Titel:
Erfolglose Asylklage von Jordanierinnen
Normenketten:
AsylG § 3, § 3e, § 4
GG Art. 16a Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz:
Jordanischen Asylklägerinnen, die wegen einer unerlaubten Heirat und unerlaubtem Verlassen des Heimatlands die Hinrichtung durch den Familienclan wegen Beschädigung der Familienehre behaupten, steht jedenfalls innerhalb Jordaniens in der Anonymität der Großstädte eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unbegründete Anträge auf internationalen Schutz, Unbegründete Anträge auf Asylanerkennung, Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten (verneint), Bedrohung durch familiären Stamm, Inländische Fluchtalternative, Asyl, Jordanien, Ehre, Familie, interner Schutz, inländische Fluchtalternative
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 31.05.2022 – 15 ZB 22.30463
Fundstelle:
BeckRS 2022, 13357
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerinnen tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die 1988 geborene Klägerin zu 1) ist, ebenso wie deren 2015 und 2017 geborene Töchter, die Klägerinnen zu 2) und zu 3), jordanische Staatsangehörige mit arabischer Volkszugehörigkeit. Die Klägerinnen reisten am 8. Dezember 2014 mittels eines für 10 Tage gültigen Schengen-Visums auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellten am 7. April 2020 dort jeweils einen Asylantrag.
2
Bei einer Anhörung der Klägerin zu 1) durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 19. Oktober 2020 trug diese zur Begründung dieser Asylanträge im Wesentlichen vor, sie stamme aus einem großen Familienclan und habe ihn Jordanien noch drei Brüder und drei Schwestern sowie ihre Mutter. Ihr Vater sei bereits gestorben. In Jordanien sei sie 11 Jahre zur Schule gegangen, habe diese jedoch nicht abgeschlossen, und habe dann als Sekretärin in einem Handelsbüro gearbeitet. Ihren jetzigen Ehemann habe sie 2012 kennengelernt. Er habe erfolglos um ihre Hand angehalten, dann hätten sie heimlich bei einem Scharia-Gericht geheiratet. Ihr Ehemann sei dann 2013 und 2014 immer wieder von Deutschland aus heimlich zu Besuch in Jordanien gewesen. 2014 habe man sie mit einem Cousin mütterlicherseits verheiraten wollen und ihr für den Fall, dass sie sich weigere, mit dem Tod gedroht. Deshalb sei sie aus Jordanien ausgereist. Erst danach habe ihre Familie von ihrer Hochzeit erfahren. Bis 2015 sei sie telefonisch bedroht worden, dann sei der Kontakt abgebrochen. Bei einer Rückkehr nach Jordanien befürchte sie, dass sie, ihr Ehemann und ihre Töchter hingerichtet wurden. Ihren Asylantrag habe sie erst deshalb im Jahre 2020 gestellt, weil die Ausländerbehörde ihr gesagt habe, sie solle noch damit warten. Eine Fluchtalternative innerhalb Jordaniens habe sie nicht, da ihr Familienclan überall sei und sie überall finden würde. Durch ihre Ankunft am Flughafen in Jordanien würden ihre am Flughafen arbeitenden Angehörige von ihrer Rückkehr erfahren. Sie sei sicher auf einer entsprechenden Liste zu stehen. Auch nach acht Jahren Ehe und zwei geborenen Kindern werde es in Jordanien von ihrem Clan immer noch als Schande für die Familienehre angesehen, was sie getan habe. Eine ihrer Töchter sei am Kopf und an den Augen erkrankt. Sie legte hierzu dem Bundesamt ärztliche Untersuchungsberichte einer … Klinik für Kinder und Jugendmedizin vom 25. Juni 2018 und 5. Dezember 2019 zu einer allgemeinen Entwicklungsstörung und einer Hyperopie der Klägerin zu 2) vor, ferner einen ärztlichen Bericht einer Klinik für Augenheilkunde vom 13. September 2019 mit der Diagnose einer Hyperopie und Ambliopie (Weit- und Schwachsichtigkeit) diese Klägerin.
3
Mit Bescheid vom 21. Oktober 2020, am 7. November 2020 mittels Postzustellungsur kunde zugestellt, lehnte das Bundesamt die Anträge der Klägerinnen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf subsidiären Schutz ab (Nr. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4) und forderte die Klägerinnen auf, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; andernfalls würden sie nach Jordanien abgeschoben (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wird im Bescheid im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerinnen hätten eine begründete Verfolgungsfurcht oder einen ernsthaften Schaden bei ihrer Rückkehr nach Jordanien nicht glaubhaft machen können. Ihre Angaben seien unglaubwürdig widersprüchlich und unsubstantiiert. Es gebe auch keine nachvollziehbare Begründung dafür, warum sie erst sechs Jahre nach ihrer Ankunft im Bundesgebiet Asyl beantragt habe. Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte bestünden nicht. Ferner gebe es keine Hinweise auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Klägerin zu 1) sei jung, gesund und erwerbsfähig. Für die Klägerin zu 2) liege keine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, da sie nicht lebensbedrohlich erkrankt sei. Im Übrigen seien deren Erkrankungen in Jordanien behandelbar. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
4
Die Klägerinnen ließen von ihrem Bevollmächtigten am … November 2020 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und zuletzt sinngemäß beantragen,
5
unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 21. Oktober 2020 die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen sowie, sie als Flüchtlinge anzuerkennen, hilfsweise, diese zu verpflichten, ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise, diese zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
6
Die Klage wurde nicht weiter begründet
7
Die Beklagte legte am 23. November 2020 die Behördenakten vor, stellte jedoch keinen Antrag.
