Titel:
Zu den Voraussetzungen der Scheidung wegen schwerer Eheverfehlung (hier unsittliches Verhalten gegenüber der gemeinsamen Tochter)
Normenketten:
BGB § 1564 S. 1 und S. 3, 1565 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
StGB § 184i
Leitsatz:
Die Fortsetzung der Ehe stellt eine unzumutbare Härte dar, wenn der Ehegatte die Ehe durch eine schwere Eheverfehlung unheilbar zerrüttet hat; dies ist anzunehmen wenn der Ehegatte sich der gemeinsamen Tochter gegenüber unsittlich verhalten hat. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Syrien, Aleppo, schwere Eheverfehlung, Scheidung, unsittliches Verhalten, Tochter, Fortsetzung der Ehe, unzumutbar, Ablauf Trennungsjahr
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 28.04.2022 – 7 UF 66/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 14158
Tenor
1. Die am ... 2011 vor Standesamt Aleppo, Syrien (Heiratsregister Nr.) geschlossene Ehe der beteiligten Ehegatten wird geschieden.
2. Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
4. Der Verfahrenswert wird auf 6.250,00 € festgesetzt. Davon entfallen 5.250,00 € auf die Scheidung und 1.000,00 € auf den Versorgungsausgleich.
Entscheidungsgründe
1
Die Ehegatten haben am ... 2011 vor Standesamt Al. Syrien unter Heiratsregister Nr. die Ehe miteinander geschlossen.
2
Der Scheidungsantrag wurde dem Antragsgegner am 01.02.2022 zugestellt.
3
Die Ehegatten leben seit ... 2021 getrennt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Antragsteller mit Trennungsabsicht aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen.
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Die Antragstellerin trägt vor, die Ehe sei gescheitert. Sie beantragt, die Ehe der Beteiligten zu scheiden. Der Antragsgegner stimmt der Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres nicht zu.
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Im Übrigen wird auf den Akteninhalt, insbesondere auf das weitere schriftliche Beteiligtenvorbringen und die Feststellungen zu gerichtlichem Protokoll, verwiesen.
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Der Scheidungsantrag ist zulässig.
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Das Amtsgericht Würzburg ist international und örtlich zuständig (§ 97 Abs. 1 FamFG, Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000; § 122 FamFG).
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Das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht bestimmt sich nach der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, weil dieses Verfahren nach dem 20.06.2012 im Sinne der Anhängigkeit der Hauptsache bei Gericht eingeleitet worden ist (Artikel 1, 4, 18 der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010).
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Die Ehescheidung richtet sich mangels einer wirksamen Rechtswahl nach Artikel 5 bis 7 der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 nach deutschem Recht. Die Ehegatten hatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (Artikel 8 lit. a der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts).
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Der Scheidungsantrag ist begründet, weil die Ehe der Ehegatten gescheitert ist (§§ 1564 Satz 1 und 3, 1565 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Ehe kann auch vor Ablauf des Trennungsjahres geschieden werden, da die Fortsetzung der Ehe für die Antragstellerin aus Gründen, die in der Person des Antragsgegners liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde, § 1565 Abs. 2 BGB.
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Das Familiengericht ist aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass die Ehegatten seit 15.06.2021 im Sinne von § 1567 BGB voneinander getrennt leben. Auch ist das Gericht davon überzeugt, dass die Ehe der Gatten endgültig gescheitert ist. Die Antragstellerin hat sich mit ihrem Auszug endgültig vom Antragsgegner abgewendet. Keiner der Beteiligten hat angegeben, dass eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft für sie denkbar ist.
