Titel:
Vorstandshaftung wegen Darlehensgewährung – Wirecard
Normenketten:
StPO § 111h Abs. 2 S. 1
AktG § 93 Abs. 2 S. 1
ZPO § 129 Abs. 1, § 130 Nr. 3, § 917
StGB § 266
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
Die Sperrwirkung des § 111h II 1 StPO steht einer teilweisen Forderungspfändung nicht entgegen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Sperrwirkung des § 111h Abs. 2 S. 1 StPO steht der Zwangsvollstreckung in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden sind, nicht entgegen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nimmt der Kläger zur Substantiierung seines Anspruchs auf eine in einer Anlage beigefügten Klageschrift konkret Bezug und verlangt die Berücksichtigung der in Bezug genommenen Anlage vom Tatrichter keine unzumutbare Sucharbeit, so liegt keine unzulässige Bezugnahme auf Anlagen vor. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Vergabe eines Darlehens über 100 Mio. EUR ohne Sicherheiten muss bereits als objektiv pflichtwidrig bezeichnet werden. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Vergabe eines Darlehens an eine Gesellschaft, die nicht mehr in ihrem satzungsmäßigen Geschäftsgegenstand tätig ist und sich neue Geschäftsfelder erschließen will, ist mit erhöhten Risiken für die Schuldnerin als Gläubigerin verbunden, die im Rahmen der unternehmerischen Ermessenentscheidung besonderer Prüfung bedürfen. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
6. Mit der Veräußerung von im Eigentum der Schuldnerin stehenden Aktien unmittelbar vor Stellung des Insolvenzantrags der Schuldnerin zeigt der verantwortliche Geschäftsführer, dass er willens ist, Vermögensgegenstände beiseitezuschaffen. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
7. Als Vollziehungsmaßnahme iSv § 929 Abs. 2 ZPO ist bereits der wirksam zugestellte Antrag auf Vermögensauskunft iSd § 802c Abs. 1 S. 1 ZPO zu sehen. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
8. Die für einen auf §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 StGB bzw. § 826 BGB gestützten Anspruch erforderliche Kenntnis ist nicht schon deswegen überwiegend wahrscheinlich, weil die Staatsanwaltschaft wegen des gleichen Sachverhalts Anklage erhoben hat. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vermögensarrest, Arrestvollziehung, Rechtsschutzbedürfnis, Darlehensvergabe, unternehmerische Entscheidung, Vorstandshaftung, Betrug, Vorsatz, Anklageerhebung
Vorinstanz:
LG München I vom 30.12.2021 – 5 HKO 17659/21
Fundstellen:
NZG 2023, 28
LSK 2022, 12865
ZRI 2022, 791
BeckRS 2022, 12865
Tenor
I. Der Arrestbefehl des Landgerichts München I vom 30.12.2021, Az. 5 HKO 17659/21 wird in Ziffer I. aufrechterhalten.
II. Im Übrigen wird der Arrestbefehl hinsichtlich seiner Ziffer II. aufgehoben und der Antrag auf Erlass eines Arrestbefehls zurückgewiesen.
III. Von den Gerichtskosten trägt der Arrestkläger 1/5, der Arrestbeklagte zu 1) 4/5. Der Arrestbeklagte zu 1) trägt 4/5 der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Der Arrestkläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Arrestbeklagten zu 2). Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten im Arrestverfahren um das Bestehen von Schadensersatzansprüchen des Arrestklägers gegen die Arrestbeklagten nach Erlass eines Arrestbefehls über € 140 Mio. und € 35 Mio..
I. 1. a. Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 25.8.2020, Az.: 1542 IN 1308/20 (Anlage K 1) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der vormals im DAX 30 notierten W. AG (im Folgenden auch: Schuldnerin), einem international tätigen Zahlungsdienstleister mit verschiedenen Geschäftsbereichen bestellt. Der sich unter anderem wegen des Vorwurfs der Untreue nach einer Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft München I weiterhin in Untersuchungshaft befindliche Arrestbeklagte u 1) (im Folgenden: Beklagter zu 1)) war vom 1.10.2004 bis zu seinem Rücktritt von diesem Amt am 19.6.2020 Vorsitzender und Chief Technology Officer des Vorstands der Schuldnerin und zugleich Geschäftsführer und Alleingeschäftsführer der Arrestbeklagten zu 2) (im Folgenden: Beklagte zu 2)), die jedenfalls Mitte 2020 noch rund 7% der Aktien der Schuldnerin hielt.
2
Die Geschäftsordnung des Vorstands der Schuldnerin vom 20.11.2014 (Anlage K 4) enthielt unter anderem folgende Regelungen:
„2 Führung der Geschäfte …
2.6 Eine Beschlussfassung des Vorstands in seiner Gesamtheit ist erforderlich:
a) … dd) Die Vornahme von Geschäften, die der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen, …
6 Zustimmungspflichtige Geschäfte
6.1 Geschäfte, die nach Maßgabe dieser Geschäftsordnung oder der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen, dürfen vom Vorstand und seinen Mitgliedern nur nach Maßgabe von Ziffer 6.5 vorgenommen werden.
6.2 Der Vorstand bedarf der Zustimmung des Aufsichtsrats für folgende Geschäfte und Maßnahmen:
6. Abschluss von Kredit(rahmen) verträgen, falls der einzelne Kreditbetrag € 10.000.000 übersteigt.
7. Beendigung und wesentliche Änderung von Kredit(rahmen) verträgen, soweit die Verbindlichkeiten der Gesellschaft hieraus € 10.000.000 übersteigen;
9. Gewährung von Krediten an Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats sowie ihre Angehörigen.
6.3 Die Zustimmung nach Ziffer 6.2 Nr. 1 bis 11 ist ebenfalls erforderlich, soweit die Geschäfte von Tochtergesellschaften oder verbundenen Unternehmen getätigt werden.
6.5 Die Zustimmung ist vor Vornahme des Geschäfts oder der Maßnahme einzuholen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Angelegenheit keinen Aufschub duldet und ein Beschluss des Aufsichtsrats nicht rechtzeitig gefasst werden kann und der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen davon ausgehen kann, dass der Aufsichtsrat das Geschäft oder die Maßnahme genehmigen wird. In diesem Falle ist die Genehmigung des Aufsichtsrats unverzüglich nachzuholen. Soweit möglich, ist jedoch auch in diesen Fällen der Aufsichtsratsvorsitzende vorab zu informieren.
3
Am 17.6.2019 wurde mit Beschluss des Aufsichtsrats der Schuldnerin die Geschäftsordnung insoweit geändert, als die Grenze in Ziffern 6.2.7 auf € 80 Mio. erhöht wurde.
4
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Geschäftsordnung des Vorstands wird auf Anlage K 4 verwiesen.
5
b. Die W. B. AG hatte auf Initiative des Vorstands der Schuldnerin, dem damals der Beklagte zu 1) sowie Herr … M. angehörten, ein Darlehen an die O. über US-Dollar 13 Mio. als Kontokorrent zur Deckung des Liquiditätsbedarfs für Factoringdienstleistungen für Schifffahrtsunternehmen vergeben, die in Südostasien Treibstoffe befördern. In der Folgezeit kam es nach einer ersten Verlängerung zu einer weiteren Verlängerung dieses Darlehens bis zum 31.12.2020 (Anlagen K 28 und K 29). Im November 2017 sollte es auf Veranlassung von Herrn M. zur Ausreichung eines weiteren Darlehens kommen, das dazu dienen sollte, MCA-Produkte an Händler der Schuldnerin, die über die Third Party Acquiring-Partner abgewickelt werden, auszureichen. Bei dem MCA-Geschäft handelt es sich um die Vergabe kurzfristiger Darlehen zur Vorfinanzierung von Kreditkartenauszahlungen des Kunden an den Händler; O. sollte den Händlern bis zum Zahlungseingang durch die Bank des Händlers das Geld „vorstrecken“. Die W. B. AG stellte dieses Darlehen über € 10 Mio. erst bereit, nachdem sich die Schuldnerin zur Übernahme einer Bürgschaft bereiterklärt hatte. Der Darlehensvertrag zwischen der W. B. AG und der O. lief bis zum 31.12.2018 und wurde mit Vertrag vom 3.4.2019 bis zum 31.12.2020 verlängert. Für die Verlängerung übernahm die Schuldnerin aufgrund eines Vorstandsbeschlusses vom 2.4.2019 eine weitere selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von € 10 Mio.
