Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 10.05.2022 – AN 11 K 18.00883
Titel:

Wiederaufgreifen eines Verfahrens zur einem Dritten erteilten Genehmigung

Normenketten:
BayVwVfG Art. 49, Art. 51
VwGO § 42 Abs. 2
BauGB § 35
Leitsätze:
1. Eine Behörde ist nach Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG befugt, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wieder aufzunehmen und in der Sache zu entscheiden, auch wenn die strengen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nicht vorliegen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Beim rechtmäßigen Verwaltungsakt mit Drittwirkung scheidet nach Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne von vornherein aus, wenn es sich um einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt handelt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiederaufgreifen eines Verfahrens zur einem Dritten erteilten Genehmigung, Wiederaufgreifen, Genehmigung, Immissionsschutz, Mastschweinestall, Privilegierung, Durchbrechung, Rechtskraft, Unanfechtbarkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 02.12.2022 – 22 ZB 22.1544
Fundstelle:
BeckRS 2022, 12626

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
4. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt das Wiederaufgreifen eines Verwaltungsverfahrens, durch das der Beigeladenen die Genehmigung zur Erweiterung eines Schweinestalls erteilt wurde.
2
Mit Bescheid vom 2. August 2016 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Erweiterung eines bestehenden Mastschweinestalls von 1.456 Plätzen auf 2.992 Plätze auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung … In diesem Bescheid wird das Vorhaben als privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB eingestuft. Die Beigeladene habe nachgewiesen, dass sie wesentlich mehr als 50% des benötigten Futters selbst erzeugen könne. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. Februar 2017 (AN 11 K 16.01743) wurde die dagegen gerichtete Klage des Klägers abgewiesen. Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Mai 2021 (22 B 18.2189) wurde die vom Kläger dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof setzt sich in diesem Beschluss insbesondere mit der Privilegierung des landwirtschaftlichen Betriebs auseinander (Rn. 56). Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision am Bundesverwaltungsgericht eingelegt, die derzeit anhängig ist.
3
Mit Schreiben vom 22. Januar 2018 beantragte der Kläger das Wiederaufgreifen des Verfahrens. Er habe anlässlich der Akteneinsicht in den Kalenderwochen 46 und 47 des Jahres 2017 von einem Mitarbeiter des Beklagten erfahren, dass die Privilegierung des Vorhabens nicht geprüft worden sei. Der Beklagte sei nur vom Umstand der Privilegierung ausgegangen.
4
Der Beklagte führte im Rahmen der Anhörung aus, dass der Bescheid vom 2. August 2016 noch nicht - wie von Art. 51 BayVwVfG vorausgesetzt - unanfechtbar sei, da der Antrag auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof derzeit geprüft werde. Zudem sei der Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen nach Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG unzulässig, da der Kläger nicht außerstande gewesen sei, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verwaltungsverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen. Den bisherigen Bevollmächtigten des Klägers sei mit Schreiben vom 3. August 2015 eine Kopie der Stellungnahme des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 30. Juni 2015 versandt worden, in welcher die Privilegierung geprüft worden sei. Somit hätte es dem Kläger bekannt sein müssen, dass eine Prüfung der Privilegierung stattgefunden habe.
