Titel:
Leistungseinschränkung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
Normenketten:
SGG § 86b Abs. 1, Abs. 2
AsylbLG § 1a Abs. 3, § 2, § 3, § 3a § 14
Leitsätze:
1. Die Regelungen über die Einschränkungen der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auf das unabdingbar Notwendige sind verfassungsgemäß. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Inhaber einer Duldung Duldung für Personen mit ungeklärter Identität fallen unter den personellen Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein sofort vollziehbarer Bescheid über eine Leistungseinschränkung steht einem Anspruch auf Grundleistungen entgegen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grundleistungen, Analogleistungen, Leistungseinschränkung, Passbeschaffung, Verfassungsmäßigkeit, Rechtsschutzbedürfnis
Rechtsmittelinstanz:
LSG München, Beschluss vom 11.05.2022 – L 8 AY 27/22 B ER
Fundstelle:
BeckRS 2022, 13391
Tenor
I. Die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes werden abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zum einen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 27.12.2021 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.11.2021, mit dem der Antragsgegner in Anwendung des § 1 a Abs. 3, Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eine Einschränkung des Leistungsanspruchs der Antragstellerin zu 1 für die Zeit vom 01.12.2021 bis zum 31.05.2022 vorgenommen hat und mit dem der Antragsgegner den beiden Antragstellern zu 2 und 3 für denselben Zeitraum Grundleistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG gewährt hat. Zum anderen begehren die Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG für alle drei Antragsteller bzw. von Leistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG für die Antragstellerin zu 1 in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 27.12.2021 bis zum 31.05.2022.
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Die am ...1991 geborene Antragstellerin zu 1 ist nigerianische Staatsangehörige und reiste nach Aktenlage erstmals am 29.08.2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Antragstellerin zu 1 ist die Mutter des am ...2017 geborenen Antragstellers zu 2 und des am ...2019 geborenen Antragstellers zu 3.
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Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 08.01.2018 wurde der am 13.09.2017 von der Antragstellerin zu 1 gestellte Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt. Die Flüchtlingseigenschaft sowie der subsidiäre Schutzstatus wurden nicht zuerkannt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen und die Antragstellerin zu 1 wurde unter Abschiebungsandrohung nach Nigeria aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Ein Folgeantrag der Antragstellerin zu 1 und des Antragstellers zu 2 wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21.11.2019 als unzulässig abgelehnt.
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Die Antragsteller sind derzeit im Besitz von Duldungen für Personen mit ungeklärter Identität.
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Mit Bescheid der Regierung von Unterfranken, Regierungsaufnahmestelle für Asylbewerber, vom 01.07.2020 wurden die Antragsteller ab dem 07.07.2020 unter Zuweisung des Wohnsitzes in der Gemeinschaftsunterkunft A-Stadt, A-Straße dem Landkreis Main-Spessart zugewiesen.
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Auf den entsprechenden Antrag der Antragstellerin zu 1 hin, bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern mit Bescheid vom 21.08.2020 Grundleistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG ab dem 14.08.2020 bis zum 31.12.2020. Gegen diesen Bescheid wurde kein Widerspruch eingelegt.
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Die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken teilte dem Antragsgegner mit E-Mail vom 10.11.2020 mit, dass die Antragstellerin zu 1 mit Schreiben vom 25.08.2020 unter Fristsetzung zum 06.10.2020 zur Passvorlage bzw. Passbeschaffung aufgefordert worden sei. Bisher habe sie keinerlei Bescheinigungen oder Bestätigungen der Botschaft ihres Heimatlandes vorgelegt, dass sie dort gewesen sei und einen Reisepass beantragt habe. Sie wirke somit nicht bei der Passbeschaffung mit. Der E-Mail vom 10.11.2020 war der Entwurf des Schreibens der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken vom 25.08.2020 beigefügt. Mit diesem Schreiben teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken der Antragstellerin zu 1 unter anderem mit, dass sie aufgrund der rechtskräftigen Ablehnung ihres Asylantrags zur Ausreise verpflichtet sei. Die Antragstellerin zu 1 wurde aufgefordert, bis zum 06.10.2020 einen Pass oder Passersatz bzw. Nachweise vorzulegen, die ihre Bemühungen um ein entsprechendes Dokument belegen.
