Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 26.04.2022 – AN 17 K 17.34206
Titel:

Konversion zum Christentum nicht glaubhaft gemacht

Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Allgemein trifft den Ausländer in Fällen einer Konversion erst im Aufnahmestaat eine erhebliche Plausibilisierungslast insbesondere mit Blick auf den Anlass und den Verlauf des Konversionsprozesses, die Bedeutung der Religion für das Leben des Betroffenen und dessen Überlegungen für den Fall eines Bekanntwerdens des Glaubenswechsels im sozialen Umfeld und Herkunftsland des Betroffenen.  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es gibt keine Erkenntnisse dahingehend, dass allein wegen einer bisherigen religiösen Betätigung im Ausland oder in Deutschland oder gar schon wegen eines bloß formalen Glaubenswechsels einem Übergetretenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte - selbst unter dem Recht der Scharia. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylbewerber aus dem Iran, Keine Vorverfolgung (Vortrag unglaubhaft) und kein Verfolgungsgrund, Kein Nachfluchtgrund wegen Konversion zum christlichen Glauben mangels identitätsprägender Bedeutung, Iran, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutzstatus, Abschiebungsverbot, Nachfluchtgrund, Konversion
Fundstelle:
BeckRS 2022, 14094

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz und weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten in Bezug auf den Iran.
2
Der Kläger ist eigenen Angaben nach … 1999 im Iran geboren, iranischer Staatsbürger und reiste am 25. Dezember 2015 aus seinem Heimatland Iran zunächst in Richtung T. aus. Von dort aus gelangte er nach Griechenland und weiter über Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich in die Bunderepublik Deutschland, wo er am 4. Januar 2016 eintraf. Am 22. Dezember 2016 stellte er in Deutschland einen förmlichen Asylantrag. Die Eltern des Klägers sowie die Großfamilie leben nach wie vor im Iran. Im Iran hat der Kläger die Schule bis zur 11. Klasse besucht, über eine Berufsausbildung verfügt er nicht.
3
Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 24. März 2017 … gab der Kläger an, dass er im Iran ein 17-jähriges Mädchen, … …, kennengelernt und sich verliebt habe. Er habe seinem Vater von seinem Wunsch sich mit diesem Mädchen verloben zu wollen berichtet. Dieser habe seinen Wunsch abgelehnt, da das Mädchen einem anderen Unterstamm zugehörig sei, mit dem sie schon häufiger Streit gehabt hätten; auch mit der Familie des Mädchens gebe es Streit. Er, der Kläger, habe dennoch weiter Kontakt mit dem Mädchen gepflegt. Als er einmal auf das Haus seiner Cousine und seiner Tante aufgrund deren Abwesenheit habe aufpassen sollen, habe er … … in dieses Haus eingeladen. Dort hätten sie sich über die Konflikte zwischen ihren Familien und die daraus folgenden Probleme für ihre Beziehung unterhalten. Da sie beide hätten zusammenbleiben wollen, habe … vorgeschlagen miteinander Sex zu haben, um so die Eltern zu zwingen die Erlaubnis zur Heirat zu erteilen. Danach hätten sie miteinander Sex gehabt. … habe dann, als sie weggegangen sei, gesagt, dass sie die Geschichte ihrer Mutter erzählen wolle. Die Mutter habe dann mit ihr geschimpft und sie geschlagen sowie ihren Brüdern von der Sache erzählt. Dies habe … ihm bei einem Telefonat 23. Dezember 2015 um 8 Uhr erzählt. Der ältere Bruder von … habe diese dann am selben Tag umgebracht. Einer seiner (des Klägers) anderen Onkel habe neben dem Haus des Mädchens gewohnt, habe Lärm gehört und sei dann rausgegangen. Die Mutter des Mädchens sei auch da gewesen und habe ihm gesagt, dass sein Neffe an allem schuld sei. Auch der Onkel sei von den Brüdern des Mädchens geschlagen worden. Daraufhin habe sein Onkel seinen Vater angerufen und dann sei um ca. 14 Uhr ein Auto zum Haus der Cousine gekommen, um ihn abzuholen. Der Fahrer habe gemeint, er sei ein Freund des Vaters des Klägers und da es gefährlich für ihn werden könne, solle er einsteigen. Der Kläger sei dann 16 Stunden unterwegs gewesen, bis sie in „…“ angekommen seien. Dort habe der Freund seines Vaters im 2.000 Euro gegeben und sei dann weggegangen. Er, der Kläger, sei sodann mit dem Schleuser nach … gefahren. An diesem Tag seien die Brüder des Mädchens auch zu seinen Eltern gegangen und hätten alle Scheiben des Hauses eingeschlagen und das Auto seines Vaters demoliert sowie dessen Arm gebrochen. Dann sei auch noch die Polizei zu seinen Eltern gekommen, da die Familie des ermordeten Mädchens die Sache so inszeniert gehabt habe, dass es so ausgesehen habe als dass der Kläger sie umgebracht habe. Wie genau die Inszenierung erfolgt sei, könne er aber nicht sagen, jedoch sei die Familie des Mädchens sehr bekannt gewesen und hätte einen Richter und einen Rechtsanwalt in ihren Reihen gehabt. Auch jetzt bekämen seine Eltern noch Vorladungen durch das Gericht und sein Vater werde öfter mitgenommen und gefragt, wo er, der Kläger, sei. Auf Nachfrage des Bundesamtes gab der Kläger weiter an, dass er nicht selbst vom Tod des Mädchens erfahren habe, sondern ihm dies nur der Fahrer, der Freund seines Vaters, erzählt habe. Nachdem dieser ihm noch erzählt habe, dass er gefährdet sei und auch umgebracht würde, sei er sogleich mit ihm mitgefahren. Er habe nach dieser Nachricht Angst gehabt, sei geschockt gewesen und habe Gleichgewichtsstörungen bekommen und sei beinahe umgefallen.