5
Darauf erwiderte der Kläger, dass er während des Genehmigungsverfahrens nicht habe wissen können, was der Beklagte prüft und was nicht. Er habe keine Möglichkeit gehabt, auf das laufende Genehmigungsverfahren einzuwirken. Erst durch die Erteilung der Genehmigung habe ihm die Möglichkeit der Klage offen gestanden. Bis zur Akteneinsicht, die er zusammen mit seinem Bruder vorgenommen habe, sei er davon ausgegangen, dass der Beklagte die Frage der Privilegierung selbst geprüft habe. Tatsächlich habe das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten diese Prüfung vorgenommen. Die Privilegierungsvoraussetzungen seien aus den Genehmigungsunterlagen nicht ersichtlich. Es sei nicht belegt, dass die Voraussetzungen der ausreichenden Eigentums- und Pachtflächen (mit einer längeren Pachtdauer von 12 - 15 Jahren) bei der Beigeladenen vorlägen. Für eine Privilegierung als Landwirt müsse mindestens die Hälfte des benötigten Futters auf diesen Futterflächen erzeugt werden können. Hilfsweise verweise er auf die § 48 und § 49 VwVfG Mit Bescheid vom 4. April 2018 lehnte der Beklagte den Antrag auf Wiederaufgreifen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens zur Erweiterung eines bestehenden Mastschweinestalls auf dem Grundstück Flur-Nr. …, Gemarkung …, ab. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass es dem Kläger aufgrund des Versands der Stellungnahme des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 30. Juni 2015 an seinen damaligen Bevollmächtigten und des Genehmigungsbescheids an ihn selbst hätte bekannt sein müssen, dass eine Prüfung der Privilegierung stattgefunden habe. Demzufolge seien durch den Kläger keine neuen Beweismittel vorgelegt worden. Die Einwände hätten im Rechtsbehelfsverfahren geltend gemacht werden müssen. Der Antrag auf Wiederaufgreifen sei unzulässig. Zudem sei der Genehmigungsbescheid noch nicht bestandskräftig und damit nicht unanfechtbar. Ebenfalls seien die materiellen Voraussetzungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht erfüllt. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sei vom Beklagten als Genehmigungsbehörde unter Beteiligung des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das die landwirtschaftliche Privilegierung bestätigt habe, umfassend geprüft worden. Es sei insbesondere dargelegt worden, dass mehr als 50% des benötigten Futters von der Beigeladenen selbst erzeugt werden könne. Neue Beweismittel, die die durchgeführte Prüfung in Frage stellen könnten, seien nicht vorgetragen worden.
6
Mit bei Gericht am 9. Mai 2018 eingegangenen Schreiben ließ der Kläger Klage erheben. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Beklagte nicht geprüft habe, ob der Mastschweinestall privilegiert im Außenbereich zulässig sei. Dies stelle einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der durch das Wiederaufgreifen des Verfahrens korrigiert werden könnte. Der Beklagte habe sich ausschließlich auf eine rein fachliche Stellungnahme des Amts für Landwirtschaft verlassen, das mangels Besetzung mit Juristen gar nicht in der Lage sei, eine rechtliche Beurteilung und Bewertung abzugeben. Wäre das Vorhaben nicht als privilegiert einzustufen, gelte es als gewerblich, so dass der Genehmigungsantrag hätte abgelehnt werden müssen mit der Folge, dass es zu keinen belästigenden Immissionen für den Kläger gekommen wäre. Tatsächlich habe der Kläger aus der Akteneinsicht Erkenntnisse darüber, dass die Beigeladene nicht über ausreichende eigene bzw. langfristig gepachtete Flächen zur Herstellung der Futtermittel verfüge. Die neuen zu berücksichtigenden Tatsachen seien, dass das Amt für Landwirtschaft keine rechtliche Prüfung und zudem eine fehlerhafte Einschätzung zum Vorliegen einer Privilegierung erstellt habe. Es liege den Akten keine Auflistung der Grundstücksflächen und /-größen zur Ermittlung des Sachverhalts bei. Durch das Wiederaufgreifen des Verfahrens könnte für den Kläger eine günstigere Rechtsposition erreicht werden. Wäre das Vorhaben nicht als privilegiert einzustufen, so könnte man im Rahmen der Abwägung eine Überschreitung von 25% des nach der Geruchsimmissions-Richtlinie maßgeblichen Immissionsrichtwerts von 15% Geruchsstunden/Jahr ausnahmsweise nicht begründen. Der neue Sachverhalt wirke sich demnach auf drittschützende Rechte des Klägers (Geruchsbelastung) aus. Der Außenbereich sei grundsätzlich von Bebauung, vor allem Gewerbe, freizuhalten. Zudem habe der durchgeführten UVP-Prüfung im Einzelfall, die nach Nr. 7.7.3 der Anlage 1 UVPG als standortbezogene Vorprüfungspflicht im Einzelfall erforderlich gewesen sei, der rechtsfehlerhafte Sachverhalt der Privilegierung zu Grunde gelegen. Dies könne Auswirkungen auf die rechtliche Einschätzung haben. Der Kläger habe einen Anspruch auf ordnungsgemäße Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG.
