Titel:
Erfolglose Nachbarklage auf bauaufsichtliches Einschreiten – Nutzungsuntersagung
Normenketten:
VwGO § 86 Abs. 1, § 113 Abs. 5
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 1, S. 2, Art. 76 S. 2
LStVG Art. 9 Abs. 2
BGB § 917, § 1028 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Bei der Verpflichtungsklage des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten ist die formelle Rechtswidrigkeit nur notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung. Diesem steht nur dann ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Behörde zu, wenn durch die gerügte Nutzung nachbarschützende Vorschriften verletzt werden sowie das durch Art. 76 S. 2 BayBO grundsätzlich eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften alleine führt nicht automatisch zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Eine Ermessensreduzierung auf ein bauaufsichtliches Einschreiten hin ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Soll die Nutzung von Wohnraum untersagt werden, der für die Bewohner den Mittelpunkt der privaten Existenz bildet, ist die materielle Rechtswidrigkeit der Wohnnutzung erforderlich. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Gerichtliche Aufklärungsmaßnahmen sind nur dann veranlasst, wenn sie sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen; das Verwaltungsgericht muss sich nicht ohne Anhaltspunkt ungefragt auf Fehlersuche begeben. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtungsklage gegen die Bauaufsichtsbehörde auf Erlass einer Nutzungsuntersagung hinsichtlich eines hauptsächlich wohngenutzten Gebäudes (abgewiesen), Ein etwaiges Notwegerecht nach § 917 BGB zulasten des Nachbarn entsteht erst mit bestandskräftiger Baugenehmigung (Anschluss an BayVGH, B.v. 4.11.2020 – 9 CE 20.1968 – juris Rn. 19). Fehlt eine solche und besteht Streit über das Bestehen eines Geh- und Fahrtrechts zugunsten des Beigeladenen, ist der Kläger diesbezüglich auf den Zivilrechtsweg zu verweisen., Keine automatische Ermessenreduzierung auf Null hinsichtlich bauaufsichtlichen Einschreitens bei Verletzung nachbarschützender Vorschriften; Einzelfallentscheidung erforderlich (Anschluss an BayVGH, B.v. 25.9.2013 – 14 ZB 12.2033 – juris Rn. 16 f.), Materielle Beweislast für die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO liegt im Falle einer Verpflichtungsklage des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten bei diesem, Bei geltend gemachten Brandschutzmängeln ist im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf Erlass einer Nutzungsuntersagung als milderes Mittel die Beseitigung der brandschutzrechtlichen Mängel durch eine Anordnung nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayBO in Betracht zu ziehen, Soll eine bereits bestehende Wohnnutzung untersagt werden, sind entsprechend Art. 9 Abs. 2 LStVG vorrangig die Mieter vor dem Eigentümer als Störer heranzuziehen, sofern nicht zu befürchten ist, dass das Objekt einem ständig wechselnden Personenkreis überlassen wird (Anschluss an BayVGH, B.v. 28.7.2014 – 2 CS 14.1326 – juris Rn. 4)
Fundstelle:
BeckRS 2022, 15846
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren nunmehr noch, dem Beigeladenen die Nutzung seines Grundstückes zu Wohnzwecken zu untersagen.
2
Streitgegenständlich ist ein zwei- bis dreigeschossiges Fabrikgebäude der Gebäudeklasse 3 mit einer Gesamtlänge von etwa 30 Metern auf dem Grundstück Flurnummer (FlNr.) … der Gemarkung … mit der Adresse … Gebäude und Grundstück befinden sich im unbeplanten Innenbereich. Das Gebäude ist insofern dreigeteilt, als dass der mittlere Gebäudeteil sich über drei Stockwerke (Erdgeschoss, Obergeschoss, Dachgeschoss) erstreckt und mit einem Walmdach mit jeweils drei Dachgauben pro Seite abschließt und die sich nordwestlich bzw. südöstlich anschließenden Gebäudeteile je nur über ein Erdgeschoss und ein Obergeschoss verfügen, welches mit einem Flachdach abschließt. Das Flachdach liegt jeweils etwa auf der Höhe des Bodens des Dachgeschosses des Mitteltraktes. Der Mitteltrakt misst ausweislich der Schnittzeichnung mit Datum 28. April 2014 und 8. Juni 2015 als Teil der mittlerweile durch Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. März 2020 (AN 17 K 17.00172) aufgehobenen Baugenehmigung für das streitgegenständliche Gebäude vom 15. Dezember 2016 vom Erdgeschoss bis zum Boden des Dachgeschosses etwa 6,47 Meter, vom Erdgeschoss bis zum Schnittpunkt der Außenwand mit der Dachhaut etwa 7,67 Meter, vom Schnittpunkt der Außenwand mit der Dachhaut bis zum Dachfirst etwa 4,40 Meter, wobei die Dachneigung 47 Grad beträgt; hinsichtlich der Dachgauben sind keine Maßangaben enthalten. Das Gebäude wurde in seiner Geschichte unterschiedlich genutzt, früher als Druckerei, Mitte 1970 bis 1982 durch das Arbeitsamt … und das Fernmeldeamt … sowie als Fitnessstudio und zuletzt befristet bis Ende August 2002 als Asylbewerberunterkunft. Der Beigeladene ist Eigentümer des genannten Grundstücks. Die Kläger sind (Mit-)Eigentümer bzw. Nießbraucher der unmittelbar angrenzenden Grundstücke mit den FlNrn. … (östlich) und … (nordwestlich) der Gemarkung … Das Gebäude des Beigeladenen auf der FlNr. … und das klägerische Gebäude auf der FlNr. … stoßen im ersten Obergeschoss in einem Winkel von etwa 90 Grad unmittelbar auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze aufeinander, wobei die grenzständige Außenwand des Gebäudes der Kläger (FlNr. …) die des Beigeladenengebäudes auf Höhe des ersten Obergeschosses (FlNr. …) nach Nordosten hin überragt. Im Erdgeschoss kragt das Gebäude des Beigeladenen auf der Nordostseite im Norden auf die gemeinsame Grundstücksgrenze mit dem Klägergrundstück, FlNr. … (nordöstlich des Beigeladenengrundstücks FlNr. … gelegen), aus auf einer Länge von etwa 10 m (Vorbau). Im Übrigen besteht zwischen dem Gebäude des Beigeladenen (FlNr. …) und der Grundstücksgrenze zum nordöstlich angrenzenden Klägergrundstück (FlNr. …) ein Abstand von wenigstens 2,50 m (max. 2,72 m), der sich in südlicher Richtung mit Abknicken der Grundstücksgrenze zur Bahnstrecke hin auf Höhe der beiden südlichsten Fenster der Nordostseite auf unter 2,50 m verengt.