4
Hinsichtlich seines Glaubens gab der Kläger in der Anhörung am 24. März 2017 … an, dass seine Familie im Iran „nicht so gläubig“ gewesen sei. Im Mai 2016 sei er, nachdem er mehrere Asylbewerberheime gewechselt und Depressionen gehabt habe, in die … in … gekommen. Eines Tages seien ein paar Leute mit Gitarre reingekommen, einer davon Iraner. Er habe ihn angesprochen und gesagt, dass er aus „…“ im Iran komme. Beide hätten verabredet sich auch weiterhin zu sehen und Handynummern ausgetauscht. Der andere Iraner habe ihm sodann gesagt, dass er immer am Sonntag in der Kirche sei. An einem Sonntag habe dieser den Kläger abgeholt und sie seien gemeinsam in die Kirche gegangen. Dort habe er ihm, dem Kläger, eine Bibel gegeben. Diese Bibel habe er gelesen und gewusst, dass er jetzt Christ sei. Auch habe er Kurse besucht zur Vergebung der Sünden und zur Vorbereitung auf eine Taufe. Alle zwei Wochen habe es Bibelkreise gegeben, dort seien Leute von der Kirche gekommen und hätten etwas über den Glauben erzählt. Seitdem er Christ geworden sei, fühle er sich fröhlicher und habe begonnen Sport zu treiben. Auf die Frage des Bundesamtes hin, was dem Kläger am Christentum gefalle, antwortete dieser, dass das Christentum auf Liebe und Nächstenliebe aufgebaut sei, dort könnte man nur mit Gott in Verbindung sein. Die einzige Möglichkeit an Gott heranzukommen sei Jesus. Auf die Frage des Bundesamtes hin, was ihm sein Glaube bedeute, gab der Kläger an, dass sich sein Leben gänzlich geändert habe, er sei nicht mehr depressiv, esse wieder und mache Sport. Auf weitere Rückfrage des Bundesamtes, wie wichtig dem Kläger das Christentum in seinem Leben sei, gab dieser an, dass es dort keinen Krieg und kein Blutvergießen gebe. Alles sei auf Freundschaft und Nächstenliebe aufgebaut. Seit er Christ sei, wisse er, dass er sogar zu seinen Feinden freundlich sein müsse. Auf nochmalige Rückfrage des Bundesamtes, dass der Kläger recht allgemein geantwortet habe und er deshalb nochmals Stellung nehmen solle zu Frage, wie wichtig das Christentum in seinem Leben sei und welche Bedeutung es in seinem Leben habe, gab der Kläger an, dass das sein Glauben und sein Leben sei, alle seine Sünden seien gereinigt worden. Auf die Frage des Bundesamtes hin, was wäre, wenn er kein Christ sein könne, antwortete der Kläger, dass er dann seinen alten Glauben, den Islam, wiederhätte. Über diesen habe er keine Informationen gehabt und den Glauben nicht gelebt. Sein Leben würde wie früher weitergehen. Weiter gab der Kläger in seiner Anhörung an, dass er Weihnachten in der Kirche gewesen sei. An Weihnachten werde die Geburt Christi am 25. Dezember gefeiert, mehr könne er dazu nicht sagen. Auf Nachfrage gab der Kläger seinen Taufspruch wieder. Im Iran könne man seinen christlichen Glauben nicht leben, dann werde man umgebracht. Im Islam gebe es keine Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Ein Mann könne mehrere Frauen haben und diese schlagen. Im Christentum sei dies anders und alles werde mit Liebe und Freundschaft gemacht. Im Islam müsse man sich 17 mal am Tag verbeugen und fünfmal am Tag beten. Wenn man Christ werde sei es so, als würde man neu geboren. Abschließend gab der Kläger an, dass er niemanden habe, um den er sich kümmern müsse.