7
Der Kläger beantragt,
I. Der Bescheid vom 4. April 2018 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, das Genehmigungsverfahren über die Erweiterung eines bestehenden Mastschweinestalls auf FlNr. … der Gemarkung …, Gemeinde …, A. … GbR, das gemäß Genehmigungsbescheid vom 2. August 2016 abgeschlossen worden war, wieder aufzugreifen,
hilfsweise wird beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, rechtsfehlerfrei unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts neu über den Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zu entscheiden.
8
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.
9
Im vorliegenden Genehmigungsverfahren im Außenbereich sei das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als zuständige Fachstelle zur Frage der Privilegierung beteiligt worden. Laut dessen Stellungnahme vom 30. Juni 2018 (richtig: 2015) sei eine Privilegierung gegeben, da wesentlich mehr als 50% des benötigten Futters selbst erzeugt werden können. Es sei dargelegt worden, dass 270 ha Marktfruchtbau zur Deckung des vollständigen Futterbedarfs benötigt werden. Der Bauwerber habe eine Flächenausstattung von 538 ha LF (landwirtschaftliche Nutzfläche) bzw. 369 ha LF in Bayern nachweisen können. Auch nach der von der Unteren Bauaufsichtsbehörde durchgeführten Prüfung sei das Vorhaben als privilegiert, und nicht als gewerblich einzustufen (Stellungnahme vom 20. August 2018). Beide Stellungnahmen seien vom Beklagten einer rechtlichen Würdigung unterzogen worden. Es habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, diesen zu widersprechen. Entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten sei im Genehmigungsverfahren aufgrund der Anzahl der Mastplätze keine standortbezogene Vorprüfung nach Ziffer 7.7.3 der Anlage 1 zum UVPG, sondern eine allgemeine Vorprüfung nach Ziffer 7.7.2 erforderlich gewesen. Diese habe ergeben, dass das Vorhaben mangels erheblicher nachteiliger Umweltauswirkungen keiner Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf. Der Genehmigungsbescheid vom 2. August 2016 sei nicht unanfechtbar, da derzeit über die Zulassung des förmlich eingelegten Rechtsbehelfs der Berufung gerichtlich entschieden werde. Im Berufungsverfahren würden auch sachliche Belange geprüft werden. Der Kläger hätte zudem seine Zweifel an der Privilegierung des Vorhabens im Genehmigungs- oder Klageverfahren vortragen können, so dass die Voraussetzungen nach Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG nicht vorlägen.
10
Die mit Beschluss vom 27. Januar 2022 notwendig Beigeladene beantragt
Klageabweisung.
11
Zu Recht gehe der Beklagte davon aus, dass keine neuen Beweismittel nach Art. 51 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG vorlägen. Etwaige Einwände hätten schon im Rechtsbehelfsverfahren geltend gemacht werden können. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sei vom Beklagten unter Beteiligung des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten umfassend geprüft worden.
12
In der mündlichen Verhandlung führte der Klägerbevollmächtigte insbesondere aus, dass seines Erachtens die Privilegierung der Beigeladenen - ausgehend von einer Bestätigung des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - durch den Beklagten nicht geprüft worden sei. In den eingesehenen Akten seien keine Pachtverträge enthalten. Es sei davon auszugehen, dass keine Pachtverträge für eine Fläche von 500 ha vorliegen. Zudem sei zwar von Gesetzes wegen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens das Vorliegen eines unanfechtbaren Verwaltungsakts Voraussetzung, jedoch müsse erst recht ein Wiederaufgreifen möglich sein, wenn keine Unanfechtbarkeit vorliegt.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und beigezogene Behördenakte sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

14
Die zulässige Klage ist im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung an die Beigeladene.
I.