3
Im Grundbuch des Amtsgerichts … (Band …, Blatt …) ist zu Lasten des Grundstücks der Kläger mit der FlNr. … in der Abteilung 2 ein Geh- und Fahrtrecht eingetragen:
Geh- und Fahrtrecht für die jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemäß Bewilligung vom 24. März und 8. April 1909 eingetragen am 14. April 1909 und hierher übertragen am 23.02.1989.“
4
In den Akten (Blatt 88) zum bereits entschiedenen Verfahren betreffend dasselbe Grundstück wie hier (AN 17 K 17.00172) ist eine Übersetzung der diesbezüglichen Bewilligung aus dem Jahre 1909 enthalten. Unter V. heißt es:
„Der Verkäufer räumt für sich und seine Besitznachfolger dem Käufer und dessen Nachfolgern hiermit das Recht ein, zu dem Kaufsobjekt durch die Durchfahrt, welche sich unter dem auf Pl.Nr. … stehenden Ziegeleigebäude (findet lies,) befindet, dauernd und unentgeltlich zu gehen und zu fahren. Eintrag dieser Dienstbarkeit im Hypothekenbuch auf dem Blatt des herrschenden und dienenden Grundstücks wird schon jetzt beantragt.“
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Die Versuche der Kläger, den Beigeladenen zivilrechtlich zur Zustimmung der Löschung dieser Grunddienstbarkeit nach § 894 BGB zu zwingen, sind vor dem Landgericht … (U.v. 26.9.2019 - …) und dem Oberlandesgericht … (B.v. 20.9.2021 - … - Zurückweisung der Berufung) im Wesentlichen mangels Aktivlegitimation gescheitert.
6
Ebenso ist zu Lasten des Grundstücks mit der FlNr. …, welches im Eigentum der Stadt … steht, östlich an das Grundstück der Kläger mit der FlNr. … anschließt und die Verbindung zur öffentlichen … herstellt, in Abteilung 2 ein Geh- und Fahrtrecht zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers der FlNr. … eingetragen (Grundbuch des Amtsgerichts …, Band …, Blatt …).
7
Der Beigeladene beabsichtigte in das Gebäude fünf Wohnungen einzubauen und Teile des Erdgeschosses als Lagerraum zu nutzen und beantragte hierfür eine Baugenehmigung, die ihm durch die Beklagte, die Stadt …, mit Bescheid vom 15. Dezember 2016 erteilt wurde. Gegen diese Baugenehmigung haben die Kläger am 26. Januar 2017 Klage vor dem Verwaltungsgericht Ansbach erhoben (AN 17 K 17.00172) und später mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2018 einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Der Eilantrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. Januar 2019 (AN 17 S 18.02454) abgelehnt. Auf die Beschwerde der Kläger hin ordnete der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) mit Beschluss vom 16. Juli 2019 (9 CS 19.374) unter entsprechender Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 26. Januar 2017 an. Mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil vom 5. März 2020 hob das Verwaltungsgericht Ansbach die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 15. Dezember 2016 auf. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass zum einen die Baugenehmigung hinsichtlich einer beantragten Abweichung nach Art. 63 BayBO zu unbestimmt gewesen sei und gegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG verstoßen habe. Daher sei für die Kläger nicht erkennbar gewesen, inwieweit sie in dem nachbarschützenden Belang einer über fünf Meter öffnungslos auszubildenden Brandwand des Art. 28 Abs. 6 BayBO betroffen gewesen seien. Eine inhaltliche Prüfung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 63 BayBO für die Erteilung einer Abweichung von den Vorgaben des Art. 28 Abs. 6 BayBO erfolgte diesbezüglich nicht. Des Weiteren stützte das Verwaltungsgericht seine Aufhebungsentscheidung auf die durch die Baugenehmigung vom 15. Dezember 2016 erteilten Abweichungen nach Art. 63 BayBO vom Grundsatz der öffnungslosen Brandwand nach Art. 28 Abs. 8 Satz 1 BayBO: Es seien jeweils keine für eine Abweichung von Art. 28 Abs. 8 BayBO erforderlichen herausgehobenen öffentlichen oder privaten Belange angeführt worden, die eine Zurückstellung des drittschützenden Ziels der öffnungslosen Brandwand rechtfertigen könnten und zudem sei nicht erwogen worden, dass aufgrund der regellosen Umgebungsbebauung Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO zugunsten einer Bebauung auf dem Nachbargrundstück (Flurnummer …) einschlägig sein könnte. Zur grundsätzlichen (Un-)Zulässigkeit einer Wohnnutzung traf das Verwaltungsgericht keine Feststellungen.
