Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 20.06.2022 – AN 11 K 21.01402
Titel:

Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden – Erfüllung der Passpflicht 

Normenkette:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 4, § 25a Abs. 1, § 60b Abs. 4, Abs. 5 S. 1
Leitsätze:
1. Neben den in § 25a AufenthG im Einzelnen aufgeführten besonderen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis müssen grundsätzlich auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG erfüllt sein. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unterbleibt eine zumutbare Mitwirkung des Ausländers an der Klärung seiner Identität oder ist sie unzureichend, kann nicht von dieser Regelerteilungsvoraussetzung ausgegangen werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden, Erfüllung der Passpflicht, Aufenthaltserlaubnis, gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende, Verletzung der Mitwirkungspflicht, ungeklärte Identität, Identitätsfeststellung, Erteilungsvoraussetzungen, Duldung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 14895

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
2
Der am … 2007 geborene Kläger ist aserbaidschanischer Staatsangehöriger und eigenen Angaben zufolge am 23. April 2014 gemeinsam mit seinen Eltern in das Bundesgebiet eingereist. Der am 13. Mai 2014 gestellte Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 29. November 2016 abgelehnt, die hiergegen erhobene Klage wurde abgewiesen (VG Ansbach, U.v. 16.4.2018 - AN 16 K 16.32170); Bestandskraft trat am 24. Mai 2018 ein, seither ist der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig.
3
Ein am 23. Juli 2018 gestellter Wiederaufgreifensantrag bezüglich der Feststellung des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 16. Februar 2021 abgelehnt (Bestandskraft trat am 9.3.2021 ein).
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Da der Kläger nach Aktenlage nicht im Besitz eines Passes oder Passersatzes ist, wurde am 26. Oktober 2018 seitens der Ausländerbehörde ein Verfahren zur Passersatzpapierbeschaffung eingeleitet. Mit Schreiben vom 26. November 2018 (Bl. 19 f. Behördenakte) teilte das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR) mit, dass der Kläger mit den von seinen Eltern gemachten Angaben nicht als Staatsangehöriger des angegebenen Herkunftslandes identifiziert werden könne. Obwohl die Eltern mehrfach (zuletzt mit Schreiben vom 22.5., 28.8. und 30.11.2020 sowie 5.3. und 26.5.2021 in deutscher und aserbaidschanischer Sprache) auf die ihnen im aufenthaltsrechtlichen Verfahren obliegenden Mitwirkungspflichten (§§ 48, 49, 60b, 82 AufenthG) hingewiesen wurden, kamen diese der Verpflichtung zur Vorsprache bei der zuständigen Auslandsvertretung und Beantragung eines Reisedokuments für sich und die minderjährigen Kinder bislang nicht nach. Die Identität des Klägers ist nach Aktenlage ungeklärt. Nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung (am 24.5.2018) erhielt er auf Grund seiner Passlosigkeit Duldungen (vom 10.7.2018 bis 25.8.2020).
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Seit dem 28. August 2020 ist der Kläger im Besitz einer Duldung nach § 60b AufenthG.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23. Mai 2021 wurde für den Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß „§ 25a Nr. 1 AufenthG“ beantragt, dieser sei im Besitz einer Duldung und habe vier Jahre eine deutsche Schule besucht sowie gute Zensuren erzielt. Dem Antrag lagen u.a. Jahreszeugnisse der Grundschule sowie des Förderzentrums, Förderschwerpunkt Sprache, bei (Bl. 525 ff. Behördenakte).