15
Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage gemäß § 113 Abs. 5 VwGO zulässig. Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Kläger klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO ist. An der Klagebefugnis fehlt es nur dann, wenn unter Zugrundelegung des Vorbringens des Klägers offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise dessen subjektive Rechte verletzt sein können (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2003 - 3 C 15.03 - NJW 2004, 698; U.v. 7.5.1996 - 1 C 10/95 - BVerwGE 101, 157, juris Rn. 22 m.w.N.). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger das Wiederaufgreifen eines Verfahrens begehrt, durch das der Beigeladenen ein begünstigender Verwaltungsakt - eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung - erteilt wurde, so dass letztlich die Konstellation einer Drittanfechtung gegeben ist. Alleine die klägerische Geltendmachung der fehlenden Privilegierung der Beigeladenen nach § 35 BauGB führt nicht zur möglichen Verletzung einer drittschützenden Norm, denn § 35 BauGB hat keine allgemein nachbarschützende Funktion (BVerwG, B.v. 3.4.1995 - 4 B 47.95 - juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 28.7.2017 - 22 ZB 16.2119 - juris Rn.15). Erforderlich für eine Klagebefugnis ist eine wehrfähige Position, die schützenswert ist und die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots (§ 35 Abs. 3 BauGB) zu berücksichtigen ist. Der Kläger macht neben der fehlenden Privilegierung geltend, dass er aufgrund des Vorhabens der Beigeladenen unzumutbaren Umwelteinwirkungen in Form von Immissionen ausgesetzt ist (§ 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG), da die zu Grunde zu legende Geruchsstundenhäufigkeit nach der Geruchsimmissions-Richtlinie überschritten sei. Unabhängig von der Frage, welche Werte zu berücksichtigen sind und ob im konkreten Einzelfall die Zumutbarkeitsschwelle unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände, insbesondere der Schutzwürdigkeit des klägerischen Anwesens, tatsächlich überschritten ist, so macht der Kläger mit diesem Vortrag geltend, in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf Rücksichtnahme verletzt zu sein, so dass von einer Klagebefugnis auszugehen ist. Diese geltend gemachte Verletzung ist nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, da der Kläger aufgrund der Situierung seines Grundstücks vom Vorhaben der Beigeladenen ausgehenden Immissionen ausgesetzt sein kann, die über die Zumutbarkeitsgrenze hinausgehen.
II.
16
Die Klage ist im Hauptantrag unbegründet. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinn nach Art. 51 Abs. 1 - 4 BayVwVfG liegen nicht vor, so dass kein gebundener Anspruch des Klägers darauf gegeben ist. Der klägerische Antrag ist weder zulässig (s. unten 1. und 2.) noch begründet (s. unten 3.). Zu beachten ist, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rechtsinstitut der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens eine typische Ausprägung der Konfliktsituation zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit zu sehen ist. In diesem Rechtsinstitut wird um des Grundsatzes der materiellen Gerechtigkeit willen das Prinzip der Rechtssicherheit durchbrochen. Dabei wirkt sich jedoch dieses Prinzip dahin aus, dass die Durchbrechung an eine eng begrenzte Anzahl besonderer Ausnahmetatbestände gebunden ist (vgl. BVerfG, B.v. 13.2.2019 - 2 BvR 2136/17 - NJW 2019, 1590, juris Rn. 20). Art. 51 BayVwVfG trifft eine verfahrensrechtliche Regelung zu den Voraussetzungen für die Durchbrechung der Rechtskraft. Dabei handelt es sich um einen notwendigen Zwischenschritt auf dem Weg zum eigentlichen Ziel des Betroffenen: der Korrektur des unanfechtbaren Verwaltungsakts durch eine neue, ihm günstigere Verwaltungsentscheidung (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2021, § 51 VwVfG Rn. 5). Maßgeblich ist insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. Falkenbach in BeckOK VwVfG, Stand 1.1.2022, § 51 Rn. 64).