8
Derzeit wird das Anwesen ohne vorliegende Baugenehmigung zu Wohnzwecken genutzt, sowohl durch den Beigeladenen selbst, als auch durch weitere Personen. Ausweislich des Protokolls der Beklagten bezüglich eines Ortstermines am 30. Juni 2021 wohnt der Beigeladene mit seiner Familie im Obergeschoss des nördlichen Gebäudeteils. Die beiden übrigen Wohnungen befinden sich im Erd- und Obergeschoss des mittleren Gebäudeteils. Im Übrigen, im Erd- und Obergeschoss des südlichen Gebäudeteils befinden sich Lagerräume und im Erdgeschoss des nördlichen Gebäudeteils Büroräume und die Haustechnik. Laut dem dem Gericht am 14. Juli 2021 übersandten Melderegisterauszug der Stadt … sind unter der Adresse …, jeweils mit dem Status „alleinige Wohnung“, neben dem Beigeladenen zehn weitere Personen gemeldet, von denen drei seine Ehefrau und zwei gemeinsame Töchter sind. Die übrigen sieben Personen bilden augenscheinlich zwei weitere Familien.
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Im Zuge einer bereits seit 22. Juli 2019 stattfindenden Korrespondenz per Mail wies der damalige Klägerbevollmächtigte die Beklagte am 28. April 2020 darauf hin, dass das Verwaltungsgericht die Baugenehmigung des Beigeladenen aufgehoben habe und damit feststehe, dass eine rechtswidrige Nutzung ausgeübt werde, was auch zu einer nicht hinnehmbaren Brandgefahr führe. Er forderte die Beklagte auf, die Bauarbeiten unverzüglich einzustellen und die Nutzung zu untersagen binnen 14 Tagen, andernfalls man sich eine Klage vorbehalte. Die Beklagte erwiderte hierauf mit E-Mail vom 28. April 2020, dass erst die Urteilsbegründung abgewartet werde. Mit E-Mail ebenfalls vom 15. Mai 2020 teilte die Beklagte dem Kläger zu 2) und dessen Bevollmächtigtem mit, dass eine Nutzungsuntersagung erst nach Begründung der gerichtlichen Entscheidung geprüft werde. Seit einer Mitteilung des Klägers zu 2) aus dem vergangenen Jahr sei das Anwesen des Beigeladenen immer wieder stichprobenartig kontrolliert worden, ohne dass laufende Bauarbeiten haben festgestellt werden können.
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Mit am 25. Mai 2020 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihres damaligen Prozessbevollmächtigten haben die Kläger Klage gegen die Beklagte auf deren Verpflichtung zur Einstellung der Bauarbeiten auf dem Grundstück des Beigeladenen sowie zum Ausspruch einer Untersagung der Wohnnutzung gegen den Beigeladenen erhoben (AN 17 K 20.00982). Zusammen mit der Klage haben sie einen Antrag nach § 123 VwGO gestellt, gerichtet auf die Verpflichtung der Beklagten zur vorläufigen und sofort vollziehbaren Einstellung der Bauarbeiten sowie zur vorläufigen und sofort vollziehbaren Nutzungsuntersagung zu Wohnzwecken bezüglich des Anwesens des Beigeladenen (AN 17 E 20.00981). Zur Begründung führten sie im Einzelnen aus, dass laut ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 20. Mai 2020 im Gebäude des Beigeladenen immer wieder Bauarbeiten stattgefunden hätten. Es bestehe ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten nach Art. 75 und Art. 76 BayBO, das geplante Bauvorhaben des Beigeladenen sei in der genehmigten Fassung materiell baurechtswidrig. Da auch keine Genehmigung vorliege, sei das Ermessen der Beklagten durch bauaufsichtliche Verfügung einzuschreiten auf Null reduziert. Ohne ein Tätigwerden der Behörde bestehe die konkrete Gefahr, dass der Beigeladene durch die weitere Ausführung des Vorhabens baurechtswidrige Zustände schaffe. Im Einzelnen bestehe eine konkrete Gefährdungslage mit Blick auf den Brandschutz. Hinsichtlich der Wohnnutzung habe sich diese fortlaufend intensiviert. Zunächst sei nur der Beigeladene selbst eingezogen, nach und nach und auch nach dem Beschluss des BayVGH vom 16. Juli 2019 aber weitere Personen, aktuell seien es vier Familien mit Kindern neben dem Beigeladenen. Zudem werde das Grundstück der Kläger als Zugang und Zufahrt genutzt, ohne dass hierfür ein Geh- und Fahrtrecht bestehen würde. Ausweislich des Messungsnachtrages vom 8. April 1909 zum Kaufvertrag vom 24. März 1909 sei der Ausübungsbereich des Geh- und Fahrtrechts wie folgt begrenzt worden: „Durch die Durchfahrt welche sich unter dem auf Plannummer … stehenden Ziegeleigebäude (…) befindet, dauernd und unentgeltlich (…)“. Diese Durchfahrt existiere seit ca. 1946 durch die Errichtung eines weiteren Gebäudes nicht mehr. Damit sei das Geh- und Fahrtrecht nach § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB erloschen. Schließlich sei das Anwesen des Beigeladenen in der … nicht dessen alleiniger Lebensmittelpunkt, sondern dieser verfüge über weitere in seinem Eigentum stehende und nicht vermietete Wohnungen in … und … Eine Wohnung des Anwesens in … sei aufgrund eines abgeklebten Briefkastens und stattfindender Bauarbeiten offenbar nicht bewohnt; hierzu werden Handyfotos vorgelegt. Auch ergebe sich aus dem Rubrum eines Beschlusses des OLG … vom 20. September 2021, dass der Beigeladene seinen Wohnsitz in der … in … habe. Jedenfalls aber habe der Beigeladene die Mietverträge nach dem 5. März 2020, also nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach vom selben Tag (AN 17 K 17.00172), mit dem die Baugenehmigung zugunsten des Beigeladenen aufgehoben worden sei, abgeschlossen. Er habe also bewusst Mietverträge abgeschlossen, obwohl ihm klar gewesen sei, dass er das streitgegenständliche Anwesen in … nicht mehr habe nutzen dürfen. Schließlich sei der Beigeladene nicht schützenswert, da er bislang keinen neuen Bauantrag eingereicht habe.
