Titel:
Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Tiguan)
Normenkette:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; OLG Koblenz BeckRS 2020, 6348; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 10519; BeckRS 2020, 41726; OLG München BeckRS 2020, 1062; BeckRS 2020, 49213; BeckRS 2020, 51829; BeckRS 2021, 42727; BeckRS 2021, 40443; BeckRS 2021, 45189; OLG Frankfurt BeckRS 2020, 2626; BeckRS 2020, 46880; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 47034; OLG Köln BeckRS 2019, 50034; OLG Bamberg BeckRS 2020, 51271; BeckRS 2021, 19821; BeckRS 2021, 18115; BeckRS 2021, 18113; BeckRS 2021, 28926; BeckRS 2021, 44005; BeckRS 2021, 54646; BeckRS 2021, 54648; OLG Stuttgart BeckRS 2021, 3447; BeckRS 2020, 51258; OLG Dresden BeckRS 2020, 51343; OLG Celle BeckRS 2020, 44504; OLG Schleswig BeckRS 2020, 43698; BeckRS 2020, 44782; OLG Celle BeckRS 2020, 50800; LG Saarbrücken BeckRS 2021, 8349; LG Düsseldorf BeckRS 2020, 37645; LG Schweinfurt BeckRS 2021, 45007; aA: OLG Celle BeckRS 2020, 19389; OLG Naumburg BeckRS 2021, 880; OLG Köln BeckRS 2021, 2388; LG München I BeckRS 2020, 19602; BeckRS 2020, 28259; BeckRS 2021, 42025; LG Offenburg BeckRS 2021, 187; LG Aachen BeckRS 2021, 3360; BeckRS 2021, 10842; LG Traunstein BeckRS 2021, 18986; LG Dortmund BeckRS 2021, 7892; LG Darmstadt BeckRS 2020, 39387; LG Karlsruhe BeckRS 2020, 42138. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein „Thermofenster“ würde im Falle seiner Unzulässigkeit zwar einen Gesetzesverstoß darstellen, wäre jedoch nicht mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das OBD-System als System, das lediglich die abgasbeeinflussenden Systeme überwacht, ist keine Abschalteinrichtung. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Kraftfahrtbundesamt hat den Motortyp EA 288 bereits im Jahr 2016 untersucht und dabei festgestellt, dass dort keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, arglistige Täuschung, sittenwidrig, Thermofenster, Zykluserkennung, Prüfstandserkennung, OBD, grenzwertkausal
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 17.06.2022 – 5 U 37/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 18707
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 24.223,67 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz insbesondere wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bzw. deliktischem Handeln im Zusammenhang mit dem Kauf eines von der Beklagten entwickelten PKWs mit Dieselantrieb.
2
Die Klagepartei erwarb am 24.06.2019 einen PKW VW Tiguan mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … von der …in …zu einem Kaufpreis von 19.500,00 € (Bl. 116f d.A.). Zuvor bestand über das streitgegenständliche Fahrzeug ein dem Kläger durch das Autohaus …vermittelter Leasingvertrag. Bei Abschluss des Kaufvertrages wies der Kilometerzähler einen Stand von 93.500 km aus. Bei Rückgabe des Leasingfahrzeugs am 25.06.2019 wies das streitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 80.250 km auf (Bl. 121 d.A.). Am 07.12.2021 betrug der Kilometerstand 125.895 km.
3
Im vorgenannten Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typ EA 288, welcher durch die Beklagte hergestellt wurde, verbaut. Das Fahrzeug unterliegt der Euro 6 Norm.
