Inhalt

FG Nürnberg, Urteil v. 18.05.2022 – 3 K 301/19
Titel:

Gewinnzuschlag und Zinsen

Normenketten:
EStG § 6c Abs. 1
FGO § 68 Abs. 1 S. 1
AO § 233a
BGB § 247
Leitsatz:
Mit dem Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG beabsichtigte der Gesetzgeber nicht nur, den durch die Bildung einer Rücklage eingetretenen Zinsvorteil dem Steuerpflichtigen nicht zu belassen. Vielmehr soll, da wegen nicht vorgenommener begünstigter Reinvestition keine wirtschaftspolitische Notwendigkeit für eine Begünstigung des Gewinns aus der Veräußerung besteht, der Zinsvorteil durch Erhöhung des Gewinns wieder ausgeglichen werden (vgl. BT-Drucks 9/842, S. 66). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Bilanzierung
Fundstellen:
EFG 2022, 1442
DStRE 2023, 843
BeckRS 2022, 18633
LSK 2022, 18633

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig ist die Höhe des Zinssatzes für den Gewinnzuschlag nach § 6c Abs. 1 EStG i.V.m. § 6b Abs. 7 EStG.
2
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielte im Klagejahr Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und nicht selbständiger Arbeit. Die Klägerin erzielte keine eigenen Einkünfte.
3
Mit Einreichung der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr teilte der Kläger mit, dass der landwirtschaftliche Betrieb stillgelegt sei und eine Auflösung der gebildeten Rückstellung erfolgen solle.
4
Das Finanzamt setzte mit Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 28.12.2017 die Einkommensteuer auf 11.739 € fest. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Steuerfestsetzung liegen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 11.916 € zugrunde.
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In den Erläuterungen ist u.a. ausgeführt, dass die in der Landwirtschaft gebildete § 6c EStG Rücklage aus dem Wirtschaftsjahr 2012/2013 aufgelöst wurde. Die Auflösung der Rücklage (13.358 €) zuzüglich der Verzinsung für 4 Jahre mit einem Jahreszinssatz von 6% (3.205 € = 16.563 €) sei zur Hälfte und der laufende Gewinn der Wirtschaftsjahre 2015/2016 sowie 2016/2017 ebenfalls je zur Hälfte im Jahr 2016 anzusetzen. Hierdurch ergäben sich 11.916 € (8.282 € + 1.817 € + 1.817 €).
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Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 12.02.2019 als unbegründet zurückgewiesen. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
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Die Klägervertreter haben Klage erhoben.
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Das Gericht hatte mit Beschluss vom 10.03.2020 das Verfahren bis zur Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung durch das Finanzamt längstens aber 31.12.2021 ausgesetzt.
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Das Finanzamt hat den Vorbehalt der Nachprüfung mit geänderten Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 30.09.2021 aufgehoben, da der Anlass hierfür weggefallen sei. Änderungen bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft erfolgten nicht.
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Das Gericht teilte den Beteiligten mit, dass damit das Verfahren wieder betrieben und der geänderte Bescheid vom 30.09.2021 Gegenstand des Verfahrens werde (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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Mit der Klage wenden sich die Prozessbevollmächtigten gegen die Höhe des Zinssatzes bei der Feststellung des Gewinnzuschlags nach § 6c EStG i. V. m. § 6b Abs. 7 EStG.
12
Die angegriffene Höhe des Gewinnzuschlags des § 6b Abs. 7 EStG mit 6% pro vollem Wirtschaftsjahr sei wegen der realitätsfernen Bemessung mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und wegen des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Übermaßverbots verfassungswidrig und im Wege verfassungskonformer Auslegung auf eine angemessene Höhe zu reduzieren.
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Ein Gewinnzuschlag, der aus einer Zinshöhe von 6% p.a. abgeleitet werde, sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar (Hinweis auf: Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom 16.02.2017, WD 4 - 3000 - 011/17, S. 11, m.w.N.). Das Niedrigzinsniveau stelle sich jedenfalls für den Streitzeitraum nicht mehr als vorübergehende, volkswirtschaftstypische Erscheinung verbunden mit den typischen zyklischen Zinsschwankungen dar, sondern sei struktureller und nachhaltiger Natur. Eine sachliche Rechtfertigung für einen Gewinnzuschlag in Höhe von 6% p.a. bestehe nicht.
