Titel:
Beamtenrecht: Verfall von nicht genommenen Erholungsurlaub trotz langandauernder Erkrankung
Normenketten:
BayUrlMV § 7
BeamtStG § 45
VwGO § 75
Leitsatz:
Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 45 BeamtStG) gebietet es nicht, dienstunfähig erkrankte Beamte, die aufgrund der Dienstunfähigkeit nicht in der Lage sind, Urlaub bis Ablauf des maximalen Übertragungszeitraumes zu nehmen, vor jedem unverschuldeten Rechtsverlust zu bewahren. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verwaltungsobersekretär, Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2018, Verlängerte Einbringungsfrist aufgrund Erkrankung, Antrag auf weitere Verlängerung aus Fürsorgepflicht, Entschädigung, verlängerte Einbringungsfrist aufgrund Erkrankung, Urlaub, Beamtenrecht, Verlängerung, Einbringungsfrist, Erkrankung, Krankheit, Fürsorgepflicht
Fundstelle:
BeckRS 2022, 17907
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger steht als Verwaltungsobersekretär (Besoldungsgruppe A 7) in Diensten der Beklagten. Nachdem der Kläger seit Herbst 2018 dienstunfähig erkrankt war, trat er am ... Februar 2020 seinen Dienst im Rahmen einer Wiedereingliederung wieder an. Derzeit ist er an die Vergabestelle abgeordnet.
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Mit Schreiben der Beklagten vom … Januar 2017 wurde der Antrag des Klägers auf Ansparung von 15 Arbeitstagen Erholungsurlaub aus dem Jahr 2016 bewilligt und der Kläger darauf hingewiesen, dass angesparter Erholungsurlaub spätestens bis zum Ablauf des dritten Jahres, das auf das entsprechende Urlausjahr folgt, eingebracht werden solle.
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Mit E-Mail vom … Februar 2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er aufgrund seiner langjährigen Erkrankung keinen Urlaub habe nehmen können. Er beantrage daher, für die angesparten Urlaubstage von 2016 (10 AT) und die Urlaubstage von 2018 (14 AT spezielle Übertragungsfrist) den Urlaubsanspruch bis … September 2020 zu verlängern.
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Mit E-Mail vom … Februar 2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die zehn Tage Ansparurlaub aus dem Jahr 2016 zum … Dezember 2019 verfallen seien und kein weiterer Übertrag möglich sei. Die 14 Arbeitstage Erholungsurlaub aus dem Jahr 2018, für die eine spezielle Übertragungsfrist aufgrund Erkrankung gelte, seien bis … März 2020 anzutreten und würden danach verfallen.
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Mit E-Mail vom … März 2020 sowie vom … Mai 2020 beantragte der Kläger den Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheids. Ein solcher ist jedoch nicht erlassen worden.
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Mit Schriftsatz vom 2. Juli 2020, eingegangen bei Gericht am 3. Juli 2020, hat die Klagepartei beim Verwaltungsgericht München Untätigkeitsklage erhoben und zuletzt beantragt,
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dem Kläger für das Jahr 2018 nachträglich 12 Tage Urlaub zu gewähren, hilfsweise eine finanzielle Entschädigung für diese 12 Urlaubstage.
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Der Kläger habe mehrmals einen Antrag auf Verlängerung seines Urlaubsanspruchs gestellt und um einen rechtsmittelfähigen Bescheid gebeten. Trotz einer Erinnerung des Klägers im Mai 2020 liege bis heute keine Entscheidung vor. Die Untätigkeitsklage sei daher zulässig und auch begründet. Dem Urlaubsanspruch von restlichen 12 Tagen aus dem Jahr 2018 stehe zwar formal juristisch die Rechtsprechung entgegen. Dies bedeute aber nicht, dass der Kläger das Unrecht, das ihm zugefügt worden sei, hinnehmen müsse. Hilfsweise werde ein Anspruch auf Fürsorgepflicht geltend gemacht. Der Kläger sei an der Geltendmachung dieses Anspruchs nicht nur durch seine Erkrankung, sondern auch durch das Mobbingverhalten seines Vorgesetzten M. gehindert worden. Hilfsweise werde die Vernehmung des Vorgesetzten M. als Zeugen beantragt. Das Mobbingverhalten habe schließlich zur Dienstunfähigkeit des Klägers geführt.
