Inhalt

LArbG München, Urteil v. 31.01.2022 – 1 Sa 371/21
Titel:

Auslegung tariflicher Regelungen zu "Überzeitzulage" und "individuellem regelmäßigen Jahresarbeitszeitsoll"

Normenketten:
TVG § 1
GG Art. 9 Abs. 3
Funktionsgruppenspezifischer Tarifvertrag für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 1 - Anlagen und Fahrzeuginstandhaltung - verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (FGr 1-TV) § 18, § 37, § 38, § 41
Leitsätze:
1. Der „Funkionsgruppenspezifische Tarifvertrag für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 1- Anlagen und Fahrzeuginstandhaltung - verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (FGr. 1 -TV)“ stellt für die Definition der „Überzeit“ i.S.d. § 38 FGr 1- TV auf den Begriff des „individuellen regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Solls“ und nicht auf das „individuelle Jahresarbeitszeit-Soll“ ab. Die Begriffe werden im FGr 1 -TV nicht synonym verwendet. (Rn. 16 und 17)
2. Das „individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll“ stellt eine auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Jahresarbeitszeit bezogene - regelmäßige - Bezugsgröße dar. Dagegen ist unter dem „individuellen Jahresarbeitszeit-Soll“ die im konkreten Kalenderjahr geschuldete Arbeitszeit unter Berücksichtigung individueller und jahresbezogener Einflussfaktoren, speziell bei Betrachtung einer kürzeren Zeitspanne als dem Kalenderjahr als Abrechnungszeitraum, zu verstehen. (Rn. 18 und 19)
Es bestehen keine Bedenken dagegen, dass die Tarifvertragsparteien bei der Zuerkennung einer Zulage für "Überzeit" auf die Überschreitung der "regelmäßig" geschuldeten Jahresarbeitszeit und nicht auf eine verringerte Arbeitszeit unter Berücksichtigung jahresbezogener individueller Einflussfaktoren abstellen. Ihr durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteter Gestaltungsspielraum wird durch ein solches gemeinsames Verständnis von Überzeit nicht überschritten.  Im Abstellen auf das "regelmäßige" Jahresarbeitszeit-Soll liegt auch keine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten. (Rn. 27 und 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Tarifauslegung, Überzeitzulage, individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeitsoll
Vorinstanz:
ArbG München, Endurteil vom 28.04.2021 – 20 Ca 14019/20
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 15508

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 28.04.2021 - Az. 20 Ca 14019/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Zahlung einer sog. Überzeitzulage.
2
Der Kläger ist seit 01.10.2011 bei der Beklagten in deren A. I.-Werk in Vollzeit als qualifizierter Instandhalter (Facharbeiter 3) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beidseitiger Tarifbindung der „Funktionsgruppenspezifische Tarifvertrag für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 1 - Anlagen und Fahrzeuginstandhaltung - verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (FGr 1-TV)“ in der Fassung vom 14.12.2018 Anwendung.
3
Der FGr 1-TV regelt unter anderem Folgendes (zum Inhalt des Tarifvertrags im Übrigen wird auf die Anlage K2, Bl. 29 ff. d. A., Bezug genommen):
§ 18 Überzeitzulage
(1) Arbeitnehmer erhalten für Überzeit eine Überzeitzulage in Höhe von 4,13 EUR (ab 01. Juli 2019 in Höhe von 4,27 EUR, ab 01. Juli 2020 in Höhe von 4,38 EUR) je Stunde.
(…)
§ 37 Individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll
(1) Als Vollzeitarbeit gilt eine - auf der Basis beidseitiger Freiwilligkeit - individuell vereinbarte Arbeitszeit von 1.827 bis 2.088 Stunden (individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll) ausschließlich der gesetzlichen Ruhepausen im Kalenderjahr (Abrechnungszeitraum). Als Teilzeitarbeit gilt ein - auf der Basis beidseitiger Freiwilligkeit - individuell vereinbartes regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll von weniger als 1.827 Stunden im Abrechnungszeitraum.