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Daraufhin erließ der Antragsgegner den Bescheid vom 25.11.2020, mit dem der Bewilligungsbescheid vom 21.08.2020 ab dem 01.12.2020 aufgehoben wurde und mit dem die Leistungen für die Antragstellerin zu 1 in der Zeit vom 01.12.2020 bis zum 31.05.2021 nach § 1 a Abs. 3, Abs. 1 AsylbLG eingeschränkt wurden. Den Antragstellern zu 2 und 3 wurden mit diesem Bescheid weiterhin Leistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG bewilligt. Gegen diesen Bescheid wurde kein Widerspruch eingelegt.
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Mit Bescheid des Antragsgegners vom 20.05.2021 wurden die Leistungen für die Antragstellerin zu 1 nach § 1 a Abs. 2, Abs. 3, Abs. 1 AsylbLG in der Zeit vom 01.06.2021 bis zum 30.11.2021 eingeschränkt. Den Antragstellern zu 2 und 3 wurden mit diesem Bescheid weiterhin Leistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG bewilligt. Gegen diesen Bescheid wurde kein Widerspruch eingelegt.
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Mit Schreiben vom 09.11.2021 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin zu 1 unter anderem mit, dass die Voraussetzungen für eine Leistungseinschränkung nach § 1 a Abs. 3 AsylbLG weiterhin erfüllt seien und dass beabsichtigt sei, die Leistungen für den Zeitraum ab dem 01.12.2021 für weitere sechs Monate auf Leistungen nach § 1 a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG einzuschränken. Der Antragstellerin zu 1 wurde Gelegenheit gegeben, sich hierzu bis zum 22.11.2021 zu äußern.
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Laut einem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 26.11.2021 teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken dem Antragsgegner telefonisch mit, dass die Antragstellerin zu 1 weiterhin ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkomme und dass weiterhin die Monokausalität zwischen der Mitwirkungsverweigerung und den nicht eingeleiteten aufenthaltsbeendenden Maßnahmen erfüllt sei. Die Ausreise nach Nigeria sei der Antragstellerin zu 1 laut der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken weiterhin möglich und zumutbar.
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Mit Bescheid des Antragsgegners vom 26.11.2021 wurden den Antragstellern Leistungen für Unterkunft einschließlich Heizung als Sachleistung gewährt (Ziffer 1 des Bescheids). Der Antragstellerin zu 1 wurden für die Zeit vom 01.12.2021 bis zum 31.05.2022 in Anwendung des § 1 a Abs. 3, Abs. 1 AsylbLG eingeschränkte Leistungen für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege in Höhe von 163,00 Euro monatlich bewilligt (Ziffer 2 des Bescheids). Den Antragstellern zu 2 und 3 wurden Leistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG bewilligt (Ziffer 3 des Bescheids). Auf die Ausführungen zur Begründung des Bescheids wird verwiesen.
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Mit Schreiben vom 27.12.2021 teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken dem Antragsgegner unter anderem mit, dass Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Anspruchseinschränkung nach § 1 a Abs. 3 AsylbLG vorlägen. Die Antragstellerin zu 1 sei mehrmals, zuletzt am 05.08.2021, über die Passpflicht belehrt worden. Sie sei zuletzt am 05.08.2021 unter Fristsetzung bis zum 02.09.2021 zur Passvorlage bzw. zum Nachweis von für die Mitwirkung bei der Passbeschaffung geeigneten Handlungen aufgefordert worden. Diese Frist habe die Antragstellerin zu 1 tatenlos verstreichen lassen. Monokausalität liege vor.
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Durch den anwaltlichen Bevollmächtigten der Antragsteller wurde mit Schreiben vom 27.12.2021, beim Antragsgegner eingegangen am selben Tag, Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.11.2021 eingelegt. Auf die Ausführungen zur Begründung des Widerspruchs wird verwiesen.
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Mit einem weiteren Schreiben des anwaltlichen Bevollmächtigten vom 27.12.2021, beim Sozialgericht Würzburg eingegangen am 28.12.2021, wurde im vorliegenden Verfahren einstweiliger Rechtsschutz in Form der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26.11.2021 sowie in Form der Verpflichtung des Antragsgegners durch einstweilige Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG beantragt. Zur Begründung des Antrags wurde unter anderem ausgeführt, dass der Bescheid vom 26.11.2021 rechtswidrig sei. Die Antragstellerin zu 1 habe Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1, jedenfalls aber auf Leistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1. Auch die Antragsteller zu 2 und 3 hätten Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG. Auf die weiteren Ausführungen zur Begründung des Antrags wird verwiesen.