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Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2020 hat die Beklagte die Behördenakten vorgelegt und beantragt,
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Die Voraussetzungen der Untätigkeitsklage würden nicht vorliegen. Die Rechtsfolge des Verfalls der streitgegenständlichen Urlaubsansprüche ergebe sich unmittelbar aus dem Gesetz, daher bedürfe es keiner Einzelfallentscheidung durch die zuständige Behörde. Dementsprechend sei ein Verwaltungsakt nicht zu erlassen und auch nicht erlassen worden. Hinsichtlich der angesparten Urlaubstage aus dem Jahr 2016 sei dem Kläger zurecht mitgeteilt worden, dass dieser Urlaubsanspruch verfallen sei. Der Ansparurlaub hätte bis einschließlich … Dezember 2019 genommen werden müssen und sei danach verfallen. Eine weitere Verlängerung sei nicht möglich und könne auch nicht beantragt werden. Daran ändere auch das Vorbringen des Klägers nichts, dass er aufgrund einer langjährigen Erkrankung keinen Urlaub beantragen habe können. Es bestehe kein Recht eines Beamten auf unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub, der während einer Dienstunfähigkeit erworben worden sei, da dem Sinn und Zweck des Erholungsurlaubs nach einer langen Zeit nicht mehr entsprochen werden könne. Nach Ablauf des Zeitraums, bis zu dem Erholungsurlaub maximal übertragen werden könne, würden Urlaubsansprüche ausnahmslos und ohne Rücksicht auf die Gründe, aus denen der Urlaub nicht rechtzeitig habe eingebracht werden können, verfallen. Die Ansparung von 15 Arbeitstagen Erholungsurlaub aus dem Jahr 2018 sei dem Kläger genehmigt worden. Der weitere aus dem Jahr 2018 aufgrund spezieller Übertragungsfristen wegen Dienstunfähigkeit bis zum … März 2020 noch bestehende Urlaubsanspruch sei zwischenzeitlich verfallen. Eine weitere Verlängerung sei auch hier nicht möglich und könne auch nicht beantragt werden. Die langjährige Erkrankung des Klägers könne daran nichts ändern. Durch die Rechtsprechung des EuGH sei die Frage des Verfalls von Erholungsurlaub auch für Beamte bei Krankheit geklärt. Ein Anspruch auf Verlängerung der Urlaubsübertragung lasse sich nicht aus der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht herleiten. Es bestehe keine allgemeine Belehrungspflicht der Dienstherrin über den Inhalt der Vorschriften, die für die Rechte und Pflichten des Beamten bedeutsam seien. Der Kläger sei hinsichtlich der angesparten Urlaubstage aus dem Jahr 2016 bereits mit Schreiben vom … Januar 2017 auf die Einbringungsfrist hingewiesen worden. Auch gebiete es die Fürsorgepflicht nicht, dienstunfähig erkrankte Beamte vor jedem unverschuldeten Rechtsverlust zu bewahren. Hinsichtlich der 14 Urlaubstage aus dem Jahr 2018 gelte nichts anderes. Der Kläger sei sogar nach seinem Dienstantritt mit E-Mail vom …Februar 2020 auf die bevorstehende Verfallsfrist hingewiesen worden.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie auf die Niederschrift vom 4. Mai 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die als Untätigkeitsklage nach § 75 Sätze 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger für das Jahr 2018 nachträglich 12 Tage Urlaub zu gewähren, hilfsweise eine finanzielle Entschädigung für diese 12 Urlaubstage (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Die Klage ist zulässig. Über den am … März 2020 bzw. ... Mai 2020 gestellten Antrag des Klägers auf Verlängerung der Einbringungsfrist des Urlaubsanspruchs aus dem Jahr 2018 hat die Beklagte innerhalb von drei Monaten nicht entschieden, wofür kein sachlicher Grund ersichtlich ist. Ein zureichender Grund ließ sich dem Vortrag nicht entnehmen. Insbesondere geht der Verweis der Beklagten auf die gesetzlichen Regelungen der Bayerischen Urlaubs- und Mutterschutzverordnung (UrlMV) fehl, da der Kläger eine Entscheidung in seinem konkreten Einzelfall im Rahmen der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht begehrte.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
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a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung der Einbringungsfrist des Urlaubsanspruchs aus dem Jahr 2018.
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aa) Eine weitere Verlängerung ist nach den gesetzlichen Regelungen der Bayerischen Urlaubs- und Mutterschutzverordnung ausgeschlossen; der verbliebene Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2018 ist mit Ablauf des 31. März 2020 verfallen.
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Gemäß § 7 Abs. 1 UrlMV soll der Erholungsurlaub möglichst im laufenden Kalenderjahr voll eingebracht werden. Urlaub, der nicht bis zum … April des folgenden Jahres angetreten ist und nicht nach § 8 angespart wird, verfällt. Diese Frist kann angemessen verlängert werden, wenn die dienstlichen Belange es zulassen. Sie ist bis längstens … März des übernächsten auf das Kalenderjahr folgenden Jahres zu verlängern, wenn die Einbringung des Urlaubs auf Grund einer Dienstunfähigkeit nicht möglich war.
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Da der Kläger vorliegend von Herbst 2018 bis Februar 2020 durchgehend dienstunfähig erkrankt war, ist die Einbringungsfrist des Urlaubs aus dem Jahr 2018 (14 Arbeitstage) von der Beklagten nach § 7 Abs. 1 Satz 4 UrlMV bis … März 2020 verlängert worden. Die Frist stellt eine Höchstfrist dar („bis längstens“); eine weitere Verlängerung ist - unabhängig davon, ob der Beamte die Umstände der Nichteinbringung des Urlaubs zu vertreten hat - nicht möglich. Grund für die zeitliche Begrenzung ist, dass dem Zweck des Erholungsurlaubs nach dieser Zeit nicht mehr entsprochen werden kann (Baßlsperger in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Januar 2022, BayBG, Art. 93 Rn. 63). Der Übertragungszeitraum von 15 Monaten ist zudem vom Europäischen Gerichtshof gebilligt worden (EuGH, U.v. 22.11.2011 - C 214/10 - NJW 2012, 290, juris).