(…)
§ 38 Überzeit
(1) Überzeit ist die Zeit, die vom Arbeitnehmer auf Anordnung über das individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll abzüglich des Vortrags nach § 39 Abs. 5 - mindestens jedoch über 1.827 Stunden - geleistet wurde, einschließlich der Zeit, die nach dem tarifvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen zu verrechnen bzw. anzurechnen ist.
(…)
§ 41 Arbeitszeitbewertung
(…)
(6) Bei Versäumnis von Arbeitszeit ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung und bei Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung des Entgelts verringert sich das individuelle Jahresarbeitszeit-Soll um die Entsprechende Arbeitszeit.“
4
Nach § 3 Abs. 1 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages (Anlage K 1, Bl. 7 f. d. A.) wurde mit dem Kläger ein individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll von 100% der tariflichen Referenzarbeitszeit „derzeit 2036 h/Jahr“, vereinbart. Abzüglich des sollreduzierten Vortrags nach § 39 Abs. 5 FGr 1-TV belief sich für das Jahr 2019 das Jahresarbeitszeit-Soll des Klägers auf 2.035,47 Stunden.
5
Die Parteien vereinbarten für die Zeit vom 21.03.2019 bis 12.04.2019 einen sogenannten „Sabbatmonat“, d.h. der Kläger wurde in diesem Zeitraum ohne Entgelt von der Verpflichtung zur Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt. Um nicht ohne Einkommen gestellt zu sein, brachte der Kläger aus seinem Langzeitkonto entsprechend Stunden ein.
6
Der Kläger macht einen Anspruch auf Gewährung einer Überzeitzulage für das Kalenderjahr 2019 geltend, denn er habe tatsächlich 1.951,32 Stunden gearbeitet und 124,8 Stunden aus dem Langzeitkonto eingebracht. Zusammen ergebe sich ein zu berücksichtigendes Stundenvolumen in Höhe von 2.075,59 Stunden, weswegen er über die von ihm geschuldete Arbeitszeit hinausgehend 40,12 Überstunden erbracht habe. Multipliziert mit der Überzeitzulage ergebe sich der Klageanspruch. Entscheidend sei, dass sich nach § 41 Abs. 6 FGr 1-TV das individuelle Jahresarbeitszeit-Soll bei Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung des Entgelts verringere. Soweit die Beklagte auf dem Standpunkt stehe, dass für die Bewertung als Überzeit nur Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung und nicht aus dem Langzeitkonto eingebrachte Stunden zu berücksichtigen seien, sei darauf zu verweisen, dass das BAG festgestellt habe, dass eine tarifvertragliche Bestimmung, wonach ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge erst bestehe, wenn die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten werde, gegen § 4 Abs. 1 TzBfG verstoße (zum erstinstanzlichen Vortrag des Klägers im Einzelnen wird auf seine Schriftsätze vom 24.11.2020, Bl. 1 ff. d. A., und 31.03.2021, Bl. 145 f. d. A., nebst Anlagen, Bezug genommen).
7
Der Kläger hat beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, EUR 171,65 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.
8
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und die Auffassung vertreten, dem Kläger sei im Jahr 2019 keine Überzeit entstanden, denn nach § 38 Abs. 1 FGr 1-TV sei zur Bestimmung der Überzeitschwelle lediglich das individuelle regelmäßige Arbeitszeit-Soll (hier 2.036 Stunden) sowie ggf. der Vortrag aus dem vorherigen Jahr von Bedeutung. Der Kläger habe im Jahr 2019 lediglich eine Arbeitsleistung von 1.939,23 Stunden erbracht. Für den „Sabbatmonat“ erfolge keine Arbeitszeitbewertung im Hinblick auf die Überzeit, weil der Arbeitnehmer während dieses Zeitraums infolge der unbezahlten Freistellung keine Arbeitsleistung erbringe. Da die tatsächlich geleistete Arbeitszeit des Klägers unter der Überzeitschwelle von 2.035,47 liege, sei dem Kläger keine Überzeit und damit auch kein Anspruch auf eine Überzeitzulage nach dem einschlägigen Tarifvertrag entstanden. Die Regelung nach § 41 Abs. 6 FGr 1-TV habe nach dem Wortlaut des Tarifvertrags für die Bestimmung der Überzeit keine Bedeutung (zum erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten im Einzelnen wird auf ihren Schriftsatz vom 24.02.2021, Bl. 134 ff. d. A., nebst Anlagen, Bezug genommen.
