Titel:
Irrtümliche Annahme einer Schutzgewährung durch anderen Mitgliedstaat
Normenketten:
AsylG § 24 Abs. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5, § 31 Abs. 1 S. 1, § 34 Abs. 1 S. 1, § 35, § 71a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwVfG § 47 Abs. 1
Leitsatz:
Eine bestandskräftige Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bietet keine Grundlage für den Erlass einer Abschiebungsandrohung bezüglich des Herkunftsstaates, wenn sich nachträglich herausstellt, dass irrtümlich eine Schutzgewährung durch einen anderen Mitgliedstaat angenommen wurde. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Nigeria, Bestandskräftiger Drittstaatenbescheid, Spätere Mitteilung über Nichtgewährung internationalen Schutzes in Italien, Änderung des Zielstaates der Abschiebungsandrohung in neuem Bescheid, Fehlende Unzulässigkeitsentscheidung über Zweitantrag, Keine Umdeutung von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, Keine gerichtliche Entscheidung über Abschiebungsverbote vor Zulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes, Abschiebungsverbot, Abschiebungsandrohung, Drittstaatenbescheid, Schutzgewährung, bestandskräftige Unzulässigkeitsentscheidung, Irrtum, Umdeutung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 1732
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. März 2021 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Kläger begehren Rechtsschutz gegen einen Bescheid des Bundeamts für ... (Bundesamt) mit einer Feststellung zu Abschiebungsverboten hinsichtlich und einer Abschiebungsandrohung nach Nigeria.
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Die Kläger, nach Angaben der Klägerin zu 1) nigerianische Staatsangehörige, christlichen Glaubens und dem Volk der Bini zugehörig, reisten am 3. Juli 2014 von Italien auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein und stellten am 18. Juli 2014 einen Asylantrag.
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Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 22. August 2017 (Az. …-232) gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgewiesen. Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote hinsichtlich Italien vorliegen und eine Abschiebung nach Italien angedroht. Die Kläger dürften nicht nach Nigeria abgeschoben werden. Der Bescheid wurde darauf gestützt, dass die Klägerin zu 1) im Verfahren angab, in Italien Asyl beantragt und zuerkannt bekommen zu haben. Sie habe einen positiven Bescheid und eine verlängerbare Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr erhalten. Ein an Italien gerichtetes Informationsersuchen vom 31. Januar 2017 sowie eine Erinnerungsbenachrichtigung vom 28. März 2017 blieben unbeantwortet. Im Bescheid wurde deshalb von einer Schutzgewährung ausgegangen. Im Verfahren wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass die Klägerin zu 1) Nigeria aus Furcht vor ihrem Onkel, der ihren Vater erschossen habe, verlassen habe. In Nigeria habe sie zwei Brüder und ihre Großmutter; ihre Mutter sei zwei Tage nach dem Tod des Vaters gestorben. Die Klägerin zu 1) habe fünf Jahre die Schule besucht, eine Ausbildung als Schneiderin begonnen und wieder abgebrochen und sei von ihren Eltern versorgt worden.
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Der Bescheid wurde ausweislich der Abschlussmitteilung des Bundesamtes am 8. September 2017 bestandskräftig.
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Am 20. Februar 2018 legte die Klägerin zu 1) der Regierung von Oberbayern - Zentrale Ausländerbehörde - Aufenthaltsgenehmigungspässe („Permesso di Soggiorno“) vor. Dies wurde dem Bundesamt am 1. März 2018 mitgeteilt.
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Mit Schreiben vom 9. September 2019 teilte das Italienische Innenministerium („Ministero dell’Interno - Dipartimento per le Libertà Civili e l’Immigrazione“) auf die Anfrage des Bundesamts mit, dass von der Klägerin zu 1) am 27. Juli 2011 als Asylbewerberin Fingerabdrücke genommen worden seien. Ihr Asylantrag sei im nationalen Verfahren auf Anerkennung internationalen Schutzes abgelehnt worden. Am 7. Dezember 2012 sei ihr eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt worden, die im Jahr 2014 verlängert und im Jahr 2017 abgelaufen sei.
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Mit Schreiben vom 29. Januar 2021 teilte das Bundesamt der Klägerin zu 1) die Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens von Amts wegen mit. Mit Schreiben vom 5. Februar 2021 teilte das Bundesamt weiter mit, dass das Verfahren wegen falscher Angaben zum Schutz in Italien aufgrund eigener Ermittlungen eingeleitet werde und setzte eine einmonatige Äußerungsfrist.