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Im Rahmen der Anhörung übergab der Kläger eine Bescheinigung des Pastors … … der Freien evangelischen Gemeinde … vom 6. März 2017. Darin ist ausgeführt, dass der Kläger seit etwa einem Jahr regelmäßig an Kirchenveranstaltungen teilnehme. In einem 10-wöchigen Glaubensgrundkurs habe er seinen Glauben vertieft und sei am 16. Oktober 2016 getauft worden. In der Gemeinde besuche er regelmäßig die Sonntags-Gottesdienste sowie einen iranischen Hauskreis. In diesem engagiere sich der Kläger aktiv und helfe beim Übersetzen und Erläutern der besprochenen Inhalte. Weiter wurde eine Taufbescheinigung der Freien Evangelischen Gemeinde … vom 16. Oktober 2016 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass der Kläger an diesem Tag in der Gemeinde getauft wurde (Taufspruch: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“).
6
Mit Bescheid vom 29. Mai 2017 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 4) und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bescheidsbekanntgabe oder im Falle einer Klageerhebung binnen 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls er in den Iran abgeschoben würde (Ziffer 5). Schließlich befristete das Bundesamt das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Der Bescheid wurde dem Kläger am 31. Mai 2017 zugestellt.
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Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass die Furcht vor der Familie des Mädchens, mit dem er eine Liebesbeziehung unterhalten habe, schon keinen asylrechtlich relevanten Verfolgungsgrund darstelle. Im Übrigen seien die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Wechsels zum Christentum nicht glaubhaft. Gerade von einer Person, die von sich behaupte, nicht religiös gewesen zu sein, jetzt aber in einer „neuen“ Religion ihr Seelenheil gefunden haben will, sei zu erwarten, dass die inneren Beweggründe hierfür zumindest ansatzweise geschildert würden. Stattdessen deute schon die Art und Weise, wie er zum Christentum in Kontakt gekommen sein will, darauf hin, dass die behaupteten Aktivitäten des Klägers in erster Linie darauf gerichtet seien, sich ein Bleiberecht in Deutschland zu verschaffen. Die eher rudimentären Kenntnisse des Klägers überzeugten nicht von einem ernsthaften inneren Überzeugungswandel. Es sei daher auch nicht zu erwarten, dass sich der Kläger im Iran anderen gegenüber als Christ bezeichnen oder christliche Veranstaltungen im häuslichen oder außerhäuslichen Bereich besuchen würde. Aus dem formalen Akt der Taufe heraus bestehe für den Kläger ebenfalls keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit. Denn allein wegen der formellen Konversion zum Christentum habe der Ausländer bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten.
8
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte am 13. Juni 2017 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Kläger eine begründete Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Dritte und wegen seiner Religion glaubhaft gemacht habe. Er habe den Iran verlassen müssen, um enormen Repressionen und Verfolgung von staatlicher Seite zu entgehen. Dadurch, dass er Schande über die Familie gebracht habe, sei auch er in großer Gefahr gewesen. Die iranischen Behörden seien in solchen Fällen nicht gewillt staatlichen Schutz zu gewähren, insbesondere da die Brüder des ermordeten Mädchens mächtige Funktionäre im Rahmen des iranischen Machtapparates gewesen seien. Die Hinwendung zum Christentum in Deutschland sei aufgrund fester Überzeugung und eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswechsels erfolgt und beruhe nicht auf Opportunitätserwägungen. Der Glaubenswechsel präge die religiöse Identität des Klägers, so dass ihm nicht zugemutet werden könne, im Iran auf seine nunmehr praktizierte Religion zu verzichten. Diese Hinwendung werde durch die regelmäßige Teilnahme an Gottesdiensten und Besuchen in der Kirche sowie die Taufe bestätigt. Zudem habe der Kläger biblische Geschichten und christliche Feiertage genau wiedergeben können. Die Apostasie, also der Abfall vom islamischen Glauben, werde im Iran mit der Todesstrafe geahndet. Mit Schriftsatz vom 21. April 2022 legte die Klägerbevollmächtigte eine Bescheinigung der Freien evangelischen Gemeinde … vom 12. April 2022 vor. Darin ist ausgeführt, dass der Kläger seit 2016 regelmäßig die Gottesdienste besuche und Kontakte zu anderen Christen aus der Gemeinde pflege. Anfangs habe er auch am Café … teilgenommen, einem wöchentlichen Angebot der Gemeinde, das speziell zur schnellen Integration ausländischer Gäste veranstaltet werde. In einem 10-wöchigen Glaubensgrundkurs habe er seinen Glauben vertieft und sei anschließend am 16. Oktober 2016 getauft worden. Er praktiziere seinen Glauben weiterhin dadurch, dass er bete und er sich regelmäßig mit anderen iranischen Christen als sogenannter Hauskreis in seiner Wohnung oder auch bei Freunden treffe, um gemeinsam die Bibel zu lesen und über den Glauben zu sprechend. Weiterhin sei er regelmäßiger Besucher der Sonntagsgottesdienste.