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Ebenso erscheine für den Streitzeitraum ein potenzieller Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen konnte, angesichts des sehr niedrigen und teilweise sogar negative Zinssätze ausweisenden Refinanzierungsniveaus am Kapitalmarkt nahezu ausgeschlossen.
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Dies gelte insbesondere nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, BGBl. I 2021, 4303). Danach sei der Vermögensvorteil, der sich aus einer Steuernachzahlung ergebe, mit 6% p.a. spätestens seit dem Jahr 2014 „evident realitätsfern“ bewertet und insoweit verfassungswidrig. Nichts anderes könne auch für die Berechnung der Gewinnzuschläge nach § 6b Abs. 7 EStG gelten, die faktisch einer Verzinsung der auf den nachversteuerten Gewinn entfallenden Steuer gleich stünden.
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Mit der Frage der Verfassungswidrigkeit von Gewinnzuschlägen, die wie Nachzahlungszinsen wirken, befasse sich das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 08.07.2021 zwar nicht, auch wenn eine gewisse Tendenz aus Tz. 243 herauszulesen sei, dass das Gericht die Gewinnzuschläge für verfassungsgemäß erachte, weil ihnen ein Antrag des Steuerpflichtigen vorausgehe und er damit dem Gewinnzuschlag hätte ausweichen können. Ob dieser Aspekt ausreiche, um die Belastung mit 6% Gewinnzuschlag p.a. als noch verfassungsgemäß anzusehen oder nicht, könne man durchaus ambivalent bewerten. Mit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (gleicher Gewinn = gleiche Steuerbelastung) sei ein Gewinnzuschlag, der nicht nur erwirtschaftete Zinsvorteile abschöpfe, nicht vereinbar.
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Weder der Umstand, dass die Rücklage nur auf Antrag des Steuerpflichtigen gewährt worden sei, noch der Umstand, dass es bei der Bildung von Rücklagen auch missbräuchliche Inanspruchnahmen gebe, rechtfertige einen Gewinnzuschlag mit 6% im Jahr.
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Es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob diese Einschätzung des BVerfG auch für die Bemessung des Gewinnzuschlags nach § 6b Abs. 7 EStG gelte, der sich der Höhe nach an der Höhe für Nachzahlungszinsen orientiere, und wie sich das auswirke, insbesondere, ob das BVerfG auch hier den Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichte.
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Die Prozessbevollmächtigten beantragen sinngemäß den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 30.09.2021 dahingehend abzuändern, dass der nach § 6c Abs. 1 i.V.m. § 6b Abs. 7 EStG bemessene Gewinnzuschlag für jedes volle Wirtschaftsjahr nicht mit 6% p.a. des Rücklagenbetrages bemessen wird, sondern nur mit 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB des Rücklagenbetrages jährlich zu bemessen ist.
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Für den Fall des Unterliegens wird die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung beantragt.
21
Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid wird angeregt.
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Das Finanzamt beantragt
Klageabweisung.
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Zur Begründung wird vorgebracht:
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Der strittige Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG sei nach Ansicht des Finanzamtes nicht vergleichbar mit dem im Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) entschiedenen Fall der Nachzahlungszinsen nach § 233a AO. Im genannten Beschluss werde in Tz. 242 explizit darauf verwiesen, dass die Unvereinbarkeitserklärung auf andere Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen nach den §§ 234, 235 und 237 AO nicht anzuwenden sei.
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Eine Ausweitung der Anwendung auf § 6b Abs. 7 EStG komme daher ebenso nicht ich Betracht.