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Für die Antragsteller wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.11.2021 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern für den Zeitraum vom 27.12.2021 bis zum 31.05.2022 vorläufig Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 für die Antragstellerin zu 1 und in der Regelbedarfsstufe 6 für die Antragsteller zu 2 und 3 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Der Antragsgegner beantragte,
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Auf die Ausführungen des Antragsgegners wird verwiesen.
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Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte des Antragsgegners Bezug genommen.
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Die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sind zum Teil unzulässig und zum Teil unbegründet.
21
Zunächst ist festzuhalten, dass die Antragsteller im vorliegenden Verfahren zwei verschiedene Rechtsschutzbegehren verfolgen. Zum einen beantragen die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 27.12.2021 gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 26.11.2021 vorgenommene Leistungseinschränkung für die Antragstellerin zu 1. Dieser Antrag ist zulässig, aber unbegründet (im Folgenden unter Nr. 1). Zum anderen beantragen die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung sogenannter Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG für alle drei Antragsteller, jedenfalls aber sogenannter Grundleistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG für die Antragstellerin zu 1, verpflichtet werden soll. Dieser Antrag ist zum Teil unzulässig (im Folgenden unter Nr. 2) und zum Teil unbegründet (im Folgenden unter Nr. 3).
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 27.12.2021 gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 26.11.2021 enthaltene Anspruchseinschränkung für die Antragstellerin zu 1 ist zulässig, aber unbegründet.
23
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der vorliegenden Fallgestaltung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise in den Fällen anordnen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Vorliegend hat der vom Antragstellerbevollmächtigten eingelegte Widerspruch vom 27.12.2021 gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 26.11.2021 enthaltene Anspruchseinschränkung für die Antragstellerin zu 1 nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG, § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung.
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Das Gericht entscheidet über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG aufgrund einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung sowie das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Widerspruchs bzw. der Klage eine wesentliche Bedeutung zu. Je größer die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene dadurch in seinen Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil in diesen Fällen ein öffentliches Interesse oder ein Interesse eines Dritten an der Vollziehung des Verwaltungsakts nicht erkennbar ist. Wenn der Widerspruch oder die Klage dagegen aussichtslos sind, dann wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei der Grad der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens mitberücksichtigt werden kann (zum Ganzen: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 86 b, RdNrn. 12e - 12i).
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Wenn - wie hier - ein Fall des § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG vorliegt, ist weiterhin zu berücksichtigen, dass das Gesetz ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zulasten des Suspensiveffekts vorsieht, weil der Gesetzgeber die sofortige Wirkung zunächst einmal angeordnet hat und damit dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen eingeräumt hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Meyer-Ladewig, a.a.O., RdNr. 12c) und ist in der Regel nur dann gerechtfertigt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (BayLSG, B. v. 20.12.2012, L 7 AS 862/12, LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 12.06.2009, L 7 B 120/09 AS).
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Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs kommt die erkennende Kammer zu dem Ergebnis, dass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin zu 1 das Interesse an der Vollziehung des Bescheids vom 26.11.2021 nicht überwiegt, weil auf der Grundlage des aktuellen Sach- und Streitstandes jedenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner vorgenommenen Anspruchseinschränkung nach § 1 a Abs. 3, Abs. 1 AsylbLG bestehen.
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Nach § 1 a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag nur Leistungen entsprechend § 1 a Abs. 1 AsylbLG. Gemäß § 1 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG haben Leistungsberechtigte unter bestimmten Voraussetzungen keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG. Ihnen werden nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt (§ 1 a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG). Diese Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden (§ 1 a Abs. 1 Satz 4 AsylbLG). Nach § 14 Abs. 1 AsylbLG sind Anspruchseinschränkungen nach dem AsylbLG auf sechs Monate zu befristen. Im Anschluss ist eine Anspruchseinschränkung bei fortbestehender Pflichtverletzung fortzusetzen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt sind (§ 14 Abs. 2 AsylbLG). Unter Zugrundelegung dieses gesetzlichen Maßstabs hat die erkennende Kammer keine ernstlichen Zweifel daran, dass die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 26.11.2021 vorgenommene Anspruchseinschränkung für die Antragstellerin zu 1 rechtmäßig ist.
