Titel:
Disziplinarklage: Zurückstufung eines Polizisten wegen Betäubungsmittelbeschaffung, auch unter Verwendung gefälschter Rezepte; Sondersituation: Medikamentenabhängigkeit infolge Erkrankung sowie positives Persönlichkeitsbild
Normenketten:
BayDG Art. 10, Art. 14
BeamtStG § 47
StGB § 267
BtMG § 29
WaffG § 52
Leitsatz:
Handelte ein Polizist bei Begehung des Dienstvergehens der Betäubungsmittelbeschaffung (mit gefälschten Privatrezepten) in einer besonders schwerwiegenden persönlichen Situation und Notlage wegen einer Erkrankung und der anschließend entstandenen Medikamentenabhängigkeit, so kommt der Krankheit im Zusammenspiel mit ihrer Bewältigung und Überwindung mildernde Wirkung zu. Dies gilt aber nicht regelhaft; vielmehr ist die jeweilige Betrachtung der Umstände des Einzelfalls entscheidend. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(Landes) Disziplinarrecht, Zurückstufung, Betäubungsmittelbeschaffung mit gefälschten Privatrezepten, Medikamentenabhängigkeit, Berücksichtigung der persönlichen Umstände sowie des Persönlichkeitsbilds, (Landes-) Disziplinarrecht, Erkrankung, Betäubungsmittelbeschaffung, Urkundenfälschung, Rezept, positives Persönlichkeitsbild, Disziplinarklage, Disziplinarverfahren, Polizist
Fundstelle:
BeckRS 2022, 18662
Tenor
I. Der Beklagte wird in das Amt als Polizeiobersekretärs (A7) zurückgestuft.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt im Wege der Disziplinarklage die Zurückstufung des Beklagten aufgrund von außerdienstlichen Dienstpflichtverletzungen, im Wesentlichen einer strafbaren Medikamentenbeschaffung unter Nutzung gefälschter Privatrezepte, aufgrund dessen der Beklagte strafrechtlich verurteilt wurde.
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1. Der am … Februar 1990 geborene ledige Beklagte ist seit 1. Februar 2015 Beamter auf Lebenszeit im Dienst der Bayerischen Polizei des Freistaats Bayern und wurde am 1. März 2013 zum Polizeimeister, am 1. Februar 2016 zum Polizeiobermeister in der Besoldungsgruppe A8 ernannt. Aufgrund Dienstunfähigkeit für den Polizeivollzugsdienst hat der Beklagte umgeschult und wird nunmehr im nichttechnischen Verwaltungsdienst der Polizei eingesetzt, derzeit als Polizeihauptsekretär. Er wurde zuletzt im Jahre 2017 mit 8 Punkten beurteilt. Der Beklagte hat einen Grad einer Schwerbehinderung von 40. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Disziplinarklage Bezug genommen. Im Verfahren liegen darüber hinaus Persönlichkeitsbilder vom 5. Juli 2019 und 2. November 2021 sowie 19. Juli 2022 vor, zudem einzelne Leistungsberichte aus der Umschulung. Im aktuellen Persönlichkeitsbild wird der Beklage als „Glücksgriff fürs Sachgebiet“ beschrieben und auf das Persönlichkeitsbild vom 2. November 2021 verweisen. Dieses beschreibt eine sehr gründliche, engagierte und stet zur vollen Zufriedenheit erfolgende Erledigung der Aufgaben durch den Beklagten. Eine rasche Einarbeitung, gute Auffassungsgabe, Teamfähigkeit, ein ausgeprägtes Informationsverhalten und gewissenhafte Unterrichtung der Vorgesetzten über dienstlich relevante Sachverhalte werden ihm ebenso attestiert wie Eigeninitiative, der Einsatz eigener Verfahrensweisen und edv-technischer Lösungsansätze zur Optimierung von Verwaltungsvorgängen und vorbildlicher Unterstützung der Kollegen. Sein freundliches Wesen und seine kollegiale Haltung seien bei Vorgesetzten und Kollegen sehr geschätzt. Ergänzend wird auf die vorgelegten Persönlichkeitsbilder und Bewertungen Bezug genommen.
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Der Beamte ist disziplinarrechtlich und strafrechtlich mit Ausnahme des im vorliegenden Disziplinarverfahren gegenständlichen strafrechtlichen Vorwurfs nicht vorbelastet. Insoweit wurde er mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Dachau vom 28. März 2019 - 6 Ds 44 8779/18 - wegen Urkundenfälschung in Mittäterschaft in zwei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Besitz von verbotener Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.