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Der Gewinnzuschlag nach § 6c Abs. 1 EStG i.V.m. § 6b Abs. 7 EStG sei bei fehlender Reinvestition für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden habe, mit 6% der aufgelösten Rücklage anzusetzen. Hierbei handele es sich um eine pauschale Gewinnerhöhung und nicht vorrangig um die Verzinsung einer Steuerschuld. Zudem diene der Gewinnzuschlag auch dazu, der missbräuchlichen Inanspruchnahme der Rücklage entgegenzuwirken. Für das Steuerrecht sei dem Gesetzgeber im Hinblick auf Zinssatztypisierungen ein weitreichender Entscheidungsspielraum zugestanden worden, in dessen Rahmen sich der Gewinnzuschlag nach § 6c Abs. 1 i.V.m § 6b Abs. 7 EStG bewege.
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Der Gewinnzuschlag sei nach der eindeutigen gesetzlichen Vorgabe anzusetzen, insbesondere da die Rücklage nur auf Antrag des Steuerpflichtigen gewährt worden sei und durch den Gewinnzuschlag mit 6% p.a. der missbräuchlichen Inanspruchnahme entgegengewirkt werden solle. Ein Ermessensspielraum für das Finanzamt sei nicht gegeben.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis dazu erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung und der zum Berichterstatter bestellte Richter anstelle des Senats entscheidet (§§ 90 Abs. 2, 79 a Abse. 3 und 4 FGO).
29
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten mit Anlagen sowie auf die vom Finanzamt vorgelegte Einkommensteuerakte für das Jahr 2016 und die Rechtsbehelfsakte der Kläger verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die Kläger werden durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 30.09.2021 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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Das Finanzamt hat zu Recht eine Verzinsung für den Gewinnzuschlag nach § 6c Abs. 1 EStG i.V.m. § 6b Abs. 7 EStG angesetzt.
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1. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt und damit zulässig. Die Klage muss den Kläger, den Beklagten, den Gegenstand des Klagebegehrens, bei Anfechtungsklagen auch den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf bezeichnen. Sie soll nach § 65 Abs. 1 Satz 2 FGO einen bestimmten Antrag enthalten. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird zu erkennen, worin die den Kläger betreffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt. Der Basiszinssatz ist ein variabler Zinssatz, der von der Deutschen Bundesbank jeweils zweimal im Jahr im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Der Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank nach § 247 BGB beträgt 0,12% (ab 01.07.2012), - 0,13% (ab 01.01.2013), - 0,38% (ab 01.07.2013), - 0,63% (ab 01.01.2014), - 0,73% (ab 01.07.2014), - 0,83% (ab 01.01.2015 bis 30.06.2016) und - 0,88% (ab 01.07.2016).
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Damit ist das Finanzgericht in der Lage, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu bestimmen.
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2. Die Reinvestitionsrücklage war zum 30.06.2016 gemäß § 6b Abs. 3 Satz 4 EStG gewinnerhöhend aufzulösen. § 6b EStG i.V.m. § 6c EStG dienen dem Zweck, die aufgrund bestimmter Veräußerungsvorgänge freiwerdenden stillen Reserven steuerrechtlich nicht sofort zu erfassen, sondern sie auf ein Reinvestitionsgut zu übertragen. Die Übertragung muss dabei innerhalb der in § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG genannten Fristen geschehen. Im Streitfall hatte der Kläger für seinen landwirtschaftlichen Betrieb im Wirtschaftsjahr 2012/2013 einen Gewinn aus der Veräußerung von Grund und Boden in Höhe von 13.358 € erzielt und hierfür die Steuervergünstigung nach §§ 6b, 6c EStG in Anspruch genommen. Mit Einreichung der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr hat der Kläger mitgeteilt, dass der landwirtschaftliche Betrieb stillgelegt sei und eine Auflösung der gebildeten Rückstellung erfolgen solle.
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3. Soweit eine nach §§ 6c Abs. 1, 6b Abs. 3 Satz 1 EStG gebildete Rücklage gewinnerhöhend aufgelöst wird, ohne dass ein entsprechender Betrag nach Abs. 3 abgezogen wird, ist gemäß § 6b Abs. 7 EStG der Gewinn des Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6% des aufgelösten Rücklagebetrags zu erhöhen. Der Gewinnzuschlag ist hier für den Zeitraum vom 30.06.2012 zum 30.06.2016, in dem die Rücklage bestanden hat, zu bilden. Die Erhöhung beträgt 3.205 € im Wirtschaftsjahr. Die Höhe ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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4. Die vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen die Höhe des Gewinnzuschlags von 6% teilt der Senat jedenfalls für die hier relevanten Jahre 2012 bis 2016 nicht. Insbesondere ist der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) nicht verletzt.