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Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 10. August 2020 (AN 17 E 20.00981) abgelehnt. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die behaupteten Bauarbeiten durch den Beigeladenen nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden seien. Hinsichtlich der begehrten Nutzungsuntersagung könnten sich die Kläger nicht auf den Belang der mangelnden Erschließung des Beigeladenengrundstücks berufen, da zu dessen Gunsten eine Grunddienstbarkeit (Geh- und Fahrtrecht) auf dem klägerischen Grundstück FlNr. … laste. Soweit Verstöße des Beigeladenen gegen das Bauordnungsrecht vorlägen, führten diese nicht zu der für einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten der Beklagten erforderlichen Ermessenreduzierung auf Null. Gegen diesen Beschluss haben die Kläger Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erhoben, der diese mit Beschluss vom 4. November 2020 (9 CE 20.1968) zurückwies.
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Nach einem Ortstermin am 30. Juni 2021 am und im Anwesen des Beigeladenen ordnete die Beklagte mit Bescheid vom 20. September 2021 gegenüber dem Beigeladenen die sofortige Einstellung der Bauarbeiten auf dem Grundstück FlNr. … an - mit Ausnahme einiger aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen. Daraufhin erklärte der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2021 den Rechtsstreit hinsichtlich der begehrten Baueinstellung für erledigt. Die Beklagte hatte der Erledigungserklärung bereits vorab mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2021 zugestimmt. Mit Beschluss vom 22. Oktober 2021 wurde das Verfahren insoweit unter dem Aktenzeichen AN 17 K 21.01902 eingestellt.
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Im Klageverfahren beantragen die Kläger nunmehr noch,
der Beklagten aufzugeben, dem Beigeladenen die Nutzung des Grundstücks … (FlNr. …) zu Wohnzwecken zu untersagen.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung führt sie aus, dass hinsichtlich der Untersagung der Wohnnutzung die Ausführungen des BayVGH nicht den Schluss zuließen, dass eine Wohnnutzung grundsätzlich ausgeschlossen sei, weswegen keine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen sei. Die Untersagung der Wohnnutzung wäre eine weitreichende behördliche Entscheidung, welche massiv in die aktuelle Lebenssituation der Bewohner eingreifen würde. Die dort gemeldeten Personen hätten zudem ihren alleinigen Wohnsitz im streitgegenständlichen Gebäude.
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Der Beigeladene beantragt,
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Zur Begründung lässt er ausführen, dass er die Klägerin zu 1) nicht für aktivlegitimiert halte, da sie lediglich Nießbrauchsberechtigte für eine Eigentumseinheit des Nachbargrundstückes sei. Im Übrigen sei der Beigeladene zwar Eigentümer eines Zweifamilienhauses in …, wobei es sich jeweils um Drei-Zimmer-Wohnungen handele. Diese seien allerdings seit dem 1. Januar 2021 sowie seit 15. Juni 2021 vermietet. Weiter sei der Beigeladene Eigentümer eines Zweifamilienhauses in … Auch für dieses Haus bestünden ungekündigte Mietverträge für die Zeit ab dem 1. März 2012 und dem 1. Juni 2016. Im streitgegenständlichen Anwesen selbst wohnten der Beigeladene mit Familie sowie zwei weitere Familien in Miete. Der Beigeladene habe somit keinen freien Wohnraum, der ihm für eine Eigennutzung zur Verfügung stehen würde. Hinsichtlich der Adressangabe auf dem Rubrum des Beschlusses des OLG … vom 20. September 2021 handele es sich um die vorangegangene Anschrift des Beigeladenen, seit dem 1. Januar 2019 sei dieser ausschließlich in der … gemeldet, wie es sich auch aus dem Melderegisterauszug der Stadt … ergebe.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und diverse Gerichtsakten zum streitgegenständlichen Gebäude (AN 17 E 20.00981/AN 17 K 20.00982, AN 17 S 18.02454, AN 17 K 17.00172, AN 9 K 15.01371, AN 9 S 15.01649) Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2021 wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit zu Protokoll der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2021 einverstanden erklärt haben.
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Die sich nur noch auf die Nutzungsuntersagung beziehende Verpflichtungsklage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gegeben. Hiernach ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt bzw. dessen Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Für die Bejahung der Klagebefugnis genügt insoweit, dass eine Rechtsverletzung des Klägers als möglich erscheint, also nicht von vornherein offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist (Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 42 Rn. 124).
