Inhalt

VG München, Urteil v. 22.06.2022 – M 19L DK 21.3877
Titel:

Zurückstufung bei Verbreitung kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen

Normenketten:
StGB § 184b Abs. 1
BayDG Art. 10, Art. 14 Abs. 1 S. 1
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3, § 34 S. 3, § 47 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Die außerdienstliche Verbreitung kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen rechtfertigt angesichts der in § 184b Abs. 1 StGB vorgesehenen Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren grds. eine Entfernung aus dem Dienst; aufgrund der konkreten Tatumstände (insbesondere das lediglich zweimalige öffentliche Zugänglichmachen ohne zusätzliche Verwirklichung des Straftatbestandes des Besitzes kinderpornographischer Schriften) ergibt sich ein Orientierungsrahmen bis zur Zurückstufung. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarklage, Zurückstufung, Zweifache Verbreitung kinderpornographischer Videos durch Beamten beim Landesamt für Finanzen, zweifache Verbreitung kinderpornographischer Videos, Landesamt für Finanzen, Beförderunsverbot, Orientierungsrahmen, Entfernung aus dem Dienst
Fundstelle:
BeckRS 2022, 15189

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um eine Stufe in das Amt eines Regierungsinspektors (Besoldungsgruppe A9) erkannt.
Der Zeitraum der Beförderungssperre wird auf drei Jahre verkürzt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt mit seiner Disziplinarklage die Zurückstufung des Beklagten.
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1. Der am … Mai 1971 geborene Beklagte trat am 1. Oktober 2010 als Regierungsinspektoranwärter beim Landesamt für Finanzen in den Dienst der Bayerischen Staatsfinanzverwaltung ein. Nach Bestehen der Qualifikationsprüfung für den Einstieg in der 3. Qualifikationsebene im September 2013 wurde er mit Wirkung vom 1. Oktober 2013 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Regierungsinspektor ernannt. Mit Wirkung vom 1. Oktober 2015 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, mit Wirkung vom 1. April 2016 die Ernennung zum Regierungsoberinspektor (Besoldungsgruppe A10).
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Der Beklagte ist seit 1. Oktober 2013 bei der Dienststelle … beschäftigt. In den periodischen Beurteilungen 2015 und 2018 erhielt er jeweils die Gesamtbeurteilung 9 Punkte.
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Der Beklagte ist geschieden und hat drei volljährige Kinder. Er ist bisher straf- und disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
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2. Das Amtsgericht Augsburg verurteilte den Beklagten mit Strafbefehl vom 5. Dezember 2016, rechtskräftig seit 20. Dezember 2016, wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen (§§ 184 b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6, 53 Strafgesetzbuch - StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und setzte die Vollstreckung zur Bewährung aus. Ihm wurde zur Last gelegt, am 3. April 2016 zwischen 1:17 und 1:56 Uhr und am 18. Juni 2016 zwischen 0:51 und 1:36 Uhr per Internet unter Verwendung des Tauschprogramms eDonkey2000 allen gleichzeitigen Nutzern dieses Programms jeweils eine Videodatei mindestens einmal zum Download zur Verfügung gestellt zu haben. Auf den Videodateien mit Laufzeiten von 37 Minuten und 19 Sekunden sowie 21 Minuten und 16 Sekunden sei in verschiedenen Szenen der schwere sexuelle Missbrauch an Personen unter 14 Jahren zu sehen.
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3. Wegen der vorstehenden Taten leitete das Bayerische Landesamt für Steuern mit Verfügung vom 4. April 2017 ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein. Mit Schreiben vom selben Tag setzte es ihn hiervon in Kenntnis und räumte ihm die Gelegenheit zur Äußerung ein, von der er mit Schreiben vom 30. April 2017 Gebrauch machte. Das Landesamt für Finanzen - Zentralabteilung - gab am 1. Dezember 2017 ein Persönlichkeitsbild für ihn ab. Mit Schreiben vom 8. April 2020 teilte das Bayerische Landesamt für Steuern ihm das Ergebnis der Ermittlungen mit. Seine Bevollmächtigte äußerte sich mit Schriftsatz vom 22. Juni 2020.