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a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (Beschlüsse des BVerfG vom 29.03.2017 - 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082, Rz 98; vom 07.05.2013 - 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, BVerfGE 133, 377, Rz 73; vom 06.07.2010 - 2 BvL 13/09, BStBl. II 2011, 318, Rz 35). Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl. II 2020, 635 m.w.N.).
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b) Für das Steuerrecht wird dem Gesetzgeber ein weitreichender Entscheidungsspielraum zugestanden. Dies gilt für die Auswahl des Steuergegenstands und auch für die Bestimmung des Steuersatzes (BVerfG-Beschlüsse vom 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BStBl. II 2003, 534, unter C.I.1.b, und vom 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655, unter C.II.1.d). Das BVerfG erkennt in ständiger Rechtsprechung Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse an. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Steuergesetze Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen (BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl. II 2020, 635 m.w.N.).
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c) Für die Auswahl des Zinsgegenstands und die Bestimmung des Zinssatzes gilt das nicht in gleicher Weise. Denn bei den von den Steuerpflichtigen erhobenen Nachzahlungszinsen handelt es sich gerade nicht um eine Steuer, sondern um steuerliche Nebenleistungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AO, also um Geldleistungspflichten, die neben einer Steuer entstehen. Die Schuldner dieser Nebenleistungen sind regelmäßig zugleich Steuerpflichtige, die bereits als solche zur Finanzierung der die Gemeinschaft treffenden Lasten herangezogen werden. Neben dieser steuerlichen Inanspruchnahme bedürfen steuerliche Nebenleistungen, die die Einzelnen zu einer weiteren Finanzleistung heranziehen, zur Wahrung der Belastungsgleichheit eines über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrundes, der eine deutliche Unterscheidung gegenüber der Steuer ermöglicht. Dabei können neben den Zwecken etwa des Vorteilsausgleichs und der Kostendeckung auch - was insbesondere für den Säumnis- und den Verspätungszuschlag gilt - Zwecke der Verhaltenslenkung die Bemessung einer steuerlichen Nebenleistung rechtfertigen (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, BGBl I 2021, 4303).
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d) Allerdings kann der Gesetzgeber auch bei der Auswahl des Zinsgegenstands und der Bemessung des Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und sich dabei in erheblichem Umfang von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung leiten lassen. Begrenzt wird sein Spielraum jedoch auch hier dadurch, dass die von ihm geschaffenen Zinsregelungen grundsätzlich in der Lage sein müssen, den mit ihnen verfolgten Belastungsgrund realitätsgerecht abzubilden. Werden Zinsen als steuerliche Nebenleistungen allein zum Zweck des Vorteilsausgleichs erhoben, bedeutet dies, dass die Differenzierung nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen werden muss, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Zins abgegolten werden soll (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, BGBl. I 2021, 4303). Hieraus folgt, dass eine gesetzliche Zinssatztypisierung, die sich evident von realitätsgerechten Verzinsungen am Markt entfernt (hat), den gleichheitsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt.