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Nach gewährter Fristverlängerung nahm die Bevollmächtigte der Kläger dahingehend Stellung, dass die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht gegeben seien. Die Abschiebung nach Nigeria sei zutreffender Weise versagt worden. Falsche Angaben habe die Klägerin zu 1) nicht gemacht. Es sei aus den Angaben offenkundig gewesen, dass eine Flüchtlingsschutzgewährung nicht in Betracht komme. Die Klägerin zu 1) habe laienhaft von einer Schutzgewährung durch ein nationales Abschiebungsverbot ausgehen dürfen, insbesondere wegen der mehrfachen Verlängerung. Die Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens seien demnach nicht gegeben. Vielmehr sei § 73c AsylG von Bedeutung. Es lägen keine neuen Tatsachen für einen Widerruf vor. Zudem wurde auf die humanitäre Situation und die Entwicklungsstörung des Klägers zu 2) verwiesen.
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Im Verfahren wurden mehrere Arztberichte von S … V …, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, … … …, vorgelegt.
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Der Asylantrag des Sohnes der Klägerin zu 1), A … O … I …, geb. am … … 2018 in Starnberg, wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 4. Mai 2021 (Az. …-232) vollumfänglich als einfach unbegründet abgelehnt. Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen und die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Gegen den Bescheid ist eine Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 21a K …) anhängig. Im Verfahren wurde im Wesentlichen eine Verelendung, insbesondere durch den erhöhten Bedarf des Klägers zu 2), geltend gemacht.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 18. März 2021 (Az. …-232), nach Aktenvermerk am 29. März 2021 als Einschreiben zur Post gegeben, wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 1). Die mit Bescheid vom 22. August 2017 (Az. …-232) erlassene Abschiebungsandrohung wurde dahingehend geändert, dass die Kläger für den Fall, dass sie der Ausreiseaufforderung nicht nachkommen, nach Nigeria abgeschoben werden (Nr. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass seitens Italien keine Aufnahmepflicht mehr bestehe und somit Abschiebungsverbote hinsichtlich Nigerias zu prüfen seien. Eine Prüfung dahingehend sei bisher noch nicht erfolgt. Abschiebungsverbote hinsichtlich Nigerias lägen nicht vor. Eine schutzrelevante Gefahr durch den Onkel der Klägerin zu 1) liege nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vor. Der Streit habe nur mit dem Vater bestanden und liege auch schon elf Jahre zurück. Den Klägern stehe jedenfalls ein staatlicher Schutz zur Verfügung. Eine Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit der nigerianischen Sicherheitsbehörden sei nicht zu erkennen. Dass der Onkel aus der Untersuchungshaft wieder freigekommen sei, habe auch an mangelnden Beweisen liegen können. Die Klägerin zu 1) habe in zwei unterschiedlichen Anhörungen behauptet, dass ihr Asyl zuerkannt worden sei. Ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen werde in Italien jedoch unabhängig vom Asylantrag gewährt und führe nicht zu einer Unzulässigkeitsentscheidung in Deutschland wegen Schutzgewährung in einem Mitgliedsstaat. Hinsichtlich der Dauer wird ausgeführt, dass bei der Prüfung des internationalen Schutzes auch der subsidiäre Schutz geprüft werde, dessen Zuerkennung auch in Deutschland zu einem einjährigen Aufenthaltstitel führe. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich nicht aufgrund der humanitären Situation im Falle einer Abschiebung. Eine allgemein schwierige Lage begründe kein Abschiebungsverbot und müsse und könne wie von den Landsleuten bewältigte werden. Zur Bewältigung könne eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen sowie staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen in Anspruch genommen werden. Somit sei nicht zu erwarten, dass die Kläger in eine vergleichsweise wesentlich schlechtere oder gar aussichtslose humanitäre Lage geraten würden. Dies gelte auch im Hinblick auf die Auswirkungen der COVID 19-Pandemie. Die Klägerin zu 1) sei jung, gesund und arbeitsfähig. Sie habe fünf Jahre lang die Schule besucht und teilweise eine Schneiderausbildung absolviert. Zudem könne sie Rückkehr- und Integrationsprogramme nutzen. Aus den Arztberichten sei nicht ersichtlich, dass eine kostspielige Behandlung in Nigeria erforderlich sei. Zudem seien die Kosten kein Teil der Existenzsicherung, sondern Sonderbedarf. Aus den Arztberichten lasse sich auch kein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen entnehmen. Eine behandlungsbedürftige Erkrankung liege nicht vor. Es werde lediglich eine Förderung empfohlen. Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer COVID 19-Infektion lägen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei erforderlich und auf den neuen Zielstaat abzuändern. Eine Ausreiseaufforderung bedürfe es wegen der Ausreisepflichtigkeit nicht.