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Nachdem der Kläger innerhalb dieser Frist lediglich zwei Tage Urlaub genommen hat; hinsichtlich der weiteren 12 Tage Erholungsurlaub aus dem Jahr 2018 jedoch keinen Urlaubsantrag gestellt hat, ist dieser Urlaubsanspruch verfallen.
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bb) Auch die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 45 des Beamtenstatusgesetzes / BeamtStG) gebietet es nicht, dienstunfähig erkrankte Beamte, die aufgrund der Dienstunfähigkeit nicht in der Lage sind, Urlaub bis Ablauf des maximalen Übertragungszeitraumes zu nehmen, vor jedem unverschuldeten Rechtsverlust zu bewahren (vgl. zur Regelung des § 11 Abs. 3 UrlV BY: BayVGH, B.v. 15.7.2016 - 3 ZB 15.2146 - juris). Nach dem Sinn und Zweck der Gewährung von Erholungsurlaub verfallen (Rest-) Urlaubsansprüche mit Ablauf des Zeitraums, bis zu dem Erholungsurlaub maximal übertragen werden kann, ausnahmslos und auch ohne Rücksicht auf die Gründe, aus denen der (Rest-) Urlaub nicht rechtzeitig eingebracht werden konnte (BVerwG, B.v. 27.10.1982 - 2 B 95.81 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 15.7.2016 - 3 ZB 15.2146 - juris Rn. 6).
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Soweit der Kläger geltend macht, dass er nicht nur aufgrund der Erkrankung, sondern auch durch das Verhalten seines Vorgesetzten an der Geltendmachung seines Urlaubsanspruchs gehindert worden sei, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Denn der Urlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahr 2018 ist bereits um den maximalen Zeitraum von 15 Monaten verlängert worden, sodass er mit Ablauf dieses Zeitraums - unabhängig von den konkreten Gründen, aus denen der Urlaub nicht rechtzeitig eingebracht werden konnte - verfallen ist. Es ist im vorliegenden Fall auch unerheblich, ob der ehemalige Vorgesetzte des Klägers diesen tatsächlich an der Einbringung seines Urlaubs gehindert hat. Hierfür sind auch keine konkreten Tatsachen dargelegt. Dem im Schriftsatz vom … April 2022 hilfsweise gestellten Beweisantrag, den Vorgesetzten A. M. zu dessen (angeblichem) Mobbingverhalten zu vernehmen, ist nicht nachzukommen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verfall des Urlaubs nach dem … März 2020 für Urlaubstage aus dem Jahr 2018 durch das Verhalten des Vorgesetzten herbeigeführt worden wäre. Denn der Kläger hat angegeben, dass er sich bis zum … März 2020 in der Wiedereingliederung befunden habe und daher nur zwei Urlaubstage aus dem Jahr 2018 vor dem … März 2020 habe nehmen können.
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b) Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung für die 12 Urlaubstage besteht nicht.
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Nach der Rechtsprechung setzt eine auf Schadensersatz gerichtete Klage einen dahingehenden, vor Klageerhebung an die Behörde zu richtenden Antrag voraus. Es handelt sich hierbei nicht um eine bloße Sachurteilsvoraussetzung, sondern um eine Klagevoraussetzung. Dieser Schadenersatzanspruch muss vor Klageerhebung im Verwaltungsverfahren in erkennbarer Form an die Behörde herangetragen werden, sodass diese nicht erst im Prozess damit konfrontiert wird (BayVGH, B.v. 29.10.2013 - 3 ZB 09.1593 - juris Rn. 6; BVerwG, B.v. 15.7.1977 - II B 36.76 - Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 66). Dabei muss der Schadensersatzanspruch in bescheidbarer Weise konkretisiert werden, da der Dienstherr nur so in die Lage versetzt wird, die Angelegenheit einer verwaltungsinternen Prüfung zu unterziehen und durch eine denkbare Abhilfe oder aber nähere Begründung seines Standpunktes einen Rechtsstreit mit dem Beamten zu vermeiden. Das kann auch durch einen Widerspruch erfolgen (vgl. BVerwG, U.v. 28.6.2001 - 2 C 48/00 - BVerwGE 114, 350 - juris Rn. 15 f.; VG München, U.v. 13.7.2017 - M 5 K 15.976 - juris Rn. 18).
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Einen solchen Antrag hat der Kläger vorliegend nicht gestellt. Vielmehr wurde der Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung erstmals in der mündlichen Verhandlung am ... Mai 2022 geltend gemacht. Darüber hinaus liegen auch die weiteren Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nicht vor. Insbesondere ist vorliegend weder eine Fürsorgepflichtverletzung der Dienstherrin (s.o.) noch ein Verschulden dieser gegeben.
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3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).