9
Mit Urteil vom 28.04.2021 wies das Arbeitsgericht die Klage ab. Der Wortlaut des § 38 Abs. 1 FGr 1-TV stelle auf die tatsächliche Arbeitsleistung ab. Die Zeit, die der Kläger aus seinem Langzeitkonto während des Sabbatmonats eingebracht habe, könne deshalb nicht zu Überzeit führen. Bei der Ermittlung des Jahresarbeitszeit-Solls sei die Zeit der Freistellung nicht abzuziehen. Nach dem Tarifwortlaut sei ausschließlich vom regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Soll abzüglich des Vortrags nach § 39 Abs. 5 die Rede. Der Hinweis auf die Rechtsprechung des BAG zum Verbot der Benachteiligung von Teilzeitarbeitnehmern sei mit Blick darauf, dass der Kläger Vollzeitarbeitnehmer sei, unbehelflich (zur Begründung des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf das Urteil vom 28.04.2021, Bl. 151 ff. d. A., Bezug genommen).
10
Mit seiner Berufung hält der Kläger an seiner Klageforderung fest. Es stelle sich lediglich die Frage, ob die maßgebliche Soll-Arbeitszeit für 2019 um die Dauer des Sabbatmonats gekürzt werde oder ob die maßgebliche Soll-Arbeitszeit gleich bleibe, dann jedoch die IstArbeitszeit um die aus dem Langzeitkonto eingebrachten 124,8 Stunden ergänzt werde. Richtig sei es wohl, die maßgebliche Soll-Arbeitszeit um die Dauer des Sabbatmonats zu kürzen und dieser geänderten Soll-Arbeitszeit die tatsächliche Arbeitszeit gegenüberzustellen. Das Arbeitsgericht übergehe die Ermittlung des Jahresarbeitszeit-Solls, indem es sofort auf die Frage der Überzeit eingehe. In § 41 Abs. 6 FGr 1-TV sei aber geregelt, dass bei Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung des Entgelts das individuelle Jahresarbeitszeit-Soll um die entsprechende Arbeitszeit verringert werde. Das um die 124,8 Stunden des Sabbatmonats verringerte individuelle Jahresarbeitszeit-Soll habe 1.910 Stunden 59 Minuten betragen, woraus sich wegen der tatsächlich gearbeiteten 1.951 Stunden 32 Minuten eine Überzeit von 40 Stunden 33 Minuten ergebe. Lese man die Regelung in § 41 Abs. 6 des Tarifvertrages entgegen dessen klaren Wortlauts so, dass sich das individuelle Jahresarbeitszeit-Soll nicht um die entsprechende Arbeitszeit der Freistellung verringere, liege ein Sachverhalt vor, der der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten inhaltlich soweit ähnele, dass hier eine verbotene Diskriminierung gemäß § 4 TzBfG vorliege, was nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 19.12.2018) zu korrigieren wäre (zum Berufungsvorbringen des Klägers im Einzelnen wird auf seine Schriftsätze vom 29.07.2021, Bl. 198 ff. d. A. und 11.11.2021, Bl. 224 ff. d. A., Bezug genommen).
11
Der Kläger beantragt,
1.
Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 28.4.2021 (Az. 20 Ca 14.019/20) wird abgeändert.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, Euro 171,65 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Bei der Bestimmung der Überzeitschwelle werde gerade nicht auf das „individuelle Jahresarbeitszeit-Soll“, sondern auf das „individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll“ abgestellt. Die korrekte Nutzung der Begrifflichkeiten sei ganz wesentlich. Hätten die Tarifvertragsparteien die Überzeit einfach mit der Überschreitung des individuellen Jahresarbeitszeit-Solls definieren wollen, hätten sie es getan, was jedoch gerade nicht erfolgt sei. Die vom Kläger genannte Entscheidung des BAG zum Verbot der Diskriminierung von Teilzeitarbeitnehmern sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da es sich beim Kläger um einen Vollzeitmitarbeiter handle (zur Berufungserwiderung der Beklagten im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 24.09.2021, Bl. 222 ff. d. A., Bezug genommen

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
14
Der Kläger hat für das Jahr 2019 keinen Anspruch auf Zahlung einer Überzeitzulage gem. § 18 Abs. 1 FGr 1-TV, weil er in diesem Jahr nicht über das „individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll“ iSd. § 37 FGr 1-TV hinaus gearbeitet hat.
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1. Nach § 18 Abs. 1 FGr 1-TV erhalten Arbeitnehmer für „Überzeit“ eine Überzeitzu lage in Höhe von (ab 1. Juli 2019) 4,27 € je Stunde Überzeit.
16
a) „Überzeit“ ist nach § 38 Abs. 1 des Tarifvertrages die Zeit, die vom Arbeitnehmer auf Anordnung über das „individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll“ abzüglich des Vortrags nach § 39 Abs. 5 geleistet wurde, einschließlich der Zeit, die nach den tarifvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen zu verrechnen bzw. anzurechnen ist.
17
Das „individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll“ ist wiederum in § 37 FGr 1-TV definiert. Danach handelt es sich um die individuell vereinbarte Arbeitszeit ausschließlich der gesetzlichen Ruhepausen im Kalenderjahr (Abrechnungszeitraum).
18
b) Der FGr 1-TV verwendet neben dem „individuellen regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Soll“ auch den Begriff des „individuellen Jahresarbeitszeit-Solls“. Eine ausdrückliche Begriffsdefinition hierfür enthält der Tarifvertrag nicht. § 37 Abs. 5 gibt allerdings eine Berechnungsformel an, wie das „individuelle Jahresarbeitszeit-Soll“ für eine kürzere Zeitspanne als dem Kalenderjahr als Abrechnungszeitraum zu berechnen ist. Hieraus ergibt sich, dass die Begriffe „individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll“ und „individuelles Jahresarbeitszeit-Soll“ im Tarifvertrag nicht synonym verwendet werden, denn das „individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll“ wird in der Berechnungsformel des „individuellen Jahresarbeitszeit-Solls“ als Faktor eingesetzt.
19
Danach ist unter dem „individuellen Jahresarbeitszeit-Soll“ die im konkreten Kalenderjahr geschuldete Arbeitszeit unter Berücksichtigung individueller und jahresbezogener Einflussfaktoren, speziell bei Betrachtung einer kürzeren Zeitspanne als dem Kalenderjahr als Abrechnungszeitraum, zu verstehen. Dagegen stellt das „individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll“ eine dem Arbeitsvertrag entnommene, auf die vereinbarte Jahresarbeitszeit bezogene und im Tarifvertrag immer wieder als Bezugsgröße herangezogene Rechengröße dar.
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2. Beim Kläger ist von einem „individuellen regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Soll“ von 2.036 Stunden auszugehen. Das ergibt sich aus § 3 des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrages, wonach ein „individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll“ von 100% der tarifvertraglichen Referenzarbeitszeit vereinbart ist. Die tarifvertragliche Referenzarbeitszeit - so auch ausdrücklich der Arbeitsvertrag - betrug im streitgegenständlichen Zeitraum 2.036 h/Jahr.
21
3. Für die Berechnung der Überzeit ist nach § 38 Abs. 1 FGr 1-TV der Vortrag nach § 39 Abs. 5 abzuziehen. Das waren beim Kläger im Jahr 2019 0,53 Stunden, so dass für die Bestimmung der Überzeitschwelle des Klägers im Jahre 2019 jedenfalls von 2.035,47 Stunden auszugehen ist.
