Titel:
Nutzungsänderung einer Pizzeria in eine Pizzeria mit Lieferservice
Normenketten:
BauGB § 30
BauNVO § 4
BayBO Art. 55
Leitsätze:
1. Ein schwerpunktmäßig betriebener Pizzalieferservice verlässt die Variationsbreite einer bestehenden Baugenehmigung einer Schank- und Speisewirtschaft in Form einer Pizzeria und bedarf der Baugenehmigung. (Rn. 23 – 30)
2. Bei der Beurteilung, ob der Betrieb „der Versorgung des Gebiets dienend“ i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO anzusehen ist, darf sich grundsätzlich nicht auf den Geltungsbereich des Bebauungsplans beschränkt werden. Jedoch ist die fußläufige Erreichbarkeit ein wesentliches Beurteilungskriterium. (Rn. 32)
3. Der weit auszulegende Begriff des Ladens i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO beinhaltet regelmäßig, dass entsprechend des Betriebskonzepts mit einem schwerpunktmäßigen Publikumsverkehr in den Ladenräumlichkeiten zu rechnen ist (Rn. 35)
Schlagworte:
Abgrenzung Pizzeria zu Pizzalieferservice, Schank- und Speisewirtschaft, Laden, der Versorgung des Gebiets dienend, Grundzüge der Planung, Nutzungsänderung, Variationsbreite, Kundenverkehr in den Ladenräumlichkeiten
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.04.2023 – 9 ZB 22.1495
Fundstelle:
BeckRS 2022, 12583
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erteilung einer zuvor versagten Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von Pizzeria in Pizzeria mit Lieferservice des Anwesens S* … Straße * in …, Grundstück Fl.Nr. … - Gemarkung … Das streitgegenständliche Vorhaben liegt im Bereich des qualifizierten Bebauungsplanes Nr. … der Beklagten vom 3. Juli 1967, der hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet gem. § 4 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) vorsieht. Ausnahmsweise nach § 4 Abs. 3 BauNVO zulässige Nutzungen wurden mit Ausnahme einer mit Baugrenzen festgelegten Tankstelle im Bebauungsplan ausgeschlossen. Am konkreten Vorhabenstandort sieht der Bebauungsplan die Nutzung als Laden vor.
2
Mit Bescheid vom 16. Mai 1967 genehmigte die Beklagte erstmalig die streitgegenständlichen Räumlichkeiten als eingeschossigen Anbau an die bestehenden Wohngebäude zur Nutzung als Laden. Mit Bescheid vom 16. Januar 1976 genehmigte die Beklagte die Nutzungsänderung in eine „Gast- und Schankwirtschaft“ bzw. den „Einbau einer Pizzeria“. Bis zum 7. Dezember 2019 erfolgte auch eine Nutzung zuerst als Pizzeria und zuletzt als türkisches Restaurant mit 41 bzw. 42 Innenraumgastplätzen und 48 Sitzplätzen in der Außengastronomie.
3
Mit Formblättern und Eingabeplänen vom 25. Mai 2020 sowie Betriebsbeschreibungen vom 8. April und 25. Mai 2020 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Baugenehmigung bei gleichzeitiger Erteilung einer Befreiung gem. § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) für o.g. Vorhaben. Entsprechend der Bau- und Betriebsbeschreibungen seien im Gastraum mit einer im Vergleich zur vorhergehenden gastronomischen Nutzung reduzierten Fläche von 40,37 m² (zuvor: etwa 91 m²) zwölf Gastplätze und im Außenbereich 16 Gastplätze vorgesehen. Die Öffnungszeiten seien ganzwöchig von 10:00 Uhr bzw. 11:00 Uhr bis 22:30 Uhr. Vor Ort sei kein Alkoholausschank vorgesehen. Im Gegensatz zum klassischen Restaurant oder Barbetrieb wolle der neue Betreiber neben einem Verzehr vor Ort auch einen Lieferservice für die direkt benachbarten Anwohner anbieten. Die Bestellung könne nicht nur vor Ort, sondern auch per Telefon oder Internet erfolgen. Die Auslieferung sei mit insgesamt drei Fahrzeugen und drei Fahrrädern geplant. Der Betrieb erfolge in zwei Schichten mit jeweils maximal fünf Mitarbeitern. Der große Gastraum sei zugunsten von besseren Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter durch eine leichte Trennwand in eine größere Küche und einen kleineren Gastraum umgebaut worden. Die verwendeten Rohstoffe zeichneten sich durch einen hohen Convinience-Grad aus und würden fast ausnahmslos zubereitungs- und garfertig angeliefert.
