Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 07.04.2022 – Au 9 K 22.30208
Titel:

Kein Abschiebungsschutz für Nigeria 

Normenketten:
VwVfG § 49, § 51 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria sowie gewalttätige Auseinandersetzungen und die damit zusammenhängenden Gefahren sind nicht unter individuelle, sondern unter allgemeine Gefahren zu subsumieren, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt sind; diese Umstände sind nur nach § 60 Abs. 7 S. 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 S. 1 AufenthG zu berücksichtigen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Behinderung und ein Betreuungsbedarf deswegen führen nicht zur Gewährung von Abschiebungsschutz für Nigeria, wenn der Asylsuchende dort familiäre Unterstützung erfährt.  (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nigeria, erfolgloser Antrag auf Wiederaufgreifen eines rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens, keine relevante Änderung von Sach- und Rechtslage, Abschiebungsverbote (verneint), Wiederaufgreifen, Abschiebungsverbote, Behinderung, allgemeine Gefahren
Fundstelle:
BeckRS 2022, 13018

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hinsichtlich Nigerias vorliegen.
2
Der am ... 1995 geborene ledige Kläger gibt an, nigerianischer Staatsangehöriger, vom Volk der Ibo und christlichen Glaubens zu sein.
3
Der Kläger reiste angeblich Im Jahr 2015 von Österreich kommend erstmalig in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 3. November 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) Asylerstantrag.
4
Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 24. Oktober 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an:
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Er habe einen nigerianischen Reisepass besessen. Es sei ihm gesagt worden, es sei besser nach Europa ohne Reisepass weiter zu reisen; er habe daher das Dokument seiner Familie zurückgeschickt.
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Seine letzte offizielle Anschrift in Nigeria sei in der Stadt ... gewesen; dort habe er sich bis zu seiner Ausreise aufgehalten. Im Jahr 2013 habe er Nigeria verlassen.
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Für seine Reise habe er keinen Schlepper gehabt. Seine Mutter und der Pfarrer hätten ihm geholfen. Er sei vom Flughafen in ... abgeflogen; sie seien mit einer ägyptischen Fluggesellschaft nach Ägypten geflogen. Von dort sei er in die Türkei weitergeflogen. In Nigeria würden noch drei Brüder und fünf Schwestern leben. Er habe nur zu seiner Mutter und zum Priester Kontakt. Seine Mutter habe Aufträge als Köchin für Hochzeiten bekommen und dadurch Geld verdient. Er habe die Grundschule und das Gymnasium besucht. Einen Beruf habe er nicht gelernt. Er habe als Vermittler für Kleider gearbeitet.
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Zu seinen Asylgründen gab der Kläger an:
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Sein Vater sei ein traditioneller Mann. Er sei ein böser Mann und treibe als Zauberer schwarze Magie. Sein ältester Bruder hätte das Geschäft des Vaters übernehmen sollen. Er habe sich geweigert und sei geflohen. Sein Vater könne Leute durch schwarze Magie töten. Deswegen sei sein Bruder geflohen. Er selbst habe das Geschäft auch nicht übernehmen wollen, weil er Christ sei und keine Menschen töten wolle. Die Krankheiten, unter denen er leide, kämen von der schwarzen Magie seines Vaters. Er träume davon, dass ihn sein Vater nach Nigeria zurückrufe.
10
Sobald er sich in Nigeria aufhalte, werde sein Vater ihn sehr schnell finden. Sein Vater habe schwarze Magie gegen ihn benutzt. Er sei krank geworden. Als er in Deutschland angekommen sei, habe er nicht laufen können. Würde er nach Nigeria zurückkehren, werde ihn sein Vater heilen und dann töten, weil auch er das Geschäft des Vaters nicht übernehmen wolle.
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Er sei erstmals in der Türkei ärztlich behandelt worden. Auch in Ungarn und Österreich sei er behandelt worden, aber in Deutschland fühle er sich besser.
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In seiner Heimatstadt gebe es kein Krankenhaus. Erst in der Türkei habe er bemerkt, dass er krank sei. In Nigeria habe er keine Anzeichen einer Krankheit gehabt.
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Im Rahmen des Asylverfahrens legte der Kläger einen Ärztlichen Befundbericht von Prof. Dr. med. ... vom 26. Juli 2018 vor. Weiter befinden sich in der Erstakte Schreiben von Prof. Dr. med. ... an den Hausarzt des Klägers vom 20. August 2015 und vom 16. Februar 2016, sowie ein Attest zur Vorlage beim Sozialamt vom 2. September 2015.
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Mit Bescheid vom 16. August 2018 lehnte das Bundesamt u.a. den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 2), den Asylantrag (Nr. 3) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 4) jeweils ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 5). Unter Setzung einer Ausreisefrist von 30 Tagen wurde dem Kläger die Abschiebung nach Nigeria angedroht (Nr. 6). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
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Auf die Gründe des Bescheids wird verwiesen.
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Die hiergegen vom Kläger zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhobene Klage (Az.: Au 7 K 18.31535) wurde mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 27. Mai 2020 abgewiesen. Auf die Gründe der vorbezeichneten Entscheidung wird verwiesen.