4
Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor, dass der streitgegenständliche Pkw nur aufgrund illegaler Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung in der Lage sei, im genormten NEFZ die in der EU geltenden Emissionsgrenzwerte für Stickoxide einzuhalten. Im Realbetrieb könnten die Fahrzeuge mit dem EA 288 die Abgasgrenzwerte hingegen nicht einhalten. So werde durch eine außentemperaturgesteuerte Abschaltvorrichtung (sog. Thermofenster) bewirkt, dass die Abgasreinigung nur in einem für den Testbetrieb relevanten Temperaturbereich uneingeschränkt aktiv sei. Über eine Zykluserkennung ermittele das Fahrzeug anhand verschiedener Parameter, ob es sich in einer Prüfsituation oder im Realbetrieb befinde, wobei es in Prüfsituationen die Abgasreinigung optimiere, während die Abgasreinigung im Realbetrieb anderen Fahreigenschaften untergeordnet werde. Außerdem sei das On-Board-Diagnosesystem (OBDSystem) dahingehend manipuliert, dass es bei einer Überschreitung der zulässigen Schadstoffwerte keine Fehlermeldung anzeige.
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Da das Fahrzeug die zulässigen Grenzwerte lediglich auf dem Prüfstand einhalte, sei die Klagepartei insoweit von der Beklagten getäuscht worden. Tatsächlich genüge das Fahrzeug nicht den gesetzlichen Anforderungen, sodass es mangelbehaftet und der Klagepartei durch den Kauf ein Schaden entstanden sei. Weiter behauptet die Klagepartei, dass der Vorstand der Beklagten auch entsprechende Kenntnis von den unzulässigen Abschalteinrichtungen gehabt habe. Die Klagepartei ist daher der Ansicht, dass die bei Abschluss des Erwerbs durch die Beklagte vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden sei, weshalb sie ein Anspruch auf Schadensersatz habe.
6
Die Klagepartei beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 24.223,67 € nebst Zinsen aus 24.223,67 € hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 03.03.2021 zu bezahlen, Zugum-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs Volkswagen Tiguan, FIN: …
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 04.03.2021 in Verzug befindet.
III. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.583,89 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
8
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass sämtliche Behauptungen der Klagepartei bloße Spekulationen und Mutmaßungen ins Blaue hinein seien. Im streitgegenständlichen Fahrzeug werde keine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet, das Fahrzeug sei nicht manipuliert.
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Das Kraftfahrtbundesamt habe den streitgegenständlichen Motortyp EA288 eingehend überprüft und bereits im Jahr 2016 festgestellt, dass dort keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt. Dies habe das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur in jüngster Vergangenheit auch nochmals bestätigt. Das Kraftfahrtbundesamt habe zudem in einer Vielzahl von amtlichen Auskünften für andere Gerichte ausgeführt, dass trotz sehr umfassender Untersuchungen an Fahrzeugen mit den Motoren der Reihe des EA 288 eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht festgestellt werden konnte, sodass weder Nebenbestimmungen angeordnet, noch ein behördlich angeordnete Rückruf erforderlich waren. Auch Fahrzeuge des Modells T6 seien nicht von einem Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Lediglich ein Teil dieser Fahrzeuge des Modells T6 sei von einer Konformitätsabweichung betroffen. Auch die Servicemaßnahme 23X4 stehe nicht in Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
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Daher verfüge der streitgegenständliche PKW auch über einer wirksame EG- Typengenehmigung und könne uneingeschränkt genutzt werden.
11
Eine Fahrkurven-/Zykluserkennung sei schon keine unzulässige Abschalteinrichtung, wenn sie nicht dazu genutzt werde, die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu verändern, dass dessen Wirksamkeit im Fahrbetrieb grenzwertkausal verringert werde. Dies sei hier nicht der Fall. Eine temperaturabhängige Abgasrückführung sei zum Motor- und Bauteileschutz notwendig. So drohten bei Temperaturen außerhalb des Temperaturfensters ohne Korrektur der Abgasrückführung Funktionsstörungen und Schäden des Motors, die im Einzelfall auch die Betriebssicherheit des Fahrzeugs gefährden könnten. Bei einer Manipulation des OBD-Systems, die bestritten wird, würde es sich nicht um eine Abschalteinrichtung handeln. Das OBD-System wirke nicht auf das Emissionsverhalten ein, sondern sei lediglich Mittel zur Überwachung emissionsrelevanter Funktionen. Dabei würden die OBD-Schwellenwerte nicht für den realen Fahrbetrieb gelten. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge auch nicht über andere unzulässige Abschalteinrichtungen.