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2. Mit Verfügung vom 21. März 2018 leitete das Polizeipräsidium M. als Disziplinarbehörde gegen den Beklagten gemäß Art. 21 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) ein Disziplinarverfahren ein und setzte dieses gemäß Art. 24 Abs. 3 BayDG im Hinblick auf das laufende Strafverfahren aus. Nach Abschluss des Strafverfahrens wurde das Disziplinarverfahren am 21. Mai 2019 fortgesetzt und der Beamte nach einer Stellungnahme seines Bevollmächtigten vom 20. August 2019 gemäß Art. 32 BayDG abschließend angehört. Die Schwerbehindertenvertretung wurde entsprechend beteiligt.
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3. Am 27. Mai 2020 hat das Polizeipräsidium M. daraufhin Klage mit dem Ziel der Zurückstufung des Beklagten erhoben. Auf die Klagebegründung und die Angaben in der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2022 wird Bezug genommen.
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Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten in das Amt als Polizeiobersekretär (A7) zurückzustufen.
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Der Bevollmächtigte des Beklagten hat keinen Antrag gestellt, aber mit Schriftsatz vom 7. August 2020 zur Disziplinarklage Stellung genommen und dabei insbesondere auf die besonderen persönlichen Umstände des Beklagten im Zusammenhang mit seiner Erkrankungen und Entwicklung einer Medikamentenabhängigkeit hingewiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die Disziplinarklage, die Erwiderung vom 7. August 2020 und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19. Juli 2022, sowie die beigezogene Disziplinarakte des Polizeipräsidiums München als auch die Personalakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Auf die Disziplinarklage des Klägers hin wird auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung in das Amt als Polizeiobersekretärs in der Besoldungsgruppe A7 erkannt. Der Beklagte hat außerdienstlich ein sehr schweres Dienstvergehen begangen, das aufgrund persönlich mildernder Umstände jedoch noch nicht zum vollständigen Vertrauensverlust führt.
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I. Formelle Mängel des Disziplinarverfahrens sind weder i.S.v. Art. 53 Abs. 1 BayDG innerhalb der gesetzlichen Frist geltend gemacht noch von Amts wegen ersichtlich. Insbesondere ist dem Beklagten jeweils Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden und die Schwerbehindertenvertretung beteiligt worden.
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II. Dem disziplinarischen Vorwurf gegenüber dem Beklagten liegen der Disziplinarklage vom 22. Mai 2020 folgend bezugnehmend aus rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Dachau vom 28. März 2019 - 6 Ds 44 8779/18 - folgende tatsächlichen Feststellungen zugrunde:
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1. Am 23.09.2015 bestellte der Beklagte über die vermutlich in Malaysia oder Singapur ansässige Internetplattform www. …com 100 Retardtabletten Tilidin Comp 100 mg / 8 mg zum Preis von 209,00 €. Das Betäubungsmittel (Anlage III zum BtMG) wurde sodann an seine Wohnanschrift, […], geliefert und in die Bundesrepublik Deutschland verbracht. Den Wirkstoffgehalt nahm der Beklagte zumindest billigend in Kauf. Er wusste zudem, dass er nicht die für die Einfuhr dieses Betäubungsmittels und den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis besaß.
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2. Am 19.11.2015 bestellte der Beklagte unter Nutzung der Personalie des D. P. und der E-Mail-Adresse @gmail.com über die vermutlich in Malaysia oder Singapur ansässige Internetplattform www. …com 100 Retardtabletten Tilidin 50 mg / 4 mg zum Preis von 199,00 €. Das Betäubungsmittel wurde sodann an seine Wohnadresse oder die Wohnadresse des D. P., […] geliefert und in die Bundesrepublik Deutschland verbracht. Den Wirkstoffgehalt nahm der Beklagte zumindest billigend in Kauf. Er wusste zudem, dass er nicht die für die Einfuhr dieses Betäubungsmittels und den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis besaß.
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3. Am 01.12.2015 bestellte der Beklagte über die vermutlich in Malaysia oder Singapur ansässige Internetplattform www. …com 100 Retardtabletten Tilidin Comp 100 mg / 8 mg zum Preis von 209,00 €. Das Betäubungsmittel wurde sodann an seine Wohnanschrift geliefert und in die Bundesrepublik Deutschland verbracht. Den Wirkstoffgehalt nahm er zumindest billigend in Kauf. Der Beklagte wusste zudem, dass er nicht die für die Einfuhr dieses Betäubungsmittels und den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis besaß.