4
Der Befreiungsantrag nach § 31 Abs. 2 BauGB wurde dahingehend begründet, dass die Klägerin mit Schreiben vom 13. März 2020 zur Erstellung eines Bauantrags zur Nutzungsänderung aufgefordert worden sei. Es gehöre heute zum typischen Erscheinungsbild von Pizzerien, dass diese zusätzlich zum Verzehr der Speisen vor Ort in gewissem Umfang das Speisen-Angebot auch ins Haus liefern würden. Dies entspreche den heutigen Lebensgewohnheiten und würde auch von der Wohnbevölkerung im unmittelbaren Nahbereich wahrgenommen werden. Da auch der Verzehr an Ort und Stelle vorgesehen sei, falle der Betrieb entsprechend der Beschreibung auch unter den Begriff der Schank- und Speisewirtschaft. Aus Sicht des Klägers liege daher keine Nutzungsänderung vor. Die Antragstellung erfolge daher rein vorsorglich. Es liege eine rechtskräftige Baugenehmigung zur Nutzung als Pizzeria aus dem Jahr 1976 vor. Die Nutzungsänderung könne sich daher nur auf den zusätzlichen Lieferservice beziehen. Der Lieferservice einer Pizzeria sei von der einschlägigen BauNVO aus dem Jahr 1962 nicht explizit ausgeschlossen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplans habe ein Lieferservice auch noch nicht zum üblichen Erscheinungsbild gehört. Durch die Reduzierung der Gasplätze von 42 auf zwölf im Innenraum und von 48 auf 16 im Außenbereich reduziere sich der Besucherverkehr bzw. werde durch den Lieferverkehr zumindest nicht erhöht. Die Auslieferung erfolge mit drei Pkw und drei E-Bikes. Es gebe kein Alkoholausschank. Daher sei auch mit einer Geräuschreduzierung gegenüber der klassischen Schank- und Speisewirtschaft zu rechnen. Zum anderen befinde sich die Gewerbeeinheit am Rand des Plangebiets an einer sehr stark frequentierten Hauptverkehrsader, der A* … Straße. Die Geräuschemissionen ordneten sich dem vorhandenen Schallpegel unter. Sofern die Beklagte davon ausgehe, dass die vorgesehene Nutzung den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entspreche, lägen die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Baugesetzbuch (BauGB) vor. Zumindest die Voraussetzungen von § 31 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauGB seien gegeben. Da Versorgungseinrichtungen mit angeschlossenem Lieferservice zum Erlass des Bebauungsplans im Jahr 1967 nicht vorhanden bzw. nicht verbreitet gewesen seien, sei angesichts der Lage zumindest die Härtefallregelung in Ansatz zu bringen.
5
Aufgrund einer Mitteilung der Beklagten zur beabsichtigten Ablehnung des Bauantrags mit Schreiben vom … 27. Juli 2020 nahm der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 21. September 2020 dahingehend Stellung, dass die Einschätzung nicht geteilt werde, dass das Vorhaben nicht der Versorgung des Gebiets diene und demzufolge nicht den Schank- und Speisewirtschaften zugeordnet werden könne. Es finde als Teil des Konzeptes eine Versorgung vor Ort im Rahmen einer Innen- und Außenbewirtschaftung statt. Entsprechend der heutigen Lebensgewohnheiten nehme der Betrieb eine Versorgungsfunktion für ein weitreichendes Wohnumfeld in Form des Verzehrs vor Ort oder zu Hause wahr, insbesondere um (kurzfristig) auf das Zubereiten von warmen Mahlzeiten im eigenen Haushalt verzichten zu können. Aus der geringen Zahl der zur Verfügung stehenden Sitzplätze ergebe sich weiter, dass der Betrieb nicht auf einen erheblich weiterreichenden Besucherkreis ausgerichtet sei. Der Umstand, dass das Vorhaben auch einen Lieferdienst biete, stehe der Qualifizierung als einem gebietsbezogenen „Versorgungsstützpunkt“ nicht entgegen. Verwiesen werde beispielsweise auf die Pizzeria … in unmittelbarer Nähe zum Vorhaben, welche sich ebenfalls in einem allgemeinen Wohngebiet befinde. Gerade auch die aktuelle Lage im Zusammenhang mit der Pandemie zeige, dass für einen entsprechenden Lieferdienst gebietsbezogener Bedarf vorhanden sei. Auch werde der gleichfalls gestellte Befreiungsantrag außer Acht gelassen. Es komme eine ausnahmsweise Zulassung in Betracht. Das Störpotenzial des Betriebs sei gering und sei auch angesichts der Vorbelastung im Wohngebiet mit dem Charakter des Wohngebiets vereinbar. Das Vorhaben befinde sich an einer sehr stark befahrenen Straße und sei damit erheblich vorbelastet. Die Auslieferung erfolge mit E-Bikes und vorzugsweise mit elektrischen Kfz. Insbesondere auch aufgrund der Reduzierung der Gasplätze sei mit einer Geräuschreduzierung zu rechnen.