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Der Kläger beantragt,
1.
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Mai 2017 mit Ausnahme dessen Ziffer 2 aufzuheben.
2.
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.
3.
Hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.
4.
Höchst hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass bei dem Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
10
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
11
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
12
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der beigezogenen Bundesamtsakte des Klägers und die Gerichtsakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung am 25. April 2022 wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

13
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
15
Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss die Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung vom Staat (§ 3c Nr. 1 AsylG), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG).
17
Maßstab für die Beurteilung der Furcht des Klägers vor Verfolgung als begründet im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr („real risk“) der Verfolgung. Erforderlich ist insoweit, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer angenommenen Rückkehr Verfolgung droht (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 33/18 - NVwZ 2020, 161 Rn. 15; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936 Rn. 32; BVerwG, U.v. 22.11.2011 - 10 C 29/10 - NVwZ 2012, 1042 Rn. 23 ff.; BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - NVwZ 2011, 51 Rn. 22). Die Bejahung einer solchen beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 33/18 - NVwZ 2020, 161 Rn. 15; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936 Rn. 32).
18
Diesbezüglich gewährt Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Anerkennungs-RL) eine Beweiserleichterung: Für Vorverfolgte wird vermutet, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist. Die Vermutung ist widerleglich. Hierfür sind stichhaltige Gründe erforderlich, die dagegensprechen, dass dem Antragsteller eine erneute derartige Verfolgung droht (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 33/18 - NVwZ 2020, 161 Rn. 16).
19
Das Gericht muss in Asylstreitsachen die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangen (BVerwG, B.v. 29.11.1996 - 9 B 293/96 - juris Rn. 2), wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat angemessen zu berücksichtigen und deshalb den glaubhaften Erklärungen des Asylsuchenden größere Bedeutung beizumessen ist, als dies sonst in der Prozesspraxis bei Parteibekundungen der Fall ist (BVerwG, B.v. 29.11.1996 - 9 B 293/96 - juris Rn. 2 f.). Dem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung kommt eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 - juris Rn. 16). Der Schutzsuchende hat sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen (VGH BW, U.v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris Rn. 35; HessVGH, U.v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris). Er hat die Gründe für seine Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat bzw. Staat des gewöhnlichen Aufenthalts Verfolgung droht (BVerwG, B.v. 26.10.1989 - 9 B 405/89 - juris). Von dem Asylsuchenden kann verlangt werden, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, B.v. 19.3.1991 - 9 B 56/91 - juris). Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - juris, U.v. 23.2.1988 - 9 C 273/86 - juris). An der Glaubhaftmachung fehlt es auch, wenn der Schutzsuchende sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere, wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät ins das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris Rn. 35).
20
a) Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist das Gericht zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht.
21
Zu prüfen ist angesichts des klägerischen Vortrages einerseits eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG, nämlich die Familienmitglieder der … …, mit der der Kläger eine außereheliche Beziehung geführt haben will, sowie eine drohende Verfolgung durch den iranischen Staat aufgrund einer angegebenen Konversion zum Christentum in Deutschland und dem damit einhergehenden Abfall vom islamischen Glauben.