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4. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt um den 18.07.2017 stellte der Beklagte gemeinsam mit D.P. ein gefälschtes Privatrezept für das verschreibungspflichtige Opioid Tilidin, 100 Stück, her. Das total gefälschte Rezept wurde sodann von D.P. in einer unbekannten Apotheke im Raum Dachau entsprechend des gemeinsamen Entschlusses eingelöst. Durch Vorlage des total gefälschten Rezepts wollten sie darüber täuschen, dass eine ordnungsgemäße Verschreibung des Medikaments vorliegt und somit die Ausgabe des verschreibungspflichtigen Medikaments erreichen.
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5. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt kurz vor dem 12.02.2018 stellte der Beklagte mit D.P. ein gefälschtes Privatrezept für das verschreibungspflichtige Opioid Tilidin 100 mg / 8 mg STADA RET 100 Stück N3 (ausgenommene Zubereitung gemäß Anlage III zum BtMG), ausgestellt auf D.P. vom Facharzt für Allgemeinmedizin H.K., im Raum R* …, her. Sodann legte D.P. das total gefälschte Privatrezept entsprechend dem gemeinsamen Entschluss am 12.02.2018 in der Brunnen-Apotheke, […], vor. Durch die Vorlage des total gefälschten Rezepts wollten sie darüber täuschen, dass eine ordnungsgemäße Verschreibung vorliegt, und somit die Ausgabe des verschreibungspflichtigen Medikaments erreichen.
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6. Am 21.03.2018 übte der Beklagte in seiner Wohnung, wie er wusste, die tatsächliche Gewalt über 156 Randfeuerpatronen Kal. 22, eine Schrotpatrone 70 mm sowie 6 Patronen 9x19 mm aus. Dabei handelt es sich um verbotene Waffenmunition.
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Dieser Sachverhalt steht aufgrund Bindungswirkung gemäß Art. 25 Abs. 1 BayDG für das Disziplinarverfahren fest und wurde zudem vom Beklagten eingeräumt.
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Ausweislich weiterer Ausführungen im Urteil des Amtsgerichts sowie der umfangreichen Ausführungen des Bevollmächtigten des Beklagten, wurde der Beklagte im Jahr 2013 infolge einer Fuchsbandwurmerkrankung und Befall von Leber, Gallenblase und Zwerchfell operiert. Aufgrund anschließender Behandlung mit Tilidin wurde der Beklagte entsprechend abhängig. Durch eine weitere Behandlung mit Fentanyl verstärkte sich der Suchtdruck.
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III. Der Beklagte hat durch das ihm zur Last gelegte Verhalten ein außerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG begangen.
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Indem er sich der Urkundenfälschung in Mittäterschaft in zwei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Besitz von verbotener Munition gemäß §§ 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Satz 1 BtMG, § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.5.3-1.5.7 zum WaffG, § 267 Abs. 1 StGB strafbar machte, verstieß er gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG. Damit handelte er auch der Pflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG zu ansehens- und vertrauenswürdigem Verhalten zuwider.
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Das insoweit außerdienstliche Fehlverhalten hat nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG disziplinarrechtliche Bedeutung. Es überschreitet ein Mindestmaß an Relevanz, das die Rechtsprechung bei einem Strafrahmen von mindestens bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe - vorliegend drei bzw. fünf Jahre - als gegeben ansieht (vgl. BVerwG, B.v. 18.6.2014 - 2 B 55/13 - juris Rn. 11). Außerdem lag bei dem Beklagten als Polizeibeamten mit der Aufgabe der Verhütung und Bekämpfung von Straftaten ein Bezug zu seinem (Status) Amt vor. Auf die umfangreichen Ausführungen hierzu in der Disziplinarklage wird Bezug genommen.
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Der Beamte handelte bei Begehung des Dienstvergehens - in Folge der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts - vorsätzlich und ohne Schuldausschließungs- oder Rechtsfertigungsgründe.
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IV. Das Dienstvergehen wiegt sehr schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG. Unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Einzelfalls und des aktuellen Persönlichkeitsbildes ist jedoch noch nicht anzunehmen, dass ein endgültiger und vollständiger Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit in den Beklagten eingetreten ist. Vielmehr ist - dem Antrag des Dienstherrn folgend - eine Zurückstufung des Beamten in das Amt als Polizeiobersekretär (A 7) im Rahmen der Berücksichtigung der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten des Beklagten als Gesichtspunkte der Maßnahmebemessung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG noch ausreichend, aber auch erforderlich.