6
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2020 (Az. …*) versagte die Beklagte der Klägerin die Erteilung der beantragten Baugenehmigung (Nr. 1). Zugleich erlegte sie die Kosten des Verfahrens der Klägerin auf (Nr. 2). Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass explizit eine Nutzungsänderung vom Pizzeria zu Pizzalieferservice beantragt worden sei. Die Aufenthaltsquantität des Gastraumes sei durch den Umbau minimiert worden, was ebenfalls auf eine Reduzierung des Gebietsbezuges schließen und einen erhöhten Abholverkehr (ähnlich einem Imbiss) erwarten lasse. Ein Lieferservice sei im allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich nicht zulässig. Die Rechtsprechung besage unstrittig, dass ein Imbiss nicht der Versorgung des Gebiets dienender Schank- und Speisewirtschaften zugeordnet werden könne. Folglich sei das Vorhaben als störender Gewerbebetrieb zu beurteilen und planungsrechtlich unzulässig. Im Übrigen wird hinsichtlich der Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids verwiesen.
7
Gegen den am 4. November 2020 zugestellten Bescheid hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten am 27. November 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erheben lassen.
8
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 22. März 2021 im Wesentlichen das im Verwaltungsverfahren Vorgetragene vertieft und darüber hinaus ausgeführt, dass entgegen der Auffassung der Beklagten das Vorhaben nicht den Charakter eines Imbisses habe, sodass die darauf bezogene Rechtsprechung nicht einschlägig sei. Negiert werde, dass eine unstrittig zulässige Innen- und Außengastronomie betrieben werde. Auch werde die erheblich vorbelastete Lärmsituation am Rande des Baugebiets aufgrund der viel befahrenen Straße sowie der geänderten Lebensgewohnheiten und verbreiteten Lieferangebote von Speisewirtschaften im Vergleich zum Zeitpunkt des Erlasses der Baunutzungsverordnung im Jahr 1962 verkannt. Verwiesen werde insoweit auf die Rechtsprechung des OVG Münster aus dem Jahr 2001 (Urteil vom 2.3.2001 - 7 A 2432/99). Es könne nicht allein auf das Bedürfnis der Versorgung des Bebauungsplangebiets abgestellt werden, sondern dass Wohnumfeld sei hier weiter zu ziehen. Dies gelte gerade im Hinblick auf die Randlage des Vorhabens im Bereich des einschlägigen Bebauungsplans. Auch die Bevölkerung in den Gebieten außerhalb des Geltungsbereiches könnten hierdurch versorgt werden. Gehe man davon aus, dass auch Fast-Food-Restaurants mit separatem Autoschalter vom Regelungsbereich des § 4 BauNVO erfasst würden, könne nichts anderes für das hier zu entscheidende Vorhaben gelten. Zu Unrecht sei auch der Befreiungsantrag nicht berücksichtigt worden. Die Grundzüge der Planung würden nicht berührt. Die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse seit der Planaufstellung hätten sich nämlich derart verändert, dass die dem Willen der planenden Gemeinde zugrunde liegenden Erwägungen nicht mehr tragfähig seien. Gerade die Verwaltungsakte zeige, dass allein durch den Betrieb der Gastronomie in der Vergangenheit Störungen aufgetreten seien, die aber der zulässigen Nutzung immanent seien; dies sei vom Verordnungsgeber hingenommen worden. Sofern darauf abgestellt werde, dass auch durch selbstabholende Kunden ein gesteigerter Verkehr zu erwarten sei, verkenne die Beklagte, dass auch Ladengeschäfte im allgemeinen Wohngebiet zulässig seien. Wenn die Beklagte auf den Internetauftritt der Klägerin und den darin enthaltenen Lieferservice hinweise und daraus den fehlenden Gebietsbezug schlussfolgere, sei auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.1.1993 hingewiesen. Darin werde ausgeführt, dass eine Schank- und Speisewirtschaft nicht zulässig sei, die keinerlei Bezug zum Wohnumfeld aufweise. Vorliegend gäbe es jedoch keine Anhaltspunkte, dass die Nutzung des Objekts durch die Anwohner des naheliegenden Wohngebiets nicht erfolge. Erfahrungsgemäß werde das Angebot zur Selbstabholung durch gebietsnahe Anwohner realisiert. Der Begriff Lieferservice beinhalte, dass gerade das nahe Umfeld beliefert werde und eben nicht das ganze Stadtgebiet. Betriebswirtschaftlich sei allenfalls eine Lieferzeit von 4-5 Minuten vertretbar. Immissionsrechtliche Anforderungen seien von der Beklagten im Genehmigungsverfahren nicht thematisiert worden, obwohl die Frage der Gebietsverträglichkeit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal im Rahmen einer Befreiungserteilung zu berücksichtigen sei. Es sei bereits aus diesem Grunde von einem Ermessensfehlgebrauch auszugehen.