17
Unter dem 6. Oktober 2020 stellte der Kläger Asylfolgeantrag mit dem Antrag, festzustellen, dass nationale Abschiebungsverbote nach Nigeria vorliegen. Es handle sich um einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Im Vergleich zur Entscheidung des Bundesamts oder des Verwaltungsgerichts habe sich der Gesundheitszustand des Klägers deutlich verschlechtert. Der Kläger sei auf Betreuung angewiesen. Die degenerative Gehirnerkrankung habe sich weiter deutlich verschlechtert. Der Kläger sei auf Hilfe angewiesen, die er in Nigeria nicht erhalten könne. Zur Begründung wurde auf ein ärztliches Attest vom 23. Juli 2020 verwiesen. Ausweislich dieses Attestes sei eine kontinuierliche ärztliche Betreuung und Krankengymnastik notwendig, um die Alltagsfunktionen aufrecht zu erhalten und eine weitere Pflegebedürftigkeit zu verhindern. Aus neurologischer Sicht sei der Kläger nicht arbeitsfähig. Er könne keine kontinuierliche Tätigkeit ausführen, jede Anstrengung führe in kürzester Zeit zur Verschlechterung des Tremors und der Ataxie. Auch Hilfstätigkeiten in geringstem Umfang seien nicht möglich. Mit einer Besserung sei aufgrund des chronischen Verlaufs nicht zu rechnen.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 21. Februar 2022 (Gz.: ...) wurde der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 16. August 2018 (Gz.: ...) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgelehnt.
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Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen in Bezug auf das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten seien nicht gegeben. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetzt (VwVfG) lägen nicht vor. Das Vorbringen einer bestehenden und aufgrund der Erkrankung drohenden Einschränkung der Alltagsfähigkeit bis hin zur Pflegebedürftigkeit sei bereits Gegenstand des Vorverfahrens gewesen. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zum Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten gemäß § 49 VwVfG rechtfertigen könnten, lägen ebenfalls nicht vor. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten seien und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 Europäische Menschrechtskonvention (EMRK) erfüllen. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Die Erkrankung des Klägers verschlechtere sich unabhängig davon, ob sich der Kläger in Deutschland oder in seinem Heimatland Nigeria aufhalte. Somit trete die Gefahr einer Gesundheitsverschlechterung nicht aufgrund der Umstände im Zielstaat der Abschiebung auf. Neurologische Kontrollen sowie Krankengymnastik seien für den Kläger auch in Nigeria erhältlich. Trotz körperlicher Einschränkungen könne der Kläger Behandlungsmöglichkeiten auch erreichen und finanzieren. Er sei hierbei auf die Unterstützung seines umfangreichen Familienverbands in Nigeria zu verweisen. Dies gelte auch in Bezug auf die vorgetragenen Einschränkungen in der Alltagsbewältigung.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 21. Februar 2022 wird ergänzend verwiesen.
21
Der Kläger hat gegen den Vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 28. Februar 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Februar 2022, Gz.:, wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
23
Eine Begründung der Klage erfolgte nicht.
24
Das Bundesamt ist der Klage für die Beklagte mit Schriftsatz vom 4. März 2022 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
26
Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
27
Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. März 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
28
Am 7. April 2022 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung, in der der Kläger informatorisch angehört wurde, wird auf das hierüber gefertigte Protokoll Bezug genommen.
29
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

30
Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2022 verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 7. April 2022 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
32
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Wege der Wiederaufnahme des behördlichen Verfahrens bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung diesbezüglich. Der diesen Anspruch versagende Bescheid des Bundesamts vom 21. Februar 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
33
Zur Begründung wird zunächst unter Absehen von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe auf die im Wesentlichen zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
34
Das Bundesamt ist zurecht davon ausgegangen, dass der Kläger die Wiederaufnahmevoraussetzungen des § 51 VwVfG nicht erfüllt. Nach dem hier allein in Betracht kommenden Abs. 1 Nr. 1 und 2 dieser Vorschrift hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn (1) sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat oder (2) neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Beides ist hier nicht der Fall.
35
Es liegt keine zu Gunsten des Klägers relevante Änderung der Sach- und Rechtslage vor, die eine günstigere Entscheidung für den Kläger herbeiführen könnte.
36
Eine nachträgliche beachtliche Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist nicht ersichtlich. Eine Änderung der Sachlage ist dann anzunehmen, wenn sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder aber die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände so verändert haben, dass eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung möglich erscheint (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Auflage 2018, § 71 Rn. 24).
37
Eine Änderung in Bezug auf das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist für das Gericht nicht ersichtlich.
38
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria - hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria - Lagebericht - vom 16.1.2020, Stand. September 2019, Nr. I.2., S. 8) - ebenso wie die Situation hinsichtlich der verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffe, z.T. auch durch die Sicherheitskräfte, und die damit zusammenhängenden Gefahren (s.o. und Lagebericht AA a.a.O. Nr. II.2 und 3., S.15 f.) grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade dem Kläger drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
39
Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff. m.w.N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - a.a.O. - juris Rn. 22, 36).