12
Auch liege keine Täuschung oder ein sittenwidriges Verhalten durch die Beklagte vor. Daher stünden der Klagepartei keinerlei Schadenersatzansprüche zu.
13
Das Gericht hat mit den Parteien am 14.12.2021 mündlich verhandelt. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist in vollem Umfang unbegründet und war deshalb vollumfänglich abzuweisen.
15
Der Klagepartei steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz in Form der Erstattung des Kaufpreises für das Fahrzeug Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und auch nicht der geltend gemachte Feststellungsanspruch bzw. die geltend gemachten Nebenforderungen zu.
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1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 3 BGB liegen nicht vor. Voraussetzung wäre, dass die Beklagte, die unstreitig nicht Vertragspartnerin geworden ist, in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hätte. Dies wäre grundsätzlich nur der Fall, wenn der Dritte unmittelbar oder mittelbar - durch eine für ihn handelnde Person - an den Vertragsverhandlungen teilgenommen und dabei durch sein Auftreten eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität des Geschäfts oder die Erfüllung des Vertrages übernommen hat (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 311 Rn. 63 mwN OLG München Endurteil v. 3.12.2019 - 18 U 4044/19, BeckRS 2019, 41966 Rn. 27, beckonline). Diese Voraussetzungen wurden nicht dargetan.
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2. Ein Anspruch der Klagepartei aus §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB, scheidet schon deshalb aus, weil das klägerseits behauptete Verhalten der Beklagten, soweit man überhaupt von einem substantiierten Vortrag ausgehen konnte, unter keinem Gesichtspunkt als sittenwidrig anzusehen ist. Soweit insbesondere die Klage auf eine angebliche unzulässige Abschalteinrichtung gestützt wird, erfolgte der Vortrag ins Blaue hinein, so dass bereits ein substantiierter Vortrag nicht vorlag und die Klage ohne weitere Beweisaufnahme abzuweisen war.
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a. Objektiv sittenwidrig wäre eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Ein Unterlassen wäre dann sittenwidrig, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht. Insbesondere ist die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist. Hinzutreten muss nach der Rechtsprechung eine nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (vgl. mwN: Palandt/Sprau, BGB, 79. Auflage 2020, § 826 BGB, Rn. 4).
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b. Der Anspruchssteller ist für die einen Anspruch gem. § 826 BGB begründenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastet (BGH, Urt. v. 04.12.2012, Az. VI ZR 378/11).
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Die Ablehnung eines Beweises für eine beweiserhebliche Tatsache ist nur dann zulässig, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufs Geratewohl gemacht, gleichsam “ins Blaue” aufgestellt sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen (BGH, Urt. v. 23.04.1991, Az. X ZR 77/89; BGH, Beschluss vom 16.04.2015, Az. IX ZR 195/14).
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Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (stRspr; vgl. BGH NJW 2015, 934 Rn. 43; WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244 Rn. 6 mwN; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 11 mwN). Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (BGH NJW-RR 2017, 22 Rn. 27). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. etwa BGH WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244 mwN; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (stRspr; vgl. BGH NJW 2015, 934; WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939, jew. mwN). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist (stRspr; vgl. etwa BGH NJW-RR 2004, 337; NZG 2016, 658 = WM 2016, 974 Rn. 20; Beschluss vom 9.11.2010 - VIII ZR 209/08, BeckRS 2010, 29314; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 13, jew. mwN). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH NJW-RR 2004, 337 mwN) (vgl. zu alldem mwN BGH, NJW 2020, 1740 Rn. 7, 8, beckonline.