9
Mit weiteren Schriftsatz vom 18. Januar 2022 ergänzte die Klägerin, dass aus einer von ihr erhobenen Statistik über die bislang erzielten Umsätze etwa 83% in einem Umkreis von unter 3 km ausgeliefert würden. Der Gebietsbezug könne dem Vorhaben daher keinesfalls abgesprochen werden. In anderen Regionen der Bundesrepublik sei es gängige Praxis, dass Lieferdienste in vergleichbaren Gebieten genehmigt würden. So sei derzeit auch eine Baugenehmigung sogar in einem reinen Wohngebiet in Aussicht gestellt worden. Ursprünglich sei ein Ladengeschäft betrieben worden, welches im Nachgang zu einer Gaststätte mit Außenbewirtung umgenutzt worden sei. Auch dies habe die Grundzüge der Planung nicht berührt. Das Grundkonzept der Planung sei auch von der Beklagten nicht dargestellt worden, sodass hierzu keine Stellung bezogen werden könne. Soweit das Gericht nicht von einer Schank- und Speisewirtschaft ausgehe, müsse immer noch die ausnahmsweise Zulassung als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in Betracht gezogen werden. Auch habe die Beklagte an anderer Stelle im Ortsteil … in allgemeinen Wohngebieten zwei vergleichbare Gewerbebetriebe zugelassen, sodass es durchaus deren Genehmigungspraxis entspreche, trotz Festsetzung allgemeiner Wohngebiete Imbisse und ähnliche Gastronomiebetriebe zu genehmigen. Bereits wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung sei daher die Verweigerung der Baugenehmigung nicht aufrechtzuerhalten.
10
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 30. Oktober 2020 der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
11
Die Beklagte beantragt,
12
Zur Begründung führt die Beklagte an, dass eine Nutzungsänderung erforderlich sei, da die Variationsbreite der bisherigen baurechtlichen Genehmigung als Schank- und Speisewirtschaft den beantragten Lieferservice nicht mit umfasse. Entsprechend der Bauantragsunterlagen zur Baugenehmigung vom 16. Januar 1976 ergebe sich nichts für einen Lieferservice, sondern lediglich für einen Verzehr der Speisen ausschließlich vor Ort. Nicht maßgeblich sei, dass bei dem Vorhaben auch (theoretisch) ein Verzehr vor Ort möglich sei. Entscheidend sei allein der tatsächliche Betrieb. Dies gehe bei der Klägerin eindeutig in Richtung Lieferdienst. Beim Internetauftritt der Klägerin werde in keiner Weise auf die Möglichkeit eines Verzehrs vor Ort hingewiesen. Alle Umstände deuteten auf den Schwerpunkt als Lieferservice hin. Dies ergebe sich auch aus der von der Klägerin vorgelegten Betriebsbeschreibung vom 8. April 2020.