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Auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) für einen Betroffenen aufgrund allgemein für die Bevölkerung bestehender Gefahren, die über diese allgemein bestehenden Gefahren hinausgeht ist, nur im Ausnahmefall im Sinne eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - a.a.O., juris Rn. 38). Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für die Betroffenen die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Betroffenen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (zum Ganzen BVerwG, U. v. 31.1.2013 a.a.O., juris Rn. 38).
41
Für derartige besondere Gefahren aufgrund schlechter humanitärer oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist hier nichts ersichtlich. Insbesondere kann im Falle des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria zu einem Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse führt, die im Ausnahmefall als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifiziert werden könnten. Eine Änderung der Sach- und Rechtslage ist hier zugunsten des Klägers nicht ersichtlich. Die rechtskräftigen Feststellungen aus dem bereits durchgeführten Asylerstverfahren gelten vielmehr unverändert fort.
42
Gleiches gilt letztlich in Bezug auf das Vorliegen von gesundheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Insoweit bleibt zu berücksichtigen, dass die vom Kläger vorgetragene chronisch degenerative Gehirnerkrankung mit Beeinträchtigung der Feinmotorik bereits Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Asylerstverfahrens war. Die gegen diese Entscheidung vom Kläger zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhobene Klage (Az.: Au 7 K 18.31535) wurde rechtskräftig abgewiesen. Ausweislich der Urteilsgründe wurde zum damaligen Zeitpunkt geprüft, ob die beim Kläger vorhandene Nervenerkrankung, die bereits zum damaligen Zeitpunkt ärztlich bestätigt wurde, ein zielstaatsbezogenes nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründe. Dies wurde im Urteil vom 27. Mai 2020 mit eingehender Begründung abgelehnt.
43
An dieser Einschätzung hält das Gericht im Asylfolgeverfahren fest. Der Kläger hat es bereits versäumt, im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein aktuelles ärztliches Attest vorzulegen. Das letzte ärztliche Attest, das der Kläger im Asylfolgeverfahren beigebracht hat, datiert vom 23. Juli 2020. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er über aktuellere ärztliche Befundberichte verfüge, vorgelegt hat er diese im Verfahren jedoch nicht. Dieser Umstand geht zu Lasten des Klägers. Überdies ist das Gericht der Auffassung, dass die beim Kläger vorhandene Erkrankung nicht die Voraussetzung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erfüllt. Danach besteht eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder so schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nach § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch dann vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Eine lebensbedrohliche Erkrankung vermag das Gericht vorliegend nicht zu erkennen. Vielmehr handelt es sich auch fachärztlich bestätigt um eine chronische Erkrankung, bei der mit einer Besserung nicht zu rechnen ist. Diese Erkrankung des Klägers lag jedoch bereits bei dessen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2015 vor.
44
Dass der Kläger aufgrund der bei ihm vorliegenden Erkrankung auf Betreuung angewiesen ist, führt ebenfalls nicht zur Zuerkennung eines Abschiebungsverbots auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Wie das Bundesamt in seiner Entscheidung zu Recht ausgeführt hat, kann der Kläger die erforderliche Hilfeleistung im Zielstaat durch die dort vorhandenen Familienangehörigen bekommen. So hat der Kläger auch auf ausdrückliche Frage in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sowohl seine Eltern, als auch seine acht Geschwister noch in Nigeria im Bundesstaat Anambra State lebten. Seine Eltern seien auch noch berufstätig und die wirtschaftliche Situation der Familie werde als durchschnittlich angesehen. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht mit einer Verelendung des Klägers bei einer Rückkehr nach Nigeria zu rechnen. Dem Kläger kann in seinem Heimatland familiäre Unterstützung gewährt werden. Schließlich verweist das Gericht darauf, dass nach den Ausführungen des Auswärtigen Amts im Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020 (Stand: September 2020) in Ziffer V.1.2 ausgeführt ist, dass in Nigeria nach den Schätzungen der WHO 25 Millionen Menschen mit Behinderungen unterschiedlicher Art lebten. Dies seien etwa 15% der Bevölkerung. Es werde in Nigeria auch über NROs durch Hilfsprogramme versucht, die Situation von Behinderten in Nigeria zu verbessern. Auch arbeiteten einige nigerianische Dachorganisationen als Sprachrohr von Behinderten. Zwar könnten derartige Organisationen keine dauerhafte Unterstützung für Menschen mit Behinderungen bieten, jedoch kann der Kläger nach Auffassung des Gerichts eine Unterstützung im Familienverbund der Großfamilie in Nigeria erhalten. Bei dieser Sachlage ist nicht davon auszugehen, dass zu Gunsten des Klägers ein Ausnahmefall einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Nigeria gegeben ist.
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Damit hat der Kläger aber auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG. Der Kläger hat diesbezüglich zwar einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Im gerichtlichen Verfahren beachtliche Ermessensfehler (§ 114 VwGO) sind vorliegend weder ersichtlich, noch vorgetragen.
46
Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
47
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.