Titel:
Anordnung zur Auflösung eines Rotwildbestands – Anfechtungsklage
Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1, Art. 20a
TierschG § 2 Nr. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 8 lit. a, § 16a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3
Leitsätze:
1. Taugliche Rechtsgrundlage für eine isolierte, nicht als Annex zu einem generellen Haltungs- und Betreuungsverbot erlassene Auflösungsanordnung ist § 16a Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 TierschG iVm § 2 Nr. 1 TierschG. Sie kann nicht auf die Generalklausel des § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG gestützt werden, da mangels generellen Halte- und Betreuungsverbots kein mit dem Wohl der Tiere unvereinbarer betreuungsloser Zustand entstünde (vgl. VGH München BeckRS 2009, 40573; VG München BeckRS 2014, 53594). Sie unterfällt auch nicht § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TierSchG, da sie nicht den einer Fortnahme immanenten Gewahrsamswechsel an den Tieren durch Aufhebung des bisherigen Gewahrsams des Betroffenen und Begründung neuen (behördlichen) Gewahrsams zum Gegenstand hat. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 16a Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 TierSchG räumt der Behörde kein Entschließungs-, sondern ein Auswahlermessen ein. Sie muss bei Vorliegen der Voraussetzungen einschreiten und entscheidet (nur) nach Ermessen, welche von mehreren möglichen Maßnahmen sie zur Beseitigung oder Verhinderung künftiger Tierschutzverstöße trifft. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Den beamteten Tierärzten wird bei der Frage, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG erfüllt sind, vom Gesetz eine vorrangige Beurteilungskompetenz eingeräumt, sodass die von den veterinärmedizinischen Beurteilungen ausgehende Indizwirkung nicht durch bloße gegenteilige Darstellung des Betroffenen entkräftet werden kann (stRspr, vgl. VGH München BeckRS 2021, 18521 Rn. 10 mwN). Merkblättern der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. und Gutachten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft kommt dabei die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Da nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 lit. a TierSchG für das Halten von Gehegewild keine Erlaubnis erforderlich ist, liegt insoweit ein Erlaubnistatbestand nicht vor, der Anknüpfungspunkt für einen etwaigen Bestandsschutz sein könnte. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Auflösungsanordnung bezüglich eines Rotwildbestands, Rechtsgrundlage, isolierte Auflösungsanordnung, Generalklausel, generelles Haltungs- und Betreuungsverbot, Fortnahme, Gewahrsamsaufhebung, Auswahlermessen, beamtete Tierärzte, vorrangige Beurteilungskompetenz, antizipiertes Sachverständigengutachten, Erlaubnistatbestand, Bestandsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2022, 18672
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Landratsamt …, mit welchem ihm auferlegt wurde, seinen Bestand an Rotwild aufzulösen und bis dahin das Rotwild so zuzufüttern, dass den Tieren eine über den Tag verteilte kontinuierliche Futteraufnahme ermöglicht wird.
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Der Kläger ist Eigentümer eines Bestandes an Rotwild, welcher im Zeitpunkt des Bescheiderlasses elf Kühe, elf Kälber, einen Spießer sowie einen Hirsch umfasste. Das Rotwild ist in einem 1 ha großen Wildgehege auf den Flurstücken Nr. … und Nr. …, Gemarkung M. … untergebracht. Das Wildgehege besteht dort bereits seit rund 80 Jahren und wird seit circa 2004 vom Kläger nach seinen Angaben „hobbymäßig“ betrieben. Der Kläger bietet dort daneben Praxisseminare für Jagdschüler an und entnimmt im Herbst die Jungtiere zum Fleischverkauf. Der Kläger beabsichtigt zudem, eine Jagdschule zu gründen. Der Kläger verfügt über eine auf das Gelände des Wildgeheges begrenzte Schießerlaubnis zum Abschuss von Rotwild, welche ihm mit Bescheid des Landratsamts … vom 18. Oktober 2007 erteilt wurde.
