Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 21.04.2022 – Au 9 K 22.30265
Titel:

Asyl - unzulässige Klage, Versäumnis der Klagefrist, keine Gründe für Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG § 74 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs.
Schlagworte:
Nigeria, unzulässige Klage, Versäumnis der Klagefrist, keine Gründe für Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Klage im Übrigen unbegründet, Versäumnis, Klagefrist, Wiedereinsetzung, Abschiebungsverbot, minderjährig, unzulässig, Eltern
Fundstelle:
BeckRS 2022, 13015

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine Abschiebungsandrohung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat und begehrt die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten bzw. der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf Null Monate.
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Die am ...2021 in ... (Bundesrepublik Deutschland) geborene Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige mit Volkszugehörigkeit der Bini (Edo) und christlichem Glauben.
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Am 22. Oktober 2021 wurde für die Klägerin ein Asylantrag aufgrund der Antragsfiktion des § 14a Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) gestellt. Eine Beschränkung des Asylantrags gemäß § 13 Abs. 2 AsylG auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) erfolgte im Verfahren nicht.
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Mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 wurden die gesetzlichen Vertreter der Klägerin aufgefordert, zu eigenen Asylgründen der Klägerin Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.
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Der Asylantrag der Mutter der Klägerin (Gz. des Bundesamts: ...) wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 25. September 2018 abgelehnt. Der Mutter der Klägerin wurde die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Die Entscheidung des Bundesamtes ist nach dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgericht ... vom 3. Juni 2022 (Az.: ...) rechtskräftig.
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Der Asylantrag des Vaters der Klägerin (Gz. des Bundesamts ...) wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 20. Juli 2017 abgelehnt. Dem Vater der Klägerin wurde ebenfalls die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Beim Bayerischen Verwaltungsgericht ... ist derzeit eine Klage des Vaters der Klägerin anhängig (Az.: ...).
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Die Asylanträge der Geschwister der Klägerin (Gz. des Bundesamts ... und ...) wurden ebenfalls mit Bescheiden des Bundesamts vom 25. Mai 2020 und vom 4. November 2020 abgelehnt. Den Geschwistern der Klägerin wurde ebenfalls die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Die vorvorbezeichneten Entscheidungen des Bundesamts sind nach den Urteilen des Verwaltungsgerichts ... vom 14. Januar 2021 (Az.:, ...) ebenfalls rechtskräftig.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 18. Februar 2022 (Gz.: ...) wurden die Anträge der Klägerin auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt (Nrn. 1 und 2 des Bescheids). Nr. 3 des Bescheids bestimmt, dass der Klägerin auch der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wird. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen nicht vor (Nr. 4 des Bescheids). In Nr. 5. des Bescheids wird die Klägerin aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde der Klägerin die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 6 ordnet das EinreiseAufenthaltsverbot gemäß § 11 Absatz 1 AufenthG an und befristet es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte nicht vorlägen. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus seien nicht gegeben. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Eine Abschiebung sei gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergebe. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Klägerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Zugunsten der Klägerin sei kein Ausnahmefall gegeben. Die Klägerin würde zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern, die sämtlich ausreisepflichtig sind, nach Nigeria zurückkehren. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Klägerin sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK komme nicht in Betracht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und humanitären Auswirkungen der Corona-Pandemie in Nigeria. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergebe sich aus § 38 Abs. 1 AsylG. Das EinreiseAufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Diese Befristung auf 30 Monate sei im vorliegenden Fall angemessen. Die Klägerin verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen gewesen seien.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 18. Februar 2022 wird ergänzend verwiesen.
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Der vorbezeichnete Bescheid wurde den gesetzlichen Vertretern der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 23. Februar 2022 bekannt gegeben.
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Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 10. März 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Februar 2022, Gz.: ... wird aufgehoben.
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2. Es ist festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Ferner wird die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf Null Monate reduziert.
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Zur Begründung wurde auf den Inhalt der Asylakte und die persönliche Anhörung der gesetzlichen Vertreter der Klägerin Bezug genommen.
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Das Bundesamt ist der Klage für die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. März 2022 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 16. März 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Am 21. April 2022 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Klägerin verhandeln und entscheiden, ohne das die Beteiligten an der mündlichen Verhandlung vom 21. April 2022 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Die Beteiligten sind zur mündlichen Verhandlung am 21. April 2022 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 18. Februar 2022 bleibt ohne Erfolg. Die Klage ist bereits unzulässig, da die gesetzlichen Vertreter der Klägerin es versäumt haben, die maßgebliche Klagefrist des § 74 Abs. 1 Halbs. 1 fristgerecht beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg zu erheben. Der streitgegenständliche Bescheid, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrungversehen war, wurde ausweislich der in der Behördenakte vorhandenen Postzustellungsurkunde am Mittwoch, den 23. Februar 2022 zugestellt, sodass die zweiwöchige Klagefrist (§ 74 Abs. 1 HS 1 AsylG) am Mittwoch, den 9. März 2022, abgelaufen war (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Zivilprozessordnung - ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Die Klage ist jedoch erst am 10. März 2022 und somit verspätet beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg eingegangen. Wiedereinsetzungsgründe (§ 60 VwGO) wurden weder vorgetragen noch sind solche erkennbar.
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Darüber hinaus wäre die Klage auch unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat.
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Nachdem keine Begründung der Klage erfolgt ist und insoweit lediglich auf die Angaben beim Bundesamt verwiesen wurde, nimmt das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung seiner Entscheidung vollumfänglich Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheids und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind darüber hinaus nicht erkennbar. Zur mündlichen Verhandlung am 21. April 2022 sind die gesetzlichen Vertreter der Klägerin nicht erschienen. Außerdem wird Bezug genommen auf die - den Beteiligten bekannten - Entscheidungen bezüglich der Familienangehörigen der Klägerin, insbesondere der Asylverfahren der Geschwister der Klägerin (Gz. des Bundesamts: ... und ...) in den Urteilen des Bayerischen Verwaltungsgericht ... vom 14. Januar 2021 (Az.: ... und ...). Die vorbezeichneten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgericht ... sind rechtskräftig geworden.
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Die Klägerin als minderjähriges Kind wird nicht ohne ihre Eltern abgeschoben. Diese werden in der Lage sein, auch bei einer Rückkehr in ihr Heimatland Nigeria für die Klägerin zu sorgen. Jedenfalls kann bei einer Rückkehr nach Nigeria die übliche großfamiliäre Unterstützung erwartet werden. Die Situation der Klägerin im streitgegenständlichen Verfahren ist hinsichtlich der im Klageverfahren allein begehrten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nicht anders zu beurteilen, als die der übrigen Familie.
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Hinweise auf eine Fehlerhaftigkeit der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG bestehen nicht. Insbesondere wurde die Frist von 30 Monaten auf diejenige in den die übrigen Familienangehörigen betreffenden Bescheide des Bundesamts abgestimmt.
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Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.