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Mit Bescheid vom 7. Juli 2021 wurde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG - nach vorheriger Anhörung - abgelehnt. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis scheide aus, da weder die allgemeinen noch die speziellen Erteilungsvoraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG erfüllt seien. Zwar sei der Kläger von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) auf Grund des aktuellen Schulbesuchs gemäß § 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG befreit, zudem erfülle er die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG, jedoch sei die Identität nicht geklärt und es werde die Passpflicht nicht erfüllt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a und 4 AufenthG). Mit der Regelerteilungsvoraussetzung der Klärung der Identität habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass ein gewichtiges staatliches Interesse an der Individualisierung von Personen bestehe, denen ein Aufenthaltstitel erteilt werde. Der Kläger bzw. seine gemäß § 80 Abs. 4 AufenthG hierzu verpflichteten Eltern hätten bislang keinerlei identitätsklärende Dokumente vorgelegt. Auch seien vorliegend keine atypischen Umstände ersichtlich, die so bedeutsam seien, dass das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelerteilungsvoraussetzung der Erfüllung der Passpflicht beseitigt und ein Ausnahmefall gegeben sei. Insbesondere habe der Kläger die ungeklärte Identität und Passlosigkeit zu vertreten. Zwar sei er auf Grund der Minderjährigkeit noch nicht selbst handlungsfähig, jedoch seien seine Eltern als gesetzliche Vertreter zur Identitätsklärung und Passbeschaffung verpflichtet. Weiterhin könne zwar nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Ermessen von der Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG abgesehen werden, wenn der Betroffene wegen der besonderen Umstände seiner Aufenthaltsbegründung diese typischerweise nicht erfüllen könne. Über ein Absehen sei nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wobei das Interesse des Betroffenen an der Legalisierung seines Aufenthalts durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit dem öffentlichen Interesse an der Beachtung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abzuwägen sei. Im vorliegenden Fall überwiege das öffentliche Interesse an der Beachtung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen das private Interesse des Klägers. Zudem lägen die Erteilungsvoraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG nicht vor. Der Kläger halte sich nicht mindestens vier Jahre ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf. Auf Grund der Duldung nach § 60b AufenthG seit dem 28. August 2020 sei sein Aufenthalt nicht mehr als Vorduldungszeit zu werten (§ 60b Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Gemäß § 25a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG müssten aktenkundige Nachweise vorliegen, dass sich der Ausländer auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Bundesrepublik Deutschland einfügen könne. Hierfür sei eine positive Integrationsprognose nötig. Auf Grund der vorgelegten Schulzeugnisse, die auch ein adäquates soziales Verhalten bescheinigten, könne eine Prognose, ob sich der Kläger dauerhaft in die hiesigen Lebensverhältnisse einfügen könne, derzeit nicht getroffen werden. Insbesondere der reine Nachweis des regelmäßigen Schulbesuchs und die Aufenthaltsdauer genügten ohne anderweitige Nachweise über ein stabiles außerfamiliäres Umfeld und Entwicklungsperspektiven nicht. Auf den Bescheid im Einzelnen wird Bezug genommen.
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Der Kläger ließ hiergegen durch seinen Bevollmächtigten mit am 2. August 2021 eingegangenem Schriftsatz Klage erheben mit dem Antrag:
Der Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2021 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Ergänzend wurde im Wesentlichen zur Begründung mitgeteilt, die Eltern des Klägers seien im Besitz eines Ausweisdokuments des Klägers; sie seien gerne bereit, dieses beim Beklagten abzugeben. Sämtliche Erteilungsvoraussetzungen lägen vor, die Einwände des Beklagten seien nicht begründet. Der Kläger habe sich gut integriert. Er habe Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sei im Besitz einer Duldung und könne einen vierjährigen ununterbrochenen erfolgreichen Schulbesuch nachweisen. Das Vorweisen ehrenamtlicher Tätigkeiten sei für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht erforderlich.
9
Der Beklagte beantragte,
Klageabweisung.
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Zur Begründung wurde auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen; die Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG. Ergänzend wurde ausgeführt, bisher sei lediglich (am 27.10.2021) die Kopie der ID-Card Nr. …übersandt worden. Das Original sei bisher weder vorgelegt, noch ein Termin zur Abgabe vereinbart worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die zum Verfahren beigezogene Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2021 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG (§ 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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1. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG scheitert bereits mangels Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Das gilt grundsätzlich auch für die Voraussetzung, dass ein Antragsteller ein „geduldeter Ausländer“ sein muss (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 - 1 C 34.18 - juris Rn. 23 zu § 25b AufenthG; BayVGH, B.v. 18.3.2021 - 19 CE 21.363 - juris Rn. 8 m.w.N.; Röcker in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 25a AufenthG Rn. 9)
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a) Nach § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem jugendlichen oder heranwachsenden geduldeten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält (Nr. 1), er im Bundesgebiet in der Regel seit vier Jahren erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat (Nr. 2), der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt wird (Nr. 3), es gewährleistet erscheint, dass er sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (Nr. 4) und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer sich nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (Nr. 5).
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Solange sich der Jugendliche oder der Heranwachsende in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung oder einem Hochschulstudium befindet, schließt die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht aus (§ 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist zu versagen, wenn die Abschiebung aufgrund eigener falscher Angaben des Ausländers oder aufgrund seiner Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit ausgesetzt ist (§ 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG).
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Nach der Gesetzesbegründung sollte mit § 25a AufenthG eine Bleiberechtsregelung geschaffen werden, um nachhaltige Integrationsleistungen, die trotz des fehlenden rechtmäßigen Aufenthalts von einem Geduldeten erbracht wurden, durch die Erteilung eines gesicherten Aufenthaltsstatus zu honorieren (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 1, 23; BayVGH, B.v. 20.1.2022 - 19 CE 21.2437 - juris Rn. 8).