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Durch anonyme Hinweise wurde das Veterinäramt … im Juni 2021 darauf aufmerksam gemacht, dass den Tieren nicht ausreichend Futter zur Verfügung stehe. Bei einem Ortstermin am 23. Juni 2021 stellte das Veterinäramt fest, dass das Gehege in der Mitte geteilt war, sodass das Rotwild nur über 0,5 ha Fläche verfügte. In dem von den Tieren bewohnten Teil des Geheges war zudem nach den Feststellungen des Veterinäramtes keinerlei natürlicher Aufwuchs mehr vorhanden, am Futterplatz waren nur noch vereinzelt Heureste vorzufinden. Als sich die Mitarbeiter dem Gehege näherten, riefen die Tiere laut und begannen das mitgebrachte Futter gierig zu fressen.
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Das Veterinäramt … setzte den Kläger daraufhin am 2. Juli 2021 über die beim Ortstermin vom 23. Juni 2021 getroffenen Feststellungen telefonisch in Kenntnis und teilte ihm mit, dass das Gehege für die Anzahl der Tiere zu klein sei. Zudem erfolgte gegenüber dem Kläger die mündliche Anordnung der unverzüglichen Beseitigung der Abtrennung des Wildgeheges. Am 14. Juli 2021 bestand die Abtrennung des Geheges immer noch fort. Zudem wurde erneut ein reduzierter Ernährungszustand des Rotwildes festgestellt. Am 15. Juli 2021 hob der Kläger die Abtrennung des Geheges auf, sodass die Tiere wieder über 1 ha Fläche verfügten.
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Mit Schreiben vom 16. Juli 2021 hörte das Landratsamt … den Kläger zur beabsichtigten Anordnung tierschutzrechtlicher Maßnahmen an. Der Kläger gab daraufhin am 23. August 2021 durch seinen Bevollmächtigten eine schriftliche Stellungnahme ab. Hierin wurde geltend gemacht, dass der Kläger die beanstandeten Zustände beseitigt habe. Bezüglich der Gehegegröße greife Bestandsschutz.
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Bei den darauffolgenden Ortsbesichtigungen am 25. August 2021 und 2. September 2021 stellte das Veterinäramt … erneut fest, dass das Gehege vollständig abgeweidet und zu Brachland verkommen war. Zudem waren die vorhandenen Heuraufen erneut leer und die Tiere zeigten wieder auffälliges Verhalten durch lautes Rufen.
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Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 3. September 2021, zugestellt am 7. September 2021, ordnete das Landratsamt … dem Kläger gegenüber daher die Auflösung des im Wildgehege gehaltenen Rotwildbestandes bis zum 1. Februar 2022 an (Ziff. 1 des Bescheids). Ferner wurde dem Kläger auferlegt, die Tiere, sofern kein Aufwuchs vorhanden sei, bis zur Auflösung des Bestandes so zuzufüttern, dass eine kontinuierliche Futteraufnahme über den gesamten Tag hinweg gewährleistet ist (Ziff. 2 des Bescheids). Schließlich ordnete das Landratsamt … die sofortige Vollziehung der Auflösungs- und Zufütterungsanordnung an (Ziff. 3 des Bescheids) und drohte dem Kläger für den Fall eines Verstoßes gegen die Auflösungsanordnung ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR je weiterhin gehaltenem Tier sowie für den Fall eines Verstoßes gegen die Zufütterungsanordnung ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR je festgestelltem Verstoß an (Ziff. 4 des Bescheids).