22
b) Hinsichtlich der vorgetragenen (drohenden) Verfolgung des Klägers durch Familienmitglieder der … … bereits im Iran ist zum einen schon fraglich, ob überhaupt ein flüchtlingsrelevanter Verfolgungsgrund im Sinne der § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG vorliegt. Allenfalls wäre denkbar, dass die Brüder der … … den Kläger aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG bedrohen. Dann allerdings müsste man eine Gruppe derjenigen minderjährigen Männer im Iran bilden, die eine außereheliche sexuelle Beziehung mit einem/einer ebenfalls minderjährigen Mädchen bzw. Frau geführt haben, die jedoch keine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a und b AsylG wäre (die Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, s. EuGH, U.v. 7.11.2013 - C-199/12, C-200/12, C-201/12 - NVwZ 2014, 132, 133; BVerwG, B.v. 28.3.2019 - 1 B 7/19 - juris Rn. 9). Es mangelt bereits am Erfordernis der deutlich abgegrenzten Identität der Gruppe, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird, § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AsylG. Dagegen spricht schon, dass aus Perspektive der umgebenden Gesellschaft nicht ohne Weiteres von außen wahrnehmbar und erkennbar ist, dass der Kläger als Minderjähriger eine außereheliche Beziehung geführt hat (vgl. BayVGH, U.v. 3.1.2022 - 21 B 19.32835 - juris Rn. 32; BayVGH, B.v. 14.8.2008 - 15 ZB 07.30176 - juris Rn. 3). Davon abgesehen ist der Einzelrichter auch nicht von einer drohenden Verfolgung des Klägers durch die Brüder der … … überzeugt. Der Kläger berichtet nämlich durchweg lediglich aus zweiter Hand von der ihm angeblich drohenden Verfolgung. So sind seinem Vorbringen zufolge die Brüder der … … nicht persönlich an ihn herangetreten, sondern hat er nur von einem Freund seines Vaters erfahren, dass … …, mit der er eine außereheliche sexuelle Beziehung gehabt haben will, ermordet worden sei und nun er, der Kläger, auch in Gefahr sei. Darin liegt zum einen eine äußerst detailarme, gleichsam stichwortartige Zusammenfassung der angeblich drohenden Verfolgung. Unglaubhaft wirkt in diesem Zusammenhang zum anderen auch, dass der Kläger sofort nach der Überbringung dieser Nachricht durch den Freund des Vaters, den er zuvor nie getroffen hatte, in dessen Auto eingestiegen ist und sich unmittelbar mit diesem auf die Flucht begeben hat, ohne dessen Angaben in irgendeiner Weise zu hinterfragen oder wenigstens telefonische Rücksprache mit dem eigenen Vater zu nehmen. Soweit der Kläger schließlich noch eine drohende Verfolgung durch die iranische Polizei andeutet, da die Brüder der … … inszeniert hätten, dass er, der Kläger, als Mörder von … gelte, teilt dieses Vorbringen aus den genannten Gründen ebenfalls das Schicksal der mangelnden Glaubhaftigkeit.
23
Der Einzelrichter geht nach demnach davon aus, dass der Kläger den Iran unverfolgt verlassen hat und Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU der Anerkennungs-RL keine Anwendung findet. Die Konversion zum Christentum fand nach dem Vortrag des Klägers erst in Deutschland statt, im Iran sei er noch Moslem kraft Geburt gewesen.
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c) Der Kläger kann sich hinsichtlich der vorgetragenen Konversion zum Christentum in Deutschland auch nicht gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf einen beachtlichen Nachfluchtgrund berufen. Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
25
Allgemein trifft den Ausländer in Fällen einer Konversion erst im Aufnahmestaat eine erhebliche Plausibilisierungslast insbesondere mit Blick auf den Anlass und den Verlauf des Konversionsprozesses, die Bedeutung der Religion für das Leben des Betroffenen und dessen Überlegungen für den Fall eines Bekanntwerdens des Glaubenswechsels im sozialen Umfeld und Herkunftsland des Betroffenen (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 9. Ed. 15.10.2021, § 3b AsylG Rn. 12). Für den Iran kommt es hinsichtlich der Verfolgungsgefahr aufgrund einer Konversion darauf an, ob im Falle einer Rückkehr einer konvertierten Person davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben und die damit verbundene Abkehr vom Islam aktiv im Iran ausüben oder nur erzwungener Maßen, unter dem Druck drohender Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird (BayVGH, U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris Rn. 24). Es gibt keine Erkenntnisse dahingehend, dass allein wegen einer bisherigen religiösen Betätigung im Ausland oder in Deutschland oder gar schon wegen eines bloß formalen Glaubenswechsels einem Übergetretenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte - selbst unter dem Recht der Scharia (BayVGH a.a.O. Rn. 25; s.a. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformation der Staatendokumentation Iran, Version 4, Stand 22.12.2021, S. 54, zumindest für rückkehrende Konvertiten, die keine Aktivitäten mehr in Bezug auf das Christentum entfalten oder den Behörden vor Ausreise unbekannt waren). Da demnach die Verfolgung aufgrund einer Konversion im Iran nicht ausschließlich an die formale Kirchenzugehörigkeit anknüpft, ist bei der Beurteilung der Schwere einer drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Betroffenen zu prüfen, ob die Verfolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis für diesen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Nachdem bereits der unter dem Druck drohender Verfolgung erzwungene Verzicht auf eine Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG erreichen kann, ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BayVGH a.a.O. Rn. 26; BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - NVwZ 2015, 1678 Rn. 11 m.w.N.; nachfolgend BVerfG, B.v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950 Rn. 26 ff.).