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Am 3.9. und 26.9.2018 gewährte die W. A. H. te. Ltd. (im Folgenden: WDAH) unbesicherte Darlehen über € 5 Mio. und € 10 Mio. auf Veranlassung des Vorstands der Schuldnerin und am 20.11.2018 ein weiteres unbesichertes Darlehen über € 100 Mio. an die O., wobei als Zweck dieses letzten Darlehens unter Ziffer 2.2 des Darlehensvertrages die Finanzierung des von O. nunmehr betriebenen MCA-Geschäfts angegeben wurde. Der Beklagte zu 1) und Herr M. unterzeichneten am 20.11.2018 trotz Warnungen aus dem Kreis der Mitarbeiter ohne Beteiligung des Aufsichtsrats einen Vorstandsbeschluss über die Vergabe eines Darlehens zum Auf- und Ausbau des MCA-Geschäfts; die beiden weiteren neuen Vorstandsmitglieder, Herr ... K1. und Frau ... S1., unterzeichneten diesen Beschluss Anfang März 2020 auf einer separaten, rückdatierten Unterschriftenleiste. Den Darlehensvertrag vom 20.11.2018 zwischen der WDAH und der O. unterzeichneten für die WDAH Herr M. und Herr ... Ku. Am 22.11.2018 zahlte die WDAH das Darlehen aus Mitteln der Schuldnerin an die W. S. I. H. GmbH (im Folgenden: WDSIH), die das Geld wiederum an die WDAH weiterreichte, von wo aus der Betrag von € 100 Mio. an die O. ausbezahlt wurde. Dabei erfolgte die Auszahlung auf Anweisung des Beklagten zu 1), obwohl Herr ... W. als Vorstandsmitglied der W. B. AG aufgrund einer fehlenden Genehmigung des Aufsichtsrats Bedenken gegen die Auszahlung geäußert hatte. Am 22.11.2018 unterzeichnete der Vorstand des Aufsichtsrats einen Beschluss, den ihm die Assistentin von Herrn M. auf dessen Bitte hin am 22.11.2018 um 12:59 Uhr per E-Mail (Anlagen K 58 und K 59) hatte zukommen lassen. Mit Beschluss vom 12.12.2018 (Anlage K 62) genehmigte der Aufsichtsrat im Nachhinein die drei Darlehensvergaben über insgesamt € 115 Mio. Am 23.9.2019 fasste der Vorstand den Beschluss, der Prolongation der O.-Darlehensverträge um jeweils ein Jahr zuzustimmen; die Geschäftsführer der WDSIH wurden angewiesen, sämtliche Maßnahmen zur Herbeiführung der entsprechenden Umsetzung des Beschlusses herbeizuführen.
7
O. war ab April 2019 bei diesen drei Darlehen mit den Zahlungen im Rückstand; die Zinsrückstände beliefen sich bis zum 19.9.2019 auf € 2,375 Mio., worauf in dem Beschlussprotokoll der Vorstandssitzung vom 23.9.2019 hingewiesen worden war.
8
Am 23.8.2019 und am 9.9.2019 hatte der Aufsichtsrat anonyme Whistleblower-Schreiben erhalten, in denen auf Unstimmigkeiten im MCA-Geschäft der W.-Gruppe hingewiesen wurde.
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c. Nachdem der Schuldnerin vor allem seit Oktober 2019 in der Presse vorgeworfen worden war, das Third Party Acquiring-Geschäft der Schuldnerin existiere nicht und diese habe ihre Umsätze und Gewinne künstlich aufgebläht, veranlasste der Aufsichtsrat eine Untersuchung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft K., die dem Aufsichtsrat regelmäßig berichtete, für die Existenz dieses Geschäfts keine hinreichenden Belege gefunden zu haben und die Vorwürfe bezüglich O. und des MCA-Geschäfts nicht ausräumen zu können. Dies geschah vor allem im Rahmen von Präsentationen bei Jour fixes ab dem 1.10.2020, vor allem aber am 31.1.2020 (Anlagenkonvolut K 80).
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2. a. Am 20.12.2019 beschlossen die Mitglieder des Vorstands der Schuldnerin per E-Mail die Zeichnung von Schuldverschreibungen der O. S. L. S.A. (im Folgenden: O. L.) über € 100 Mio., ohne den Aufsichtsrat der Schuldnerin in die Entscheidung einzubinden. Am 30.12.2019 zeichnete die W. A. & I. GmbH (im Folgenden auch: WDAI) auf Weisung der Schuldnerin Schuldverschreibungen der O. L. über € 40 Mio., in denen Forderungen von O. gegen Se. auf Rückzahlung von Darlehen, die O. an Se… aus den O. von der Schuldnerin gewährten Darlehensmitteln ausgereicht hatte, wobei aus der Subscription Call Notice (Anlage K39) erkennbar war, dass O. Darlehensforderungen in Höhe von mindestens € 40 Mio. an Se. hatte. Der von der Schuldnerin beauftragte Rechtsanwalt … Sc. aus der Rechtsanwaltskanzlei Noerr hatte mit E-Mail an einen Mitarbeiter der Rechtsabteilung der Schuldnerin darauf hingewiesen, dass eine Due Diligence über die verbrieften Forderungen durchgeführt werden müsse; diese E-Mail (Anlage K 94) wurde an alle Vorstandsmitglieder der Schuldnerin weitergeleitet; eine Due Diligence zur Werthaltigkeit der verbrieften Forderungen fand nicht statt.
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Aufgrund der Zeichnung der Schuldverschreibungen und der daraufhin ausgezahlten Mittel wurden noch am selben Tag die von der WDAH ausgereichten Darlehen an O. vom 3.9. und 29.9.2018 über € 5 Mio. und € 10 Mio. sowie ein Teilbetrag von € 25 Mio. aus dem Darlehen vom 20.11.2018 verwendet. Demgemäß kam es auch zur Tilgung der konzerninternen Darlehen durch Zahlung über die WDSIH an die Schuldnerin.
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b. Der Abschlussprüfer der Schuldnerin hatte Frau Sch. - Director Financial Processes bei der Schuldnerin - telefonisch am 28.2.2020 auf die mangelnde Werthaltigkeit des WDAH-Darlehens über € 100 Mio. an die O. hingewiesen, woraufhin Frau Sch… diese Information noch am selben Tag an Herrn M. weitergab. Am 12.3.2020 warnte sie Herrn M. ausdrücklich vor der Vergabe eines weiteren unbesicherten Darlehens an O. Am 25.3.2020 beschloss der gesamte Vorstand, O. ein Anschlussdarlehen in Höhe von weiteren € 100 Mio. ohne Sicherheiten zum Vorantreiben des Ausbaus des MCA-Geschäfts zu gewähren (Anlage K 112); eine Prüfung der Kreditwürdigkeit oder der technischen Fähigkeiten zur Realisierung des MCA-Geschäfts bei der O. durch den Vorstand erfolgte nicht. Für die Schuldnerin bzw. der WDAI unterzeichneten der Finanzvorstand, Herr K. zusammen mit Herrn … E. den Darlehensvertrag mit der O. (Anlage K 113). Nach Ziffer 10.1 lit. (f) verpflichtete sich die O. schuldrechtlich, nach Ausreichung des Darlehens etwaige Forderungen gegen Händler an die WDAI zu verpfänden. Am Tag des Vertragsschlusses wurden € 100 Mio. zunächst an die WDAI und dann an O. überwiesen. Noch einen Tag zuvor hatte Herr … H2. als Leiter Treasury der Schuldnerin Herrn K. über die App „Telegram“ Folgendes mitgeteilt:
„euch ist schon bewusst das wir unsere letzte liqui an O. überweisen bevor wir die 500 am 1.4. aufm Konto haben […] dabei fühle ich mich sehr unwohl“
13
c. Am 25.3.2020 fasste der Vorstand der Schuldnerin einen weiteren Beschluss, mit dem er den Abschluss des Zeichnungsvertrags genehmigte und eine Zeichnung von Schuldverschreibungen bis zu € 100 Mio. beschloss; der Aufsichtsrat war nicht mehr eingebunden. Herr Rechtsanwalt Sc. wies nach Beauftragung wiederum Herrn Kü… aus der Rechtsabteilung der Schuldnerin am 27.3.2020 auf eine die Schuldnerin treffende Pflicht zur Bewertung des Ausfallrisikos hin. Am 30.3.2020 zeichnete die WDAI die zweite Tranche in Höhe von € 60 Mio., wobei es sich bei den zu verbriefenden Forderungen um Rückzahlungsforderungen von O. gegen die singapurische Gesellschaft R. Pte. Ltd. (im Folgenden: R.) handelte, wobei R. die Mittel von O. aus den von W. gewährten Geldern zur Verfügung gestellt erhielt. Am selben Tag zahlte die WDAI weitere € 60 Mio. direkt an O., wobei diese Mittel zum großen Teil aus einer geduldeten Überziehung des Bankkontos der WDAI bei der W. B1. AG stammten, von dem aus die Überweisung getätigt wurde. O. zahlte die € 60 Mio. noch am selben Tag zurück, wodurch das Darlehen vom 27.3.2020 in Höhe von € 60 Mio. getilgt und das Konto der WDAI bei der W. B1. AG wieder ausgeglichen war.
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d. Nachdem für die O. am 10.12.2020 auf deren Antrag ein Liquidator eingesetzt worden war, ordnete der singapurische High Court am 15.3.2021 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der O. unter Bestellung zweier Insolvenzverwalter an. Das Insolvenzverfahren ist nahezu masselos. Die O. L. verfügt über kein eigenes Vermögen; Forderungen gegen Se. und R. fielen endgültig aus.