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4. Am 21. Juli 2021 erhob der Kläger Disziplinarklage gegen den Beklagten mit dem Antrag,
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ihn in ein Amt mit einem geringeren Endgrundgehalt zu versetzen.
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Dabei legt er die mit Strafbefehl vom 5. Dezember 2016 geahndeten Taten zugrunde. Der Beklagte habe schuldhaft gehandelt. Die lediglich pauschal vorgetragene theoretische Möglichkeit des Zugriffs von Dritten auf den Internetanschluss führe nicht zu einem Entschuldigungsgrund. Der Beklagte habe ein Dienstvergehen begangen und die Pflicht, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz - BeamtStG), und die Pflicht, die Gesetze zu beachten (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG), verletzt. Wegen der Taten außerhalb der Dienstzeit, über den privaten Internetanschluss und auf dem privaten PC liege ein außerdienstliches Fehlverhalten vor. Dieses stelle ein Dienstvergehen dar, weil es einerseits geeignet sei, in der Öffentlichkeit eine Ansehensschädigung hervorzurufen, und weil andererseits § 184b Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit gültigen Fassung (vom 27.1.2015 bis 30.6.2017) eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts reiche in Fällen, in denen die Verbreitung kinderpornographischer Schriften keinen Bezug zu der dienstlichen Aufgabe des Beamten aufweise und dieser keine herausragende Funktion innehabe, der Orientierungsrahmen bis zur Zurückstufung. Besondere Erschwernis- oder Milderungsgründe seien vorliegend nicht ersichtlich. Eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat liege bei der Verbreitung pornographischer Schriften in zwei Fällen und der Dauer der Videos von jeweils rund einer halben Stunde nicht vor. Insgesamt sei, auch in Anbetracht des fehlenden Bezugs zum ausgeübten Dienstposten und des bisherigen dienstlichen Verhaltens, die Zurückstufung des Beklagten auszusprechen.
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Der Beklagte äußerte im gerichtlichen Verfahren, er erkenne den Zurückstufungsantrag des Klägers an. Er bestreite zwar unverändert die Vorwürfe aus dem Strafbefehl, sehe aber dennoch seine Verantwortung als Betreiber des betroffenen Internetanschlusses.
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Die Parteien verzichteten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Sie erhielten Gelegenheit, sich zur Verkürzung der Dauer der Beförderungssperre zu äußern.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Disziplinarakte, die Personalakte des Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (Art. 58 Abs. 1 Satz 2 Bayerisches Disziplinargesetz - BayDG).
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Gegen den Beklagten wird die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um eine Stufe in das Amt eines Regierungsinspektors (Besoldungsgruppe A9) ausgesprochen.
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1. Das Disziplinarverfahren meist in formeller Hinsicht keine Mängel auf.
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2. Das Gericht geht in tatsächlicher Hinsicht von dem im Strafbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 5. Dezember 2016 dargestellten Sachverhalt aus. Danach hat der Beklagte am 3. April und am 18. Juni 2016 über das F.-Sh.-Netzwerk ... jeweils ein kinderpornografisches Video, das den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes zeigt, mit anderen Nutzern geteilt. Die tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls sind zwar nicht bindend, können der Entscheidung im Disziplinarverfahren aber ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden (Art. 25 Abs. 2, Art. 55 BayDG). Der Beklagte bestreitet zwar das zweifache öffentliche Zugänglichmachen kinderpornographischer Videos, gesteht aber die Verantwortung für den von ihm innegehabten Internetanschluss ein. Seine Strafbarkeit ergibt sich danach aus § 184b Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung (Fassung für die Zeit v. 27.1.2015 bis 30.6.2017). Insoweit handelt es sich vorliegend nicht um ein Verbreiten im rechtlichen Sinne, da das Verbreiten im Sinne von § 184b Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB die gegenständliche Weitergabe der Schriften erfordert, wohingegen das Zugänglichmachen für die Öffentlichkeit in der Regel im Wege der Telekommunikation geschieht (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 17.12.2020 - 14 LB 1/20 - juris Rn. 46), wie dies hier der Fall war.