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1. Den Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung nach Art. 14 BayDG bildet die Schwere des Dienstvergehens, wobei von der schwersten Dienstpflichtverletzung auszugehen ist.
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a) Angesichts des Strafrahmens, der nach std. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei außerdienstlichen Dienstpflichtverletzungen durch die gesetzgeberische Wertung zum Unwert des Verhaltens einen Orientierungsrahmen entfaltet (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 50/13 - juris Rn. 15 ff.), ist mit einer Strafandrohung bis zu drei bzw. fünf Jahren Freiheitsstrafe ein Orientierungsrahmen bis zur Höchstmaßnahme eröffnet. Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (BVerwG, a.a.O., Rn. 12). Bei Polizeivollzugsbeamten gilt dies in besondere Weise aufgrund ihrer Kernaufgabe der präventiven Verhütung sowie repressiven Verfolgung von Straftaten. Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sind dabei besonders geeignet, die Vertrauenswürdigkeit in außerordentlicher Weise zu beeinträchtigen (so auch VG Wiesbaden, U.v. 29.7.2015 - 28 K 148/13.WiD - juris Rn. 24). Für die disziplinare Bewertung des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ist das Anliegen des Gesetzgebers von erheblicher Bedeutung, mit diesem Gesetz den schädlichen Auswirkungen des zunehmenden Rauschgiftkonsums vorzubeugen und so Gefahren von Einzelnen und der Allgemeinheit abzuwehren. Ein Verstoß gegen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes ist deshalb in besonderem Maße geeignet, die dem Beamten zukommende Achtung und seine dienstliche Vertrauenswürdigkeit in außerordentlicher Weise zu beeinträchtigen. Im Fall eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz geht die Rechtsprechung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme davon aus, dass der Beamte, der den staatlichen Zielen, den Auswirkungen des zunehmenden Rauschgiftkonsums vorzubeugen und so unabsehbare Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit abzuwehren, zuwiderhandelt, eine grob rücksichtslose Haltung gegenüber der Allgemeinheit offenbart (VGH Baden-Württemberg, U.v. 25.2.2010 - DL 16 S 2597/09 - juris Rn. 34). Auch durch die Urkundenfälschung sowie den waffenrechtlichen Verstoß ist jeweils der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet.
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b) Die Ausschöpfung des maßgeblich in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn dies auch dem Schweregehalt des vom Beamten konkret begangenen Dienstvergehens entspricht (BVerwG, a.a.O. Rn. 17). Dabei verbietet sich ein wie auch immer gearteter Schematismus (BVerwG, a.a.O. m.w.N.). Angesichts der Variationsbreite möglicher Verwirklichungsformen pflichtwidrigen Verhaltens im Bereich des Betäubungsmittelrecht ist das disziplinare Gewicht des Dienstvergehens daher von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig (VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; BVerwG, U.v. 7.5.1996 - 1 D 82/95 - in Bezug auf den Erwerb geringer Mengen von Cannabisprodukten).
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Indiziell kann zur Bestimmung der Schwere des im Einzelfall begangenen Dienstvergehens im Falle einer außerdienstlich begangenen Straftat auf die von Strafgerichten ausgesprochene Sanktion zurückgegriffen werden, bei der schließlich der jeweilige Einzelfall bereits tatrichterlich aus strafrechtlicher Sicht gewürdigt wurde. (BVerwG, a.a.O. Rn. 18).
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Die vorliegende Verurteilung zu acht Monaten (Gesamt) Freiheitsstrafe legt dabei nahe, von einer derart schweren Dienstpflichtverletzung auszugehen, dass die Höchstmaßnahme in Betracht kommt, ist eine solche Freiheitsstrafe bei einem Ersttäter doch gerade nicht mehr am unteren Rande strafrechtlicher Ahndung anzusiedeln.
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Auch die zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls bei der Tatbegehung, insbesondere der Mehrzahl an Tatbegehungen, den Zeitraum strafrechtlichen Verhaltens, die zu Tage tretende kriminelle Energie bei der Herstellung gefälschter Privatrezepte und die Einbindung eines jungen, gerade erst volljährigen Mittäters, wiegen schwer.
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2. Der erheblichen Schwere des Dienstvergehens, die an sich die Verhängung der Höchstmaßnahme nach sich ziehen würde, stehen jedoch gewichtige Milderungsgründe gegenüber.