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Die Klägerin zu 1) ist Inhaberin eines Nießbrauchsrechts an zwei Eigentumsanteilen des Klägers zu 2) von 35/100 verbunden mit dem Sondereigentum an den gewerblichen Räumen im Erdgeschoss und von 30/100 verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung im Dachgeschoss am Grundstück FlNr. …, dem nordöstlichen Nachbargrundstück des Beigeladenen (FlNr. …). Weiter ist die Klägerin zu 1) nießbrauchsberechtigt am Eigentum des Klägers zu 2) an der FlNr. …, die nordwestlich an das Grundstück des Beigeladenen angrenzt. Die Klagebefugnis kann sich grundsätzlich auch aus einem uneingeschränkten Nießbrauchsrecht gemäß §§ 1030 ff. BGB und auch aus Wohnungseigentum im Sinne des § 1 Wohnungseigentumsgesetz ergeben (Edenharter in Spannowsky/Manssen, BeckOK BauordnungsR Bayern, Stand 1.5.2022, Art. 66 BayBO Rn. 20 ff.; s.a. BayVGH, B.v. 14.1.2022 - 9 ZB 19.331 - juris Rn. 9 f.). Insofern erscheint es nicht als von vornherein ausgeschlossen, dass die Kläger durch die bislang seitens der Beklagten nicht ausgesprochene Nutzungsuntersagung in drittschützenden Rechten, insbesondere den Vorschriften zum Erfordernis einer Brandwand, verletzt sind und ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beklagte besteht.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet, da das Unterlassen der Nutzungsuntersagung durch die Beklagte rechtmäßig ist und die Kläger im Ergebnis nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Die Kläger haben nämlich keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erlass einer Nutzungsuntersagung der Wohnnutzung nach Art. 76 Satz 2 BayBO gegenüber dem Beigeladenen hinsichtlich dessen Grundstück … (FlNr. …). Auch ist kein Ermessensfehler der Beklagten ersichtlich, der gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO eine Verpflichtung zur Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts rechtfertigen würde.
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a) Die Anordnung einer Nutzungsuntersagung setzt gemäß Art. 76 Satz 2 BayBO zunächst voraus, dass eine Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt wird. Für einen Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften in diesem Sinne genügt zwar im Ausgangspunkt bereits die formelle Rechtswidrigkeit, also eine Nutzung ohne die hierfür erforderliche Baugenehmigung, da die Nutzungsuntersagung ähnlich der Baueinstellung nach Art. 75 BayBO in erster Linie die Funktion hat, den Bauherren auf das Baugenehmigungsverfahren zu verweisen (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 76 Rn. 282 m.w.N.). Allerdings ist die formelle Rechtswidrigkeit im Falle einer Verpflichtungsklage des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten nur notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung. Diesem steht nur dann ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Behörde zu, wenn durch die gerügte Nutzung nachbarschützende Vorschriften verletzt werden (BayVGH, U.v. 4.12.2014 - 15 B 12.1450 - juris Rn. 21 f.) sowie das durch Art. 76 Satz 2 BayBO grundsätzlich eingeräumte Ermessen („kann“) auf Null reduziert ist. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist auch bei einer Verletzung nachbarschützender Vorschriften die Frage einer Ermessensreduzierung auf Null zugunsten eines bauaufsichtlichen Einschreitens anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Die Verletzung nachbar-schützender Vorschriften alleine führt nicht automatisch zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Eine Ermessensreduzierung auf ein bauaufsichtliches Einschreiten hin ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (BayVGH, B.v. 25.9.2013 - 14 ZB 12.2033 - juris Rn. 16 f. m.w.N. aus der Rspr.; s.a. Manssen in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 22. Edition 1.5.2022, Art. 76 Bay-BO Rn. 92 f.). In Betracht kommt eine solche Ermessenreduzierung vor allem bei (drohender) Beeinträchtigung hochrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit oder bei sonst unzumutbaren Beeinträchtigungen (BayVGH, B.v. 18.6.2008 - 9 ZB 07.497 - juris Rn. 4).
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Darüber hinaus ist, wenn die Nutzung von Wohnraum untersagt werden soll, der für die Bewohner den Mittelpunkt der privaten Existenz bildet, die materielle Rechtswidrigkeit der Wohnnutzung erforderlich (BayVGH, U.v. 5.12.2005 - 1 B 03.2608 - NVwZ-RR 2006, 754, 755; s. ausführlich VG Ansbach, B.v. 10.8.2020 - AN 17 E 20.00981 - juris Rn. 48). Diese Grundsätze finden auch dann Anwendung, wenn die Nutzungsuntersagung nicht gegenüber den Mietern direkt, sondern nur gegenüber dem Gebäudeeigentümer (und Vermieter) ausgesprochen bzw. diese durch die Kläger begehrt wird. Der Beigeladene wäre nämlich in Konsequenz der Nutzungsuntersagung dazu verpflichtet, seinen Mietern zur Befolgung der öffentlich-rechtlichen Anordnung den zivilrechtlichen Mietvertrag zu kündigen (einen diesbezüglichen Kündigungsgrund erkennt an etwa das AG Hamburg-Blankenese, U.v. 20.4.2007 - 509 C 325/06 - BeckRS 2008, 17521; s.a. Fleindl in Bub/Treier, Hdb. d. Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Aufl. 2019, Kapitel IV. 1.4.3. e) aa) Rn. 182).