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Mit Vertrag vom 20.12.2021 (Anlage K 136) trat die WDAI etwaige Schadensersatzansprüche unter anderem gegen den Beklagten zu 1) im Zusammenhang mit der Darlehensausreichung und dem Zeichnen von Schuldverschreibungen an O. und O. L. an den Kläger ab.
3. Der Beklagte zu 1) nahm über die Beklagte zu 2) im Dezember 2017 ein Darlehen über € 150 Mio. bei der D1. Bank auf. Die Beklagte zu 2) gewährte aus diesem Vertrag entsprechend einem Darlehensvertrag mit Herrn M. vom 19.12.2017 diesem etwa € 50 Mio. als Darlehen. Dieser Darlehensvertrag zwischen der Beklagten zu 2) und Herrn M. enthielt unter anderem folgende Vereinbarungen (Anlage S& P 24):
„Präambel (A) Die Parteien beabsichtigen gemeinsam mit bestimmten anderen Investoren, direkt oder indirekt, eine Beteiligung an einer oder mehreren Gesellschaften im Retail e-commerce Bereich zu erwerben (die „Investition“).
(B) Die Parteien beabsichtigen weiter, dass der Darlehensnehmer [scil.: Herr J. M.] das hiermit gewährte Darlehen zum Zwecke dieser Investition verwendet.
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Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Darlehensvereinbarung wird in vollem Umfang auf Anlage S& P 24 Bezug genommen.
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Mitte 2018 kam es zu einer Verlängerung dieses Vertrages um weitere sechs Monate und Ende 2018 um ein weiteres Jahr bis Ende 2019. Um den Jahreswechsel 2019/2020 musste die Beklagte zu 2) einen Teil ihrer Darlehensverbindlichkeiten zurückführen, weshalb sie am 13.1.2020 einen Darlehensvertrag über € 35 Mio. mit der W. B… abschloss, die diesen Betrag umgehend valutierte. Eine Zustimmung des Aufsichtsrats der Schuldnerin zu diesem Vertrag gab es nicht.
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Am 27.3.2020 überwies die O. von ihrem Konto bei der W. B1. AG einen Betrag von € 100 Mio. an die R. auf deren Konto bei der litauischen Bank F. Einen Teilbetrag von € 35 Mio. leitete R. auf ein ebenfalls bei der Finolita geführtes Konto der auf der Isle of Man ansässigen G. Holding Ltd. (im Folgenden: G. Ltd.) weiter, die am 31.3.2020 wiederum € 35 Mio. auf ein Konto von Herrn M. bei der U. AG einbezahlte. Herr M. zahlte am nächsten Tag € 35 Mio. an die Beklagte zu 2), um sein Darlehen vom 19.12.2017 zu tilgen. Daraufhin bezahlte die Beklagte zu 2) ihr Darlehen bei der W. B1. AG am 2.4.2020 zurück.
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Aufgrund dieses Sachverhalts ordnete die Staatsanwaltschaft München I den Vermögensarrest in das Vermögen der Beklagten in Höhe von € 35 Mio. an und vollzog ihn durch Pfändung der Forderung des Beklagten zu 1) gegen die Drittschuldner W. B1. AG, B2. Bank AG und die Beklagte zu 2) sowie die Forderungen der Beklagten zu 2) gegen die B2. Bank AG.
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4. Aufgrund des Arrestbefehls vom 30.12.2021 pfändete der Kläger die gegenwärtigen und künftigen Forderungen des Beklagten zu 1) gegen die W. B. AG, die C. AG, die D. B. AG, die Be. Bank AG, die Ol. sowie gegen die Beklagte zu 2). Mit Schriftsatz vom 3.2.2022 beantragte der Kläger, dem der Arrestbefehl am 3.1.2022 zugestellt worden war, den Erlass eines Pfändungsbeschlusses über die Pfändung der Geschäftsanteile des Beklagten zu 1) an der Beklagten zu 2) sowie der gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen des Beklagten zu 1) gegen die Erste Bank der österreichischen S3. AG, soweit diese nicht bereits aufgrund des Pfändungsbeschlusses der Staatsanwaltschaft München I vom 24.8.2020, Az. 402 Js 150939/20 gepfändet sind. Weiterhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 3.2.2022 die Pfändung der gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen der Beklagten zu 2) gegen Frau Dr. M2. B3. aus dem Mietverhältnis über die Immobilie oder Teile davon in der M. in Wien. Am 3.2.2022 stellte der Kläger einen Antrag auf Einholung der Vermögensauskünfte nach § 802 c ZPO, deren Abgabe die Beklagten indes ablehnten.
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Bereits am 27.1.2022 hatte das Bezirksgericht Kitzbühel einen Beschluss (Bl. 48/50 d.A.) erlassen, mit dem aufgrund des Arrestbefehls vom 30.12.2021 zur Sicherstellung der geltend gemachten Kapitalforderung von € 27.500.000,- sowie weiterer Kosten die zwangsweise Vormerkung eines Pfandrechts ob den Liegenschaften in Kitzbühel Land und in Wien-H. Am 28.01.2022 wurde auf Antrag des Klägers eine vorläufige gerichtliche Hypothek - eine Hypothèque Judiciaire Provisoire - in das Grundbuch der Immobilie in Ra., … eingetragen. Die Staatsanwaltschaft München I hatte bereits im Wege der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen mit Beschlagnahmebeschluss vom 26.10.2021 (Anlage S& P 8) bereits eine strafrechtliche Beschlagnahme dieser Immobilie vorgenommen. In gleicher Weise hatte die Staatsanwaltschaft München I Beschlagnahmebeschlüsse (Annlagenkonvolut AG 9) für die Immobilien in Österreich erwirkt.
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Der Beklagte zu 1) versuchte, die in Ra… gelegene Villa über einen Makler zu veräußern. Die Beklagte zu 2) veräußerte ihre Aktien an der Schuldnerin am 18.06. und 19.06.2020 und erzielte dabei einen Erlös von etwa € 155 Mio..
23
II. Das Landgericht München I hat am 30.12.2021 im Beschlusswege durch den Vorsitzenden alleine wegen einer Forderung in Höhe von € 140 Mio. aus Organhaftung den dinglichen Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen - insbesondere das bebaute Grundstück unter der Adresse …, … Ra., Frankreich mit der Flurstücknummer … - des Beklagten zu 1) und wegen einer Forderung in Höhe von € 35 Mio. aus unerlaubter Handlung den dinglichen Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Beklagten zu 2) angeordnet. Die Beklagten haben mir Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigen vom 17.3.2022 (Bl. 96/116 d.A.) Widerspruch gegen den Arrestbefehl vom 30.12.2021 eingelegt.
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III. Zur Begründung seines Arrestantrags macht der Kläger im Wesentlichen geltend, ihm stehe angesichts der Pflichtverletzungen des Vorstands im Zusammenhang mit der Ausreichung der Darlehen und der Zeichnung der Schuldverschreibungen ein Anspruch aus Organhaftung in Höhe von € 140 Mio. gegen den Beklagten zu 1) zu. Die Vergabe der Darlehen in Höhe von € 100 Mio. stelle sich ebenso wie die Zeichnung von Schuldverschreibungen über weitere € 100 Mio. als pflichtwidrig dar, weil der Beklagte zu 1) seine Pflicht als Vorstand zur sorgfältigen Informationsgewinnung in Bezug auf die Prüfung der Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers verletzt habe. Im Geschäftsleben seien Kreditgewährungen verboten, wenn keine Prüfung der Kreditwürdigkeit vorgenommen und nicht für eine angemessene Sicherung der Gesellschaft Sorge getragen werde. Im Falle der Finanzierung einer geplanten Kooperation mit dem Darlehensnehmer müsse auch eine Prüfung der technischen Umsetzbarkeit erfolgen; dies sei nicht in hinreichendem Maße erfolgt. Die unterbliebene Durchführung einer Due Diligence stelle sich gleichfalls als pflichtwidrig dar. Durch diese Pflichtverletzungen sei der Schuldnerin ein Schaden in Höhe von € 140 Mio. entstanden.
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Die Beklagte zu 2), die sich das Verhalten und Wissen des Beklagten zu 1) als ihrem Geschäftsführer zurechnen lassen müsse, habe ebenso wie Herr M1. Hilfe geleistet, einen Teilbetrag von € 35 Mio. aus dem O.-Darlehen vom 27.3.2020 für private Zwecke zu verwenden, worin die Förderung eines nach § 266 StGB strafbaren Verhaltens und eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liege.
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Der Arrestgrund liege in der Gefahr der unlauteren Verlagerung von Vermögen durch den Verkauf eines großen Teils des über die Beklagte zu 2) gehaltenen Aktienpakets kurz vor dem Zusammenbruch der Schuldnerin. Der Verbleib des Geldes sei unbekannt. Aufgrund dieser Handlung scheine das Risiko einer zukünftigen Vermögensverschiebung zum Nachteil des Schuldners erheblich. Der Versuch des Verkaufs des Anwesens an der … bedeute das Verschieben oder Verschleiern erheblicher Vermögenswerte und damit gleichfalls einen Arrestgrund. Zudem seien vermögensbezogene Straftaten oder ein Delikt nach § 826 BGB schon für sich genommen ein Arrestgrund. Weiterhin begründe sich der Arrestgrund aus einer Vielzahl von - das Vermögen des Beklagten zu 1) weit übersteigenden - Forderungen. Diesem Ansatz stehe die Pfändung durch die Staatsanwaltschaft München I nicht entgegen, weil der Kläger auf einen überschießenden Teil Zugriff nehmen wolle. Dasselbe gelte für die Vollstreckungsmaßnahmen im Ausland, zumal die Vorschrift des § 111 h Abs. 2 StPO bei einer Vollstreckung in Österreich und Frankreich nicht zur Anwendung gelangen könne. Namentlich infolge des rechtsseitig gestellten Antrags nach § 800 c ZPO liege auch ein rechtzeitiger Vollzug des Arrests vor.