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4. Eine weitere Korrektur findet nicht statt. Insbesondere handelt es sich bei dem vom Kläger genommenen Sabbatmonat, bzw. bei den vom Kläger aus seinem Langzeitkonto ersatzweise eingebrachten 124,8 Stunden um keine Zeit, die im Sinne des § 38 Abs. 1 FGr 1-TV nach tarifvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen zu verrechnen bzw. anzurechnen ist.
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a) Zunächst einmal ist zu betonen, dass der Tarifvertrag für die Definition der Über zeit auf den Begriff des „individuellen regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Solls“ und nicht auf das „individuelle Jahresarbeitszeit-Soll“ abstellt. Dabei handelt es sich um einen „Terminus technicus“ und nicht - wie ausgeführt - um eine synonyme Verwendung beider Begriffe mit identischer Bedeutung.
24
b) Dagegen stellt § 41 Abs. 6 FGr 1-TV, den der Kläger noch einmal ausdrücklich zur Begründung seiner Berufung heranzieht, auf das „individuelle Jahresarbeitszeit-Soll“ ab.
25
Ausgehend davon, dass es sich bei dem „individuellen Jahresarbeitszeit-Soll“ um die im konkreten Kalenderjahr geschuldete Arbeitszeit handelt, wird hier nachvollziehbar geregelt, dass sich bei Versäumnis von Arbeitszeit ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung und bei Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung des Entgelts dieses um die entsprechende Arbeitszeit verringert. Ebenso nachvollziehbar haben solche Zeiten - wie auch ein Sabbatmonat - keinen Einfluss auf das „individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll“, da es sich hierbei Jahr um die vereinbarte regelmäßige Jahresarbeitszeit - hier 100% der tarifvertraglichen Referenzarbeitszeit - handelt.
26
Da die Tarifvertragsparteien für die Bestimmung einer Überzeit, die zu einer entsprechenden Zulage führt, aber ausdrücklich auf eine Überschreitung des „individuellen regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Solls“ abzüglich des Vortrags nach § 39 Abs. 5 abstellen, spielt eine Verringerung des „individuellen Jahresarbeitszeit-Solls“ für die Zulagenpflichtigkeit keine Rolle.
27
c) Es bestehen keine Bedenken dagegen, dass die Tarifvertragsparteien bei der Zu erkennung einer Zulage für „Überzeit“ auf die Überschreitung der „regelmäßig“ geschuldeten Jahresarbeitszeit und nicht auf eine verringerte Arbeitszeit unter Berücksichtigung jahresbezogener individueller Einflussfaktoren (z.B. Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung des Entgelts) abstellen. Ihr durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteter Gestaltungsspielraum (vgl. BAG 22.06.2021 - 1 ABR 28/20 - Rn. 40) wird durch ein solches gemeinsames Verständnis von Überzeit nicht überschritten.
28
Im Abstellen auf das „regelmäßige“ Jahresarbeitszeit-Soll liegt auch keine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten. Das „individuelle regelmäßige Jahresarbeitszeit-Soll“ wird für Teilzeitbeschäftigte nach § 37 Abs. 1 S. 2 FGr 1-TV entsprechend abweichend bestimmt. Diese abweichende Bestimmung wäre wohl im Rahmen des § 38 Abs. 1 FGr 1 TV zu berücksichtigen. Unabhängig davon ändert dies nichts daran, dass die Tarifvertragsparteien bei der Bestimmung der Überzeit von einer regelmäßigen und nicht von einer von besonderen Einflussfaktoren bestimmten Jahresarbeitszeit ausgehen können. Der Kläger wird durch die Wahrnehmung eines Sabbatmonats eben auch nicht zum Teilzeitbeschäftigten, da dieser Begriff auch auf den Umfang der regelmäßigen Arbeitsverpflichtung abstellt.
29
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
30
Die Revisionszulassung erfolgt nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 ArbGG.