42
e) Diese verfassungsrechtlichen Grenzen wurden im Streitfall nicht überschritten. So hat der Bundesfinanzhof die Höhe des Gewinnzuschlags nach § 6b Abs. 7 EStG jedenfalls bis zum Jahr 2009 nicht als verfassungswidrig angesehen (BFH-Urteile vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl. II 2020, 635 und vom 29.04.2020 XI R 39/18, BStBl. II 2021, 517). Mit dem Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG beabsichtigte der Gesetzgeber nicht nur, den durch die Bildung einer Rücklage eingetretenen Zinsvorteil dem Steuerpflichtigen nicht zu belassen. Vielmehr soll, da wegen nicht vorgenommener begünstigter Reinvestition keine wirtschaftspolitische Notwendigkeit für eine Begünstigung des Gewinns aus der Veräußerung besteht, der Zinsvorteil durch Erhöhung des Gewinns wieder ausgeglichen werden (vgl. BT-Drucks 9/842, S. 66). Damit dient der Gewinnzuschlag der Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Rücklage (BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl. II 2020, 635 m.w.N.; Marchal in Herrmann/Heuer/ Raupach - HHR -, § 6b EStG Rz 149). Der durch die Steuerstundung bewirkte Steuervorteil wird dabei nicht konkret berechnet, sondern der Rücklagenbetrag wird aus Gründen der Steuervereinfachung je Jahr in pauschalierter Weise in Höhe von 6 v.H. verzinst und als Gewinnzuschlag erfasst. Die pauschale Berechnungsmethode soll nach der gesetzgeberischen Zielsetzung die im Einzelfall oft schwierige Ermittlung des konkreten wirtschaftlichen Vorteils unter Beachtung von Zins und Zinseszins und dem jeweiligen Steuersatz vermeiden. Die sich aus dieser pauschalen Berechnungsmethode des Gewinnzuschlags ergebenden Unschärfen bei der steuerlichen Belastung im Einzelfall ist nach Ansicht des Gerichts verfassungsrechtlich unbedenklich. Diese Zwecksetzung, eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Rücklagen nach Abs. 3 zu verhindern, und die Entschließungsfreiheit des Steuerpflichtigen bei der Rücklagenbildung nach § 6 b EStG sind ausreichende Rechtfertigungsgründe, einen Gewinnzuschlag nach § 6 b Abs. 7 EStG unabhängig von der Höhe des wirtschaftlichen Vorteils im Einzelfall in Ansatz zu bringen (so auch Finanzgericht Münster, Urteil vom 17.11.2000 2 K 7511/97 E, Rn. 28, juris; Schmidt/Loschelder, EStG, 41. Auflage; § 6b Rz 88, m.w.N.). Bis zum Jahr 2016 hat sich nach Auffassung des Gerichts noch kein strukturelles Niedrig-Marktzinsniveau verfestigt, das den Gesetzgeber unter Berücksichtigung einer angemessenen Beobachtungsphase und des Gesichtspunktes der Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der nur auf Antrag zu gewährenden Rücklage nicht weiterhin berechtigt hätte, im Interesse der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung an dem statisch-typisierenden Zinssatz von 6% bei Berechnung des Gewinnzuschlags nach § 6b  Abs. 7 EStG festzuhalten.
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f) Dem steht auch nicht der Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, BGBl. I 2021, 4303) entgegen. Dieser Beschluss ist zum einen zur Verfassungsmäßigkeit der Vollverzinsung gemäß §§ 233a, 238 Abs. 1 Satz 1 AO ergangen. Die Entscheidung ist also zu Zinsfestsetzungen ergangen, die als steuerliche Nebenleistungen allein zum Zweck des Vorteilsausgleichs erhoben werden. Bei § 6b Abs. 7 EStG und damit im Streitfall dient der Gewinnzuschlag der Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Rücklage, da die Rücklage ja nur auf Antrag des Steuerpflichtigen gebildet wird. Steuerpflichtige haben hier - anders als bei der Vollverzinsung - grundsätzlich die Wahl, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen. So hat das BVerfG im Beschluss vom 08.07.2021 auch ausgeführt, dass eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der Abgabenordnung zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO, nicht in Betracht kommt (Rz. 242). Nichts Anderes gilt bei § 6b Abs. 7 EStG. Zum anderen hält das BVerfG aber auch die Fortgeltung des Zinssatzes in Höhe von 6% p.a. nach den § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO für Verzinsungszeiträume vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2018 für geboten, ohne dass der Gesetzgeber verpflichtet wäre, auch für diesen Zeitraum rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. Dies erscheint insbesondere mit Blick auf die ansonsten bestehenden erheblichen haushaltswirtschaftlichen Unsicherheiten geboten. Damit wäre auch unter diesem Gesichtspunkt im Streitfall die Fortgeltung des Zinssatzes des § 6b Abs. 7 EStG geboten.
44
Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe vorliegt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.