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Der Kläger beantragt daher:
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Aufrechterhaltung des Arrestbefehls vom 30.12.2021.
IV. Die Beklagte beantragt demgegenüber:
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Aufhebung des Arrestbeschlusses vom 30.12.2021 und Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Arrests.
30
Zur Begründung beruft sich der Beklagte zu 1) im Wesentlichen darauf, hinsichtlich der gegen ihn gerichteten Ansprüche sei ein Arrestanspruch im Tatsächlichen unzureichend vorgetragen, weil der pauschale Verweis auf eine Anlage dem nicht genüge. Für die strategische Entscheidung, in dem Bereich „Digital Lending“ zu investieren, zu dem auch die streitgegenständlichen Darlehen zu zählen seien, habe es einen Grundsatz-Rahmenbeschluss des Aufsichtsrates über € 500 Mio. sowie jeweils sehr eingehende Prüfungen der Schuldnerin und der W. B1. AG gegeben. Spätestens im Sommer 2019 seien ursprünglich geäußerte Bedenken zu O. ausgeräumt worden, was sich am Inhalt des Besuchsberichts bei O. durch den Risk Officer … N. im Juni 2019 und aus der Beurteilung des operativen Risk Controlling vom August 2019 zeige, woraus sich ein positives Bild vom O.-Management ergebe (Anlage S& P 15). Für das positive Bild spreche auch der Rückgang der Ausfallwahrscheinlichkeit bezüglich der Darlehen von 11,3% im Dezember 2017 bis auf 2,82% im August 2019.
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Die Beklagte zu 2) beruft sich im Wesentlichen darauf, es fehle an der Glaubhaftmachung, dass dem Beklagten zu 1) schon bei der Darlehensvergabe an die O. bewusst gewesen sei, ein Teil des Darlehens werde abgezweigt, was über mehrere - zudem nicht vollständig dargelegte - Schritte schließlich der Tilgung privater Schulden habe dienen sollen. Der Beklagte zu 1) sei vielmehr davon ausgegangen, die Gelder seien vereinbarungsgemäß in die G. Ltd. investiert worden. Im Zeitpunkt der Rückzahlung auf das Konto der Beklagten zu 2) sei der Beklagte zu 1) davon ausgegangen, es handele sich um das auf dem Treuhandkonto für die Beklagte zu 2) bereitgestellte Geld; ein zeitlicher Zusammenhang zu dem O.-Darlehen sei ihm jedenfalls nicht aufgefallen. Es habe keine konkreten Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen einer persönlichen Investition und dem O.-Darlehen gegeben.
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Beide Beklagten verneinen einen Arrestgrund. Der Verkauf der Aktien habe aufgrund von Margin Calls zwingend erfolgen müssen. Ebenso gebe es angesichts anfallender Kosten von rund € 1 Mio. pro Jahr für Vermögensteuer und Strafzinsen gute Gründe für den Verkauf des Anwesens in Frankreich. Es gebe keinen Erfahrungssatz, dass ein Schuldner, dem strafbares Verhalten oder eine vorsätzliche unerlaubte Handlung vorgeworfen werde, grundsätzlich auch zu einer Vollstreckungsvereitelung bereit sei. Der Arrest und darauf beruhende Vollstreckungsmaßnahmen seien ein Verstoß gegen § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO; eine einer Vermögensarrestvollziehung nachfolgende Zwangsvollstreckung müsse als nichtig angesehen werden und könne auch nicht nach Aufhebung der staatsanwaltschaftlichen Pfändung wieder aufleben. Dies gelte in gleicher Weise für die Vollstreckungsmaßnahmen in Österreich und Frankreich. Daher könne nicht von einer wirksamen Vollziehung des Arrestbefehls ausgegangen werden. Ein Antrag auf Vermögensauskunft diene lediglich dem Zweck, vollstreckbares Vermögen in Erfahrung zu bringen, könne aber nicht die Vollziehungsfrist wahren.
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V. Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2022 (Bl. 204/206 d.A.).
Entscheidungsgründe
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Der Antrag gegen den Beklagten zu 1) auf Erlass des dinglichen Arrests ist zulässig und begründet.
35
I. Der Arrestantrag gegen den Beklagten zu 1) ist zulässig, insbesondere muss das Rechtsschutzbedürfnis bejaht werden. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, eine Pfändung in Geldforderungen oder weitere Vermögenswerte sei von vorneherein ausgeschlossen. Daher kann gerade nicht davon ausgegangen werden, der Kläger könne aus dem Arrest keinerlei Verbesserung seiner Vermögensposition herleiten. Das Rechtsschutzbedürfnis lässt sich namentlich nicht unter dem Gesichtspunkt der Sperrwirkung des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO verneinen. Nach dieser Vorschrift sind Zwangsvollstreckungen in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden sind, während der Dauer der Arrestvollziehung nicht zulässig. Zwar wird in der Rechtsprechung zum Teil die Auffassung vertreten, aufgrund der Sperrwirkung des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO komme eine Pfändung nicht in Betracht (vgl. OLG München, Urteil vom 19.1.2022, Az. 13 U 7646/21), weil nur so dem Normzweck des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO Rechnung getragen werden könne. Dieser Auffassung vermag die Kammer jedoch nicht zu folgen. Eine Forderungspfändung in Höhe des Anspruchs hat regelmäßig die Bedeutung einer Teilpfändung. Danach bleibt der den gepfändeten Teil übersteigende Restbetrag pfandfrei; da jede der gepfändeten Forderungen (Konten, Depots etc.) der Pfändungsverstrickung nur in Höhe eines Betrages von € 35 Mio. unterliegt, kann auf den jeweils darüberhinausgehenden Betrag - soweit vorhanden - vom Kläger noch zugegriffen werden (vgl. OLG München WM 2021, 2432, 2433 = NZI 2021, 1035, 1036; OLG München, Beschluss vom 5.10.2021, Az: 3 W 1414/21 - zit. nach juris; Haidn WuB 2022, 92 f.; Köllner NZI 2021, 1036; Mayer in: BeckOK ZPO, 44. Edition Stand 1.3.2022, § 916 Rn. 17; Bittmann in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., § 111 h Rn. 2). Diese Auffassung steht gerade nicht in Widerspruch zum Normzweck des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO. Diese Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers durch die Abschaffung des Prioritätsgrundsatzes verhindern, dass sich Geschädigte ein „Windhundrennen“ um den ersten Zugriff auf das Tätervermögen liefern und die Gleichbehandlung der Tatgeschädigten gewährleisten. Auch soll verhindert werden, dass durch Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen zwischen der Arrestvollziehung und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Absonderungsrechte einzelner Gläubiger entstehen, die die Vermögensmasse zu Lasten der Verletzten schmälern würde (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 1 und 78 Spillecke in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl., § 111 h Rn. 3). In der hier gegebenen Konstellation der eingeschränkten Pfändbarkeit bleibt aber der Wille des Gesetzgebers beachtet - solange der Vermögensarrest Bestand hat, kann der Kläger auf die gepfändeten Vermögenswerte im Umfang der Vollziehung des Vermögensarrests keinen Zugriff nehmen. Allerdings ist nicht erkennbar, warum auf einen überschießenden Teil oder im Falle der Aufhebung des Vermögensarrests im weiteren Verlauf des Strafverfahrens durch die dafür zuständigen Organe die Pfändung dann keine Bedeutung erlangen könnte. Ein so weitgehender Ausschluss wird dem Willen des Gesetzgebers nicht gerecht. Hierfür spricht insbesondere auch die Erwägung, dass der Kläger als Gläubiger nicht beweisen bzw. glaubhaft machen muss, dass die zu pfändende Forderung tatsächlich besteht. Es wird nämlich nur geprüft, ob das Vorbringen des Gläubigers die Forderung als Gegenstand der Zwangsvollstreckung im Schuldnervermögen pfändbar ausweist. Dafür genügt, dass dem Schuldner die Forderung aus irgendeinem vertretbaren Rechtsgrund zustehen kann (vgl. BGH WM 2003, 1875, 1876 = MDR 2003, 1378 = ZVI 2003, 458, 459 = NJW-RR 2003, 1650; OLG München WM 2021, 2432, 2433 = NZI 2021, 1035; Smid in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 829 Rn. 23). Davon muss bei den Vermögensgegenständen der Beklagten zu 1) ausgegangen werden, ohne dass es für die Wirksamkeit der Pfändung auf das tatsächliche Bestehen einer weitergehenden Forderung insbesondere auch gegen die als Drittschuldner bezeichneten Kreditinstitute ankommen kann.