13
Das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, da es den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans widerspreche. Im allgemeinen Wohngebieten seien nur der Versorgung des Gebiets dienende Schank- und Speisewirtschaften zulässig, worunter das Vorhaben der Klägerin nicht falle. Insoweit sei die Bezugnahme auf die Entscheidung des OVG Münster vom 2.3.2001 nicht zielführend, da das Konzept der dort betreffenden Pizzeria nicht deckungsgleich mit vorliegendem Fall sei. Es habe sich um ein Lokal mit 30 Innenraumgastplätzen und einem kleinen Biergarten gehandelt, in dem nur zusätzlich zu der Bewirtung der Gäste vor Ort ein Fahrzeug als „Pizza-Taxi“ eingesetzt werden sollte. Aufgrund der erheblichen Reduzierung der Gastplätze gehe es der Klägerin gerade nicht darum, zusätzlich zum Restaurantbetrieb auch Speisen auszuliefern. Das Geschäftsmodell beruhe gerade weit überwiegend auf dem Lieferservice. Es sei daher nicht von einer Gaststätte auszugehen, sondern von einem sonstigen Gewerbebetrieb. Selbst bei Einordnung als Schank- und Speisewirtschaft diene diese jedenfalls nicht der Versorgung des Gebiets. Mit dem Lieferservice werde gerade ein erweiterter Kundenkreis angesprochen. Dies verdeutliche auch das große Einzugsgebiet der Klägerin, die ausweislich ihrer Webseite bis in das über fünf km entfernte … liefere. Das Vorhaben könne auch nicht als Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen werden, da Ausnahmen nicht Bestandteil des qualifizierten Bebauungsplans geworden seien. Ebenso scheide die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB aus, da dessen tatbestandliche Voraussetzung nicht erfüllt seien. Es würden die Grundzüge der Planung berührt, da die planerische Konzeption aufgrund des Ausschlusses der Ausnahmen nach § 4 Abs. 3 BauNVO darauf ausgerichtet sei, ein besonders störungsfreies Wohngebiet zu schaffen. Eine Befreiung sei auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen nicht ermessensgerecht, da im Vergleich zu einer Gaststätte bei einem Lieferservice mit gesteigertem Verkehrsaufkommen zu rechnen sei.
14
Mit gerichtlichen Schreiben vom 9. Dezember 2021 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) oder durch Gerichtsbescheid gemäß § 84 VwGO angehört.
15
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2021 erteilte die Beklagte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2022 verweigerte die Klägerin ihre Zustimmung.
16
Nach Erlass eines klageabweisenden Gerichtsbescheids vom 2. Februar 2022 beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 4. März 2022 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
18
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Ablehnungsbescheid vom 2. September 2021 nicht rechtswidrig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
19
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO, weil das von der Klägerin beantragte Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist.
20
I. Das Bauvorhaben ist baugenehmigungspflichtig.
21
Das Vorhaben der Klägerin ist nach Art. 55 Abs. 1 BayBO, wonach die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung bedürfen, baugenehmigungspflichtig. Eine Baugenehmigung ist nur zu erteilen, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu erteilen, da ihr kein Sonderbau i.S.v. Art. 2 Abs. 4 Nrn. 1 bis 20 BayBO zu Grunde liegt. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 Satz 1 BayBO die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB, mit den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO und mit den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinn des Art. 81 Abs. 1 BayBO, beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird.
22
Ob sich die Baugenehmigungspflicht nicht schon aufgrund der erheblichen baulichen Änderungen im Sinne von Art. 55 Abs. 1 BayBO im Vergleich zum mit Bescheid vom 16. Januar 1976 genehmigten Bestand im Rahmen der damals erfolgten Nutzungsänderung in eine „Gast- und Schankwirtschaft“ bzw. den „Einbau einer Pizzeria“ ergibt oder diese noch als verfahrensfrei gem. Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 BayBO einzustufen wären, kann dahinstehen.
23
Die beantragte und bereits vollzogene Nutzungsänderung ist jedenfalls nicht von der Variationsbreite der bislang genehmigten Nutzung umfasst und damit baugenehmigungspflichtig (Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO). Für die geänderte Nutzung kommen nämlich andere bauordnungs- oder bauplanungsrechtlichen Anforderungen in Betracht als für die bisherige Nutzung, so dass sich die Frage der Genehmigungsfähigkeit neu stellt (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 - 4 C 10.09 - BVerwGE 138, 166, Rn. 12; BayVGH, B.v. 10.6.2010 - 1 ZB 09.1971 - juris, Rn. 15; B.v. 22.8.2013 - 15 ZB 12.1984 - juris, Rn. 9). Andere bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Anforderungen kommen nicht nur dann in Betracht, wenn für die neue Nutzung strengere Vorschriften gelten können, sondern auch, wenn die neuen Anforderungen weniger einschränkend sind (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2013 - 9 CS 13.1226 - juris, Rn. 12; Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 57 Rn. 106; Busse/Kraus/Lechner/Busse, 144. EL September 2021, BayBO Art. 57 Rn. 412 f.). Das kann der Fall sein, wenn bisherige und geänderte Nutzung in unterschiedlichen Rechtsvorschriften geregelt sind oder wenn sich aus derselben Norm abweichende Anforderungen hinsichtlich der Zulässigkeit einer neuen Nutzung ergeben können (vgl. BVerwG, B.v. 7.11.2002 - 4 B 64/02 - BRS 66 Nr. 70). Voraussetzung für eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung ist nicht, dass tatsächlich andere Anforderungen an die geänderte Nutzung gestellt werden, sondern nur, dass derartige Anforderungen in Betracht kommen können und die Frage, ob dies tatsächlich der Fall ist, in einem Genehmigungsverfahren geprüft werden muss (BayVGH, B.v. 28.2.2014 - 15 CS 13.1863 - BeckRS 2014, 49146 mit Verweis auf die Rechtslage zu Art. 69 Abs. 4 BayBO 1998, vgl. LT-Drs. 13/7008 S. 42).
