Titel:
Unterlassungsklage, Klage auf Einstellung bzw. Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens, Vollstreckung von gemeindlichen Forderungen
Normenketten:
VwZVG Art. 21
VwZVG Art. 22 Nr. 3
Schlagworte:
Unterlassungsklage, Klage auf Einstellung bzw. Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens, Vollstreckung von gemeindlichen Forderungen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 14423
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen Vollstreckungsmaßnahmen der Beklagten.
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Mit Mahnung vom 26. Juni 2020 wurde der Kläger von der Beklagten aufgefordert, offene Grundsteuer- und Gebührenforderungen in Höhe von 712,03 EUR innerhalb von 7 Tagen zu begleichen.
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Mit Schreiben vom 4. Juli 2020, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am 7. Juli 2020, hat der Kläger eine „vorbeugende Unterlassungsklage“ gegen die Beklagte erhoben. Zur Begründung wird ausgeführt, mit der Mahnung wolle die Beklagte Vollstreckungsmaßnahmen wegen behaupteten Forderungen einleiten. Dabei seien die Gegenansprüche des Klägers seit Jahren nicht berücksichtigt worden. Über diese Gegenansprüche sei mittels eines Abrechnungsbescheids zu entscheiden und dem Kläger der Erstattungsbetrag zukommen zu lassen. Die Gegenansprüche resultierten vornehmlich aus Gesundheitsschäden, die zur Erwerbsunfähigkeit des Klägers geführt hätten und für die die Beklagte einzustehen habe. Dies wird im Einzelnen ausgeführt. Diese Schäden habe der Kläger mindestens seit 1999 vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht. Auch begründeten die Schäden des Klägers eine besondere Härte nach der Abgabenordnung (AO).
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Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 4. August 2020,
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Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Kläger wegen angeblich von der Beklagten zu vertretender Gesundheitsschäden bereits zahlreiche Klagen eingereicht habe. Eine Verantwortlichkeit der Beklagten für die Gesundheitsschäden habe sich hieraus nicht ergeben. Eine Forderung des Klägers wegen Gesundheitsschäden bestehe nicht. Im Übrigen sei eine Aufrechnung nur mit unbestrittenen Gegenansprüchen möglich, § 226 Abs. 3 AO. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte, welche die Rechtmäßigkeit der gemeindlichen Gebührenbescheide, die nunmehr vollstreckt würden, infrage stellen würde. Bei der Mahnung handle es sich nicht um einen Verwaltungsakt, gegen den der Rechtsweg eröffnet sei.
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Mit Schriftsätzen vom 18. August 2020 und 9. Mai 2022 hat der Kläger insbesondere erwidert, dass die klageabweisenden Entscheidungen durch unwahre Behauptungen erschlichen worden seien, was näher ausgeführt wird. Die Beklagte habe einen Abrechnungsbescheid über die erklärte Aufrechnung zu erlassen.
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Mit Beschluss vom 17. März 2022 hat das Gericht den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2022 ist die Beklagte nicht erschienen. Der Kläger beantragt,
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Die Beklagte wird verpflichtet, das Vollstreckungsverfahren bis zum Erlass eines Abrechnungsbescheids auszusetzen.
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Mit Schreiben vom 31. Mai 2022, das am 7. Juni 2022 bei Gericht eingegangen ist, hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, dass die erhobene Unterlassungsklage in eine Klage auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids umzudeuten sei. Den Erlass eines solchen habe die Beklagte schon seit Jahrzehnten unterlassen. Eine Rückübertragung des Rechtsstreits auf die Kammer sei erforderlich. Ferner werde ein Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 104 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist nicht geboten.
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Eine solche liegt im Ermessen des Gerichts. Vorliegend ist dieses Ermessen nicht zu einer Rechtspflicht zur Wiedereröffnung verdichtet. Nachgelassene oder nachgereichte Schriftsätze erzwingen nur dann eine Wiedereröffnung, wenn das Gericht ihnen wesentlich neues Vorbringen entnimmt, auf das es seine Entscheidung stützen will (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 12.7.2017 - 4 BN 9/17 - juris Rn. 3). Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor.