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Rotwildhaltung des Klägers nicht den tierschutzrechtlichen Anforderungen des § 2 Nr. 1 TierSchG genüge. Insbesondere sei das eine Fläche von 1 ha umfassende Wildgehege für die artgerechte Haltung von Rotwild zu klein, da sowohl nach Ziff. 3. 1 i.V.m. Anlage 1 GehegewildR als auch nach einschlägigen veterinärmedizinischen Fachtexten eine Mindestfläche von 2 ha für die art- und tiergerechte Unterbringung erforderlich sei und nur so der Nahrungsbedarf durch den natürlichen Futteraufwuchs gedeckt und den Tieren die artgemäße kontinuierliche Futteraufnahme über den Tag hinweg ermöglicht werden könne. Da das Wildgehege des Klägers nur eine Fläche von 1 ha umfasse, könne das Gehege zudem zur Sicherung des Futteraufwuchses nicht während der Vegetationszeit unterteilt werden, da Ziff. 3.1. i.V.m. Anlage 1 GehegewildR eine Mindestfläche je Unterteilung von 1 ha, das TVT-Merkblatt Nr. 140 sogar eine Mindestfläche von 2 ha je Unterteilung vorsehe. Es werde daher gemäß § 16 Buchst. a Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 TierschG i.V.m. § 2 Nr. 1 TierschG nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens die Auflösung seines in dem streitgegenständlichen Wildgehege gehaltenen Rotwildbestandes angeordnet, um den Tieren weiteres Leid zu ersparen. Ferner werde zur Sicherstellung der artgemäßen kontinuierlichen Futteraufnahme eine entsprechende Zufütterung bis zur Auflösung des Bestandes angeordnet.
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Die Anordnung sei auch verhältnismäßig, da sie der Erfüllung bzw. Wiederherstellung tierschutzrechtlicher Vorgaben diene, um Leid und Schmerzen der Tiere zu verhindern. Im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung kämen keine milderen Maßnahmen in Betracht. Insbesondere seien die Anordnungen auch angemessen, da der Eingriff in die Eigentumsfreiheit des Klägers (Art. 14 I GG) hinter dem öffentlichen Interesse am Schutz der Tiere vor Leiden und Schäden und der Einhaltung geltender Tierschutzbestimmungen zurücktreten müsse.
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Ergänzend wird auf den Inhalt des Bescheids vom 3. September 2021 verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 27. September 2021, bei Gericht am gleichen Tage eingegangen, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,
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den Bescheid des Beklagten vom 3. September 2021 aufzuheben.
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Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2022 begründete der Bevollmächtigte die Klage insbesondere damit, dass der Kläger die beanstandete Abtrennung bereits entfernt und den Tieren eine kontinuierliche Futteraufnahme durch regelmäßiges und ausreichendes Zufüttern ermöglicht werde. Der Kläger benötige das Wildgehege dringend zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz, da er bereits jetzt Kurse für Jagdschüler gebe und im Laufe des Jahres 2022 beabsichtige, eine Jagdschule zu gründen. Einen Ausweichstandort habe der Kläger nicht. Darüber hinaus sei das Wildgehege ein beliebtes Ausflugsziel in der Region. Die Auflösung des Wildbestandes sei daher völlig unverhältnismäßig. Hinsichtlich der Größe des Wildgeheges greife zudem Bestandsschutz zugunsten des Klägers, da das Gehege bereits seit ca. 80 Jahren bestehe und vom Kläger seit mehr als 15 Jahren betreut werde.
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Mit Schreiben vom 14. Januar 2022 beantragte der Beklagte,
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Bei einem erneuten Ortstermin am 3. Januar 2022 seien wieder nur leere Heuraufen vorgefunden worden. Zudem sei das Gehege auch deshalb zu klein, da unabhängig von der erforderlichen Mindestfläche von 2 ha jedes adulte Tier gemäß Ziff. 3.1. i.V.m. Anlage 1 GehegewildR zusätzlich einen Platzbedarf von 0,2 ha benötige. Zudem deute der in den verschiedenen Ortsbesichtigungen lichtbildlich dokumentierte und durch heraustehende Rippen und teilweise deutlich hervorstehende Rückgrate ersichtlich schlechte Ernährungszustand der Tiere darauf hin, dass es den Tieren infolge unzureichender Fütterung oder Erkrankung bzw. Befall mit Parasiten in dauerhafter Weise an Nährstoffen mangele.