17
1. Der Verwaltungsakt, dessen Änderung oder Aufhebung der Kläger begehrt, die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 2. August 2016, ist für den Kläger nicht unanfechtbar im Sinne von Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG. Die Frage der Unanfechtbarkeit ist nicht allgemein, sondern bezogen auf den jeweiligen Betroffenen zu klären. Relevant ist, ob der Verwaltungsakt für ihn unanfechtbar ist. Der Grund der Unanfechtbarkeit ist nicht erheblich (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 51 Rn. 79, 87). Unanfechtbar bedeutet, dass der Verwaltungsakt nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angreifbar ist (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 51 VwVfG Rn. 36). Der Kläger hatte Klage gegen den Bescheid vom 2. August 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach (AN 11 K 16.1742) erhoben. Diese Klage wurde mit Urteil vom 8. Februar 2017 abgewiesen. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde durch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 7. Mai 2021 zurückgewiesen (22 B 18.2192). Gegen dieses Urteil hat der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt, die derzeit noch anhängig ist. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Gerichts ist somit der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung der Kläger begehrt, Gegenstand eines anderweitig rechtshängigen Rechtsstreits und nicht unanfechtbar. Damit fehlt eine notwendige Voraussetzung für ein Wiederaufgreifen nach Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG. Dem vom Klägerbevollmächtigten vorgebrachten Einwand, bei einem anfechtbaren Verwaltungsakt müsse erst recht ein Wiederaufgreifen möglich sein, kann nicht gefolgt werden, da der Wortlaut des Art. 51 BayVwVfG - vor allem auch unter Berücksichtigung der anderslautenden Formulierung in Art. 48, 49 BayVwVfG - eindeutig ist.
18
2. Zudem scheitert die Zulässigkeit des Antrags des Klägers auf Wiederaufgreifen auch an der Präklusionsvorschrift des Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG. Danach ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Schon durch den Wortlaut „insbesondere durch Rechtsbehelf“ wird deutlich, dass unter Verfahren in diesem Zusammenhang nicht der Begriff des Verwaltungsverfahrens nach Art. 9 BayVwVfG zu verstehen ist, sondern das gesamte Verfahren bis zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts. Hieraus folgt auch die Verpflichtung, neue Tatsachen und Beweismittel mit noch möglichen Rechtsbehelfen geltend zu machen (vgl. NdsOVG, B.v.10.8.1988 - 21 B 423/88 - NVwZ-RR 1989, 276, 277). Der Kläger trägt vor, dass die Frage der Privilegierung der Beigeladenen nicht ausreichend geprüft worden sei. Dies habe er im Rahmen einer Akteneinsicht beim Beklagten Ende des Jahre 2017 festgestellt. Zudem liege tatsächlich keine Privilegierung der Beigeladenen vor. Die Frage der Privilegierung der Beigeladenen machte der Kläger schon im Rechtsmittelverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geltend, der sich in seinem Urteil vom 7. Mai 2021 eingehend damit auseinandersetzt (Rn. 56). Der Kläger nutzte daher die ihm zustehende Möglichkeit, die im streitgegenständlichen Verfahren vorgebrachten Gründe, die aus seiner Sicht gegen den Fortbestand des Genehmigungsbescheids sprechen, im förmlichen Rechtsbehelfsverfahren geltend zu machen. Er konnte sie vorbringen und hat sie auch tatsächlich vorgebracht. Damit ist die Voraussetzung des Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG nicht erfüllt.