8
Mit Beschluss vom 22. November 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
9
In der mündlichen Verhandlung am 4. Februar 2022, in welcher die Verfahrensakten zum Asylverfahren des Ehemanns der Klägerin zu 1) (M 27 K 20.33131) beigezogen wurde, führte die Klägerin zu 1) näher aus, nach ihrer Schulzeit habe sie für zwei Jahre in einem Handelsbüro als Sekretärin gearbeitet. Die Geburt ihrer Töchter in Deutschland hätten die Behörden Kenntnis von ihrem Aufenthalt dort gehabt. Nach ihrer Ausreise aus Jordanien habe sie im Jahr 2015 Kontakt zu ihrer Mutter gehabt, die sie am Telefon beschimpft habe und ihr gesagt habe, dass sie getötet würde, wenn sie nach Jordanien zurückkehren würde. Ihre Cousins würden beim Geheimdienst arbeiten und dadurch herausfinden, wenn sie wieder nach Jordanien zurückgekehrt sei. Dann habe sie Sorge, dass sie und ihre Familie dort getötet würden, da sie gegen den Willen ihrer Familie geheiratet und dann auf das Land verlassen habe.
10
Die Klage des Ehemannes der Klägerin zu 1) und Vaters der Klägerinnen zu 2) und zu 3) gegen seinen ablehnenden Bescheid des Bundesamts vom 3. November 2020 war vom Bayerischen Verwaltungsgericht München mit Urteil ebenfalls vom 4. Februar 2022 als unbegründet abgelehnt worden (M 27 K 20.33131).
11
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
12
[13] Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren, da in den Ladungsschreiben auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
13
Die Klage ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) rechtmäßig ist und die Klägerinnen nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) sowie der Anträge auf Asylanerkennung (Art. 16a Abs. 1 GG) und auch der Anträge auf subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) als unbegründet und die Verneinung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Dem Vortrag der Klägerin zu 1) beim Bundesamt lassen sich keine Gründe für eine Vorverfolgung in Jordanien in Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale entnehmen. Erhebliche konkrete Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist, sind allenfalls bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung) zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG), regelmäßig aber nicht im asylrechtlichen Verfahren. Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab und verweist auf die Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG).
14
Auch die von der Klägerin zu 1) im gerichtlichen Verfahren ergänzend vorgetragenen Gründe ändern an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Anträge der Klägerinnen nichts. Ihr Vortrag in der mündlichen Verhandlung von beim jordanischen Geheimdienst arbeitenden Cousins, die von ihrer Rückkehr nach Jordanien erfahren würden, ist ebenso unglaubwürdig wie ihr Vortrag, dass sie und ihre Familie acht Jahre, nachdem sie Jordanien gemeinsam verlassen haben, aufgrund einer Beschädigung der Familienehre ihres Familienclans wegen unerlaubter Heirat und unerlaubtem Verlassen des Landes hingerichtet würden. Zumindest aber steht ihr und ihrer Familie innerhalb Jordaniens in der Anonymität der Großstädte wie Amman, Irbid oder Zarqa eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung (vgl. § 3e AsylG).
15
Ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht für die Klägerinnen nicht, insbesondere nicht für die Klägerin zu 2). Aufgrund der in Jordanien vorhandenen medizinischen Einrichtungen und der deshalb grundsätzlich bestehenden Möglichkeit, die Augenkrankheit dieser Klägerin dort zu behandeln, besteht für diese bei einer Rückkehr nach Jordanien jedenfalls keine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG in Form einer wesentlichen Verschlimmerung der Krankheit für Leib und Leben. Deshalb hat die Klägerin zu 2) keinen Anspruch darauf, die Beklagte zur Feststellung zu verpflichten, dass bei ihr hinsichtlich Jordaniens ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund etwaiger schlechter humanitärer Bedingungen für sie dort oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund einer wesentlichen Verschlimmerung ihrer Augenerkrankung alsbald nach der Rückkehr dorthin als „erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben“ im Sinne dieser Bestimmung vorliegen. Auch insofern wird im Übrigen auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen.
16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
17
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.