24
Nach diesen Maßstäben liegt hier eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor, weil sich die neue Nutzung mit einer Verlagerung der Geschäftstätigkeit hin zu einem verstärkten Lieferdienst von der genehmigten Nutzung als Gast- und Schankwirtschaft wegen seiner Auswirkungen auf die Nachbarschaft zumindest hinsichtlich der Lärmbelastung nach Vortrag beider Beteiligten unterscheidet und damit im Hinblick auf das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot (§ 29 Abs. 1, § 30 Abs. 1 BauGB i.V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) geänderte Anforderungen in Betracht kommen. Insoweit kann nach den oben dargestellten Maßstäben dahinstehen, ob durch die Nutzungsänderung die Lärmbelastung für die nähere Umgebung verstärkt oder sogar - aufgrund einer verringerten Anzahl von Gastplätzen in der Außengastronomie - vermindert wird. Unabhängig davon ergibt sich die Genehmigungspflichtigkeit der Nutzungsänderung bereits daraus, dass hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung von einem Aliud im Vergleich zur bisherigen Nutzung auszugehen ist.
25
II. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich unzulässig, da es sich um einen im hier unter Ausschluss der Ausnahmen gem. § 4 Abs. 3 BauNVO festgesetzten allgemeinen Wohngebiet unzulässigen Gewerbebetrieb handelt.
26
Dabei ist vorab darauf hinzuweisen, dass der einschlägige Bebauungsplan für den Vorhabenstandort hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung einen „Laden“ festsetzt. Eine nach Ansicht der Klägerin vorliegende Schank- und Speisewirtschaft widerspräche daher schon aus diesem Grunde den Festsetzungen des Bebauungsplans.
27
1. Das Vorhaben ist unabhängig davon keine der Versorgung des Gebiets dienende Schank- und Speisewirtschaft, § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO.
28
a) Entsprechend des Betriebskonzepts der Klägerin ist schon nicht von einer Schank- und Speisewirtschaft auszugehen.
29
Mangels eigenständiger Definition in der BauNVO dient seit langem als Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung die bundesrechtliche Legaldefinition, die § 1 Abs. 1 Gaststättengesetzes (GastG) für die Zwecke des Gaststättenrechts enthält. Nach § 1 Abs. 1 GastG betreibt ein Gaststättengewerbe, wer im stehenden Gewerbe nach Nr. 1 Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (Schankwirtschaft) oder nach Nr. 2 zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (Speisewirtschaft). Unter den planungsrechtlichen Nutzungsbegriff fallen Gewerbebetriebe, in denen Getränke aller Art allein oder zusammen mit zubereiteten Speisen an Gäste zum Zwecke des Verzehrs in den Wirtschaftsräumen, ggf. auch im Freien, verabreicht werden (EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauNVO § 4 Rn. 58; BeckOK BauNVO/Hornmann, 28. Ed. 15.1.2022, BauNVO § 4 Rn. 58).
30
Entsprechend der vorgelegten Bauunterlagen, der Betriebsbeschreibung, des aktenkundigen Fotomaterials und des Internetauftritts der Klägerin ist nicht davon auszugehen, dass das Vorhaben eine im allgemeinen Wohngebiet zulässige Schank- und Speisewirtschaft gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO entsprechend der oben angeführten Maßstäbe darstellt. Vielmehr spricht vorliegend alles dafür, dass es sich schwerpunktmäßig um einen Essenslieferdienst handelt, bei welchem der Verzehr vor Ort deutlich in den Hintergrund rückt. Gegen eine Einordnung als Schank- und Speisewirtschaft gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO spricht insbesondere der erhebliche Personalaufwand von sechs Personen für die Auslieferung von Bestellungen, die stark eingeschränkte Zahl von Gastplätzen, der Internetauftritt der Klägerin, der unzweifelhaft auf die Betätigung als Lieferdienst ausgerichtet ist und Verzehr vor Ort im Gegensatz dazu nicht beworben wird (Differenzierungen finden sich lediglich hinsichtlich sog. Lieferpreise und Abholpreisen), der für Gaststätten wenig übliche, aber für Lieferdienste häufig anzutreffende fehlende Alkoholausschank vor Ort sowie die aktenkundige Einrichtung des Ladengeschäfts (vgl. zur Einordnung eines sog. „Pizza-Heimservice“ als Gewerbebetrieb: VGH Mannheim, U.v. 21.6.1994 - 5 S 1198/93 - juris, Rn. 30). Unabhängig davon spricht auch gegen die Einordnung als Schank- und Speisewirtschaft, dass entgegen der Aufforderung des Gerichts, die erbetene Gewerbeanmeldung sowie der Umsatzsteuerbescheid für den betreffenden Standort nicht vorgelegt worden ist. Gerade aus letzterem hätte sich aus den unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen im Jahr 2020 für den gastronomischen Verkauf „außer Haus“ oder „vor Ort“ wesentliche Erkenntnisse für das vorliegende Verfahren ergeben können. Dieser Mitwirkungsobliegenheit im Verwaltungsprozess ist die Klägerseite jedoch nicht nachgekommen.