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Diese Voraussetzungen sind in der Person des Klägers jedoch nicht erfüllt. Der Einzelrichter konnte nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger aus ernsthafter, fester Überzeugung im Bundesgebiet zum christlichen Glauben übergetreten ist und dieser eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung für ihn hat.
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Eine ernsthafte Hinwendung des Klägers zum christlichen Glauben lässt sich insbesondere nicht alleine aus dem formalen Akt der Taufe am 16. Oktober 2016 in der Freien evangelischen Gemeinde …, der durch eine entsprechende Taufbescheinigung nachgewiesen ist, entnehmen. Diese bestätigt zwar für das Verwaltungsgericht bindend die Wirksamkeit einer nach kirchenrechtlichen Vorschriften vollzogenen Taufe und damit die Mitgliedschaft des Asylbewerbers in der Kirchengemeinschaft. Davon zu trennen ist jedoch - weil es eben keine eigene Angelegenheit der Kirchen oder Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV darstellt - ob und gegebenenfalls welche Aspekte der Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung in einer die Furcht vor Verfolgung begründenden Intensität für die religiöse Identität des Asylbewerbers prägend sind oder nicht (BVerfG, B.v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950 Rn. 29 f.; BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - juris Rn. 9 ff.). Gleiches gilt im Ergebnis auch für die vorgelegte Bescheinigung des Pastors … … der Freien evangelischen Gemeinde … vom 6. März 2017, soweit diese eine regelmäßige Teilnahme an den Gottesdiensten und Veranstaltungen der Gemeinde und Aktivitäten dort nachweisen soll (NdsOVG, B.v. 16.9.2014 - 13 LA 93/14 - juris Rn. 6).
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Gegen eine ernsthafte, identitätsprägende Hinwendung des Klägers zum Christentum spricht schon die im Ausgangspunkt unglaubhafte Darstellung des Klägers vor dem Bundesamt, dass er nach einmaligem Besuch einer Kirche und der einmaligen Lektüre der Bibel gewusst haben will, Christ zu sein. Es werden keinerlei gedankliche Zwischenschritte des Glaubenswechsels geschildert, sondern gleichsam auf Knopfdruck ein solcher behauptet. Insofern wirkt die auf entsprechende Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung angepasste und gesteigerte Darstellung, dass dem Kläger nach der Bibellektüre und „einiger Zeit“, in der er die Kirche besucht habe, ein Blitz in das Herz gefahren sei, bemüht und unglaubhaft. Dieser oberflächlichen Schilderung der plötzlichen Zuwendung zum Christentum korrespondiert die Antwort des Klägers auf die Frage des Bundesamtes, was ihm sein Glaube bedeute, nämlich, dass sich sein Leben gänzlich geändert habe und er nicht mehr depressiv sei, wieder esse und Sport mache. Dabei handelt es sich um rein weltliche Veränderungen des Lebensstils, die der Kläger aber in keine geistige Verbindung speziell zur Annahme des christlichen Glaubens zu bringen vermag. Auch die übrigen Antworten auf die Fragen des Bundesamtes ergehen sich eher in religiösen Allgemeinplätzen ohne Bezug zur theologischen Gedankenwelt des Klägers, wie etwa, dass das Christentum auf Liebe und Nächstenliebe aufgebaut sei und man dort mit Gott in Verbindung kommen könne, dass es dort kein Krieg und kein Blutvergießen gebe, man zu seinen Feinden freundlich sein müsse und alle Sünden gereinigt worden seien. Soweit der Kläger im Weiteren vor allem negative Aspekte des Islams aufführt, wie etwa die fehlende Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Pflicht zum fünfmaligen Gebet, vermag dies keine vertiefte Bindung zum Christentum zu begründen, sondern bringt lediglich die Ablehnung des Islam zum Ausdruck.