19
3. Zudem liegt keiner der in Art. 51 BayVwVfG abschließend genannten Wiederaufgreifensgründe vor, so dass der Antrag auf Wiederaufgreifen des Klägers auch unbegründet ist. Allein in besonders gravierenden Fällen wird das Zurücktreten materieller Gerechtigkeit gegenüber der Bestands- bzw. Rechtskraft von Hoheitsakten als so unerträglich angesehen, dass das Gesetz den Konflikt zugunsten des Prinzips der materiellen Gerechtigkeit löst und dem Betroffenen einen Anspruch auf neue Sachentscheidung zugesteht (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1994 - 2 C 12/92 - NJW 1995, 388). Wiederaufgreifensgründe nach Art. 51 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG entsprechend § 580 ZPO wurden vom Kläger weder geltend gemacht noch sind diese ersichtlich. Ebenso wurden vom Kläger keine neuen Beweismittel nach Art. 26 BayVwVfG vorgelegt (Art. 51 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG). Eine nachträgliche Änderung der dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage (Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG) wurde ebenso wenig geltend gemacht. Insbesondere reicht hierfür nicht aus, dass eine bereits vor dem Erlass des Verwaltungsakts gegebene Sach- oder Rechtslage nachträglich bekannt wird (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 51 Rn. 90). Schon nach dem klägerischen Vortrag liegt keine Änderung der Sachoder Rechtslage in diesem Sinne vor. Denn es wird geltend gemacht, dass die Beigeladene nicht privilegiert sei, dass noch nie eine Privilegierung vorgelegen habe. Es wird gerade nicht erklärt, dass sich die Umstände der Privilegierung geändert hätten. In diesem Zusammenhang ist auch das Vorbringen, dass keine ordnungsgemäße Prüfung der Privilegierung durchgeführt worden sei, nicht durchgreifend. Dies schon deswegen, da - bei Wahrunterstellung dieses Vortrags - diese Sachlage schon vor dem Erlass des Genehmigungsbescheids vorgelegen hätte und lediglich nachträglich bekannt geworden wäre. Es liegt damit kein Sachverhalt vor, der es rechtfertigen könnte, die (derzeit noch nicht eingetretene) Rechtskraft des Genehmigungsbescheids mit einem Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne zu durchbrechen.
III.
20
Der Hilfsantrag, der darauf gerichtet ist, dass der Beklagte rechtsfehlerfrei unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über den Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen zu entscheiden hat, ist unbegründet. Die zulässige innerprozessuale Bedingung ist eingetreten, da der Hauptantrag des Klägers keinen Erfolg hat (s. oben, I.).
21
Die Kammer legt den Hilfsantrag gemäß § 88 VwGO i.V.m. §§ 133, 157 BGB dahingehend aus, dass das klägerische Begehren gerichtet ist auf ein sogenanntes Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne nach Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG und damit auf eine ermessensgerechte Ausübung der Aufhebungsbefugnis (vgl. zur Begrifflichkeit Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 51 Rn. 16). Nach Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG bleiben die Vorschriften des Art. 48 Abs. 1 Satz 1 und des Art. 49 Abs. 1 unberührt. Für ein Wiederaufgreifen in diesem Sinne sind die Voraussetzungen des Art. 51 BayVwVfG nicht zu prüfen (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2009 - 1 C 15.08 - juris). Eine Behörde ist befugt, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wieder aufzunehmen und in der Sache zu entscheiden, auch wenn die strengen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nicht vorliegen (vgl. Müller in Huck/Müller, VwVfG, 3. Auflage 2020, § 51 Rn. 19). Mit der im Ermessen der Behörde liegenden Befugnis zum Wiederaufgreifen eines rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gem. Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG korrespondiert ein Anspruch des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. BVerwG, U.v. 21. 3. 2000 - 9 C 41/99 - juris Rn.10, NVwZ 2000, 940). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass mit dem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne die Änderung eines einen Dritten begünstigenden Verwaltungsaktes, nämlich die der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, begehrt wird. Diese Genehmigung ist rechtmäßig (vgl. BayVGH, U.v. 7.5.2021 - 22 B 18.2192), so dass sich die Möglichkeit der Aufhebung nach Art. 49 BayVwVfG richtet. Nachdem es sich bei der Genehmigung um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung handelt, ist Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG nicht anwendbar. Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG, der in einer solchen Konstellation zur Anwendung kommen müsste, ist jedoch nicht vom Verweis des Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG umfasst. Beim rechtmäßigen Verwaltungsakt mit Drittwirkung scheidet damit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne von vornherein aus, wenn es sich um einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt handelt (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 51 VwVfG Rn. 102 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 28.2.1997 - 1 C 29/95 - BVerwGE 104, 115, 122, juris Rn. 26). Ein Ermessen des Beklagten ist damit nicht eröffnet. Ein Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Genehmigungsverfahrens besteht daher nicht.
IV.
22
Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat sich durch Antragstellung einem Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.