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Zunächst ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die erkennende Kammer - anders als der Bevollmächtigte der Antragsteller - keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der dargestellten gesetzlichen Regelungen hat.
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Darüber hinaus hat die erkennende Kammer auf der Grundlage des aktuellen Sach- und Streitstands keine ernstlichen Zweifel daran, dass vorliegend die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 a Abs. 3 AsylbLG erfüllt sind. Die Antragstellerin zu 1 ist leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, weil sie im Besitz einer „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ im Sinne des § 60 b AufenthG ist, die als Duldung nach § 60 a AufenthG gilt (Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 1 AsylbLG, Stand 04.11.2021, RdNr. 136). Weiterhin ist die Antragstellerin zu 1 nach Aktenlage vollziehbar ausreisepflichtig und demnach leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG.
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Auch kann nach dem Inhalt der vom Antragsgegner vorgelegten Leistungsakte im Rahmen des oben dargestellten besonderen Prüfungsmaßstabs nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG derzeit davon ausgegangen werden, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von der Antragstellerin zu 1 zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können. Dafür sprechen im vorliegenden Verfahren insbesondere die E-Mail der Zentralen Ausländerbehörde vom 10.11.2020 sowie die Mitteilung der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken vom 27.12.2021. Hier führt die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken sinngemäß aus, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht hätten vollzogen werden können, weil die Antragstellerin zu 1 trotz der Aufforderung vom 25.08.2020 und vom 05.08.2021 bei der Passbeschaffung nicht mitgewirkt habe, wobei die sogenannte Monokausalität vorliege. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass diesbezüglich von Antragstellerseite keine substantiierten Einwände erfolgt sind, hat die erkennende Kammer jedenfalls im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes keine ernstlichen Zweifel daran, dass die fehlende Vollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf von der Antragstellerin zu 1 zu vertretenden Gründen beruht.
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Auch ist nach dem aktuellen Sach- und Streitstand davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 AsylbLG für eine fortgesetzte Anspruchseinschränkung erfüllt sind. Denn es bestehen - wie bereits ausgeführt - keine ernstlichen Zweifel daran, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 a Abs. 3 AsylbLG gegeben sind. Darüber hinaus ist von einer fortbestehenden Pflichtverletzung im Sinne des § 14 Abs. 2 AsylbLG schon aus dem Grunde auszugehen, dass die Antragstellerin zu 1 nach Erlass der vorangegangenen Anspruchseinschränkung mit Bescheid vom 20.05.2021 von der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken erneut mit Schreiben vom 05.08.2021 erfolglos zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung aufgefordert wurde.
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Demzufolge bestehen nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand keine ernstlichen Zweifel an der vom Antragsgegner mit Bescheid vom 26.11.2021 für die Antragstellerin zu 1 vorgenommenen Leistungseinschränkung nach § 1 a Abs. 3, Abs. 1 AsylbLG, so dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen diesen Bescheid als unbegründet abzulehnen ist.