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Am 19. Januar 2022 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden, in der zwecks einvernehmlicher Suche nach Lösungen das Ruhen des Verfahrens bis zum 30. April 2022 angeordnet wurde. Eine Einigung über den weiteren Verbleib des Rotwildes kam innerhalb dieser Frist nicht zustande.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann mit Zustimmung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2022 der Berichterstatter entscheiden, § 87a Abs. 2 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
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Das Ruhen des Verfahrens hat am 30. April 2022 geendet; der Rechtsstreit ist mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne weitere mündliche Verhandlung zu entscheiden, nachdem keine Einigung der Parteien im Ruhenszeitraum zustande gekommen ist.
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 3. September 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die formell rechtmäßig ergangene Anordnung der Auflösung des Rotwildbestandes in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids erweist sich auch als materiell rechtmäßig, da sie auf einer tauglichen Rechtsgrundlage beruht, deren Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen und das durch die Vorschrift eingeräumte Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt wurde.
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1.1 Taugliche Rechtsgrundlage der Auflösungsanordnung ist § 16 Buchst. a Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 i.V.m. § 2 Nr. 1 Tierschutzgesetz (TierschG).
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Da in dem streitgegenständlichen Bescheid kein generelles Haltungs- und Betreuungsverbot nach § 16 Buchst. a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG enthalten ist, ist die Auflösungsanordnung kein Annex zu einem solchen, sondern eine isolierte Auflösungsverfügung. Diese kann nicht auf die Generalklausel des § 16 Buchst. a Abs. 1 Satz 1 TierSchG gestützt werden, da hier mangels generellen Halte- und Betreuungsverbots kein mit dem Wohl der Tiere unvereinbarer betreuungsloser Zustand entstünde (vgl. BayVGH, B. v. 7.11.2006 - 25 CS 06.2619 = BeckRS 2009, 40573; VG München U. v. 30.4.2014 - M 18 K 13.704 = BeckRS 2014, 53594).
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Es liegt auch kein Fall der Fortnahme nach § 16 Buchst. a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG vor, da die Auflösungsverfügung nicht den einer Fortnahme immanenten Gewahrsamswechsel an den Tieren durch Aufhebung des bisherigen Gewahrsams des Betroffenen und Begründung neuen (behördlichen) Gewahrsams (Metzger, in: Erbs/Kohlhaas/Metzger, TierSchG, 238. EL Sept. 2021, § 16a TierSchG, Rn. 18) zum Gegenstand hat. Vielmehr wird dem Kläger gerade nicht auferlegt, die Begründung behördlichen Gewahrsams am Rotwild zu dulden, sondern die Tiere eigenverantwortlich aus dem konkreten Wildgehege auf den Flurstücken Fl.Nr. … und …, Gemarkung M* … …, fortzuschaffen. Hierbei steht es dem Kläger frei, die Tiere zu veräußern, anderweitig zu verwerten oder sie auch nur anderweitig unterzubringen, indem er sie in ein anderes Wildgehege verbringt. Die getroffene Anordnung der Auflösung des Wildbestandes ist damit ortsbezogen und beschränkt sich auf die Veränderung der örtlichen Haltungsmodalitäten zur Erfüllung der tierschutzrechtlichen Haltungsanforderungen des § 2 Nr. 1 TierSchG und kann daher (nur), wie geschehen, auf § 16 Buchst. a Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 TierSchG i.V.m. § 2 Nr. 1 TierSchG gestützt werden.
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1.2 Die tatbestandlichen Voraussetzungen der sonach zurecht herangezogenen Rechtsgrundlage für die Anordnung der Auflösung des Wildbestandes liegen vor.
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Nach § 16 Buchst. a Abs. 1 Satz 1 TierSchG trifft die Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie kann nach § 16 Buchst a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG gegenüber dem Halter eines Tieres insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der tierschutzrechtlichen Haltungsanforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen.
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Nach § 2 TierschG muss, wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen (Nr. 1) und darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden (Nr. 2).