22
c. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein sittenwidriges Verhalten gem. § 826 BGB nicht dargetan bzw. erfolgte erkennbar ins Blaue hinein und war deshalb unbeachtlich, so dass eine Beweisaufnahme in Form des angebotenen Sachverständigengutachtens nicht zu erfolgen hatte.
23
aa. Hinsichtlich des sogenannten „Thermofensters“ wäre, selbst wenn ein Verstoß anzunehmen wäre, ein Verschweigen des Einsatzes der Abschalteinrichtung in Gestalt eines sog. „Thermofensters“ bei Würdigung der Gesamtumstände auch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Anstandsmaßstabs schon objektiv nicht als sittenwidrig zu bewerten. Insoweit unterscheidet sich die Fallgestaltung deutlich und entscheidend vom Einsatz einer Motorsteuerungssoftware, die zielgerichtet den Prüfstandslauf erkennt und dann in einen völlig anderen Betriebsmodus schaltet. Die Fallgestaltung eines sog. „Thermofensters“ unterscheidet sich damit signifikant von der Fallgestaltung einer „Schummelsoftware“ in Form einer Umschaltlogik, wie sie Gegenstand der im Jahr 2015 gerichtsbekannt aufgedeckten Geschehnisse ist. Dabei hat dieser Hersteller nämlich nicht nur gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der Abschalteinrichtung ein System zur planmäßigen Verschleierung seines Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen.
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Das von der Klagepartei für das hier streitgegenständliche Fahrzeug behauptete „Thermofenster“ würde im Falle seiner Unzulässigkeit zwar ebenfalls einen Gesetzesverstoß darstellen, wäre jedoch nicht mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar. Unstreitig ist, dass das sogenannte Thermofenster die Abgasreinigung bei sehr niedrigen und sehr hohen Temperaturen nicht mehr voll durchführen lässt bzw. ab einer gewissen Temperatur gänzlich ausschaltet. Dies ist im Prüflauf jedoch genauso wie im realen Straßenverkehr. Ein heimliches, planvoll angelegtes Vorgehen unter Ausnutzung eines eigenen Informations- und Wissensvorsprungs gegenüber dem nichtsahnenden Verbraucher kann darin nicht gesehen werden. Es wird auch nicht die Einhaltung der gesetzlichen Umweltstandards durch eine lediglich auf dem Prüfstand erfolgende Abgasreinigung bewusst „vorgespielt“, um damit ein dem gesellschaftlichen Zeitgeist der Umweltfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit entsprechendes Fahrzeug zu vermarkten. Vielmehr ist unstreitig, dass die beworbene Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs zumindest innerhalb des „Thermofensters“ voll gegeben ist. Anders als in den Fällen, in denen eine effektive Abgasreinigung lediglich bei Erkennen des Prüfstands durchgeführt wird, ist auch nicht substantiiert dargetan und auch nicht ersichtlich, dass Gewinnstreben um jeden Preis Motivation auf Herstellerseite gewesen ist (so auch LG Schweinfurt, Urteil vom 17.01.2020, Az. 21 O 95/19).
25
Zudem ist angesichts der äußerst kontroversen Diskussionen über die Zulässigkeit des „Thermofensters“ eine Auslegung dahingehend, dass ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann ebenso nicht verwerflich sein (so auch LG Stuttgart, Urteil vom 03.05.2019, Az. 22 O 238/18, juris, Rn. 30 ff.; LG Limburg, Urteil vom 24.05.2019, Az. 2 O 50/19, juris, Rn. 25; LG Bonn, Urteil vom 17.05.2019, Az. 15 O 132/18, juris, Rn. 25 ff.; LG Schweinfurt, Urteil vom 17.01.2020, Az. 21 O 95/19).