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2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist insoweit unzulässig, als der Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung sogenannter Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG für alle drei Antragsteller verpflichtet werden soll. Insoweit fehlt dem Antrag das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
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Das Rechtsschutzbedürfnis gehört zu den Prozessvoraussetzungen, die in jeder Lage des gerichtlichen Verfahrens zu prüfen sind und deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Klage bzw. des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes führt. Es ist nur gegeben, wenn der Kläger bzw. Antragsteller ein schutzwürdiges Interesse an der beantragten Rechtsschutzform hat. Es fehlt insbesondere dann, wenn angesichts der besonderen Umstände des Falles die Erhebung bzw. Aufrechterhaltung der Klage bzw. des Antrags nicht erforderlich ist, weil z.B. das verfolgte Begehren auf einfachere Weise verwirklicht werden kann oder weil die Inanspruchnahme des Gerichts aus anderen Gründen zweckwidrig ist. Es fehlt weiterhin, wenn das verfolgte Begehren die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers bzw. des Antragstellers nicht verbessern würde. Im vorliegenden Fall ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis nicht gegeben, weil sich die Antragsteller vor der Antragstellung im vorliegenden Verfahren nicht mit dem Begehren nach Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG an den Antragsgegner gewandt haben. Denn ein Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung besteht in der Regel nur, wenn der Antragsteller zuvor sein Begehren an den zuständigen Verwaltungsträger herangetragen hat und die normale Bearbeitungszeit abgewartet hat (BayLSG, B. v. 05.01.2015, L 15 VK 8/14 ER; BayLSG, B. v. 03.12.2020, L 18 SB 151/20 B ER; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 86 b, RdNr. 26b; jeweils m.w.N.). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Antragstellerin zu 1 erhält seit dem 01.12.2020 nur eingeschränkte Leistungen nach § 1 a Abs. 3, Abs. 1 AsylbLG; die Antragsteller zu 2 und 3 erhalten vom Antragsgegner seit dem 14.08.2020 Grundleistungen nach den §§ 3, 3 a AsylbLG. Widersprüche gegen die betreffenden Bewilligungsbescheide wurden nicht eingelegt. Bis zur Einlegung des Widerspruchs vom 27.12.2021, der beim Antragsgegner am selben Tag um 19.31 Uhr eingegangen ist, wurden von Antragstellerseite beim Antragsgegner zu keinem Zeitpunkt Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG geltend gemacht. Nahezu zeitgleich mit der Einlegung des Widerspruchs wurde im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Eingang bei Sozialgericht am 28.12.2021, 00.56 Uhr) Antrag auf vorläufige Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG gestellt. Der Antragsgegner hatte somit vor Einlegung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Gelegenheit, sich inhaltlich mit dem Begehren der Antragsteller auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG auseinanderzusetzen. Für das Antragsbegehren nach vorläufiger Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung sogenannter Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG fehlt es somit am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Anhaltspunkte, die eine Ausnahme vom oben dargestellten Grundsatz der Notwendigkeit einer vorhergehenden Befassung des Antragsgegners rechtfertigen würden, sind vorliegend nach Auffassung der erkennenden Kammer nicht ersichtlich.
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3. Darüber hinaus ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner jedenfalls zur vorläufigen Gewährung von Grundleistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG für die Antragstellerin zu 1 verpflichtet werden soll, zulässig, aber unbegründet.
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Statthafter Rechtsbehelf ist insoweit der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, weil die Antragstellerin zu 1 nicht die Sicherung einer bestehenden Rechtsposition, sondern die Erweiterung ihrer Rechtsposition in Form eines weiter gehenden Leistungsanspruchs begehrt.
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Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das vom Antragsteller geltend gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d.h. die Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, B. v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss eine umfassende Interessenabwägung erfolgen (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage, § 86 b, RdNr. 29a). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung auch der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage, § 86 b, RdNr. 28).
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Für die Glaubhaftmachung ist es erforderlich, dass die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (BSG, B. v. 08.08.2001, B 9 V 23/01 B). Glaubhaftmachung bedeutet, dass das Gericht die Wahrheit der behaupteten Tatsache für überwiegend wahrscheinlich halten muss und hierauf seine freie, richterliche Überzeugung nach den §§ 128 Abs. 1, 142 Abs. 1 SGG stützt (BayLSG, B. v. 02.11.2011, L 8 SO 164/11 B ER).
39
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der vorliegende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unbegründet, weil es der Antragstellerin zu 1 nicht gelungen ist, einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Grundleistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG glaubhaft zu machen. Dem geltend gemachten Anspruch auf Grundleistungen steht im vorliegenden Fall bereits der Umstand entgegen, dass der Antragsgegner - wie oben ausgeführt - in sofort vollziehbarer Weise eine Einschränkung des Leistungsanspruchs der Antragstellerin zu 1 nach § 1 a Abs. 3, Abs. 1 AsylbLG für die Zeit vom 01.12.2021 bis zum 30.06.2022 vorgenommen hat. Als Rechtsfolge sieht § 1 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ausdrücklich vor, dass die betreffenden Leistungsberechtigten keinen Anspruch auf Leistungen unter anderem nach § 3 AsylbLG haben.
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Nach alledem waren die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und der Erwägung, dass die Antragsteller mit ihren Antragsbegehren erfolglos geblieben sind.