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Gemäß § 60b Abs. 5 Satz 1 AufenthG, der vorliegend Anwendung findet (§ 105 Abs. 1 AufenthG), werden die Zeiten, in denen dem Ausländer die Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ ausgestellt worden ist, nicht als Vorduldungszeiten angerechnet. Gemäß § 60b Abs. 4 AufenthG kann der Ausländer, der die zumutbaren Handlungen nach Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 unterlassen hat, diese jederzeit nachholen. In diesem Fall ist die Verletzung der Mitwirkungspflicht geheilt und dem Ausländer die Bescheinigung über die Duldung nach § 60a Absatz 4 ohne den Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ auszustellen. Absatz 5 Satz 1 bleibt unberührt (§ 60b Abs. 4 Satz 3 AufenthG).
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Nach der Gesetzesbegründung werden nach dem neuen § 60b Abs. 5 Satz 1 AufenthG dem Ausländer die Zeiten, in denen er die Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ besaß, hinsichtlich der diversen Anrechnungsvorschriften nicht als Zeiten der Duldung angerechnet. Dies gilt für Ausländer, die Inhaber einer Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ sind, für Zeiten ab der Ausstellung dieser Bescheinigung, und für ehemalige Inhaber für die Zeiten ab der Ausstellung bis hin zur Ausstellung der Duldung ohne einen solchen Zusatz. Bedeutung hat die Nichtanrechnung beispielsweise im Hinblick auf die §§ 25a und 25b Aufenthaltsgesetz (vgl. BT-Drs. 19/10047 S. 39).
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b) Der Kläger erfüllt im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht die Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis. Die Voraussetzungen hierfür lagen im Übrigen auch weder zum Entscheidungszeitpunkt der Ausländerbehörde noch zum Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 2021 vor.
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aa) Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG steht bereits entgegen, dass die erforderliche allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG wegen Nichterfüllung der Passpflicht nach § 3 AufenthG nicht vorliegt.
23
Neben den in § 25a AufenthG im Einzelnen aufgeführten besonderen Erteilungsvoraussetzungen müssen grundsätzlich auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG erfüllt sein (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 17/12 - BVerwGE 146, 281; Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 25a AufenthG Rn. 4 m.w.N.)
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Die vorliegend anzuwendende Regelerteilungsvoraussetzung der Erfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) wird nur durch den Besitz eines anerkannten und gültigen Passes oder Passersatzes erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 14.4.2020 - 10 C 19.2214 - juris Rn. 4; Maor in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.4.2022, AufenthG § 5 Rn. 19), was beim Kläger nicht der Fall ist. Der Beklagte bestätigte in der mündlichen Verhandlung, dass für diesen nach wie vor kein aserbaidschanischer Reisepass vorgelegt wurde.
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Dass hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG aufgrund atypischer Umstände des konkreten Einzelfalls ein Ausnahmefall vorliegt, bei dem das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigt wird, oder im Ermessenswege nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG hätte abgesehen werden müssen, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Ein Ausnahmefall ist - nach den höchstrichterlichen Vorgaben - begrifflich dann anzunehmen, wenn aufgrund bedeutsamer besonderer Umstände ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, der so gewichtig ist, dass er (im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) das sonst die Regel begründende Gewicht beseitigt (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 17/12 - BVerwGE 146, 281, juris Rn. 26 und 29 ff.; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand: hier 10/2015, § 5 AufenthG, Rn. 21). Insbesondere bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, dass die Beantragung eines Reisepasses für den vollziehbar ausreisepflichtigen Kläger unzumutbar oder unmöglich sein könnte. Für eine Atypik ist vorliegend - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - nichts ersichtlich. Der Kläger hat zwar nicht selbst getäuscht; einen aserbaidschanischen Reisepass hat er aber weder selbst beantragt noch durch seine Eltern beantragen lassen, obwohl diese mehrfach auf die ihnen obliegenden Mitwirkungspflichten hingewiesen wurden. Vielmehr teilte das LfAR mit o.g. Schreiben vom 26. November 2018 - nach Einleitung eines Verfahrens zur Passersatzpapierbeschaffung seitens der Ausländerbehörde - mit, dass der Kläger mit den von seinen Eltern gemachten Angaben nicht als Staatsangehöriger des angegebenen Herkunftslandes identifiziert werden könne. Es wird ergänzend Bezug genommen auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Es ist bei dieser Sachlage auch nicht ermessensfehlerhaft, dass der Beklagte vorliegend von der Passpflicht nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen hat (§ 114 VwGO).
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bb) Zudem ist auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch davon auszugehen, dass die erforderliche Regelerteilungsvoraussetzung der geklärten Identität nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG nicht erfüllt ist, wenngleich dies letztlich angesichts der dargelegten Nichterfüllung der Passpflicht - ebenso wie die Erfüllung der besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 25a AufenthG - dahinstehen kann.