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b) Der dargelegte Prüfungsmaßstab bedeutet jedoch - trotz der im Grundsatz bestehenden Pflicht zur Amtsermittlung aus § 86 Abs. 1 VwGO - nicht, dass das Verwaltungsgericht gleichsam ungefragt und ohne substantiierten Anknüpfungspunkt im klägerischen Vortrag oder in der Aktenlage jede nur erdenkliche potentielle materielle Baurechtswidrigkeit des Gebäudes des Beigeladenen ausermitteln muss, hinsichtlich dessen die Kläger von der Beklagten eine Nutzungsuntersagung begehren. Zwar erforscht das Gericht den Sachverhalt nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO von Amts wegen. Jedoch gilt dieser Grundsatz nicht unbeschränkt. Denn gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO sind auch die Beteiligten zur Erforschung des Sachverhalts heranzuziehen, besteht also eine Mitwirkungslast hier insbesondere der Klägerseite, die eine Ermessensreduzierung auf Null behauptet. Sie muss den Prozessstoff umfassend vortragen, was insbesondere bei in die eigene Sphäre fallenden Umständen gilt; bei anwaltlich vertretenen Klägern ist die Mitwirkungspflicht dabei ausgeprägter als bei nicht anwaltlich vertretenen (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 86 Rn. 11). Die gerichtliche Aufklärungspflicht findet dort ihre Grenze, wo das klägerische Vorbringen keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet (BVerwG, U.v. 30.1.2013 - 9 C 11/11 - juris Rn. 28). Anders gewendet sind Aufklärungsmaßnahmen nur dann veranlasst, wenn sie sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen bzw. muss sich umgekehrt das Verwaltungsgericht nicht ohne Anhaltspunkt ungefragt auf Fehlersuche begeben (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 Rn. 33: kein Rechtssatz, aber Maxime richterlichen Handelns).
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Die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO liegt im Übrigen bei den Klägern, die ein bauaufsichtliches Einschreiten der Beklagten verlangen (Manssen in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 22. Edition 1.5.2022, Art. 76 BayBO Rn. 95).
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Dies zugrunde gelegt, wurde sowohl der klägerische Vortrag hinsichtlich der materiellen Rechtswidrigkeit der Wohnnutzung durch den Beigeladenen in diesem Verfahren und dem vorangegangenen Eilverfahren AN 17 E 20.00981 als auch aus dem ebenfalls bereits abgeschlossenen Klageverfahren AN 17 K 17.00172 sowie jeweils die dem Gericht aus den diesbezüglich beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten ersichtlichen Umstände an den tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO gemessen.
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c) Daraus ergibt sich, dass das zu Wohn- und Lagerzwecken genutzte Gebäude des Beigeladenen auf der FlNr. … in Teilen insbesondere gegen das Bauordnungsrecht verstößt, jedoch das der Beklagten im Rahmen des Art. 76 Satz 2 BayBO zustehende Ermessen nicht zugunsten der Kläger auf Null reduziert ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf Ziffer II. 3 des Beschlusses der Kammer vom 10. August 2020 - AN 17 E 20.00981 - juris verwiesen, der den Beteiligten bekannt ist (zur Zulässigkeit einer solchen Verweisung: Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 41. EL Juli 2021, § 117 VwGO Rn. 21) und ergänzend Folgendes angemerkt:
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aa) Da es an einer Ermessenreduzierung auf Null zugunsten der Kläger fehlt, kommt es nicht entscheidend auf die durch die Beteiligten intensiv diskutierte Frage an, ob die Rechtsprechung des ersten Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs einschlägig ist, nach der, wenn die Nutzung von Wohnraum untersagt werden soll, der für die Bewohner den Mittelpunkt der privaten Existenz bildet, im Rahmen einer Nutzungsuntersagung sogar die materielle Rechtswidrigkeit der Wohnnutzung erforderlich ist (BayVGH, U.v. 5.12.2005 - 1 B 03.2608 - NVwZ-RR 2006, 754, 755; s. ausführlich VG Ansbach, B.v. 10.8.2020 - AN 17 E 20.00981 - juris Rn. 48). Davon abgesehen haben die Kläger nur für die Wohnung des Beigeladenen selbst in Zweifel gezogen, dass diese den Mittelpunkt seiner privaten Existenz bildet, nicht aber für die übrigen sieben, in anderen Wohnungen im Gebäude des Beigeladenen mit alleinigem Wohnsitz dort ansässigen Personen. Selbst wenn man die klägerische Prämisse akzeptierte, wäre höchst fraglich, ob hinsichtlich der Verstöße gegen das Abstandsflächenrecht und eine den Brandschutz signifikant, eine Ermessenreduzierung auf Null tragende Verbesserung für die Klägerseite einträte, wenn nur der Beigeladene mit seiner Familie die Wohnung in der … in … verlassen müsste.