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Soweit der Beklagte zu 1) über Vermögensgegenstände im Ausland verfügt, kann die Vorschrift des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO auch aus einem weiteren Grund keine Anwendung finden. Die Wirkung dieser Norm beschränkt sich auf Vollstreckungsmaßnahmen gegen im Inland, also dem Geltungsbereich der StPO gelegenen Vermögen. Art. 23 Abs. 1 VO EU 2018/1805 über die jeweilige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsmaßnahmen macht nämlich deutlich, dass hierfür das österreichische bzw. französische Zwangsvollstreckungsrecht maßgeblich ist. Für die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung oder Einziehungsentscheidung ist nach dieser Vorschrift das Recht des Vollstreckungsstaates maßgebend; dessen Behörden entscheiden allein, auf welche Weise deren Vollstreckung erfolgt und welche Maßnahmen zu diesem Zweck getroffen werden. Vollstreckungsstaat ist gemäß Art. 2 Abs. 7 VO EU 2018/1805 der Mitgliedstaat, dem eine Sicherstellungs- oder Einziehungsentscheidung zum Zwecke der Anerkennung und Vollstreckung übermittelt wird - vorliegend also Österreich und Frankreich. Andernfalls wäre es nicht zur Eintragung der Sicherungsmaßnahmen betreffend die Grundstücke in Österreich und Frankreich sowie der Pfändung einer Forderung gegen Frau Dr. ... Z. gekommen. Angesichts dessen ist nicht erkennbar, dass es in diesen beiden Staaten eine § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO vergleichbare Vorschrift gäbe. Abgesehen davon steht § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO der Vollziehung des Arrests auch aus den oben dargelegten Gründen nicht entgegen.
37
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, Art. 23 Abs. 1 VO EU 2018/1805 müsse im Lichte des deutschen Rechts ausgelegt werden. Das europäische Primärrecht ist in allererster Linie autonom auszulegen, also losgelöst von den Regeln eines nationalen Rechts (vgl. EuGH, Urteil vom 5.6.2014, C-360/12; Hausmann in: Staudinger, Neubearb. 2019, Art. 3 EGBGB Rn. 39).
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II. Der Arrestantrag gegen den Beklagten zu 1) ist begründet, weil sowohl der Arrestanspruch als auch der Arrestgrund zu bejahen sind, weshalb der Arrestbefehl insoweit aufrechtzuerhalten war.
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1. Der Arrestanspruch gegen den Beklagten zu 1) als vormaligen Vorstand der Schuldnerin im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Maßnahmen ergibt sich aus § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG. Danach sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Aufgrund von § 93 Abs. 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes und Beachtung der Voraussetzungen der Darlegungs- und Beweislast müssen die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten als glaubhaft gemacht angesehen werden.
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a. Bei dem dem Beklagten zu 1) gemachten Vorwurf des Abschlusses des Darlehensvertrages mit der O. sowie der Zeichnung von Schuldverschreibungen zugunsten der O. L. handelt es sich jeweils um eine unternehmerische Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Eine solche Entscheidung liegt dann vor, wenn das Vorstandsmitglied die Möglichkeit hat, zwischen mehreren Verhaltensalternativen zu wählen, wobei im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht feststehen darf, welche dieser Alternativen sich für das Unternehmen im Nachhinein als vorteilhaft herausstellen wird. Der Vorstand muss also unter Unsicherheit handeln und eine Prognose anstellen, wie sich seine Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht auswirken könnte. Dabei sind die denkbaren Szenarien im Gremium mit ihren Vor- und Nachteilen gegeneinander abzuwägen (vgl. BT-Drucks. 15/5092 S. 11; Fleischer in: BeckOGK AktG, a.a.O., § 93 Rdn. 73; Koch, AktG, 16. Aufl., § 93 Rdn. 35; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 93 Rdn. 48 ff.; Illert/Meyer in: Illert/Ghassemi-Tabar/Cordes, Handbuch Vorstand und Aufsichtsrat, 1. Aufl., § 2 Rdn. 31).
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(1) Den Kläger trifft die Darlegungs- und Beweislast bzw. hier die Glaubhaftmachungslast nur dafür, dass und inwieweit der Schuldnerin durch ein an sich möglicherweise pflichtwidrig sich darstellendes Verhalten des Organs in dessen Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist, wobei ihm die Erleichterungen des § 287 ZPO zugutekommen können, während demgegenüber das beklagte Organmitglied darlegen und erforderlichenfalls beweisen bzw. hier glaubhaft machen muss, dass es seinen Sorgfaltspflichten objektiv nachgekommen ist oder ihn subjektiv kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre (vgl. BGH ZIP 2011, 766, 767 = AG 2011, 378, 379; NJW 2013, 1958, 1959 = NZG 2013, 293, 294 = AG 2013, 259 = ZIP 2013, 455, 456 = DB 2013, 507, 508 = MDR 2013, 472; NZG 2020, 1343, 1347 = ZIP 2020, 2117, 2121 = WM 2020, 2035, 2039 = DB 2020, 2348, 2352 = Der Konzern 2021, 34, 38 = GmbHR 2020, 1344, 1349 = DZWIR 2020, 633, 637 = DStR 2020, 2689, 2694; OLG Oldenburg NZG 2007, 434, 435 = ZIP 2006, 2087 = DB 2006, 2511 = GmbHR 2006, 1263 = NZI 2007, 305 f.). Dem ist der Kläger nachgekommen, auch wenn er auf die dem Antrag als Anlage K 1 beigefügte Klageschrift in dem Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht München I, Az. 5HK O 17452/21 Bezug genommen hat. Gerichte sind zwar nicht verpflichtet, umfangreiche ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren. Auch kann erforderlicher Sachvortrag nicht durch die bloße Vorlage von Anlagen ersetzt werden. Nimmt der Kläger zur Substantiierung seines Anspruchs allerdings auf eine aus sich heraus verständliche Darstellung in einer Anlage - wie hier der beigefügten Klageschrift - konkret Bezug und verlangt die Berücksichtigung der in Bezug genommenen Anlage vom Tatrichter keine unzumutbare Sucharbeit, so liegt eine solche Fallgestaltung nicht vor (vgl. BGH NJW 2019, 1082 f. = VersR 2019, 377 = MDR 2019, 182, 183 = FamRZ 2019, 374 = ZfSch 2019, 503, 504). In dem Antrag hat der Kläger konkret auf die als Anlage ASt 1 beigefügte Klageschrift Bezug genommen, die von denselben Prozessbevollmächtigten verfasst wurde und bei der es hinsichtlich der Darlehensvergabe und der Zeichnung der Schuldverschreibung in Bezug auf den Beklagten zu 1) um exakt denselben Lebenssachverhalt geht. Dann aber wäre es eine leere Förmelei, wollte man verlangen, der Schriftsatz müsse in den Antrag auf Erlass des Arrests einkopiert werden.
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(a) Der Kläger hat vorgetragen, dass die O. bereits zum 19.9.2019 mit Zinsen in Höhe von € 2,375 Mio. in Rückstand gewesen sei, sie keinerlei Erfahrungen im Bereich MCA-Geschäft habe, für dessen Ausbau bereits das erste Darlehen gewährt worden sei, seitens des Vorstands und damit auch des Beklagten zu 1) nicht geprüft worden sei, ob es reales Geschäft gegeben habe, die W. B1. AG zur Vergabe des zunächst abgelehnten zweiten Darlehens nur gegen Stellung einer Bürgschaft bereit gewesen sei, die Mitarbeiter der Compliance- und Rechtsabteilung erhebliche Bedenken gegen die Vergabe von Darlehen ohne Sicherheiten geäußert habe, die Auszahlung der Darlehen bzw. die Zeichnung der Schuldverschreibung bereits während der laufenden Untersuchung durch KPMG über die mit dem MCA-Geschäft eng verbundenen Third Party Acquiring-Geschäfte hingegeben worden seien und es keine Due Diligence im Hinblick auf die verbrieften Forderungen gegeben habe. Diese Vorwürfe stellen sich als mögliche objektive Pflichtverletzungen dar.
43
(b) Dem Beklagten zu 1) ist es nicht gelungen, hinreichend vorzutragen, dass er sich objektiv rechtmäßig verhalten habe. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er auf der Grundlage hinreichender Informationen gehandelt habe und er nicht unzulässigerweise erhebliche Risiken eingegangen sei. Ihm ist es nicht gelungen, den hinreichend dargelegten und insofern auch glaubhaft gemachten Vorwurf zu entkräften.