31
b) Das Vorhaben dient darüber hinaus nicht der Versorgung des maßgeblichen Gebiets.
32
Dabei ist die Frage der Gebietsversorgung für jeden Einzelfall unter Würdigung der konkreten Umstände zu beantworten. Ein Indiz für die funktionale Zuordnung einer Gaststätte zu einem Wohngebiet ist neben der gebietsangemessenen Betriebsgröße und einem darauf abgestimmten Nutzungskonzept die fußläufige Erreichbarkeit der Gaststätte; umgekehrt ist die allein auf den Einrichtungstyp abstellende Annahme regelmäßig nicht gerechtfertigt (OVG Münster, B.v. 16.3.2005 - 10 B 1350/04 - BeckRS 2005, 24962). Ebenfalls nicht entscheidend ist die Grenze eines Gemeindegebiets bzw. einzelner Ortsteile oder die Grenzen eines im Bebauungsplan festgesetzten Baugebiets. Dabei folgt das Gericht durchaus der vom Klägervertreter zitierten Rechtsprechung des OVG Münster, U.v. 2.3.2001 - 7 A 2432/99 - BeckRS 2001, 10936, dass sich gerade Pizzerien nach den heutigen Lebensgewohnheiten zunehmend zu Gaststätten entwickelt haben, die von der umliegenden Wohnbevölkerung gerne als „Versorgungsstützpunkt“ in Anspruch genommen werden. Sie werden häufig von Familien - auch und gerade mit Kindern - aufgesucht, um im näheren Umfeld gelegentlich „auswärts“ Essen zu gehen, und sind ein beliebter Ort, um allein oder bei Besuch von Gästen auf das Zubereiten warmer Mahlzeiten zu Hause verzichten zu können.
33
Nach dem Betriebskonzept der Klägerin handelt es sich aber gerade nicht um den Fall einer „klassischen“ Pizzeria, bei welcher das das Gaststättenkonzept ergänzende Angebot eines Lieferdienstes dem Grunde nach unschädlich wäre. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den in den Akten befindlichen Angaben zu dem auf Essensauslieferung und auch -abholung ausgerichteten Betriebskonzept der Klägerin, dass das Vorhaben gerade nicht zu einem wesentlichen Anteil der Gebietsversorgung dient. Dabei verkennt das Gericht auch nicht, dass auch Wohngebiete außerhalb des Geltungsbereich des Bebauungsplans bei der Bewertung mit einzubeziehen sind, wie etwa Teile der nördlich des Plangebietes befindlichen Wohnbebauung oder in erster Linie auch Wohngebiete südlich der A* … Straße. Das Betriebskonzept zielt aber ersichtlich im maßgeblichen Umfang weit über die noch die der Gebietsversorgung umfassenden Bereiche hinaus. Entsprechend des Internetauftritts bezeichnet die Klägerin mit ihren Liefergebieten (* …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …*) Bereiche, die in Entfernungen von etwa 1 km bis zu über 5 km liegen. Unzweifelhaft handelt es sich dabei weitestgehend um nicht mehr den hier der Gebietsversorgung im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO dienenden Umgriff. Gerade fußläufig zu erwartende Kunden sind hier allenfalls aus den Gebieten … und … realistisch. Folglich kann dahinstehen, dass entsprechend der Erhebungen der Klägerin 83 Prozent ihrer Auslieferungen in einem Umkreis von bis zu 3 km erfolgen. Ein von der Klägerin selbst derart weitgezogener Umgriff spricht in besonderem Maße für die Annahme, dass der Betrieb eben nicht als das Gebiet versorgend anzusehen ist (zum Umfang des heranzuziehenden Gebiets vgl. etwa: EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauNVO § 4 Rn. 39). Soweit die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass entsprechend einer internen Auswertung von einer Auslieferung im Umkreis von bis zu 500 m von etwa 11%, im Umkreis von bis zu 1 km von etwa 29% und im Umkreis von bis zu 1,5 km von 59,93% der zu beliefernden Kunden angefahren wurden, ergibt sich hieraus - auch im Hinblick auf die eingeschränkte Überprüfbarkeit des Vorgetragenen - kein gegenteiliger Befund. Die dem Merkmal des „Dienens“ innewohnende Sicherungsfunktion im Hinblick auf die Wahrung des Gebietscharakters und damit einhergehende funktionale Zuordnung des Betriebs zu dem Gebiet ist nicht mehr gegeben. Die wesentliche Zielgruppe des Betriebskonzepts der Klägerin geht nämlich - wie oben dargestellt - deutlich über das Gebiet im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO hinaus (siehe grundlegend: BVerwG, B.v. 3.9.1998 - 4 B 85/98 - BeckRS 1998, 30023279).