26
In der Gesamtschau kann deshalb selbst beim Vorliegen eines objektiv unzulässigen „Thermofensters“ nicht von objektiver Sittenwidrigkeit ausgegangen werden.
27
bb. Im Übrigen trägt die Klägerseite völlig „ins blaue Hinein“ zu einer angeblich den Prüfstand erkennenden und ihn umgehenden Abschalteinrichtung des sog. „Hard Cyle Beating“ vor, so dass diesbezüglich ein Anspruch nicht substantiiert dargetan ist und eine Beweisaufnahme hierzu nicht zu erfolgen hatte.
28
Im vorliegenden Fall konnte die Klagepartei weder substantiiert darstellen, dass im Motor seines Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden ist, noch dass seinem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung drohte oder droht.
29
Soweit die Klagepartei vorträgt, dass bei den Fahrzeugen abhängig von der Drehzahl, der Leistung/Beschleunigung, der Zeit, der Geschwindigkeit, des Erkennens von Nebenverbrauchern und der Lenkradstellung auf die Abgasrückführung Einfluss genommen werde, fehlt es an einem schlüssigen Vortrag. Die Klagepartei hat auch nicht schlüssig vorgetragen, dass eine unzulässige Koppelung des OBD-Systems mit der Abgasrückführung vorliegt. Im Übrigen ist das OBD-System als System, das lediglich die abgasbeeinflussenden Systeme überwacht, keine Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Ziff. 10 VO (EG) 715/2007.
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Die Klagepartei trägt zu einem verpflichtenden Rückruf oder zu einer Betroffenheit im Zusammenhang mit der Diesel-Abgasthematik nicht schlüssig vor. Durch die Klagepartei werden auch keine konkreten Umstände vorgebracht, die diese Einschätzung des KraftfahrtBundesamtes, die zu einer Zulassung geführt hat, erschüttern könnten.
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Nachdem auch über fünf Jahre nach Bekanntwerden von „Abgasmanipulationen“ kein Rückruf für das streitgegenständliche Fahrzeug der Klagepartei erfolgt ist, keine Ansatzpunkte dafür bestehen, dass diese in der Zukunft droht, bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr der Betriebsuntersagung bzw. Betriebsbeschränkung für das streitgegenständliche Fahrzeug der Klagepartei. Mithin fehlt bereits ein wesentlicher Umstand, durch den das sittenwidrige Verhalten begründet werden könnte.
32
Für den streitgegenständlichen Motor haben weder das Bundesministerium für Verkehr noch das Kraftfahrtbundesamt nach dem Vorbringen der Beklagten einen Rückruf angeordnet bzw. die Androhung als möglich in Aussicht gestellt. Die Klagepartei hat auch nicht behauptet, jedenfalls kein Beweis dafür angetreten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von einem Rückruf wegen Verwendung einer unzulässigen Umschaltsoftware betroffen sei. Die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass das Kraftfahrtbundesamt den streitgegenständlichen Motortyp bereits im Jahr 2016 untersucht habe und dabei feststelle, dass dort keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz. Nach dem Untersuchungsbericht von April 2016 hätten sich Hinweise, die Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 seien ebenfalls von Abgasmanipulationen betroffen (wie etwa die des Typs EA 189), als unbegründet erwiesen.
33
Wenn demnach das Bundesministerium für Verkehr und das Kraftfahrtbundesamt davon ausgehen, dass bei Motoren des Typs EA 288 eine unzulässige Abschaltung nicht festzustellen sei und nicht vorliege, so kann die gleichlautende Einschätzung durch die Beklagte zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrages auch aus heutiger Sicht nicht beanstandet werden (so auch OLG Bamberg Urteil vom 21.04.2021 Az.: 8 U 246/20).
34
Mithin besteht keine vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten.
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3. Der Klagepartei steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB zu.