28
Durch die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG soll verhindert werden, dass Personen, die an der Klärung ihrer Identität nicht mitwirken, der Zugang zu einem Aufenthaltstitel geebnet wird (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 15/955, S. 7). Zudem bringt die ungeklärte Identität ebenso wie der Nichtbesitz eines Reisepasses ein erhebliches Risiko einer mangelnden Rückkehrberechtigung mit sich; der Ausländer ist unbeschadet der sich aus § 49 Abs. 2 AufenthG ergebenden Aufklärungspflicht darlegungs- und beweispflichtig (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Oktober 2019, § 5 Rn. 23 ff.; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand: hier 10/2015, § 5 AufenthG, Rn. 21). Unterbleibt eine zumutbare Mitwirkung des Ausländers oder ist sie unzureichend, kann nicht von der Regelerteilungsvoraussetzung der Klärung der Identität abgegangen werden (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2004 - 1 C 1/03 - BVerwGE 120, 206). Die Regelerteilungsvoraussetzung geklärter Identität und Staatsangehörigkeit in § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG, mit der die Aufklärungspflicht der Ausländerbehörde (§ 49 Abs. 3 AufenthG) und eine entsprechende Mitwirkungspflicht des Ausländers (§ 49 Abs. 2 AufenthG) korrespondieren, ist Ausdruck des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Individualisierung der Person, die einen Aufenthaltstitel begehrt. Im Gesetzgebungsverfahren kommt das sicherheitsrechtlich motivierte Anliegen der notwendigen Identifizierung des Ausländers vor der Legalisierung seines Aufenthalts deutlich zum Ausdruck (vgl. BVerwG, B.v. 7.5.2013 - 1 B 2/13 - juris Rn. 4).
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Die Identität kann in aller Regel allein aufgrund des Passes oder Passersatzes festgestellt werden. Anhand eines Vergleichs der dortigen Eintragungen und ggf. gespeicherten biometrischen Daten (Lichtbild, Fingerabdruck) mit der persönlichen Erscheinung des Passinhabers lässt sich entscheiden, ob diese auf ihn zutreffen und damit dessen Identität hinreichend bestimmt ist. Für die Identitätsfeststellung können andere Dokumente (z.B. Geburtsurkunde) herangezogen werden (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 5 AufenthG Rn. 45). Die Identitätsfeststellung durch eine Urkunde setzt voraus, dass in dem der Urkundenausstellung vorausgehenden Verfahren auch die Richtigkeit der Verbindung zwischen Person und Name effektiv kontrolliert wird (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 5 AufenthG Rn. 24). Eine spätere Klärung entfaltet keine Rückwirkung i.S.d. materiell-rechtlichen Erteilungsvoraussetzungen (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.2014 - 1 B 17.13 - juris Rn 8).
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Ausgehend davon ist die Identität des Klägers nach wie vor ungeklärt; eine Identitätsfeststellung ist nicht erfolgt. Es wurden weder ein gültiges Ausweispapier noch gleich beweiskräftige Unterlagen bzw. Urkunden als Nachweis der Identität vorgelegt. Allein die zwischenzeitlich erfolgte Übermittlung einer Kopie der vorgenannten ID-Card, für die kein Original vorgelegt wurde, stellt keine zureichende Mitwirkung des Klägers dar. Die im Klageverfahren in Aussicht gestellte Vorlage des Ausweisdokumentes des Klägers beim Beklagten ist nicht erfolgt.
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Die Frage ob einem Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis daneben die Nichterfüllung der besonderen Erteilungsvoraussetzungen - insbesondere § 25 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG - entgegensteht, bedarf daher keiner weiteren Erörterung. Ungeachtet dessen ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht bereits mit Erreichen eines Schulabschlusses von einer positiven Integrationsprognose auszugehen, da § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG einen erfolgreichen Schulbesuch bzw. den Erwerb eines anerkannten Schulabschlusses kumulativ zu der positiven Integrationsprognose in § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG voraussetzt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 - 10 ZB 17.1682 - juris Rn. 8). Gegen eine für den Kläger günstige Integrationsprognose spricht, dass er, obwohl er geltend macht, derzeit den (qualifizierten) Hauptschulabschluss abzulegen, bislang keine nennenswerten Anstrengungen für seine wirtschaftliche und soziale Integration unternommen hat, insbesondere wurden auch kein Ausbildungsplatzangebot bzw. Nachweise, dass sich der Kläger angesichts des erwarteten erfolgreichen Schulabschlusses um einen Ausbildungsplatz bemüht, vorgelegt.
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Ein Aufenthaltstitel für andere Aufenthaltszwecke ist nicht streitgegenständlich (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2021 - 19 CE 21.6 - juris Rn 12; B.v. 18.3.2021 - 19 CE 21.363 - juris Rn. 11 zum sog. Trennungsprinzips).
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2. Die Klage war demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.