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Dabei räumt § 16 Buchst a Satz 1 und 2 Nr. 1 TierSchG der Behörde kein Entschließungs-, sondern ein Auswahlermessen ein (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Auflage 2016, § 16a Rn. 5). Die Behörde muss bei Vorliegen der Voraussetzungen einschreiten und entscheidet (nur) nach Ermessen, welche von mehreren möglichen Maßnahmen sie zur Beseitigung oder Verhinderung künftiger Tierschutzverstöße trifft.
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Eine Anordnung zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 Nr. 1 TierSchG ergeht, wenn in einer Tierhaltung eines derjenigen Verhaltensbedürfnisse, die sich den Oberbegriffen „Ernährung“, „Pflege“ oder „verhaltensgerechte Unterbringung“ zuordnen lassen, unangemessen zurückgedrängt wird (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Auflage 2016, § 16a Rn. 13 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
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Die Haltung der Tiere im streitgegenständlichen Gehege verstößt zumindest gegen § 2 Nr. 1 TierSchG. Das Rotwild wird auf einer für seine Art und Bedürfnisse nur unzureichend großen Fläche von 1 ha gehalten, auf der nicht sichergestellt ist, dass die Möglichkeit der artgerechten kontinuierlichen Futteraufnahme durch natürlichen Futteraufwuchs besteht.
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1.2.1 Das Landratsamt stützt sich bei dieser Annahme zurecht auf die fachliche Beurteilung des Veterinäramtes, denen ausführlich dokumentierte und überwiegend auch bildlich festgehaltene Feststellungen aufgrund zahlreicher Ortsbesichtigungen zugrunde liegen. Den beamteten Tierärzten wird bei der Frage, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG erfüllt sind, vom Gesetz eine vorrangige Beurteilungskompetenz eingeräumt, sodass die von den veterinärmedizinischen Beurteilungen ausgehende Indizwirkung nicht durch bloße gegenteilige Darstellung des Klägers entkräftet werden kann (st. Rspr., vgl. BayVGH, B. v. 30.06.2021 - 23 CS 21.1133 = BeckRS 2021, 18521). Die fachliche Beurteilung des Veterinäramtes wird insbesondere auch durch die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die Richtlinien für die Haltung von Dam-, Rot-, Sikasowie Muffelwild (GehegewildR) vom 10. Januar 2014 (AllMBl. S. 130) sowie andere veterinärmedizinische Texte wie das Merkblatt Nr. 140 zur artgemäßen Haltung von Gehegewild der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. (Merkblatt Nr. 140 TVT) und das Gutachten über die Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (sog. „Säugetiergutachten“) getragen. Dem TVT-Merkblatt und dem Säugetiergutachten kommt dabei die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu (VG Würzburg, U. v. 21.07.2016 - W 5 K 14.1123 = BeckRS 2016, 53723 m.w.N.)
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Nach den demnach einschlägigen Fachtexten muss etwa nach Anlage 1 zu Nr. 3 1 der Gehegewildrichtlinie, der u.a. die tierschutzrechtlichen Anforderungen an die artgemäße und verhaltensgerechte Haltung, Pflege, Ernährung und Sicherung von Gehegewild konkretisiert, die Mindestgröße eines Geheges, in dem gewerbsmäßig Gehegewild gehalten wird, bei Rotwild 2 ha betragen. Für jedes erwachsene Tier mit Nachzucht muss eine Mindestfläche von 2.000 m² bei Rotwild zur Verfügung stehen. Nach Merkblatt Nr. 140 TVT, S. 9 beträgt die Mindestgröße der Gehege für Rotwild 3.000 Quadratmeter pro Tier, wobei sich die Besatzstärke nach der Ertragsfähigkeit der Fläche richtet. Nach Ziffer 4, S. 11, ist das Grundprinzip der landwirtschaftlichen Haltung von Gehegewild, dass dieses sich von der Vegetation auf der Gehegefläche ernährt. Das Säugetiergutachten geht übereinstimmend hiermit von einem Platzanspruch von 3.000 Quadratmeter pro erwachsenem Tier bei einer Mindestfläche von 2 ha aus.
