßes rechnen muss, wird ein legitimer Zweck verfolgt. Die Fahrtenbuchauflage ist hierzu geeignet, erforderlich sowie als angemessene Maßnahme anzusehen. Insbesondere stellt sich die Führung eines Fahrtenbuchs als keine allzu schwerwiegende Beeinträchtigung des Klägers, sondern lediglich eine mit geringem Zeitaufwand verbundene Unannehmlichkeit dar (BayVGH, B. v. 18.05.1999 - 11 CS 99.730 = BeckRS 1999, 18731, Rn. 20).
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Auch die Dauer des verfügten Fahrtenbuches von zwölf Monaten begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Da § 31 a StVZO keine Regelung hinsichtlich der Dauer des Fahrtenbuches trifft, bleibt die Beantwortung dieser Frage vielmehr dem pflichtgemäßen Ermessen der Behörde überlassen, die hierbei lediglich die zwingenden Vorgaben der Rechtsordnung, insbesondere der Gleichbehandlungs- und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, zu beachten hat. Ob die Dauer einer Fahrtenbuchauflage mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang steht, ist mit Blick auf den Anlass der Anordnung und den mit ihr verfolgten Zweck unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (VG München, B. v. 07.08.2018 - 23 S 18.1894 = BeckRS 2018, 24946). Als Kriterium für ihre zeitliche Bemessung ist vor diesem Hintergrund vor allem das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung, aber auch die Bemühung des Fahrzeughalters bei der Tataufklärung, heranzuziehen. Denn desto mehr der Fahrzeughalter zur Feststellung des Fahrzeugführers beiträgt, umso weniger wird unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr Anlass bestehen, ihn hierzu für künftige Fälle durch eine Fahrtenbuchauflage anzuhalten (vgl. BayVGH, B. v. 30.08.2011 - 11 CS 11.1548).
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Unter Zugrundelegung dieser Bewertungsmaßstäbe begegnet es vorliegend keinen Bedenken, dass der Beklagte dem Kläger aufgrund des Verkehrsverstoßes von erheblichem Gewicht sowie dessen ersichtlich fehlender Mitwirkungsbereitschaft bei der Tataufklärung das Führen eines Fahrtenbuchs für zwölf Monate aufgegeben hat.
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Der Rechtmäßigkeit der weiteren Anordnungen, ebenso der Heranziehung des nunmehr auf das Kennzeichen zugelassenen Fahrzeugs, stehen ebenfalls keine Bedenken entgegen.
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Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO.
32
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.