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Zur vorgetragenen mangelnden Erschließung des Beigeladenengrundstücks im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB und einem den Klägern drohenden Notwegerecht nach § 917 BGB ist zu ergänzen, dass ein etwaiges Notwegerecht - wenn man mit der Klägerseite einmal davon ausginge, dass das zugunsten des Beigeladenen bestehende Geh- und Fahrtrecht erloschen wäre - erst mit bestandskräftiger Baugenehmigung entstehen würde (BayVGH, B.v. 4.11.2020 - 9 CE 20.1968 - juris Rn.19). Eine solche existiert jedoch nach dem mittlerweile rechtskräftigen Urteil der Kammer vom 5. März 2020 (AN 17 K 17.00172) nicht (mehr). Wollen die Kläger die Nutzung des im Miteigentum des Klägers zu 2), an welchem wiederum ein Nießbrauchsrecht der Klägerin zu 1) bestellt ist, stehenden Grundstücks FlNr. … durch den Beigeladenen zu Erschließungszwecken unterbinden, weil sie der Meinung sind, dass das zu dessen Gunsten eingetragene Geh- und Fahrtrecht materiell-rechtlich erloschen ist, sind sie auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. Dies ist auch sachgerecht, da es sich um einen im Kern zivilrechtlichen Streit, nämlich ob der Beigeladene einer Löschung der zu seinen Gunsten bestellten Dienstbarkeit zustimmen muss oder nicht, handelt. Dass die Kläger mit ihrer dementsprechenden Klage in der Vergangenheit mangels Aktivlegitimation sowohl vor dem Landgericht … als auch dem Oberlandesgericht … gescheitert sind, rechtfertigt es nicht, den zivilrechtlichen Streit über eine bauverwaltungsrechtliche Nutzungsuntersagung auszutragen, um so zivilrechtliche Hürden bei der Geltendmachung des eigenen Anspruches zu umschiffen. Davon abgesehen erscheint zweifelhaft, ob sich die Kläger auf ein Erlöschen des Geh- und Fahrtrechts gemäß § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen können, da die die Grunddienstbarkeit störende Anlage auf dem dienenden Grundstück errichtet worden sein müsste (Kazele in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Beck-Online Großkommentar, 1.5.2022, § 1028 BGB Rn. 17). Laut Schriftsatz des vormaligen Klägerbevollmächtigten vom 26. August 2020 sei die Durchfahrt im Jahre 1946 durch die Errichtung eines weiteren Gebäudes gesperrt worden, das sich laut dem beigelegten Katasterauszug aber auf der FlNr. … befindet, also nicht auf dem dienenden Grundstück FlNr. … bb) Hinsichtlich der brandschutzrechtlichen Verstöße des Lager- und Wohngebäudes des Beigeladenen gegen Art. 28 Abs. 6 Halbs. 2 und Abs. 8 Satz 1 BayBO ist zusätzlich anzumerken, dass es bei Brandschutzmängeln in erster Linie um deren Beseitigung geht. Diese kann zwar im Grundsatz auch dadurch erfolgen, dass die Nutzung des kompletten Gebäudes zu Wohnzwecken untersagt wird, allerdings ist auch hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten, dem gemäß vor einer Nutzungsuntersagung insbesondere von Wohnraum zunächst geeignete, mildere Mittel zu ergreifen sind (BayVGH, B.v. 14.1.2022 - 1 CE 21.2757 - juris Rn. 9). Als milderes Mittel gegenüber einer Nutzungsuntersagung sind Anordnungen der Beklagten nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayBO zur brandschutzrechtlichen Ertüchtigung des keinen Bestandsschutz genießenden Gebäudes des Beigeladenen gegenüber diesem anzusehen. So könnten die Verstöße einerseits durch die Schließung unzulässiger Öffnungen abgestellt oder jedenfalls die brandschutzrechtliche Situation durch die Anordnung des Einbaus von Fenstern bzw. Türen mit entsprechender Feuerwiderstandsklasse spürbar verbessert werden. Wenn die Kläger wie vorgetragen Brandgefahren fürchten, sind sie aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorrangig auf ein Einfordern der beschriebenen bauaufsichtlichen Anordnungen nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayBO zur brandschutztechnischen Ertüchtigung zu verweisen.
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Schließlich ist noch zu erwähnen, dass sich in der südöstlichen Außenwand des klägerischen Gebäudes auf der FlNr. … auf der gemeinsamen Grenze mit dem Grundstück des Beigeladenen eine gemäß Art. 28 Abs. 8 Satz 1 BayBO unzulässige Fensteröffnung befindet. Eigene Verstöße der Kläger gegen den Brandschutz sind unter dem Gesichtspunkt des treuwidrigen Verhaltens (§ 242 BGB entsprechend) zu deren Lasten in die Ermessensentscheidung hinsichtlich eines bauaufsichtlichen Einschreitens gegen den Beigeladenen als ihren Nachbarn einzustellen.