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(1) Dabei kann dahinstehen, ob beim Beklagten zum Tatzeitpunkt eine Betäubungsmittelabhängigkeit bestanden hat, die zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB führte und mildernd im Disziplinarverfahren zu berücksichtigen wäre. Im Urteil des Amtsgerichts Dachau finden sich hierzu keine Angaben. Aufgrund der derart leicht einsehbaren Pflichtverletzung durch die Urkundenfälschung erscheint dem Gericht jedoch fraglich, ob der Anwendungsbereich des § 21 StGB vorliegend bereits eröffnet ist.
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(2) Über die bislang in der Rechtsprechung anerkannten typisierten Milderungsgründe hinaus bedarf es einer Würdigung der jeweiligen be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls und würde eine allein typisierende Betrachtungsweise zu kurz greifen. Vielmehr dürfen entlastende Gesichtspunkte nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorliegen eines „anerkannten“ Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht ausreichen, um dessen Voraussetzungen - im Zusammenwirken mit anderen Umständen - zu erfüllen (BVerwG, B.v. 20.12.2013 - 2 B 35.13 - beck-online Ls.1 sowie Rn. 21). Das Bundesverwaltungsgericht führt insoweit aus, die Verwaltungsgerichte müssten bei der Gesamtwürdigung dafür offen sein, dass mildernden Umständen im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht für die Maßnahmebemessung zukommen kann, wenn sie zur Erfüllung eines so genannten anerkannten („klassischen“) Milderungsgrundes nicht ausreichen. Auch solche Umstände dürfen nicht als nebensächlich oder geringfügig zurückgestellt werden, ohne dass sie in Bezug zur Schwere des Dienstvergehens gesetzt werden. Sie dürfen nicht in einer nicht nachvollziehbaren Weise „abgetan“ werden. Nach der Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts müssen die Milderungsgründe jedoch umso gewichtiger sein, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2018 - 2 WD 10.18 - beck-online Rn. 44 m.w.N.).
34
(3) Den Ausführungen der Disziplinarbehörde folgend handelte der Beklagte bei Begehung des Dienstvergehens jedoch in einer besonders schwerwiegenden persönlichen Situation und Notlage durch seine Erkrankung und der anschließend entstandenen Medikamentenabhängigkeit, der im Zusammenspiel mit ihrer Bewältigung und Überwindung mildernde Wirkung zukommt. Dabei hat sich der Beklagte nicht nur geständig, sondern vor allem therapiewillig gezeigt und erfolgreiche eine Substitutionstherapie durchlaufen. Auf die hierzu vorgelegten Unterlagen wird verwiesen. Jedoch ist zu betonen, dass das Gericht ein Handeln unter Suchteinfluss und eine anschließend erfolgreiche Therapie nicht regelhaft als die Höchstmaßnahme ausschließenden Milderungsgrund erachtet (vgl. VG München, U.v. 9.5.2022 - M 13L DK 19.806 - noch nicht veröffentlicht), vielmehr die jeweilige Betrachtung der Umstände des Einzelfalls entscheidend ist.
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Letztlich ausschlaggebend für die Annahme eines verbliebenen Restvertrauens in den Beamten ist vielmehr zusätzlich die Würdigung seiner Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung. Während das Persönlichkeitsbild vom 5. Juli 2019 noch ein kritisches Bild über den Beklagten und eine weitere Verwendung bei der Polizei zeichnete, lassen die jeweiligen Anmerkungen über die Stationen im Rahmen der Umschulungsmaßnahme in den nichttechnischen Verwaltungsdienst bei der Polizei bereits eine positive Entwicklung erkennen. Die in der mündlichen Verhandlung übergebenen herausragenden Persönlichkeitsbilder, in dem der Beklagte u.a. als „Glücksgriff fürs Sachgebiet“ bezeichnet wird, belegen für das Gericht hinreichend, dass - wie von der Disziplinarbehörde selber angenommen - im Zusammenspiel der aktuellen Persönlichkeitsentwicklung mit der vorrangegangenen persönlichen Notlage während der Begehung des Dienstvergehens noch kein vollständiger Vertrauensverlust in den Beklagten zu bejahen ist.
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In Übereinstimmung mit dem Dienstherrn sieht das Gericht daher - gerade auch unter Verhältnismäßigkeitserwägungen - eine Zurückstufung gemäß Art. 10 BayDG in das Amt des Polizeiobersekretärs (A 7), dem ursprünglichen Eingangsamt des Beamten im Polizeivollzugsdienst entsprechend, als angemessen an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
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Aufgrund im Anschluss an die Urteilsverkündung in der Sitzung am 19. Juli 2022 zur Niederschrift gegebenen Rechtsmittelverzichts ist das Urteil rechtskräftig.