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Gegen den Bescheid haben die Kläger durch Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 7. April 2021, bei Gericht vorab per Telefax eingegangen am selben Tag, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht erheben lassen.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 11. Januar 2022 ausgeführt, dass die Klägerin zu 1) alleinerziehende Mutter ihrer zwei Kinder sei. Sie habe in Nigeria zwei minderjährige Brüder, die sie finanziell unterstütze. Die Klägerin zu 1) sei in Teilzeit erwerbstätig. Der Kläger zu 2) habe einen besonderen Betreuungsbedarf. Beigefügt wurde ein Entwicklungsbericht der Lebenshilfe S … vom 12. April 2021. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme lägen nicht vor. Jedenfalls sei die Abschiebung unzulässig, da das Existenzminimum für eine alleinerziehende Mutter nicht zu erwirtschaften sei. Dazu zähle unter anderem auch ein Minimum an ärztlicher Versorgung. Die Klägerin zu 1) sei ohne familiäre Unterstützung nicht zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage.
14
Die Kläger beantragen,
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 18.03.2021, Gesch.Z. …-232, zugestellt am 30.03.2021, wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach §§ 60 V und VII AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 12. April 2021
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Zur Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.
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Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss der Kammer vom 14. Dezember 2021 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Der Einzelrichter am 19. Januar 2022 mündlich zur Sache verhandelt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten zu diesem Verfahren, dem Vorverfahren sowie dem Verfahren des Sohnes bzw. Bruders der Kläger.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und begründet, im Übrigen bereits unzulässig.
23
Über die Klage konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten verhandelt und entschieden werden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf die Folge des Ausbleibens gem. § 102 Abs. 2 VwGO hingewiesen worden ist.
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I. Die Entscheidung des Bundesamtes über die Feststellung von Abschiebungsverboten sowie die Entscheidung über die Abänderung der Abschiebungsandrohung in eine solche nach Italien ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Denn eine Entscheidung über die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten hinsichtlich Nigeria und eine entsprechende Abschiebungsandrohung hätte nach der Prüfungssystematik des Asylverfahrens ohne entsprechende Zulässigkeits- bzw. Unzulässigkeitsentscheidung nicht ergehen dürfen.
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1. Das Bundesamt hat gem. § 24 Abs. 2 AsylG und § 31 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG und gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch für den Erlass einer Abschiebungsandrohung eine Annexkompetenz im Rahmen der Asylantragsprüfung (vgl. Heusch in BeckOK AuslR, Stand 1.10.2021, AsylG, § 31 Rn. 19 ff. und § 34 Rn. 10). Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 AsylG ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträgen festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen. Dadurch wird das gesetzlich fixierte Entscheidungsprogramm des Bundesamtes insoweit gestaffelt, dass über ein Abschiebungsverbot jedenfalls erst nach einer Unzulässigkeitsentscheidung hinsichtlich des Asylantrags zu befinden ist. Dadurch soll grundsätzlich gewährleistet werden, dass Schutz vorrangig auf derjenigen Stufe zu gewähren ist, die den umfangreichsten Schutz vermitteln kann (vgl. BVerwG, U. v. 27. Mai 2021 - 1 C 36.20 - juris Rn 16).
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Eine Entscheidung über die im Prüfprogramm des Bundesamtes enthaltenen Abschiebungsandrohungen sowie der Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. §§ 59 und 60 Abs. 10 AsylG ohne eine entsprechende Unzulässigkeitsentscheidung ist jedenfalls verfrüht ergangen (vgl. BVerwG, U. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris Rn. 21).
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2. Eine Unzulässigkeitsentscheidung, die nach diesen Maßstäben einer Entscheidung über ein Abschiebungsverbot und dem Erlass einer Abschiebungsandrohung hinsichtlich Nigerias hätte vorausgehen müssen, wurde vom Bundesamt nicht getroffen.
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a. Nach der Mitteilung des Italienischen Innenministeriums vom 9. September 2019 steht hinreichend sicher fest, dass den Kläger in Italien ein internationaler Schutz nicht gewährt, sondern der Asylantrag abgelehnt worden ist. Auch die vorgelegten Pässe („Permesso Di Soggiorno“) weisen eine Schutzgewährung lediglich aus humanitären Gründen („motivi umanitari“) bzw. aus familiären Gründen („motivi familiari“) aus, sodass daraus kein Schluss auf eine Gewährung internationalen Schutzes gezogen werden kann (vgl. BayVGH, U. v. 15.2.2018 - 10 ZB 17.30437 - juris Rn. 7).