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Die Fortsetzung der Ehe würde für die Antragstellerin eine unzumutbare Härte darstellen, da der Antragsgegner die Ehe durch eine schwere Eheverfehlung unheilbar zerrüttet hat. Zwar handelt es sich bei § 1565 Abs. 2 um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, da sich der Gesetzgeber grundsätzlich vom Verschuldensgedanken des Ehescheidungsrechts abgewendet hat (OLG Bremen FamRZ 1996, 489; OLG Rostock FamRZ 1993, 808 = NJW-RR 1994, 450; OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 809 (810); OLG München NJW 1978, 49 = FamRZ 1978, 29; OLG Saarbrücken FamRZ 2005, 809; OLG Stuttgart FamRZ 2002, 1342; AG Kitzingen FamRZ 2006, 625). Gleichwohl liegt hier eine so gewichtige Verfehlung des Antragsgegners gegen die eheliche Gemeinschaft vor, dass eine Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres ausnahmsweise gerechtfertigt ist (OLG Schleswig SchlHA 1978, 98; NJW 1978, 51; OLG Düsseldorf FamRZ 1978, 26; Giesen-Gick JR 1979, 1 (5); Schwab FamRZ 1979, 14 (19)). Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Antragsgegner sich der gemeinsamen Tochter gegenüber unsittlich verhalten hat, indem er sie in jedenfalls drei Fällen sexuell belästigte hat, § 184 i StGB. Das Gericht hat im Rahmen des Umgangsverfahrens, Az. 5 F 1236/21, Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Würzburg, Az. 902 Js 11007/21 genommen. Aus der Ermittlungsakte ergibt sich die Aussage des Kindes, die dieses Verhaltensweisen des Antragsgegners angibt. Diese im Wege der Amtsermittlung erlangten Erkenntnisse sind als gerichtsbekannt auch im hiesigen Verfahren verwertbar. Zwar bestreitet der Antragsgegner dieses Verhalten. Das Gericht hat sich jedoch eingehend mit der Aussage beschäftigt und hält die Angaben für glaubhaft. Die Zeugin schildert mit großem Detailgrad und ohne deutlichen Belastungseifer Verhaltensweisen des Antragsgegners. Der Antragsgegner hat gegenüber dem Gericht angegeben beweisen zu können, dass die Angaben der Tochter gelogen seien. Vorgelegt wurden jedoch nur Beweismittel, die die Glaubwürdigkeit der Antragstellerin zu erschüttern geeignet sind, nicht jedoch die der Tochter. Allein die pauschale Behauptung des Antragsgegners, die Tochter habe den Sachverhalt erfunden, um sich am Vater wegen erzieherischer Einschränkungen zu rächen bzw. sich seiner zu entledigen, vermag die Glaubhaftigkeit nicht zu erschüttern. Auch etwaige Sekundärmotive der Antragstellerin für das Scheidungsverfahran ändern nichts an den Angaben der Tochter. Das Gericht hat die Einvernahme des Kindes vor diesem Hintergrund für nicht erforderlich erachtet, da der Antragsgegner ihre Angaben nicht zu erschüttern vermochte. Insbesondere aber ist mittlerweile ein Urteil des Amtsgerichts Würzburg – Strafgericht – ergangen, das den Antragsgegner wegen der genannten Taten zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Urteil beruht auf einer Verständigung auch mit dem Antragsgegner.
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Diese Verhaltensweisen des Antragsgegners stellen eine gewichtige Verfehlung gegen die eheliche Gemeinschaft dar. Sie lassen sich nicht abstrahiert von der Ehe als reine Verfehlungen gegenüber der Zeugin betrachten. Vielmehr wirken sie sich dadurch, dass es sich um Taten gegenüber der gemeinsamen minderjährigen Tochter handelt unmittelbar auf die eheliche Gemeinschaft aus. Im Falle derartiger Verfehlungen lässt sich eine Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft bis zum Ablauf des Trennungsjahres bei entgegenstehendem Willen der Antragstellerin und Kindsmutter nicht rechtfertigen.
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Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt, weil die Voraussetzungen nach Art. 17 Abs. 4 Satz 1 EGBGB nicht vorliegen und kein Antrag eines Ehegatten auf Durchführung des Versorgungsausgleichs gemäß Art. 17 Abs. 4 Satz 2 EGBGB gestellt wurde. Die Folgesache Versorgungsausgleich wird vorliegend nicht von Amts wegen durchgeführt.
3. Kosten und Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 Abs. 1 FamFG.
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Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 43 ff FamGKG. Der Verfahrenswert für die Scheidung errechnet sich aus dem Einkommen der Beteiligten (1.282,00 € + 1.218,00 €) abzüglich der Schonbeträge von je 250,00 € für drei minderjährige Kinder bezogen auf drei Monate.