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Es fehlt bereits an einer für einen solchen Anspruch erforderlichen Stoffgleichheit zwischen dem behaupteten Schaden des Klägers und einer möglichen Bereicherung der Beklagten. Der Kläger stützt seinen Anspruch letztlich darauf, ihm sei ein Schaden in Form der Eingehung einer ungewollten Kaufpreisverpflichtung entstanden. Bei der Beklagten, deren Bereicherung der mögliche Täter erstrebt haben könnte, ist eine solche jedoch allenfalls dadurch eingetreten, dass sie das Fahrzeug an den Erstkäufer ausgeliefert hat, nicht aber an den Kläger als Gebrauchtwagenkäufer (vgl. OLG Bamberg, Beschluss v. 23.01.2020, 1 U 308/19; OLG Stuttgart, Urteil v. 08.08.2019, 9 U 9/19; OLG Karlsruhe, Urteil v. 09.01.2020, 17 U 133/19).
37
Der Vortrag der Klagepartei zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines „Thermofensters“ reicht darüber hinaus auch in subjektiver Hinsicht nicht aus, einen solchen deliktischen Schadensersatzspruch zu begründen, denn unabhängig davon, ob es sich bei dem „Thermofenster“ in objektiver Hinsicht überhaupt um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der VO (EG) 715/2007 handelt (vgl. hierzu LG Stuttgart, VuR 2019, 148 mit abl. Anm. Wessel DAR 2019, 277; abl. auch OLG Stuttgart, ZVertriebsR 2019, 301 [306]), wäre das bloße Vorhandensein einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht geeignet, deliktische Ansprüche der Klägerin auszulösen. Denn es ist nichts zu den subjektiven Voraussetzungen der deliktischen Anspruchsgrundlage von Substanz vorgetragen (siehe OLG Köln, ZVertriebsR 2019, 370 [371]): So hätten über die schlichte Kenntnis von der Verwendung des „Thermofensters“ hinaus auch Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden müssen, dass dies bei der Beklagten zugleich mit dem Bewusstsein geschehen ist, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, und dass dieser Gesetzesverstoß zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Aus den vorgetragenen Umständen kann nicht geschlossen werden, dass ein solches Bewusstsein bei den Organen der Beklagten vorlag.
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Vielmehr ist angesichts der äußerst kontroversen Diskussionen über die Zulässigkeit des „Thermofensters“ eine Auslegung dahingehend, dass ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar, so dass auch unter diesem Aspekt ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln der Beklagten fern liegt.
39
4. Auch Ansprüche aus §§ 823 Abs. i.V.m. §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und Art. 5 Abs. 2 S. 1 lit. VO (EG) 715/2007 sind nicht gegeben.
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Ein solcher Anspruch scheidet schon deshalb aus, da es sich bei §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und Art. 5 Abs. 2 S. 1 lit. VO (EG) 715/2007 jedenfalls nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.
41
a. Voraussetzung für das Vorliegen eines Schutzgesetzes wäre, dass das jeweilige Gesetz dazu bestimmt ist, die Vermögensinteressen der Verbraucher zu schützen. Der Schutz anderer Individualinteressen wie z.B. die Gesundheit der Verbraucher genügt nicht. Vorliegend wird nicht etwa Schmerzensgeld wegen Gesundheitsbeeinträchtigungen geltend gemacht, sondern Schadensersatz in Form der Rückabwicklung eines Vertrags, also reine Vermögensinteressen. Der Individualschutz darf dabei kein bloßer Reflex der verletzten Verhaltensnorm sein, sondern muss bestimmungsgemäß eintreten, also im Aufgabenbereich der Norm liegen (MüKo-Wagner, BGB, 7. Aufl. 2017, BGB § 823 Rn. 498). Zudem müsste die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Sinne des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden muss, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktsrechtliche Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zu Gunsten des Geschädigten gegebenen Beweiserleichterungen zu knüpfen (BGH, Beschluss vom 9.4.2015, Az. VII ZR 36/14 mwN).