34
2. Ob vorliegend von einem nach den Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans dem Grunde nach zulässigen „Laden“ auszugehen wäre, kann demnach dahinstehen. Nach den bereits erfolgten Ausführungen ist nämlich wiederum nicht davon auszugehen, dass ein solcher Laden entsprechend des Betriebskonzepts der Klägerin der Gebietsversorgung dienen würde.
35
Unabhängig davon ist auch nicht davon auszugehen, dass das von der Klägerin betriebene Nutzungskonzept unter den bauplanungsrechtlichen Begriff des „Ladens“ zu fassen ist. Ein Laden ist eine Räumlichkeit, die der gewerblichen Betätigung mit Kunden- oder Publikumsverkehr, insbesondere dem Verkauf von Waren (Einzelhandel) oder der Erbringung bestimmter versorgungsspezifischer Leistungen dient (EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauNVO § 4 Rn. 47 m.w.N.). Der Nutzungsbegriff „Laden“ ist aber nicht auf den Handel verengt. Vielmehr schließt er ladenmäßig betriebene Gewerbebetriebe ohne Bezug zum Handel ein (BeckOK BauNVO/Hornmann, 29. Ed. 15.4.2022, BauNVO § 4 Rn. 54 m.w.N.). Sämtlichen Definitionsansätzen und Rechtsprechungsbeispielen gemein ist jedoch, dass ein schwerpunktmäßiger Kundenverkehr in der Ladenräumlichkeiten Teil des Betriebskonzeptes darstellt. Dies ist gerade entsprechend dem oben Ausgeführtem bei dem auf Essensauslieferung ausgerichteten Betriebskonzept der Klägerin nicht der Fall.
36
3. Der Klägerin ist auch nicht im Rahmen einer Zulassung einer Ausnahme (§ 31 Abs. 1 BauGB) oder Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) die begehrte Baugenehmigung zu erteilen.
37
Die Erteilung einer Ausnahme scheidet bereits deswegen aus, da eine solche nach dem hier vorliegenden Bebauungsplan nicht vorgesehen ist. Entsprechend § 3 Nr. 1 der Bebauungsplan-Satzung wurden die Ausnahmen gem. § 4 Abs. 3 BauNVO, mit Ausnahme einer Tankstelle, ausdrücklich ausgeschlossen.
38
Die Voraussetzungen für eine Zulassung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB liegen ebefalls nicht vor.
39
Zwingende Voraussetzung dafür ist, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Was hierzu zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Nur Abweichungen, die die Planungskonzeption im Wesentlichen unangetastet lassen, berühren die Grundzüge nicht. Von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind, darf jedenfalls nicht aus Gründen befreit werden, die sich in einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2005 - 1 ZB 04.2666 - juris).
40
Ausgehend von diesen Grundsätzen scheidet die Erteilung der beantragten Befreiung aus. Das Bauvorhaben berührt die Grundzüge der Planung. Vor allem der Gebietscharakter nach der Art der baulichen Nutzung ist als regelmäßiger Grundzug gemeindlicher Planung anzusehen EZBK/Söfker, 143. EL August 2021, BauGB § 31 Rn. 36). Dieser Wille der planungsgebenden Kommune kommt gerade hier im besonderem Maße darin zum Ausdruck, dass die Gemeinde sogar gesetzlich in § 4 Abs. 3 BauNVO angelegte Ausnahmetatbestände ausgeschlossen hat. Die Zulassung entsprechender Vorhaben im Wege der Befreiungserteilung würde diesem klar zum Ausdruck gebrachten Willen der Gemeinde augenscheinlich zuwiderlaufen.
41
III. Nach allem konnte die Klage keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
42
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.