Titel:
keine Duldung mangels Eheschließungstermin
Normenketten:
GG Art. 6
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
EMRK Art. 12
PStG § 13 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1
Leitsatz:
Eine Eheschließung steht unmittelbar bevor, wenn ein Eheschließungstermin verbindlich bestimmt oder bestimmbar und die erforderliche Urkundenprüfung (erfolgreich) abgeschlossen ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Erteilung einer Duldung bis zu Eheschließung im Bundesgebiet, Unmittelbar bevorstehende Eheschließung (verneint), Prüfung der Ehevoraussetzungen durch das Standesamt, Fehlen einer Positivmitteilung des Standesamts, Duldung, Eheschließungsfreiheit, unmittelbar bevorstehende Eheschließung, Positivmitteilung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 14.07.2022 – 10 CE 22.844
Fundstelle:
BeckRS 2022, 18955
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm einstweilen bis zu Eheschließung im Bundesgebiet eine Duldung zu erteilen.
2
Der … in Nigeria geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Ein Asylverfahren des Antragstellers ist nach dem Vortrag seiner Bevollmächtigten abgeschlossen, er ist nach diesem Vortrag vollziehbar ausreisepflichtig. Sein Reisepass ist beim Landratsamt … (Landratsamt) hinterlegt.
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Mit Schreiben vom 29. November 2021 forderte das Standesamt S* … (Standesamt) Frau E., die nach dem Vortrag der Bevollmächtigten des Antragstellers mit diesem verlobt ist, unter dem Betreff „Eheschließung mit dem nigerianischen Staatsangehörigen Herrn M.“ auf, im Hinblick auf die Überprüfung der Urkunden des Antragstellers im Rahmen der Amts- und Rechtshilfe für deutsche Behörden und Gerichte einen Kostenvorschuss zuzüglich Portokosten in Höhe von 665 EUR einzuzahlen. Nach Geldeingang würden die Urkunden dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Lagos übersandt. Am 29. November 2021 war unter dem Verwendungszweck „M. Urkundenprüfung… Standesamt“ dieser Betrag an das Standesamt überwiesen worden.
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In einer eidesstattlichen Versicherung vom 25. März 2022 erklärte Frau E. im Wesentlichen, sie und der Antragsteller würden heiraten. Zur Vorbereitung der Eheschließung hätten sie im vergangenen Jahr alle Unterlagen, die vom Standesamt gefordert worden seien, gesammelt und im November 2021 dort abgegeben. Die geforderten 665 EUR habe sie überwiesen. Zum Stand des Überprüfungsverfahrens gebe es keine schriftliche Auskunft. Telefonisch habe man vom Standesamt die Auskunft erhalten, dass es noch keine Rückmeldung gebe. Der Antragsteller habe ihr gesagt, Angehörige von ihm hätten in Nigeria Kontakt zu einem von der Botschaft engagierten Anwalt, um die Urkunden zu überprüfen. Dieser Anwalt habe geäußert, es sei alles gut, aber er wäre nicht derjenige, der entscheide. Am 14. Februar 2022 sei dieser Anwalt bei den Eltern des Antragstellers gewesen, zuvor habe er in Lagos die inhaltliche Richtigkeit und Echtheit der angeforderten Urkunden überprüft und sei auch zur Überprüfung der vorgelegten Schulzeugnisse zur früheren Schule des Antragstellers gefahren.
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Am … März 2022 ließ der Antragsteller vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München durch seine Bevollmächtigte beantragen,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Bescheinigung über die weitere Aussetzung der Abschiebung wegen bevorstehender Eheschließung (Duldung) zu erteilen.
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Zur Begründung führte die Bevollmächtigte unter Bezugnahme auf die eidesstattliche Versicherung von Frau E. ergänzend aus, der Antragsteller habe vom Landratsamt am 24. Februar 2022 eine Grenzübertrittsbescheinigung mit Frist bis 31. März 2022 erhalten. Er sei aufgefordert worden, an diesem Tag beim Landratsamt vorzusprechen. Seine Eheschließung mit Frau E. stehe „damit sicherlich nur ganz vielleicht in dem Sinne unmittelbar bevor, das mit Sicherheit gesagt werden kann, dass die Eheschließung innerhalb der nächsten zwei Wochen stattfinden“ werde. Sechs bis neun Monate, von heute an gerechnet, werde es jedoch nicht mehr dauern. Diese Zeitangabe des Standesamts sei eine allgemeine Zeitangabe für das Verfahren insgesamt. Das Überprüfungsverfahren habe bereits im November 2021 begonnen, mittlerweile seien vier Monate verstrichen. Der Antragsteller und seine Verlobte hätten keinen Einfluss auf die Dauer des Verfahrens, die vom Arbeitstempo deutscher Behörden und der personellen Ausstattung der deutschen Auslandsvertretungen in Nigeria abhänge. Das Standesamt habe die vorgelegten Unterlagen als ausreichend erachtet und das Befreiungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Celle eingeleitet. Die Abschiebung würde die Eheschließung auf unbestimmte Zeit verhindern, was in das grundrechtlich geschützte Recht des Antragstellers und seiner Verlobten eingreife.