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Auch die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung sind nach Überzeugung des Einzelrichters nicht hinreichend für die Annahme einer identitätsprägenden Bedeutung des Christentums für den Kläger. Zwar hat dieser recht präzise die letzte von ihm besuchte Veranstaltung in der Freien evangelischen Gemeinde … beschreiben können, die einen Tag vor der mündlichen Verhandlung stattgefunden hat, weshalb von einer Teilnahme des Klägers auszugehen ist. Jedoch vermag selbst ein regelmäßiges Teilnehmen an Gemeindeveranstaltungen keine ernsthafte Zuwendung zum Christentum zu tragen, wenn im Übrigen erhebliche Zweifel an der identitätsprägenden Bedeutung des christlichen Glaubens für den Kläger bestehen. Der Besuch von Gemeindeveranstaltungen kann nämlich auch einen rein oder schwerpunktmäßig sozialen und integrativen Charakter gerade für Asylbewerber haben, die neu in einem für sie fremden Land mit unbekannter Sprache ankommen. Eine ernsthafte Zuwendung zum Christentum lässt sich schließlich nicht der verhältnismäßig ausführlichen Erläuterung des Klägers auf die Frage des Gerichts, wieso er nach seiner ersten Bibellektüre gewusst haben will, ein Christ zu sein, entnehmen. Dabei handelt es sich einerseits um einen gegenüber den Angaben beim Bundesamt erheblich gesteigerten Vortrag, von dem in zeitlicher Hinsicht naheliegt, dass der Kläger ihn auch schon damals vor dem Bundesamt hätte anbringen können. Hier wie dort findet sich nämlich die erste Bibellektüre des Klägers als zeitlicher Ausgangspunkt, dem weitere Ereignisse nachfolgen, in der Anhörung vor dem Bundesamt der Besuch von Kursen auch zur Vorbereitung der Taufe sowie Bibelkreise, im Rahmen der informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung der Kirchenbesuch für „einige Zeit“. Da die Anhörung vor dem Bundesamt am 24. März 2017 stattfand, der Kläger aber bereits am 4. Januar 2016 nach Deutschland eingereist ist und seit circa März 2016 an Veranstaltungen der Freien evangelischen Gemeinde … teilgenommen hat sowie dort am 16. Oktober 2016 getauft wurde, ist nicht ersichtlich, weshalb er die besagten, in der mündlichen Verhandlung getätigten Äußerungen nicht bereits vor dem Bundesamt hätte vorbringen können. Ein im Laufe des Verfahrens gesteigertes Vorbringen kann, insbesondere, wenn der Kläger Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät ins das Verfahren einführt, als unglaubhaft eingestuft werden (VGH BW, U.v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris Rn. 35). Dem Einzelrichter drängt sich diesbezüglich der Eindruck auf, dass der Kläger vergangene Ereignisse nachträglich mit einer persönlich-geistlichen Bedeutung aufzuladen versucht, die sie damals für ihn überhaupt nicht hatten. Soweit der Kläger im Übrigen auf Frage seiner Rechtsanwältin nach dem Unterschied zwischen Christentum und Islam erläutert, wieso er den Islam ablehnt, vornehmlich wegen der vielen Zwänge wie dem häufigen Beten, Fasten und Almosen geben, außerdem gehe es im Islam nur um das Kriegführen und Töten und mangele es an Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, ist zu bemerken, dass sich aus der Ablehnung der einen Religion nicht auf die Annahme einer anderen schließen lässt. Die anschließend durch den Kläger vorgebrachte Analogie seiner Situation mit der des biblischen verlorenen Sohnes, wäre er weiter Moslem geblieben und dass sein Leben in Gefahr gewesen sei, verhilft ihm, abgesehen davon, dass auch dies als gesteigertes Vorbringen einzuordnen ist, angesichts der oben ausgeführten, schon dem Grunde nach nicht glaubhaften Zuwendung zum Christentum nicht mehr zum Erfolg. Eine etwaige Lebensgefahr erscheint zudem überzeichnet. Ebenso wenig vermag schließlich die Äußerung der als Zuschauerin anwesenden Frau … eine andere Bewertung zu rechtfertigen.
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In diesem Lichte erscheint dem Einzelrichter auch die pathetisch vorgetragene Antwort des Klägers auf die Frage seiner Prozessbevollmächtigten, dass er bei einer Rückkehr in den Iran seinen [christlichen] Gott niemals verleugnen würde und dass er Christ sei und es bleiben werde, unglaubhaft. Dies gilt erst recht für die Angabe, im Iran nicht mit dem Missionieren aufhören zu wollen. Der Kläger hat gerade keine identitätsprägende Verwurzelung im Christentum darlegen können, weswegen auch bei einer Rückkehr in den Iran nicht davon auszugehen ist, dass er einer verfolgungsträchtigen Glaubensbetätigung nachgeht oder gar andere missioniert.
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Nach alldem hat das Gericht auch nach der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck gewinnen können, dass eine verfolgungsträchtige christliche Glaubensbetätigung für den Kläger nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist. Insofern ist der Einzelrichter auch davon überzeugt, dass er bei einer Rückkehr in den Iran nicht aus fester innerer Überzeugung das Bedürfnis hätte, sich dort anderen gegenüber als Christ zu bezeichnen, christliche Veranstaltungen zu besuchen oder gar zu missionieren.