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(aa) Die Vergabe eines Darlehens über € 100 Mio. ohne Sicherheiten muss bereits als objektiv pflichtwidrig bezeichnet werden. Dem kann namentlich nicht entgegengehalten werden, der Gesellschaft stehe ein Darlehensrückzahlungsanspruch in gleicher Höhe zu. In der vorliegenden Konstellation kann dieser jedenfalls nicht als vollwertig bezeichnet werden, weshalb die Kammer auch nicht abschließend entscheiden muss, inwieweit die im faktischen Konzern zum Nachteilsausgleich ermittelten Grundsätze der bilanziellen Betrachtung (vgl. BGHZ 179, 71, 78 = NJW 2009, 850, 852 = NZG 2009, 107, 108 f. = AG 2009, 81, 82 = ZIP 2009, 70, 72 = DB 2009, 106, 107 = BB 2009, 118, 119 f. = WM 2009, 78, 80 = Der Konzern 2009, 49, 51 = GmbHR 2009, 199, 201 f.) auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 311 AktG zur Anwendung gelangen können. Angesichts des bereits im September 2019 aufgelaufenen Zinsrückstandes von € 2,375 Mio. wäre der Vorstand der Schuldnerin und damit auch der Beklagte zu 1) zwingend verpflichtet gewesen, auf der vorherigen Stellung banküblicher Sicherheiten zu bestehen. Das Gebot, Risiken nur in sinnvoller kaufmännischer Interessenabwägung vorzunehmen, bedeutet für die Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft, die zudem Muttergesellschaft einer Bank ist, Kredite grundsätzlich nicht ohne übliche Sicherheiten zu gewähren (vgl. BGH NZG 2002, 195, 196 = ZIP 2002, 213, 214 = WM 2002, 220, 221 = DB 2002, 473 = BB 2002, 220, 221 = DStR 2002, 597, 598; NZG 2009, 117 = AG 2009, 117 = ZIP 2009, 223 = WM 2009, 26; im Grundsatz auch OLG Celle AG 2008, 711, 712 f. = WM 2008, 1745, 1747; Fleischer in: BeckOGK AktG, Stand: 1.2.2022, § 93 Rn. 111; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl. § 93 Rn. 77; Hölters/Hölters in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. § 93 Rn. 137).
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(bb) Die Zeichnung der Schuldverschreibung erfolgte ohne vorherige Prüfung der Werthaltigkeit der verbrieften Forderung. Auch diese Maßnahme stellt sich als typisch unternehmerische Entscheidung dar, bei der ein erheblicher Ermessensspielraum besteht und bei der es auch zu Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen kommen kann. Allerdings gehört es im Vorfeld dieser Entscheidung zu den elementaren Pflichten eines jeden Vorstandsmitglieds, jedenfalls die Grundlagen, auf denen diese unternehmerische Entscheidung beruht, in geschäftsüblicher, sorgfältiger Weise aufzuklären (vgl. OLG Oldenburg NZG 2007, 434, 435 = DB 2006, 2511, 2512 = DB 2007, 66, 68 = GmbHR 2006, 1263, 1265 = NZI 2007, 305, 306). Dazu gehört dann aber auch, sich die entsprechenden Informationen über die Realisierbarkeit der verbrieften Forderungen in Form der Rückzahlungsansprüche der O. - ähnlich einem Unternehmens- oder Beteiligungskauf - zu verschaffen. Dies gilt umso mehr, als die O. nicht mehr in ihrem satzungsmäßigen Geschäftsgegenstand tätig war und sich neue Geschäftsfelder erschloss, was mit erhöhten Risiken für die Schuldnerin als Gläubigerin verbunden ist. Allein der Hinweis auf die Auswertung zweier Berichte vom August und September 2019 genügt nicht, damit sich der Vorstand ein umfassendes Bild über die Geschäftstätigkeit und insbesondere die Solvenz der O. machen kann. Es ist nach dem Vortrag des Beklagten zu 1) nicht erkennbar, dass es zu einer umfassenden Analyse der geschäftlichen Aktivitäten unter Darstellung aller Chancen und Risiken gekommen wäre. Dies wäre jedoch notwendig gewesen, um diese Entscheidung auf einer hinreichenden Informationsgrundlage beruhende zu treffen. Eine erhöhte Informationspflicht zu den Risiken eines Forderungsausfalls ergibt sich weiterhin aus der Tatsache, dass der Aufsichtsrat im Zeitpunkt beider Entscheidungen über die Darlehensvergabe wie auch die Zeichnungen der Schuldverschreibungen eine Sonderuntersuchung durch K… in Auftrag gegeben hatte, nachdem bei der Schuldnerin erhebliche Verdachtsmomente aufgekommen waren, dass das mit dem MCA-Geschäft eng verbundene Third Party Aquiring-Geschäft nicht oder jedenfalls bei weitem nicht in dem vorgegebenen Umfang existieren könnte.
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Der Beklagte zu 1) hat auch nicht vorgetragen, welche detaillierten und sehr eingehenden Prüfungen seitens des Vorstandes wie auch der W. B. AG vorgenommen worden seien. Der Sachvortrag des Klägers ist vom Beklagten zu 1) im Wesentlichen nicht bestritten worden, wobei dies vor allem in Bezug auf die unterbliebene Informationsbeschaffung und die unterlassene Stellung von Sicherheiten gilt. Daher gilt der entsprechende Sachvortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Soweit der Beklagte zu 1) namentlich auch im Termin geltend gemacht hat, er werde den Vortrag im Hauptsacheprozess bestreiten und unterlegen, muss dies in diesem Verfahren unbeachtlich bleiben, weil für die Frage des Bestreitens oder Nichtbestreitens ausschließlich das jeweilige konkrete Verfahren maßgeblich sein kann. Im Zusammenhang mit der Darlehensvergabe und der Zeichnung der Schuldverschreibungen hat sich der Beklagte zu 1) im Wesentlichen auf die beiden Besuche bei der O. beschränkt, die aber nicht geeignet sind, eine hinreichende Informationsgrundlage zu verschaffen. Ebenso wenig ist der Rückgang der Ausfallwahrscheinlichkeit geeignet, den Beklagten zu 1) zu entlasten. Dies übersieht nämlich, dass es bereits erhebliche Zinsrückstände gab, die vom Beklagten zu 1) letztlich nicht bestritten wurden, die aber in jedem Fall glaubhaft gemacht sind durch die E-Mails von Frau Sch… insbesondere an Herrn M. wie auch den Entwurf eines Vorstandsbeschlusses, aus dem sich gleichfalls die Zinsrückstände bereits zum 19.9.2019 ergeben.
(2) Der Beklagte zu 1) hat seine Vorstandspflichten auch schuldhaft verletzt, wobei für die Haftung aus § 93 Abs. 2 Satz 1 bereits leichte Fahrlässigkeit genügt. Der Beklagte zu 1) hat indes keinen Sachvortrag dazu geleistet, er habe bei den beiden Entscheidungen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt.
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b. Der Schuldnerin ist durch diese beiden Pflichtverletzungen ein Schaden in Höhe von € 140 Mio. entstanden, nachdem von den ausgereichten Beträgen in Höhe von insgesamt € 200 Mio. nur € 60 Mio. an sie zurückgeflossen sind.
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(1) Der Umfang des Schadens ergibt sich aus dem Schadensbegriff des § 249 BGB, der auch im Anwendungsbereich des § 93 Abs. 2 AktG maßgeblich ist. Nach der Differenzhypothese wird das vorhandene Vermögen der Gesellschaft mit dem verglichen, dass ohne das schädigende Ereignis - also beim Hinwegdenken des Vertragsabschlusses und der Valutierung der Darlehenssumme von € 100 Mio. und der Zeichnung der Schuldverschreibung über weitere € 100 Mio. - eingetreten wäre (vgl. BGH NJW 2011, 1962, 1963 = ZIP 2011, 529; NJW 2013, 1958, 1960 = NZG 2013, 293, 295 = AG 2013, 259, 260 = ZIP 2013, 455, 457 = DB 2013, 507, 509 = MDR 2013, 472). Ohne den Vertragsabschluss samt anschließender Auszahlung und die Zeichnung der Schuldverschreibung wäre nicht € 200 Mio. abgeflossen, von denen die O. nur € 60 Mio. zurückzahlte, weshalb die als Schaden zu wertende Differenz € 140 Mio. beträgt.
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(2) Dem kann die Zwischenschaltung der WDAI nicht entgegengehalten werden, nachdem ein bestehender Darlehensrückzahlungsanspruch der Schuldnerin gegen ihre Tochtergesellschaft nicht durchsetzbar ist. Diesem Anspruch steht nämlich die aus § 242 BGB hergeleitete Einrede der alsbaldigen Rückgewähr entgegen. Gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB verstößt nämlich auch die Ausübung einer formal bestehenden Rechtsposition, sofern der Berechtige alsbald den vorherigen Zustand wiederherstellen müsste. Mangels schutzwürdiger Interessen ist das Beanspruchen einer Leistung, die sofort zurückgewährt werden müsste, unzulässig. Damit besteht aber eine dolo agit-Einrede gegen einen Zahlungsanspruch, wenn die Leistung durch einen Schadensersatzanspruch zurückgefordert werden kann (vgl. BGHZ 116, 200, 203 f. = NJW 1992, 900, 901 = ZIP 1992, 407, 408 = BB 1992, 457, 458 = MDR 1992, 453; BGHZ 221, 229, 238 = NJW 2019, 3638, 3640 = BM 2019, 1356, 1359 = DZWIR 2019, 588, 591; NJW-RR 2007, 823, 824 f. = NVwZ 2007, 1222, 1223; NZG 2021, 230, 231 f. = ZIP 2020, 2179, 2180 = WM 2020, 2024, 2025 = DB 2020, 2292, 2293 = BB 2020, 2446, 2447 = DZWIR 2021, 289, 291 = NJW-RR 2021, 294, 295 = DStR 2020, 2619, 2620; Schubert in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. § 442 Rn. 560 f.; Looschelders/Olsen in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, § 242 Rn. 279), was hier zu bejahen ist. Der WDAI steht nämlich aufgrund des zwischen ihr als beherrschter und der Schuldnerin als herrschender Gesellschaft bestehenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ein Schadensersatzanspruch zu, weil die Weisung des Vorstands der Schuldnerin zur Ausreichung des Darlehens an die O. und zur Zeichnung der Schuldverschreibung pflichtwidrig im Sinne des § 309 Abs. 1 AktG war und die Tochtergesellschaft daher so zu stellen ist, als hätte es die Weisung nie gegeben. Besteht ein Beherrschungsvertrag, so haben die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens gemäß § 309 Abs. 1 AktG gegenüber der Gesellschaft bei der Erteilung von Weisungen an diese die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Verletzen sie ihre Pflichten, so sind sie der Gesellschaft gem. § 309 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.