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2. Auch kommt die angeregte Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Frage eines Abrechnungsbescheids nicht in Betracht. Das Verfahren ist spruchreif. Der bloße Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids, ohne dass ein solcher bereits erlassen wäre, begründet kein für die hier inmitten stehende Vollstreckung vorgreifliches Rechtsverhältnis nach § 94 VwGO.
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3. Über die Klage kann trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO entschieden werden. Die Beklagte ist ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 24. März 2022 zum Termin ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen worden. Sie hat mit Schreiben vom 28. März 2022 mitgeteilt, dass von ihrer Seite zum Termin niemand erscheinen werde.
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4. Eine Rückübertragung des Rechtsstreits auf die Kammer ist nicht veranlasst, da die diesbezüglichen Voraussetzungen nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht vorliegen.
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5. Die Klage hat keinen Erfolg.
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a) Nach dem Klagebegehren, das aus den Schriftsätzen des Klägers bis zur mündlichen Verhandlung, dem Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung sowie dem dort gestellten Antrag des Klägers erkennbar ist, möchte der Kläger die Unterlassung des Vollstreckungsverfahrens oder jedenfalls dessen Aussetzung erreichen.
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Diese Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Einstellung des Vollstreckungsverfahrens oder jedenfalls dessen Aussetzung bis zum Erlass eines Abrechnungsbescheids. Der Kläger hat nichts vorgetragen, wonach eine Vollstreckung in seine Rechte eingreifen würde.
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Denn der Kläger kann materiell-rechtliche Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch, wie etwa ein Erlöschen durch Aufrechnung, nach Art. 21 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich nicht mehr geltend machen. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass im vorliegenden Fall etwas Anderes gelten würde, insbesondere dass die Einwendungen erst nachträglich entstanden seien und nicht mehr mit förmlichen Rechtsbehelfen angegriffen werden (Art. 21 Satz 2 VwZVG) und daher erst im Vollstreckungsverfahren vorgebracht werden könnten. Vielmehr trägt der Kläger gerade vor, dass er seine Ansprüche, mit denen er aufrechnet, bereits seit 1999 geltend mache und seine Gesundheitsschäden im Jahr 2012 festgestellt worden seien.
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Auch schließt der klägerseits (wiederholt) gestellte Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids die Vollstreckung der betreffenden Ansprüche nicht schlechthin aus (vgl. hierzu bereits: VG München, U.v. 18.4.2019 - M 10 K 17.411 n.v.). Zwar kann die Aufrechnung grundsätzlich einen Erlöschensgrund nach Art. 22 Nr. 3 VwZVG darstellen. Wenn aber zwischen den Beteiligten eines Steuerschuldverhältnisses Streit über die Verwirklichung von Ansprüchen aus diesem Steuerschuldverhältnis besteht, so ist dies gemäß § 218 Abs. 2 AO in einem gesonderten Verfahren durch sog. Abrechnungsbescheid zu klären. Bis zum Erlass des Abrechnungsbescheids ist die Verpflichtung nicht offensichtlich erloschen im Sinne des Art. 22 Nr. 3 VwZVG. Eine parallel laufende Überprüfung und Beurteilung im Vollstreckungsverfahren scheidet aus (vgl. zum inhaltsgleichen § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO: FG Münster, B.v. 11.3.2005 - 7 V 691/05 AO - juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Dies belegt letztlich auch die vom Kläger mit Schreiben vom 31. Mai 2022 angeführte Fundstelle in einem Kommentar zu § 218 AO. Die Durchführung der Vollstreckung wäre angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls im Übrigen auch nicht unbillig.
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b) Soweit der Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 31. Mai 2022, der nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangen ist, ausführt, dass die von ihm erhobene Unterlassungsklage in eine Klage auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids umzudeuten sei, kann der Kläger hiermit nicht durchdringen. Eine solche Umdeutung kommt nicht in Betracht. Nach der Klageschrift, dem Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung sowie dem dort gestellten Antrag richtete sich die Klage eindeutig gegen die Vollstreckung. Da die gewünschte Umdeutung auf einen völlig anderen Streitgegenstand zielt, kann der erhobenen Unterlassungsklage dieser Gehalt nicht in zulässiger Weise nachträglich - zumal nach Schluss der mündlichen Verhandlung - beigemessen werden.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.