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Allein durch die Asylantragstellung und die behauptete Konversion zum Christentum in Deutschland hat der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten. Den iranischen Behörden ist bekannt, dass Asylbewerber aus dem Iran überwiegend aus anderen als politischen Gründen versuchen, in Deutschland einen dauernden Aufenthalt zu erreichen, hierzu Asylverfahren betreiben und häufig eine Konversion zum Christentum behaupten (BayVGH, U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris Rn. 25; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Iran (Stand 23. Dezember 2021), vom 28.1.2022, S. 21; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Iran, Version 4, 22.12.2021, S. 54 f.).
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Bei der Rückkehr in den Iran kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen, insbesondere zu Kontakten während dieser Zeit. Bislang ist kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren oder im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (Auswärtiges Amt a.a.O.; BFA a.a.O, S. 93 f.).
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2. Dem Kläger steht unter diesen Umständen auch kein Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Hierfür ist angesichts des nicht glaubhaften Asylvorbringens nichts ersichtlich. Auch die Nr. 3 des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht einschlägig.
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3. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist, was insbesondere bei einem drohenden Verstoß gegen Art. 3 EMRK der Fall ist. Was die humanitären und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Iran anbelangt, die nur ausnahmsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigen könnten (ausführlich hierzu etwa VG Ansbach, U.v. 13.7.2021 - AN 17 K 21.30074 - juris Rn. 48 m.w.N.), ist ausweislich der vorliegenden Erkenntnismittel zwar von einer angespannten wirtschaftlichen Situation insbesondere in Folge der Sanktionen der USA und des Währungsverfalls auszugehen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Iran, Version 4, 22.12.2021, S. 85 f.). Gleichwohl gewährleistet der Iran auch für Rückkehrer eine Grundversorgung, zu der neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen wie Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Spezielle Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind allerdings nicht bekannt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Iran (Stand 23. Dezember 2021), vom 28.1.2022, S. 20). Die medizinische Versorgung ist auf ausreichendem Niveau gewährleistet (BFA a.a.O., S. 89 ff.). Darüber hinaus ist für den Kläger bei einer Rückkehr mit einer Unterstützung durch den im Iran verbliebenen Familienverband, zu dem auch seine Eltern zählen, zu rechnen. Von familiärer Unterstützung abgesehen ist der Kläger als arbeitsfähiger, junger und gesunder Mann in der Lage, seinen eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Damit ist die Schwelle einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers im Falle einer Rückkehr in den Iran nicht überschritten.
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Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG liegen ebenso wenig vor.
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4. Auch die in Ziffer 5 des Bescheides vom 29. Mai 2017 enthaltene Ausreiseaufforderung mitsamt Abschiebungsandrohung in den Iran begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor. Insbesondere ist die Verbindung der ablehnenden Asylentscheidung mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung europarechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (EuGH, U.v. 19.6.2018 - Gnandi, C 181/16 - NVwZ 2018, 1625). Allerdings muss nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Lichte der RL 2008/115/EG (Rückführungs-RL) und der Asylverfahrensrichtlinie (heute RL 2013/32/EU) sowie des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) durch das nationale Recht gewährleistet sein, „dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der RL 2003/9/EG [heute: RL 2013/33/EU] des Rates vom 27.1.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die RL 2008/115/EG und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts“ (EuGH, U.v. 19.6.2018 - Gnandi, C 181/16 - NVwZ 2018, 1625 Rn. 67). Dem ist das Bundesamt durch die § 38 Abs. 1 Satz 2 AsylG entsprechende Bedingung, dass im Falle einer Klageerhebung die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet, nachgekommen. Die im Übrigen durch den EuGH formulierten Bedingungen sind erfüllt bzw. führt deren Nichtbeachtung nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung (s. VG Ansbach, U.v. 18.8.2020 - AN 17 K 20.30137 - juris Rn. 51 ff.).
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5. Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung unterliegt keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Befristung steht im Ermessen der Behörde gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und wird vom Gericht in zeitlicher Hinsicht nur auf - hier nicht vorliegende - Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
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Die nicht dem heutigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der einen behördlichen Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots fordert, entsprechende Formulierung der Ziffer 6 im Bescheid vom 29. Mai 2017 („gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot“) ist insoweit unschädlich. Die nunmehr geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer ist regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu sehen (BVerwG, B.v. 13.7.2017 - 1 VR 3.17 - juris Rn. 72; s.a. BVerwG, U.v. 21.8.2018 - 1 C 21/17 - NVwZ 2019, 483 Rn. 25).
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.