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Die Weisung an die beherrschte Gesellschaft war aus den oben genannten Gründen pflichtwidrig, weil die Darlehensvergabe ebenso wie die Zeichnung der Schuldverschreibung selbst pflichtwidrig war. Für diese pflichtwidrige Weisung haftet auch die Schuldnerin, auch wenn in § 309 Abs. 1 und Abs. 2 AktG nur die gesetzlichen Vertreter genannt sind. Die Haftung des herrschenden Unternehmens wird zwar in § 309 Abs. 1 AktG nicht genannt, entspricht aber der nahezu einhellig vertretenen Auffassung (vgl. Altmeppen in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 309 Rn. 141; Veil/Walla in BeckOGK AktG, a.a.O, § 309 Rn. 37; Fett in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl. § 309 Rn. 28; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. § 309 Rn. 21; Mertens AcP 168 [1968], 225, 228 f.), ohne dass die Kammer abschließend entscheiden müsste, ob der Anspruch auf §§ 280 Abs. 1, 31 BGB wegen einer Pflichtverletzung oder auf §§ 309 Abs. 1 AktG analog, 31 BGB gestützt werden kann, weil dies im Ergebnis keinen Unterschied macht, nachdem die Haftung des herrschenden Unternehmens in jedem Fall zu bejahen ist.
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Demgemäß hat die Schuldnerin die WDAI von ihrer Darlehensschuld gegenüber der Schuldnerin freizustellen, weil der Anspruch bei Belastung mit einer Verbindlichkeit auf Befreiung der Verbindlichkeit gerichtet ist (vgl. BGH NZG 2011, 631, 633 = ZIP 2011, 816, 819 = WM 2011, 505, 508 = BB 2011, 702, 705 = MDR 2011, 435 = NJW-RR 2011, 910, 912; Oetker in: Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O., § 250 Rn. 4 und 13).
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Da von der Gesamtauszahlung von € 200 Mio. ein Betrag von € 60 Mio. an die Schuldnerin zurückgeflossen ist, beträgt der ihr entstandene Schaden € 140 Mio..
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2. Der Arrestgrund im Sinne des § 917 Abs. 1 ZPO muss gleichfalls bejaht werden. Nach dieser Vorschrift findet der dingliche Arrest statt, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Die Voraussetzungen dieser Norm müssen vorliegend bejaht werden.
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Der Beklagte zu 1) veräußerte noch im Juni 2020, als der Insolvenzantrag der Schuldnerin unmittelbar bevorstand, als verantwortlicher Geschäftsführer der Beklagten zu 2) die in deren Eigentum befindlichen Aktien in erheblichem Umfang. Damit zeigt er aber, dass er willens ist, Vermögensgegenstände beiseitezuschaffen. Allein der Umstand, dass die Veräußerung in den Tagen unmittelbar vor dem Insolvenzantrag erfolgte, zeigt die Bereitschaft des Beklagten zu 1), Vermögensverschiebungen zum Nachteil der Schuldnerin vorzunehmen. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, aufgrund von Margin Calls habe eine Verpflichtung zum Verkauf bestanden. Dieses Vorgehen über Margin Calls zeigt die Bereitschaft der Beklagten zu 2), repräsentiert durch den Beklagten zu 1), spekulative Geschäfte einzugehen. Da der Verbleib des Erlöses aus der Veräußerung der Aktien unbekannt ist, zeigt sich, dass das Vermögen so verwertet wird, dass es einer Zwangsvollstreckung in wesentlichen Teilen entzogen wird (vgl. KG WM 2003, 2294, 2296). Allein die Tatsache, dass sich der Beklagte zu 1) in Untersuchungshaft befindet, vermag am Bestehen eines Arrestgrundes nichts zu ändern. Denn die Untersuchungshaft hindert den Beklagten zu 1) weder rechtlich noch tatsächlich daran, Vermögensverfügungen gegebenenfalls über beauftrage Personen vorzunehmen (vgl. OLG München AG 2021, 849, 850).
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3. Der Arrestbefehl des Landgerichts München I vom 30.12.2021 ist nicht wegen Verstreichenlassens der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO aufzuheben. Aufgrund dieser Vorschrift ist ein Arrest innerhalb einer Frist von einem Monat zu vollziehen. Mithin muss der Antragsteller innerhalb dieser Frist Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet, die Vollstreckung muss also begonnen haben. Im Ausgangspunkt ist davon auszugehen, dass Vollstreckungsmaßnahmen, die nichtig sind, nicht in der Lage sind, diese Vollziehungsfrist auszulösen. Eine Nichtigkeit ergibt sich allerdings nicht aus der Vollziehung des Vermögensarrests durch die Staatsanwaltschaft München I, weil § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO aus den bereits genannten Gründen dem hiesigen Arrest nicht entgegensteht. Die Vollziehung des Arrestbefehls ist unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Partei, auf deren Gesuch hin er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Der Kläger, dem der Beschluss des Landgerichts München I am 3.1.2022 zugestellt wurde, hat innerhalb der am 3.2.2022 endenden Frist allerdings den Arrestbefehl vollzogen.
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a. Als Vollziehungsmaßnahme muss bereits der am 3.2.2022 dem Beklagten zu 1) wirksam zugestellte Antrag auf Vermögensauskunft im Sinne des § 802 c Abs. 1 Satz 1 ZPO gesehen werden. Aufgrund dieser Vorschrift ist der Schuldner verpflichtet, zum Zwecke der Vollstreckung einer Geldforderung auf Verlangen des Gerichtsvollziehers Auskunft unter anderem über sein Vermögen zu erteilen, wobei Voraussetzung für die Auskunftspflicht ein Vollstreckungsauftrag des Gläubigers beim Gerichtsvollzieher im Sinne des § 802 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO ist (so LG Hamburg BeckRS 2019, 35206). Es ist weithin anerkannt, dass auf Basis eines Arrestbefehls die Abnahme einer Vermögensauskunft erwirkt werden kann, weil Grundvoraussetzung einer Auskunftspflicht das Vorhandensein eines tauglichen Titels ist, wozu auch der Arrest gehören muss (vgl. LG Hamburg, Beck RS 2019, 35206; Seiler in: Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl. § 802 c Rn. 4). Die Durchführung der Vermögensauskunft innerhalb der Vollziehungsfrist kann nicht verlangt werden. Gerade angesichts der Zwei-Wochen-Frist aus § 802 f Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Begleichung der Forderung wird diese Durchführung regelmäßig erst gegen Ende, wenn nicht nach dem Ende der Vollziehungsfrist erfolgen können. Der Zweck der Auskunft liegt darin, gegebenenfalls neue, dem Gläubiger noch nicht bekannte Vermögensgegenstände aufzuspüren. Durch den so gewonnenen Überblick über vorhandene Vermögenswerte wird dem Gläubiger ein zielgerichtetes Vorgehen ermöglicht, was zu einer erheblichen Beschleunigung der Vollstreckung führen kann (vgl. Nober in: Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 802 c Rn. 3, Forbriger in: Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 802 c Rn. 2). Dann aber wäre es nicht nachvollziehbar, wenn der Gläubiger Forderungen, über die er auf diesem Weg auch nach Ablauf der Vollziehungsfrist Kenntnis erlangt hat, nicht pfänden dürfte, sondern einen erneuten Arrest beantragen müsste (vgl. LG Hamburg Beck RS 2019, 35206). Dies wäre eine mit dem Normzweck nicht vereinbare Begünstigung des Arrestschuldners, wollte man dem Arrestgläubige nach Ablauf der knapp gehaltenen Monatsfrist auf das Erfordernis verweisen, erneut einen Arrest zu erwirken. Die Vollziehungsfrist stellt sich als Merkmal des Eilcharakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens dar und wirkt als eine immanente zeitliche Begrenzung des dem Gläubiger gewährten Rechtsschutzes. Sie verhindert, dass die Arrestvollziehung unter Umständen erfolgt, die sich von denen zur Zeit der Arrestanordnung wesentlich unterscheiden und dient so dem Schutz des Schuldners (vgl. BVerfG NJW 1988, 3141; BGHZ 112, 356, 361 = NJW 1991, 496, 497 = ZIP 1991, 58, 59 = MDR 1991, 242; WM 2017, 1420 = RIW 2018, 305, 306; OLG München MDR 2021, 1486; Drescher in: Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 929 Rn. 1; G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. § 929 Rn. 2). Wenn aber der Kläger als Gläubiger einen solchen Antrag auf Auskunft noch vor dem Ende der Vollziehungsfrist stellt, macht er deutlich, dass er an dem Eilcharakter seiner Maßnahmen festhalten will. Der Gegenansicht ist daher nicht zu folgen.