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3. Durch die dem Beklagten zur Last gelegten Taten hat dieser außerdienstlich ein Dienstvergehen begangen. Außerdienstliches Verhalten liegt vor, weil das Verhalten weder formell in das Amt des Beamten noch materiell in die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden war (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 50.13 - juris Rn. 29). Als Dienstvergehen ist außerdienstliches Fehlverhalten von Beamten nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG nur dann zu qualifizieren, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Erforderlich ist insoweit, dass das Fehlverhalten des Beamten ein Mindestmaß an Relevanz überschreitet, was bei einer Straftat, deren gesetzlicher Strafrahmen bis zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren reicht, zu bejahen ist (BVerwG, B.v. 18.6.2014 - 2 B 55.13 - juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 5.2.0214 - 16a D 12.2494 - juris Rn. 35). Dies ist hier dargestellt der Fall, weil § 184b Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit gültigen Fassung eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsah.
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Durch sein Verhalten hat der Beklagte gegen die Pflicht, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG), und gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, jeweils in der zur Tatzeit geltenden Fassung) verstoßen.
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4. Ihm ist dabei Vorsatz zur Last zu legen. Insoweit besteht Indizwirkung aus dem Strafbefehl. Außerdem hat es der Beklagte jedenfalls billigend in Kauf genommen, dass die betreffenden Videodateien einem grundsätzlich unbeschränkten, im Einzelnen nicht überschaubaren Personenkreis zugänglich gemacht wurden, indem er den Nutzern ermöglicht hat, während seines eigenen jeweiligen Downloadvorgangs die betreffenden Videodateien von seiner Festplatte herunterzuladen (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 17.12.2020 - 14 LB 1/20 - juris Rn. 51 ff. mit detaillierten Ausführungen zur Funktionsweise des Netzwerks eDonkey2000).
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5. Das festgestellte Dienstvergehen wiegt schwer. Im vorliegenden Fall ist unter Würdigung aller zu berücksichtigenden Umstände eine Zurückstufung (Art. 10 BayDG) auszusprechen.
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Von dem dargestellten Sachverhalt ausgehend ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu bemessen (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, der Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße sowie den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale). Zu berücksichtigen sind auch die unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BayVGH, U.v. 25.10.2016 - 16b D 14.2351 - juris Rn. 73).
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Zur konkreten Bestimmung der disziplinaren Maßnahmebemessung bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen ist in einer ersten Stufe auf den Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert des Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat (BVerwG, U.v. 23.2.2012 - 2 C 38.10 - juris Rn. 11). Hat der Beamte kinderpornographische Schriften öffentlich zugänglich gemacht, reicht der Orientierungsrahmen angesichts der in § 184b Abs. 1 StGB (a.F.) vorgesehenen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 18.6.2015 - 2 C 9.14 - juris Rn. 31 f.); in der aktuellen Fassung von § 184b Abs. 1 StGB wurde der Strafrahmen auf Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren erhöht. Hier ergibt sich im Hinblick auf die konkreten Tatumstände, insbesondere das lediglich zweimalige öffentliche Zugänglichmachen ohne zusätzliche Verwirklichung des Straftatbestandes des Besitzes kinderpornographischer Schriften, ein Orientierungsrahmen bis zur Zurückstufung. Die vorliegenden Erschwerungs- (besondere Belastung der betroffenen Kinder durch Anfertigung von Videoaufnahmen) und Milderungsgründe (keine Vorbelastung, Geständigkeit, lange Verfahrensdauer) erfordern keine Abweichung von dem Orientierungsrahmen nach oben oder unten.
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6. Die Beförderungssperre wird auf drei Jahre ab Rechtskraft des Urteils verkürzt (Art. 10 Abs. 3 Satz 2 BayDG). Die Verkürzung war im Hinblick auf die insgesamt mehr als fünfjährige Dauer des Disziplinarverfahrens seit der Einleitung im April 2017 auszusprechen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.