42
Hiervon kann bei der VO (EG) 715/2007 und auch aus der möglicherweise verletzten Norm selbst hinsichtlich der Vermögensinteressen der Verbraucher nicht ausgegangen werden.
43
Die VO (EG) 715/2007 hat nämlich vornehmlich die Harmonisierung der technischen Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen zum Ziel (Erwägungsgrund 1). Dadurch soll ein hohes Umweltschutzniveau sichergestellt werden, das auch über das Programm „Saubere Luft für Europa” (CAFE) angestrebt wird (Erwägungsgrund 4). Im Vordergrund stehen damit eindeutig verbraucherfremde Interessen. Einzig Erwägungsgrund 17 geht in einem Nebensatz auf Verbraucherinteressen ein. Dies jedoch nicht, um einen wirksamen Vermögensschutz sicherzustellen, sondern vielmehr um eine objektive und genaue Aufklärung des Verbrauchers - und damit auch eine Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften - sicherzustellen.
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Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus Art. 13 Abs. 2 lit. d VO (EG) 715/2007 betreffend das Verbot illegaler Abschalteinrichtungen. Hiernach legen die Mitgliedstaaten für Verstöße von Herstellern gegen die Vorschriften dieser Verordnung Sanktionen fest und treffen die zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Derartige Sanktionen sind aber im deutschen Recht regelmäßig dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht vorbehalten. Eine etwaige unzureichende Sanktionierung des Verhaltens durch den Gesetzgeber ist nicht durch die Justiz im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung zu korrigieren (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019, Az. 13 U 142/18, Rn. 122; vgl. zu alldem auch vgl. auch LG Schweinfurt, Urteil vom 17.01.2020, Az. 21 O 95/19).
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b. Gleiches gilt für die EG-FGV. Diese dient der Umsetzung der RL 2014/45/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die regelmäßige technische Überwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern und zur Aufhebung der RL 2009/40/EG (ABl. L 127 vom 29. 4. 2014, S. 51) in Teilen sowie der RL 2014/46/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Änderung der RL 1999/37/EG des Rates über Zulassungsdokumente für Fahrzeuge (ABl. L 127 vom 29. 4. 2014, S. 129).
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Die RL 2014/45/EU wiederum hat zum Ziel, die Zahl der Unfalltoten im Straßenverkehr in der Europäischen Union bis 2050 auf nahe Null zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, soll die Fahrzeugtechnik einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitsbilanz des Straßenverkehrs leisten. Nach Erwägungsgrund 7 spielt jedoch gleichermaßen der Umweltschutz eine Rolle. Aufgabe der Mitgliedstaaten soll es sein, geeignete Maßnahmen in Betracht ziehen, um unsachgemäßen Manipulationen oder Eingriffen an Fahrzeugteilen und Komponenten vorzubeugen, die die erforderlichen sicherheits- und umwelttechnischen Eigenschaften des Fahrzeugs beeinträchtigen könnten. Hieraus lässt sich allenfalls das Leben bzw. die Gesundheit des Verbrauchers als Schutzzweck ableiten, nicht jedoch seine Vermögensinteressen.
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Auch aus den möglicherweise verletzten Normen - §§ 6, 27 EG-FGV - selbst ergibt sich ein entsprechender Schutzzweck nicht. Wiederum sanktioniert das Gesetz in § 37 EG-FGV Verstöße gegen § 27 EG-FGV lediglich über das Ordnungsmittelrecht. Auch hier gilt, dass eine etwaige unzureichende Sanktionierung des Verhaltens durch den Gesetzgeber nicht durch die Justiz im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung zu korrigieren ist (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019, Az. 13 U 142/18, Rn. 122; vgl. auch LG Schweinfurt, Urteil vom 17.01.2020, Az. 21 O 95/19)).
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5. Mangels Hauptanspruch unterliegen auch die geltend gemachten Nebenforderungen der Klageabweisung.
49
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.