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Das Wildgehege des Klägers ist mit einer Fläche von 1 ha nur halb so groß wie die nach der Beurteilung des Veterinäramts unter Bezugnahme auf die antizipierten Sachverständigengutachten im Mindestmaß für die Haltung von Rotwild mindestens erforderliche Fläche von 2 ha. Hinzu kommt, dass sich mit jedem vorhandenen adulten Tier die für eine art- und verhaltensgerechte Unterbringung erforderliche Fläche vergrößert. Nach der von den antizipierten Sachverständigengutachten getragenen fachlichen Beurteilung des Veterinäramts … beträgt der Platzbedarf je adultem Tier 0,2 ha. Die zur art- und verhaltensgerechten Unterbringung des Rotwildbestandes nach den veterinärmedizinischen Fachbeurteilungen erforderliche Gehegefläche beträgt daher unter Berücksichtigung eines Bestandes von zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses 13 adulten Tieren (mindestens) 2,6 ha.
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Vor diesem Hintergrund sind die wiederholt vom Veterinäramt des Beklagten getroffenen Feststellungen nachvollziehbar, dass das Gehege vollständig abgeweidet und zu Brachland verkommen war, so dass der Nahrungsbedarf der Herde des Klägers im streitgegenständlichen Gehege nicht durch den natürlichen Futteraufwuchs gedeckt werden konnte noch in Zukunft gedeckt werden kann und den Tieren keine artgemäße kontinuierliche Futteraufnahme über den Tag hinweg ermöglicht ist.
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1.2.2 Eine andere Bewertung hinsichtlich der tierschutzrechtlich unzureichenden Größe des Wildgeheges ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des vom Kläger geltend gemachten Bestandsschutzes. Ungeachtet der Frage, wann ein Bestandsschutz gegenüber modernen tierschutzrechtlichen Standards überhaupt greifen kann, kann sich der Kläger hier schon deshalb nicht auf Bestandsschutz berufen, da er bereits über keine einen möglichen Bestandsschutz begründende Erlaubnis verfügt. Denn nach den Regelungen des Tierschutzgesetzes ist für das Halten von Gehegewild keine Erlaubnis erforderlich, § 11 Abs. 1 Nr. 8 lit. a) TierSchG. Ein Erlaubnistatbestand, der Anknüpfungspunkt für einen etwaigen Bestandsschutz sein könnte, liegt demnach nicht vor (OVG Lüneburg, U. v. 18.12.2007 - 11 LC 139/06 = BeckRS 2008, 31334).
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Ziffer 2 der GehegewildR, der besagt, dass, wenn bereits nach früheren Vorschriften die Genehmigung zur Errichtung, zur Erweiterung oder zum Betrieb des Tiergeheges und/oder auch die Erlaubnis zum gewerbsmäßigen Halten von Tieren in Wildgehegen erteilt ist, diese weiterhin gelten, ist bereits seinem Wortlaut nach nicht einschlägig, da auch hier eine formelle Genehmigung oder Erlaubnis vorausgesetzt wird, die hier nicht vorliegt.
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Schließlich liegt in der mit Bescheid des Landratsamts … vom 18. Oktober 2007 erteilten Schießerlaubnis zum Abschuss von Damwild in dem Gehege weder eine ausdrückliche noch eine stillschweigende Erlaubnis der Rotwildhaltung in dem streitgegenständlichen Wildgehege. Vielmehr sind die tierschutzrechtlichen Bestimmungen des § 2 TierSchG zur Haltung von Rotwild in Wildgehegen weder vom Prüfprogramm noch vom Regelungsgegenstand der waffenrechtlichen Schießerlaubnis umfasst.
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1.3 Auch die Ermessensentscheidung des Landratsamts … ist nicht zu beanstanden, § 114 S. 1 VwGO.
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Das Landratsamt … hat das nach § 16 Buchst. a Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 TierSchG eingeräumte Auswahlermessen zweckentsprechend betätigt und die Grenzen zulässiger Ermessensausübung nicht überschritten. Ferner genügt die Anordnung der Auflösung des Rotwildbestands dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Anordnung dient einem legitimen Zweck und ist als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen. Zweck der Anordnung ist der auch in Art. 20 Buchst. a GG als Staatsziel festgelegte Schutz des vom Kläger gehaltenen Rotwildes vor tierschutzwidrigen Haltungsbedingungen, denen sie im streitgegenständlichen Gehege ausgesetzt sind. Die Bestandsauflösung ist auch geeignet, die tierschutzrechtlichen Missstände zu beheben. Insoweit lässt auch der Einwand des Klägers, dass die Anordnung möglicherweise zur Tötung der Tiere führe, außer Acht, dass der Bescheid dem Kläger die Verbringung der Tiere in ein anderes Wildgehege freistellt. Die Anordnung ist auch erforderlich, da keine gleich geeigneten milderen Mittel zur Beseitigung der tierschutzrechtlichen Missstände bestehen. Insbesondere kommt eine bloße Reduzierung des Rotwildbestandes nicht in Betracht, da das Wildgehege selbst die nach veterinärfachlicher Vorgabe (s.o.) für die Haltung einer Mindestanzahl von Tieren erforderliche Gehegefläche von 2 ha nicht erreicht. Die Bestandsauflösung ist zuletzt auch angemessen, da das betroffene Eigentumsgrundrecht des Klägers aus Art. 14 Abs. 1 GG hinter den gewichtigen und in Art. 20 Buchst. a grundgesetzlich verankerten Schutz des Tierwohles zurücktreten muss. Hier fällt ins Gewicht, dass dem Kläger im Übrigen freigestellt ist, zur Erfüllung der Anordnung über das Rotwild so zu verfügen, wie es ihm als Eigentümer beliebt. Insoweit erweist sich auch die gesetzte fünf Monate umfassende Frist zur Bestandsauflösung als angemessen und sachgerecht, weil sie dem Kläger ausreichende Möglichkeit bietet, seine Verfügungsmöglichkeiten zu bedenken und umzusetzen.
41
2. Die Zufütterungsanordnung (Ziff. 2) ist ebenso materiell rechtmäßig. Diese kann ebenfalls auf § 16 Buchst. a Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 TierSchG gestützt werden. Sie ist trotz des einschränkenden Bedingungssatzes „sofern im bisherigen Gehege kein Aufwuchs mehr vorhanden ist“ ausreichend bestimmt, da der Kläger ausreichend sicher erkennen kann, wann die Zufütterungspflicht greift. Zu der Anordnung bestand nach den nicht substantiiert bestrittenen Feststellungen des Veterinäramtes anlässlich verschiedener Ortstermine, dass die Heuraufen leer waren, die Tiere teils abgemagert waren und das angebotene Futter gierig fraßen, Anlass. Dabei folgt das Erfordernis der angeordneten Zufütterung zur Erfüllung der art- und bedarfsgerechten Ernährung nach § 2 Nr.1 TierSchG aus dem Umstand, dass das Wildgehege aufgrund seiner geringen Größe nach den veterinärmedizinischen Fachbeurteilungen nicht geeignet ist, die artgerechte kontinuierliche Futteraufnahme über den Tag hinweg durch den natürlichen Futteraufwuchs zu gewährleisten und sich die Tiere deshalb in einem dauerhaft schlechten Ernährungszustand befanden. Insoweit erweist sich auch diese im Übrigen selbstverständliche und vom Kläger im Übrigen auch nicht tiefergehend bekämpfte Anordnung, von der er behauptet, er halte sie selbstverständlich ein, angesichts der Belange des Tierwohls als verhältnismäßig.
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3. Gegen den Bescheid im Übrigen sind weder rechtliche Bedenken ersichtlich noch sind solche vorgebracht.
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Die Klage war daher abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.