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b. Abgesehen davon hat der Kläger innerhalb der Monatsfrist auch weitere Vollstreckungsmaßnahmen beantragt und damit den Arrestbefehl vollzogen, was namentlich für die Immobilie in Frankreich mit der Eintragung einer vorläufigen gerichtlichen Hypothek bereits am 28.1.2022 und in Österreich durch das Erwirken von Pfandrechtsvormerkungen für die Immobilien in Ki… und Wien-Hietzing sowie in L…gilt. Diesen Anträgen kann infolge der Unanwendbarkeit von § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO nicht die Wirksamkeit abgesprochen werden, wie bereits oben ausgeführt wurde.
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Angesichts dessen war der Arrestbefehl aufrechtzuerhalten.
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Der Arrestantrag gegen die Beklagte zu 2) ist aus den oben genannten Gründen zulässig, jedoch nicht begründet. Ein Arrestanspruch ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, wobei dies sowohl für einen auf § 826 BGB als auch für einen auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB gestützten Anspruch gilt.
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1. Ein Anspruch aus § 826 BGB ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen aufgrund dieser Vorschrift zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
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a. Zwar muss es als sittenwidrige Schädigung angesehen werden, wenn Verbindlichkeiten der Beklagten zu 2) gegenüber der Schuldnerin als Gläubigerin letztlich mit deren eigenen Mitteln beglichen werden, weil dieser dadurch liquide Mittel entzogen werden, die für den eigenen operativen Geschäftsbetrieb benötigt wurden.
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b. Allerdings ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Beklagte zu 1) als Geschäftsführer der Beklagten zu 2), die sich das Verhalten ihres Geschäftsführers über § 31 BGB zurechnen lassen muss, mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Bedingt vorsätzlich handelt, wer den als möglich erkannten pflichtwidrigen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHZ 7, 311, 313; NJW 1984, 800, 801; NJW 1986, 180, 182; NJW 2017, 2463, 2464 = WM 2017, 1400, 1402 = MDR 2017, 1011 = VersR 2017, 1091, 1092 = ZWH 2017, 379, 381 = JR 2019, 90, 93; Grüneberg-Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 276 Rn. 10). Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Staatsanwaltschaft München I entsprechend einer Pressemitteilung vom 14.03.2022 (Anlage ASt 28) auch wegen dieses Vorgehens im Zusammenhang mit der Tilgung eines Darlehens in Höhe von € 35 Mio. Anklage erhoben hat und somit von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung im Sinne des § 170 Abs. 1 StPO ausgeht und dass für die Glaubhaftmachung eines Arrestanspruchs auch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die entsprechende Behauptung zutrifft. Diese Voraussetzung ist dann, aber auch nur dann erfüllt, wenn bei der erforderlichen Würdigung der Umstände des jeweiligen Falles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen (vgl. BGHZ 156, 139, 142 = NJW 2003, 3558 = NZG 2004, 33 = WM 2003, 2155, 2156 = MDR 2004, 172, 173 = NZI 2003, 662; NJW-RR 2011, 136, 137 = MDR 2011, 68, 69; Seiler in: Thomas/Putzo, ZPO, a.a.O., § 294 Rn. 3; Prütting in: Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 294 Rn. 2). Dies lässt sich vorliegend nicht bejahen, auch wenn die Anklageerhebung berücksichtigt wird. Der Beklagte zu 1) hat eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, in der er ausführt, ihm seien keine konkreten Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen dem O.-Darlehen und der Rückzahlung des Darlehens von Herrn M. an die Beklagte zu 2) bekannt und bewusst gewesen. Vielmehr sei er im Zeitpunkt der Rücküberweisung davon ausgegangen, dass die Gelder von einem Treuhandkonto der G. stammen und die Rückzahlung seines Darlehens darstellen würden. Die vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte sind nicht geeignet, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Situation zu erbringen, dass der Beklagte zu 1) es für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, die Tilgung des Darlehens der Beklagten zu 2) erfolge unzulässigerweise aus Mitteln, die einer Kreislaufzahlung entstammen und letztlich aus Geldern der Gesellschaft erfolgt sein könne. Der vorgelegte und seinem Inhalt nach unstreitige Darlehensvertrag zwischen der Beklagten zu 2) und Herrn M. nimmt in seiner Präambel Bezug auf den gemeinsamen Erwerb einer Beteiligung im Retail e-commerce Bereich. Die Rückzahlung eines Teils des Darlehens erfolgte dann tatsächlich von einem Konto der G. Ltd.. Die Tatsache, dass die Beklagte zu 2) nicht die volle Darlehensverbindlichkeit von € 50 Mio. zurückerhielt, kann dabei sehr wohl auf der Überlegung beruhen, dass die Beklagte zu 2) wiederum nur das ihr von der Schuldnerin gewährte Darlehen in € 35 Mio. zurückzahlen musste, nachdem dieses unter Verstoß gegen §§ 112, 115 AktG ausgezahlt wurde.
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Im Einzelfall kann zwar ein Rückgriff auf Erkenntnisse einer Staatsanwaltschaft durchaus eine Glaubhaftmachung rechtfertigen, allerdings kann die Kammer aus den vorgelegten Unterlagen und Mitteln der Glaubhaftmachung, insbesondere der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I nicht erkennen, auf welche Umstände sich die Staatsanwaltschaft München I bei ihrer Anklageerhebung zur Begründung eines zumindest bedingten Vorsatzes gestützt hat und inwieweit ihr die im vorliegenden Arrestverfahren unterbreitete Einlassung des Beklagten zu 1) bekannt war. Da es sich bei dem Verfahren nach §§ 916 ff. ZPO um ein Zivilverfahren handelt, dem der Amtsermittlungsgrundsatz fremd ist, konnte nicht beurteilt werden, inwieweit die Angaben des Beklagten zu 1) im Ermittlungsverfahren widerlegt wurden und sie als reine Schutzbehauptung zu werten wären. Die Übereinstimmung jedenfalls mit der Präambel des Darlehensvertrages führt dazu, dass der bedingte Vorsatz des Beklagten zu 1) und damit die Voraussetzungen eines Arrestanspruchs gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu 2) nicht hinreichend glaubhaft gemacht sind.
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2. Dieselben Erwägungen gelten auch für einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 266 2. Alt. StGB. Derjenige, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckenden Gesetzes verstößt, ist aufgrund von § 823 Abs. 2 BGB dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Die Beklagte zu 2) muss sich dabei das Verhalten ihres Geschäftsführers über § 31 BGB zurechnen lassen. Die Vorschrift des § 266 StGB stellt sich dabei ohne jeden Zweifel als ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, weil der Straftatbestand der Untreue das Vermögen schützen soll (vgl. BGHZ 194, 26, 31 = NJW 2012 3439, 3440 = NZG 2012, 992, 993 = ZIP 2012, 1552, 1553 = WM 2012, 1591, 1593 = DB 2012, 1799, 1800; BGH NJW 2018, 3093, 3094 = ZIP 2018, 1736, 1737 = WM 2018, 1508, 1510 = ZWH 2018, 371, 373; Sprau in: Grüneberg, BGB, a.a.O., § 823 Rdn. 70).
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Allerdings verlangt auch der Tatbestand der Untreue für seine Verwirklichung die vorsätzliche Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht, wobei bedingter Vorsatz auch hier genügt (vgl. BVerfG NJW 2009, 2370, 2372 = NStZ 2009, 560, 562; BGH NStZ 1997, 543, 544; Perron in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. § 266 Rn. 49; Beukelmann in: Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 266 StGB Rn. 40). Die Kammer sieht aus denselben Gründen, wie sie oben bei §§ 826, 31 BGB dargelegt wurden und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, die Voraussetzungen eines bedingten Vorsatzes auch hier als nicht glaubhaft gemacht an.
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Angesichts dessen war der Arrest gegen die Beklagte zu 2) unter Ziffer II. des Arrestbefehls vom 30.12.2021 aufzuheben und der Antrag insoweit zurückzuweisen. Über die Auswirkungen auf die Pfändungsmaßnahmen ist in diesem Verfahren über den Widerspruch gegen den Arrestbefehl nicht zu entscheiden gewesen.
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1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO und orientiert sich am Maß des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens.
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2. Eine Änderung des auf € 30 Mio. festgesetzten Streitwerts (§ 39 Abs. 2 GKG) ist nicht veranlasst.