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cc) Zur abstandsflächenrechtlichen Situation ist über den Beschluss der Kammer vom 10. August 2020 (AN 17 E 20.00981) hinaus auszuführen, dass eine Ermessensreduzierung auf Null wegen der auf den unbebauten Teil der FlNr. … fallenden Abstandsflächen auch deshalb nicht in Betracht kommt, weil der Kläger zu 2) als Wohnungseigentümer hinsichtlich dieses Grundstücks nur Miteigentümer ist und die Klägerin zu 1) an diesem Miteigentumsanteil ein Nießbrauchsrecht hat. Damit wäre eine Berufung auf das das Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentumsgemeinschaft schützende Abstandsflächenrecht grundsätzlich ausgeschlossen, da es sich um eine Maßnahme der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums handelt, die gemäß § 18 Abs. 1 WEG der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer obliegt (BayVGH, U.v. 12.7.2012 - 2 B 12.1211 - juris Rn. 21). Allerdings ist dem Kläger zu 2) hinsichtlich des gesamten Hofraumes der FlNr. … ein Sondernutzungsrecht eingeräumt, weswegen diesbezüglich eine Berufung auf die Vorschrift des Art. 6 BayBO nicht ausgeschlossen sein dürfte (vgl. Falkner in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Beck-Online Großkommentar, 1.6.2022, § 10 WEG Rn. 443). Wenn man dies so sieht, ist es dem Sondernutzungsberechtigten jedoch ohne ausdrückliche Regelung nicht gestattet, bauliche Maßnahmen auf der Sondernutzungsfläche vorzunehmen (Falkner a.a.O. Rn. 448). Wenn aber der Kläger zu 2) bzw. die Klägerin zu 1) als Nießbrauchsberechtigte auf der unbebauten Hoffläche der FlNr. … aus eigener Rechtsmacht keine Gebäude errichten dürfen, betreffen die Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts (Belichtung, Belüftung und Wahrung des sozialen Wohnfriedens) eine - von der bereits im südlichen Bereich der FlNr. … errichteten Garage abgesehen - unbebaute Hoffläche, die nicht derart gesteigert schutzwürdig erscheint, als dass das Ermessen der Beklagten hinsichtlich des Erlasses einer Nutzungsuntersagung auf Null reduziert wäre, noch dazu ein Auszug der Bewohner nichts an der Kubatur des Gebäudes des Beigeladenen ändern würde.
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d) Zu alldem tritt hinzu, dass die Kläger von der Beklagten den Erlass einer Nutzungsuntersagung hinsichtlich der Wohnnutzung nur gegen den Beigeladenen begehren. Wenn jedoch wie hier nicht nur präventiv eine künftige Wohnnnutzung untersagt werden, sondern eine bereits ausgeübte Wohnnutzung unterbunden werden soll, sind grundsätzlich entsprechend Art. 9 Abs. 2 LStVG die Mieter als Handlungsstörer vor dem Eigentümer heranzuziehen, sofern nicht zu befürchten ist, dass das Objekt einem ständig wechselnden Personenkreis überlassen wird (BayVGH, B.v. 28.7.2014 - 2 CS 14.1326 - juris Rn. 4). Insofern zielt der Klageantrag mit dem Beigeladenen, der als Eigentümer auch selbst im streitgegenständlichen Gebäude wohnt, nur zum Teil auf den richtigen Störer. Hinsichtlich der übrigen Mieter (von der Kernfamilie des Beigeladenen abgesehen) wären aber primär diese und nicht der Beigeladene in Anspruch zu nehmen. Eine ermessenfehlerhafte Störerauswahl aber können die Kläger gegen die Beklagte nicht im Wege der Verpflichtungsklage durchsetzen, selbst wenn man anders als oben die Ansicht verträte, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO im Übrigen erfüllt sind und das Ermessen auf Null reduziert ist.
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e) Nachdem das Ermessen der Beklagten im Rahmen des Art. 76 Satz 2 BayBO nicht auf Null reduziert ist, kommt lediglich noch ein Anspruch der Kläger auf die Verpflichtung der Beklagten zur (erneuten) Verbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Betracht, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Ein solcher setzte jedoch einen Ermessenfehler der Beklagten im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO voraus, der hier nicht erkennbar ist (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 49). Im Rahmen einer Verpflichtungsklage kann die Behörde ihre Ermessenserwägungen ohne Rücksicht auf § 114 Satz 2 VwGO auch noch während des gerichtlichen Verfahrens ersetzen oder ergänzen, maßgeblich ist nur, ob dem Anspruch der Kläger auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung genüge getan wurde (Kopp/Schenke, 26. Aufl. 2020, § 113 Rn. 232). Im Schriftsatz vom 26. Juni 2020 hat die Beklagte zu erkennen gegeben, dass sie von einer rechtswidrigen baulichen Nutzung durch den Beigeladenen ausgehe, gleichwohl aber deren Untersagung eine Ermessensentscheidung darstelle und weiter ausgeführt, dass für sie von hoher Bedeutung sei, ob die derzeit ausgeübte Nutzung durch entsprechende Modifizierung bzw. Nachbesserung nachträglich legalisierbar sei. Ebenfalls erörterte die Beklagte die derzeitige Diskrepanz zwischen der tatsächlichen baulichen Nutzung und den brandschutzrechtlichen Bestimmungen der BayBO und stellte eine vorläufige weitere Nutzung einer Gefahr für die Nachbarschaft oder das Baugrundstück selbst gegenüber. Weiter sei nach der bereits ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass eine weitere Nutzung des Gebäudes zu Wohn- und Lagerzwecken unmöglich sei. Daher erscheine eine Untersagung insbesondere einer Wohnnutzung als unverhältnismäßig. Außerdem nehme die Durchsetzung einer Räumung aller Wohneinheiten eine lange Zeitspanne in Anspruch verglichen mit einer denkbaren Nachbesserung der Baugenehmigung. Schließlich war der Beklagten die abstandsflächenrechtliche Situation durch das Baugenehmigungsverfahren zur letztlich durch das Verwaltungsgericht aufgehobenen Baugenehmigung vom 15. Dezember 2016 bekannt. Nach alldem liegt eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Beklagte vor, die die widerstreitenden öffentlich-rechtlichen Rechtspositionen erkannt und in vertretbarer Weise mit dem Ergebnis eines Nichteinschreitens miteinander abgewogen hat.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Dem Beigeladenen sind seine außergerichtlichen Kosten aus Gründen der Billigkeit durch die Kläger zu erstatten, da er sich durch seinen Klageabweisungsantrag dem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt und sich im Übrigen sachdienlich am Verfahren beteiligt hat.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.