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Der Antragsgegner hat sich zum vorliegenden Verfahren nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
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Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat keinen Erfolg.
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1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann dieses Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, wenn dies, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Erforderlich für einen erfolgreichen Antrag sind das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, also insbesondere die Eilbedürftigkeit der Sache, sowie eines Anordnungsanspruches auf die begehrte Maßnahme. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
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2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist unbegründet, da der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht hat, insbesondere keine Umstände, die nahelegen würden, dass die Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen Unvereinbarkeit mit der unter den Schutz des Art. 6 GG und des Art. 12 EMRK fallenden Eheschließungsfreiheit rechtlich unmöglich ist.
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Eine derartige Unmöglichkeit setzt voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Dies ist anzunehmen, wenn das zuständige Standesamt zeitnah einen Eheschließungstermin bestimmt hat oder ein solcher jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 - 10 CE 16.2266 - juris Rn. 11 m.w.N.), etwa weil das zuständige Standesamt den Eheschließungstermin als unmittelbar bevorstehend bezeichnet hat (vgl. NdsOVG, B.v. 1.8.2017 - 13 ME 189.17 - juris Rn. 7 m.w.N.). Gleiches gilt, wenn das mit der Anmeldung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Personenstandsgesetz (PStG) in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehevoraussetzungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 PStG durch Positivmitteilung des Standesamtes erfolgreich beendet wird (vgl. Nr. 60a.2.1.1.2.1 i.V.m. Nr. 30.0.6 VwV-AufenthG) und die sechsmonatige Frist des § 13 Abs. 4 Satz 3 PStG noch nicht abgelaufen ist. Das Standesamt, bei dem die Eheschließung angemeldet ist, hat nach § 13 Abs. 1 Satz 1 PStG zu prüfen, ob der Eheschließung ein Hindernis entgegensteht. Wird bei der Prüfung der Ehevoraussetzungen ein Ehehindernis nicht festgestellt, so teilt das Standesamt nach § 13 Abs. 4 Satz 1 PStG den Eheschließenden mit, dass die Eheschließung vorgenommen werden kann, wobei die Mitteilung für das Standesamt, das die Eheschließung vornimmt, verbindlich ist. In der Praxis dürften dabei die Mitteilung und die Terminsbestimmung häufig zusammenfallen (BayVGH, B.v. 5.5.2021 - 10 CE 21.1228 - juris Rn. 20 m.w.N.).
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Gemessen an diesen Anforderungen hat der Antragsteller im vorliegenden Fall unter keiner denkbaren Betrachtungsweise eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung zwischen ihm und Frau E. glaubhaft gemacht. Dafür, dass ein Eheschließungstermin in dem vorgenannten Sinne jedenfalls verbindlich bestimmbar wäre, hat der Antragsteller angesichts aller Umstände nichts Substanzielles aufgezeigt. Daran ändert auch die eidesstattliche Versicherung der Verlobten des Antragstellers vom 25. März 2022 nichts. Derartige Versicherungen der Betroffenen können den Abschluss des Verwaltungsverfahrens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 PStG schon mangels Sachkunde und Gewähr für die Richtigkeit nicht glaubhaft machen. Auch eine Positivmitteilung gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 PStG liegt offensichtlich nicht vor.
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Ebenfalls nicht durchdringen kann der Antragsteller mit dem sinngemäßen Vortrag, dass seiner Auffassung nach alle für die Eheschließung erforderlichen Unterlagen dem Standesamt vorliegen würden. Darauf kommt es jedenfalls seit der Reform des Personenstandsgesetzes im Jahr 2009 nicht mehr entscheidend an, denn erst an die Vorlage der Unterlagen kann sich die inhaltliche Prüfung der Ehevoraussetzungen und damit des Fehlens von Ehehindernissen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 PStG anschließen. Ein Ergebnis der Echtheitsprüfung steht offensichtlich noch aus. Die von der Bevollmächtigten des Antragstellers eingewandte Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 27.2.2008 - 19 CS 08.216) bezieht sich auf die Gesetzes- und Rechtslage vor dieser Reform und ist deshalb heute nicht mehr einschlägig.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs.