Inhalt

VG München, Urteil v. 03.03.2022 – M 22 K 20.554
Titel:

Leinen- und Maulkorbzwang nach Beißvorfall

Normenkette:
LStVG Art. 8, Art. 9 Abs. 2 S. 1, Art. 18 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine nach Art. 18 Abs. 2 iVm Abs. 1 S. 1 LStVG ergehende sicherheitsrechtliche Anordnung zur Hundehaltung darf nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt, d.h. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden kann, dass es in absehbarer Zeit zum Schaden eines der genannten Rechtsgüter kommt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Aufklärung des Sachverhalts darf die Sicherheitsbehörde grundsätzlich von der Richtigkeit von Zeugenaussagen ausgehen, insbesondere dann, wenn die Aussage den Vorfall detailliert und nachvollziehbar schildert und wenn mehrere Aussagen verschiedener Zeugen übereinstimmen. (Rn. 20 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG erfüllt und steht damit das Vorliegen einer konkreten Gefahr fest, liegt der Erlass einer Einzelfallanordnung zur Hundehaltung grds. im Ermessen der Sicherheitsbehörde. (Rn. 27 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Halterfrage ist maßgeblich darauf abzustellen, wer die tatsächliche Verfügungs- und Bestimmungsmacht über das Tier ausübt. Eigentum und Eigenbesitz sind für die Bejahung der Haltereigenschaft nicht Voraussetzung. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sicherheitsrechtliche Anordnung zur Hundehaltung (Schäferhund), Leinenzwang innerhalb bebauter Ortsteile nach Beißvorfall, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage (bejaht), Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage (hier: bejaht), Einzelfallanordnung, Hundehalter, Ermessensentscheidung, Zustandsstörer
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.08.2022 – 10 ZB 22.1265
Fundstelle:
BeckRS 2022, 18667

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es für erledigt erklärt wurde. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist die Halterin eines nach Aktenlage am ... gewölften, schwarzen Schäferhundes. Mit ihrer Klage begehrt sie die Aufhebung eines Bescheids vom ..., mit dem die Beklagte sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Hundehaltung (Leinenzwang innerhalb bebauter Ortsteile mit Regelungen zum Freiauslauf) verfügte.
2
Dem Bescheid zugrunde liegt ein von der Klägerin bestrittener Beißvorfall, der sich am ..., gegen … Uhr, im … im Gemeindegebiet der Beklagten zugetragen haben soll. Dabei soll ein schwarzhaariger Schäferhund einen Passanten unvermittelt in den Oberschenkel gebissen haben. Im Zeitpunkt des Bisses soll der Hund an einer langen, um den Bauch seiner Führerin gewickelten Leine geführt worden sein. Der geschädigte Passant sprach am ... bei der Beklagten vor und gab an, dass er den Namen der Hundeführerin nicht kenne; er wisse nur, dass sie die Inhaberin eines Fitnessstudios sei. Am ... reichte dieser ein ärztliches Attest vom ... sowie die Kontaktdaten der Klägerin als der vermeintlichen Führerin des in Frage stehenden Schäferhundes nach.
3
Mit Schreiben der Beklagten vom ... wurde die Klägerin zum vermeintlichen Beißvorfall angehört. Im Rahmen ihrer daraufhin erfolgten Stellungnahme vom ... gab die Klägerin an, dass ihr Schäferhund zu keinem Zeitpunkt an einem Menschen hochgesprungen sei und zugebissen habe. Ein solcher Vorfall habe sich ohne ihr Wissen nicht zutragen können. Ihr Hund sei - unter anderem wegen einer Beinfehlstellung - grundsätzlich an der Leine. Zudem könne die Klägerin nicht bestätigen, sich zum angegebenen Zeitpunkt am Vorfallort aufgehalten zu haben.
4
Um eine mögliche Verwechslung auszuräumen, veranlasste die Beklagte am ... in den Räumlichkeiten des Rathauses ein „gemeinsames Gespräch“ zwischen der Klägerin und dem Geschädigten. Ausweislich des entsprechenden Vermerks der Beklagten vom ... habe der Geschädigte in diesem Rahmen eindeutig erklärt, dass es sich bei der Klägerin um die Halterin des Hundes handele, der ihn am ... gebissen habe. Die Klägerin habe einen Beißvorfall unter Beteiligung ihres Schäferhundes jedoch weiterhin bestritten. Sie habe erklärt, sie führe ihren Hund im Ortgebiet an einer auf 50 Zentimetern verkürzten Leine und bei Begegnungen mit anderen Hundehaltern an einer 1 Meter langen Leine. Auf freien Flächen sei die Leine 8 Meter lang. Die Leine wickele sie sich um den Bauch. Im Ortsgebiet trage der Hund zusätzlich einen Maulkorb, der nur auf freien Flächen abgenommen werde. Daher könne sich nach Ansicht der Klägerin mit ihrem Hund kein Beißvorfall ereignet haben. Nachdem sich die Klägerin „ohne Eingeständnis einer Schuld“ beim Geschädigten entschuldigt habe, habe dieser erklärt, an der weiteren Verfolgung des Vorfalls nicht mehr interessiert zu sein.
5
Mit Schreiben vom ... teilte die Beklagte der Klägerin mit, aufgrund des Beißvorfalls vom ... werde der Erlass von sicherheitsrechtlichen Anordnungen zur Hundehaltung (Leinen- und Maulkorbzwang) in Betracht gezogen, es sei denn, die Klägerin könne mittels eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen nachweisen, dass ihr Hund weder gesteigert aggressiv noch gefährlich ist.
6
Ausweislich einer Telefonnotiz der Beklagten vom ... lehnte die Klägerin die Erstellung eines Gutachtens ab. Sie sei nicht bereit, die dabei anfallenden Kosten zu tragen.
7
Mit sofort vollziehbarem und zwangsgeldbewehrtem Bescheid vom ... ordnete die Beklagte gegenüber der Klägerin an, den Schäferhund in bebauten Gebieten einschließlich Park- und Sportanlagen an einer maximal 1,5 Meter langen Leine auszuführen oder entsprechend ausführen zu lassen.
8
In den Bescheidsgründen wird unter anderem ausgeführt, dass beim gemeinsamen Treffen am ... der Geschädigte die Klägerin als die Halterin des in Frage stehenden Schäferhundes wiedererkannt und ein entsprechendes ärztliches Attest vorgelegt habe. Damit gebe es für die Beklagte hinreichende Anhaltspunkte, dass sich der Beißvorfall so wie vom Geschädigten geschildert vorgetragen habe. Aufgrund des Vorfalls sei von einer konkreten Gefahr für Leib und Leben auszugehen, die den Erlass von Anordnungen zur Hundehaltung rechtfertige.
9
Dagegen ließ die Klägerin mit Schriftsatz vom ..., bei Gericht eingegangen am selben Tag, durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben.
10
Dabei bestritt die Klägerin erneut den bescheidsgegenständlichen Beißvorfall und erklärte, der Geschädigte habe bei der Gegenüberstellung Zweifel hinsichtlich der Tatsache geäußert, dass ihn der Hund der Klägerin gebissen habe. Weitere Zeugen könne die Beklagte nicht benennen. Die Durchführung eines Wesenstests auf eigene Kosten habe die Klägerin abgelehnt, weil die Beklagte den entsprechenden Beweis führen müsse. Ferner sei die Klägerin nicht die Halterin des Schäferhundes, weil ihr Ehemann der Hundesteuerschuldner sei. Schließlich sei der angeordnete Leinenzwang unverhältnismäßig, da der Hund der Klägerin immer an der Leine geführt werde; eines strafbewehrten Leinenzwangs bedürfe es daher nicht. Zudem wäre die Anordnung der Durchführung eines Wesenstests ein milderes Mittel.
11
Die Beklagte erwiderte, aufgrund des Vorfalls sei eine von dem Hund ausgehende konkrete Gefahr anzunehmen. An der Aussage des Geschädigten bestünden keine Zweifel. Er habe zwar durch das Verhalten der Klägerin eingeschüchtert gewirkt, die Klägerin bei der Gegenüberstellung allerdings eindeutig wiedererkannt und einen Verletzungsnachweis vorgelegt. Auch hätten die Klägerin und der Geschädigte die Art und Weise, wie die Klägerin ihren Schäferhund führt, übereinstimmend geschildert.
12
In der mündlichen Verhandlung vom ... wurde die Klägerin informatorisch angehört. Der Geschädigte wurde als Zeuge vernommen. Hinsichtlich der Einlassungen wird auf die Niederschrift verwiesen. Nachdem die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid zum Teil (hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung und der Zwangsgeldandrohung) aufgehoben hat, erklärte die Klägerin das Verfahren insoweit für erledigt. Sie beantragt nunmehr,
den Bescheid der Beklagten vom ..., soweit noch bestehend, aufzuheben.
13
Die Beklagte stimmte der teilweisen Erledigungserklärung zu und beantragt im Übrigen,
die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Soweit der Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung (hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nummer 2 und der Zwangsgeldandrohung in Nummer 4 Satz 2 bis 4 des angefochtenen Bescheids) übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
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Im Übrigen bleibt die Klage ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten erweist sich insoweit als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Es bestehen keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Insbesondere hat die Beklagte vorliegend als zuständige Sicherheitsbehörde gehandelt (Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz - LStVG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz - BayVwVfG) und die Klägerin mit Schreiben vom ... ordnungsgemäß angehört.
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2. Auch in materieller Hinsicht erweist sich die Anordnung in Nummer 1 des Bescheids der Beklagten als rechtmäßig. Gegen den für den Schäferhund der Klägerin angeordneten Leinenzwang innerhalb bebauter Ortsteile bestehen keine rechtlichen Bedenken.
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2.1. Die Rechtsgrundlage für sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Hundehaltung ergibt sich aus Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG. Nach dieser Vorschrift können Gemeinden zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder der öffentlichen Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt, d.h. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden kann, dass es in absehbarer Zeit zu einem Schaden - einer Verletzung der geschützten Rechtsgüter - kommt. Hierbei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der zu erwartende Schaden ist (stRspr, vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2011 - 10 B 10.2806 - juris Rn. 18 m.w.N.; U.v. 6.4.2016 - 10 B 14.1054 - juris Rn. 19). Eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn es in der Vergangenheit bereits zu einem Beißvorfall gekommen ist (BayVGH, B.v. 28.9.2012 - 10 CS 12.1791 - juris Rn. 24; B.v. 25.8.2014 - 10 ZB 12.2673 - juris Rn. 8). Für die Bejahung einer konkreten Gefahr kommt es nach ständiger Rechtsprechung auch nicht darauf an, ob von dem Hund eine gesteigerte Aggressivität gegen Menschen oder andere Hunde ausgeht oder ob es sich um ein hundetypisches Verhalten handelt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 20.1.2011 - 10 B 09.2966 - juris 21 m.w.N.).
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Bei der Aufklärung des Sachverhalts darf die Sicherheitsbehörde grundsätzlich von der Richtigkeit von Zeugenaussagen ausgehen, insbesondere dann, wenn die Aussage den Vorfall detailliert und nachvollziehbar schildert und wenn mehrere Aussagen verschiedener Zeugen übereinstimmen. Sie darf auch polizeiliche Erkenntnisse heranziehen, ist allerdings an die im Ermittlungsverfahren getroffene Beurteilung nicht gebunden (Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand 1.5.2018, Art. 18 Rn. 35, 39). Insbesondere schließt die Beendigung eines Strafverfahrens durch staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung Maßnahmen zur präventiven Gefahrenabwehr nicht aus (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2013 - 10 C 13.62 - juris Rn. 4; B.v. 24.2.2015 - 10 C 14.1180 - juris Rn. 19), jedenfalls dann nicht, wenn ein Restverdacht fortbesteht (VGH Hessen, U.v. 23.4.2002 - 10 UE 4135/98 - juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 16.11.2018 - 10 C 18.2094 - juris Rn. 11).
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2.2. Nach diesen Maßstäben ist zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom Vorliegen einer vom Hund der Klägerin ausgehenden konkreten Gefahr für die Gesundheit von Menschen auszugehen.
22
a) Die gerichtlich voll überprüfbare Gefahrenprognose der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Es entspricht auch der gerichtlichen Überzeugung, dass sich am ... ein Beißvorfall unter Beteiligung des Schäferhundes der Klägerin in der vom Geschädigten geschilderten Weise zugetragen hat.
23
Der Vorfall steht aufgrund der Einlassungen des Geschädigten (vor der Beklagten und in der mündlichen Verhandlung) und des auf den ... datierten ärztlichen Attests zur Überzeugung des Gerichts fest. Zweifel an der Vorfallschilderung des Geschädigten ergeben sich für das Gericht nicht. Er sprach am ... und damit am Tag unmittelbar nach dem Beißvorfall bei der Beklagten vor. Seine Angaben waren detailreich und trafen auf die Klägerin und ihre Art, ihren schwarzen Schäferhund zu führen (auf Freiflächen an einer langen, um den Bauch umgewickelten Leine) zu. Unmittelbar nach der Vorsprache bei der Beklagten - und damit direkt am Tag nach dem Beißvorfall - war der Geschädigte bei einem Arzt wegen eines Bisses durch einen Schäferhund vorstellig. Schließlich ist die Angabe des Geschädigten, die Hundeführerin sei die Inhaberin eines Fitnessstudios zutreffend. Die Internetrecherche ergab, dass die Klägerin tatsächlich ein Sportzentrum („...“, …*) betreibt.
24
Das Gericht konnte sich im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme selbst von der Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten überzeugen. Der Geschädigte schilderte in der mündlichen Verhandlung vom ... das Geschehen sicher, schlüssig und beantwortete die ihm gestellten Fragen, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln und ohne persönlichen Belastungseifer an den Tag zu legen. Dass er am Anfang seiner Einlassung von falschen Datum des Beißvorfalls (vom … … statt vom … …*) ausging, ist auf die inkorrekte Angabe in der Ladung (Beweisthema für die Zeugenvernehmung: „Beißvorfall vom ...“) zurückzuführen. Der …-jährige Geschädigte wusste ganz genau, dass er am Tag nach dem Vorfall bei der Beklagten vorgesprochen und einen Arzt aufgesucht hat. Dies entspricht auch den sich aus der Behördenakte (und dem ärztlichen Attest) ergebenden Umständen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass der Geschädigte die Hundehalterin verwechselt oder interessensgeleitet zu Lasten der Klägerin ausgesagt hatte.
25
Zwar bestreitet die Klägerin den Beißvorfall. Den Aussagen des Geschädigten konnte die Klägerin jedoch substanziiert nichts entgegensetzen. Auch auf Nachfrage konnte sie nicht sagen, wo sie sich zum Zeitpunkt des Vorfalls aufgehalten habe. Ihre Ausführungen im Klageverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung sind danach als Schutzbehauptungen zu werten. Sie erklärte erst in der mündlichen Verhandlung, dass sie mit ihrem Hund nie im … spazieren würde. Ebenfalls gesteigert und für das Gericht nicht nachvollziehbar ist die Aussage der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, ihr Hund sei nicht …, sondern erst … gewölft. Dies steht im Widerspruch zu den bei der Anmeldung des Hundes getätigten Angaben und wurde durch nichts belegt. Schließlich konnte der Geschädigte die Klägerin sowohl bei der von der Beklagten veranlassten Gegenüberstellung als auch in der mündlichen Verhandlung eindeutig identifizieren. Vor diesem Hintergrund ist die Angabe der Klägerin gegenüber der Beklagten im Telefonat vom ..., dass der Geschädigte Zweifel daran habe, dass es sich bei dem Hund, der ihn gebissen hat, tatsächlich um den Schäferhund der Klägerin gehandelt habe, nicht nachvollziehbar. Der Verweis der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf andere schwarze schäferhundartige Tiere in der Nachbarschaft ist vor diesem Hintergrund als irrelevant zu werten.
26
Nach dem Ergebnis der durch das Gericht durchgeführten Beweisaufnahme sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG gegeben.
27
b) Dies zugrunde gelegt lässt die Anordnung des Leinenzwangs innerhalb bebauter Ortsteile (Nummer 1 des Bescheids) keine Ermessensfehler erkennen, welche im Rahmen des § 114 VwGO beachtlich wären. Bei Abwägung der gegenläufigen Interessen erweist sich die Anordnung auch als verhältnismäßig (Art. 8 LStVG).
28
Liegt eine konkrete Gefahr vor, sind also die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG erfüllt, steht der Erlass einer Einzelfallanordnung zur Hundehaltung grundsätzlich im Ermessen der Sicherheitsbehörde. Die zu treffende Entscheidung erfasst dabei sowohl die Frage, ob die Sicherheitsbehörde handelt (Entschließungsermessen), als auch die Frage, wie sie handelt (Auswahlermessen). Dabei hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG).
29
Die Beklagte hat ihr Erschließungsermessen erkannt und in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Bei Beißvorfällen oder sonstigen Zwischenfällen ist nach ständiger Rechtsprechung ein sicherheitsrechtliches Einschreiten nicht nur regelmäßig zulässig, sondern sogar geboten (vgl. BayVGH, B.v. 18.11.2011 - 10 ZB 11.1837 - juris Rn. 19; U.v. 25.11.2014 - 10 BV 13.1151 - juris Rn. 46; B.v. 25.8.2014 - 10 ZB 12.2673 - juris Rn. 8; Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand 1.5.2018, Art. 18, Rn. 61).
30
Auch ihr Auswahlermessen hat die Beklagte ordnungsgemäß ausgeübt. Nach dem Inhalt der vorgelegten Akte hat sie sich mit den relevanten Belangen auseinandergesetzt und diese in vertretbarer Weise gewichtet. Ihre Erwägungen sind weder im Hinblick auf die Geeignetheit und die Erforderlichkeit der Anordnung noch im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn rechtlich zu beanstanden. Vorliegend konnte der Schäferhund beißen, obwohl er an einer langen Leine war. Durch die Anordnung eines Leinenzwangs innerorts mit vorgesehener kurzer Leinenlänge wird sichergestellt, dass in Gebieten, in denen üblicherweise mit relevantem Publikumsverkehr zu rechnen ist, die von dem Schäferhund ausgehende Gefahr zuverlässig beseitigt wird. Durch die Anordnung der Beklagten wird die Klägerin insgesamt nur geringfügig belastet. Indem der Klägerin weiterhin gestattet ist, den Hund außerorts ohne Einschränkungen auszuführen, werden auch die Belange des Tierwohls angemessen berücksichtigt. Die Erstellung eines Gutachtens bei ihrem Schäferhund (als milderes Mittel) hat die Klägerin ausdrücklich abgelehnt. Dies stellt überdies kein (jedenfalls kein gleichermaßen effektives) Mittel der Gefahrenabwehr dar.
31
c) Die Klägerin ist als Halterin des Schäferhundes Zustandsstörerin im Sinne des Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG und entsprechend richtige Adressatin der sicherheitsrechtlichen Anordnung.
32
Halter ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über den Hund (Schwabenbauer in BeckOK, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 17. Aufl., Art. 18 Rn. 97). Es ist daher maßgeblich darauf abzustellen, wer die tatsächliche Verfügungs- und Bestimmungsmacht über das Tier ausübt. Eigentum und Eigenbesitz sind für die Bejahung der Haltereigenschaft nicht Voraussetzung (Schwabenbauer in BeckOK, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 17. Aufl., Art. 37 Rn. 61). Die Tatsache, dass eine andere Person (hier der Ehemann der Klägerin) die Hundesteuer bezahlt und daher steuerrechtlich als Halter des Hundes angesehen wird, macht diese nicht automatisch zum Halter im sicherheitsrechtlichen Sinne der Art. 18 bzw. Art. 9 LStVG (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2013 - 10 CS 13.1544 - juris Rn. 25), sondern ist nur ein Indiz dafür. Bei Eheleuten sind regelmäßig beide bestimmungs- und verfügungsberechtigt. So verhält es sich nach der Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch vorliegend, sodass die Klägerin jedenfalls auch als Halterin des Schäferhundes anzusehen ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils auf § 161 Abs. 2 VwGO, da die Klägerin insoweit obsiegt hätte. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung - ZPO.