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Dementsprechend stellt der beim Bundesamt gestellte Asylantrag aufgrund des erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG dar. Somit hätte eine Entscheidung über die Abschiebungsverbote und die Abschiebungsandrohung hinsichtlich Nigerias erst ergehen können, wenn über den Zweitantrag gem. § 71a AsylG eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG getroffen worden wäre. Eine solche Prüfung und Entscheidung lässt sich aber weder dem Tenor noch den Gründen des Bescheides vom 18. März 2021 entnehmen.
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Die bestandskräftige Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bietet keine Grundlage für eine Entscheidung über Abschiebungsverbote und den Erlass einer Abschiebungsandrohung hinsichtlich Nigerias. Denn das nationale Abschiebungsverbot ist zielstaatsbezogen. Dabei können abhängig vom Ausgang des Asylverfahrens unterschiedliche Staaten in den Blick zu nehmen sein (vgl. BVerwG, U. v. 27.5.2021 - 1 C 36.20 - juris Rn. 17). So ist bei einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen der Annahme einer Schutzgewährung in einem Mitgliedsstaat die Abschiebung nicht in den Herkunftsstaat, sondern gem. § 35 AsylG in den Mitgliedstaat anzudrohen, sodass sich auch die Prüfung eines Abschiebungsverbots auf diesen Staat zu beziehen hat.
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b. Es ist auch keine Umdeutung der Unzulässigkeitsentscheidung der Nr. 1 des Bescheids vom 22. August 2017 (Az. …-232) möglich.
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Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass vorliegen. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwVfG ist eine Umdeutung nicht möglich, wenn die Rechtsfolgen des Verwaltungsakts ungünstiger wäre als die des fehlerhaften Verwaltungsakts.
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Letzteres ist bei einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG im Vergleich zu einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG der Fall, da dem oder der Betroffenen statt einer Abschiebung in einen Mitgliedsstaat, der bereits Schutz gewährt hat, eine Abschiebung in jeden zur Aufnahme bereiten Staat einschließlich seines Herkunftsstaates droht (vgl. BVerwG, U. v. 21.11.2017 - 1 C 39/16 - juris Rn. 45).
35
Der Bescheid vom 22. August 2017 (Az. …-232) stützt sich ausweislich der Gründe wegen einer angenommenen Schutzgewährung in Italien auf eine Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Aufgrund der rechtlichen Schlechterstellung durch eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG kann die ursprüngliche Unzulässigkeitsentscheidung nicht in die fehlende Entscheidung des Bundesamtes nach § 71a i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG umgedeutet werden.
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II. Hinsichtlich des unbedingt gestellten Verpflichtungsanspruchs auf Feststellung von Abschiebungsverboten ist die Klage damit bereits unzulässig, da die Kläger zum Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung zu einer Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Nigeria geltend machen können (§ 42 Abs. 2 VwGO). Denn eine Entscheidung über die Zulässigkeit und/oder Begründetheit des Zweitantrags als zwingend erforderliche Vorstufe einer Entscheidung über nationale Abschiebungsverbote hinsichtlich Nigerias ist noch nicht ergangen. Eine Entscheidung über ein Abschiebungsverbot wäre damit verfrüht (vgl. BVerwG, U. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris Rn. 21).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es nicht Aufgabe des Tatsachengerichts, eine zu Unrecht verweigerte Sachprüfung erstmals vorzunehmen; vielmehr hat diese Prüfung vorrangig das Bundesamt als mit besonderem Sachverstand ausgestattete Fachbehörde nachzuholen (vgl. BVerwG, U. v. 27.5.2021 - 1 C 36/20 - juris Rn. 12 ff.; U. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris Rn. 19 ff.). Gleiches muss für eine Zulässigkeitsprüfung auf erster Stufe des Asylverfahrens gelten, wenn eine Unzulässigkeitsentscheidung nicht zu Unrecht verweigert, sondern die Zulässigkeit des Zweitantrags nach § 71a i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG noch gar nicht geprüft worden ist. Es ist somit nicht Aufgabe des Gerichts, anstelle des Bundesamts über eine Unzulässigkeit des Asylantrags gem. § 71a i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG und in der Folge über das Bestehen von Abschiebungsverboten hinsichtlich Nigerias zu entscheiden.
38
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Aufgrund des jeweiligen Unterliegens in einem der zwei Streitgegenständen sind die Kosten hälftig zu teilen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten und zur Abwendungsbefugnis beider Beteiligter beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 VwGO.