Inhalt

VG München, Urteil v. 18.02.2022 – M 13 K 17.48966
Titel:

Erfolglose Asylklage eines äthiopischen Staatsangehörigen

Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, § 4, § 3e, § 26 Abs. 5
AufenthG § 23 Abs. 4, § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Die Teilnahme an Demonstrationen bzw. die geringfügige finanzielle Unterstützung der OLA reichen nicht aus, um das Visier der äthiopischen Sicherheitsbehörden zu geraten. (Rn. 93) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sofern die äthiopischen Sicherheitskräfte gegen Kämpfer und aktive Unterstützer der OLA vorgehen, handelt es sich grundsätzlich nicht um eine gezielte Verfolgung oppositioneller oromischer Volkszugehöriger allein wegen deren politischer Überzeugung, sondern um legitime Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts bzw. zur Abwehr allgemeiner Gefahren. (Rn. 106) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Äthiopischer Staatsangehöriger, Volkszugehörigkeit: Oromo;, Vorfluchttatbestand;, 2015;, Demonstration gegen Regierung;, Fahndung;, Sachvortrag unglaubhaft;, Veränderte Lage;, Interner Schutz;, Exilpolitische Betätigung;, Teilnahme an Demonstrationen;, OLA-Taskforce;, Facebook;, Familienverbund in BRD;, Resettlement-Verfahren., Asyl, Äthiopien, Oromo, Demonstrationen, Exilpolitische Betätigung, Resettlement-Verfahren, OLA
Fundstelle:
BeckRS 2022, 12476

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Ziel des Klägers, eines am … September 1995 in Ät. geborenen äthiopischen Staatsangehörigen vom Volke der Oromo, ist die Zuerkennung Internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiärer Schutz) durch die Beklagte, zumindest aber Schutz vor einer Abschiebung nach Äthiopien.
2
Der Kläger reiste am 23 April 2016 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein und stellte am 18. Juli 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.
3
Nach persönlicher Anhörung, durchgeführt am 21. März 2017, lehnte das Bundesamt mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16. Oktober 2017 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurden zur Ausreise binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens aufgefordert und ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Äthiopien oder einen anderen zur Rückübernahme bereiten oder verpflichteten Staat angedroht (Nr. 5). Das für den Fall der Abschiebung verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
4
Hiergegen hat der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 2. November 2017, bei Gericht am gleichen Tage per Telefax eingegangen, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,
5
den Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, sowie, wiederum hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 AufenthG vorliegen,
6
sowie die Klage zugleich unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Klägers bei der Anhörung vor dem Bundesamt, in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2022 sowie im Nachgang zur mündlichen Verhandlung mit bei Gericht am 16. Februar 2022 eingegangenem Schriftsatz begründet.
7
Die Beklagte hat die Behördenakten auf elektronischem Weg vorgelegt, ohne einen Antrag zu stellen.
8
Mit Beschluss vom 20. Oktober 2021 hat die Kammer, nachdem den Beteiligten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, den Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
9
Den mit Schriftsatz vom 22. April 2018 gestellten Antrag des Bevollmächtigten des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten hat das Gericht mit Beschluss vom 12. Januar 2022 abgelehnt.
10
Das Gericht hat am 8. Februar 2022 mündlich zur Sache verhandelt und den Kläger hierbei informatorisch angehört. Die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilten Erkenntnismittel sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Für die Beklagte ist niemand erschienen.
11
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt machte der Kläger zu seiner Herkunft und seinen familiären Verhältnissen, zu seinem Gesundheitszustand und seinen schulischen und beruflichen Qualifikationen, sowie zu den Gründen für seinen Asylantrag folgende Angaben:
12
Er stamme aus der Stadt Mole im Bundesstaat Oromia, Verwaltungszone Jimma. Er gehöre der Volksgruppe der Oromo an und sei muslimischen Glaubens. Er spreche Oromo. Er sei nicht verheiratet, habe aber eine Lebenspartnerin, keine Kinder. Ferner lebten in Äthiopien noch sein Vater, welcher als Bauer und Viehhändler arbeite und auch seine Ausreise finanziert habe sowie zwei Brüder und eine Schwester, ferner drei Onkel und zwei Tanten. Seine Mutter sei bereits verstorben. In Äthiopien habe er neun Jahre lang die Schule besucht, die 10. Klasse abgebrochen. Während seiner Schulzeit habe er bereits im Hotel seines Onkels gearbeitet.
13
Er habe Äthiopien am 21. Dezember 2015 verlassen und sich bis zu seiner Einreise in die Bundesrepublik unter anderem kurzfristig im Sudan, Ägypten, Italien und der Schweiz aufgehalten.
14
Zu seinem derzeitigen Gesundheitszustand befragt, gab der Kläger in der Anhörung an, er habe Probleme mit den Ohren gehabt und sich in Behandlung befunden und Medikamente bekommen. Derzeit sei er gesund.
15
Im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien fürchte er, auf Veranlassung der äthiopischen Sicherheitsbehörden inhaftiert oder getötet zu werden. Dies habe mit folgenden Vorgängen zu tun, die sich in Äthiopien vor seiner Ausreise ereignet und ihn zu seiner Ausreise bewegt hätten:
16
Im Dezember 2015 habe der Kläger in seiner Heimatstadt Mole an einer mehrtägigen Demonstration gegen den Masterplan der Regierung teilgenommen. Die Demonstration habe am 4. Dezember 2015 begonnen und insgesamt fünf Tage angedauert. Während der Demonstration habe der Kläger zusammen mit anderen u.a. Barrikaden errichtet, Plakate hochgehalten sowie eine staatliche Kaffeeplantage zerstört. Die örtliche Polizei habe die Demonstranten in den ersten Tagen gewähren lassen.
17
Erst nach Eintreffen der Bundespolizei am fünften Tag der Demonstration habe auch die lokale Polizei eingegriffen. Die Demonstration sei gewaltsam aufgelöst und viele Teilnehmer verhaftet worden. Hierbei habe ein Polizist dem Kläger mit seinem Knüppel einen Schlag auf den Kopf versetzt, woraufhin der Kläger blutend zusammengebrochen sei und sich hierbei die Hand gebrochen habe. Im Tumult sei es dem Kläger jedoch gelungen zu fliehen und sich in einem Waldgebiet hinter seinem Elternhaus zu verstecken. Einer seiner Brüder habe dort seine Verletzungen notdürftig behandelt. Tagsüber habe er sich im Wald versteckt, nachts sei er immer in sein Elternhaus zurückgekehrt.
18
Während der chaotischen Zustände bei der gewaltsamen Auflösung der Demonstration seien zwei Polizeiwaffen entwendet und der Kläger später von der Polizei verdächtigt worden, dies getan zu haben.
19
Ein paar Tage später sei die Polizei im Haus seines Vaters erschienen, habe wegen der entwendeten Waffen sowie der Errichtung der Barrikaden sowie regimekritischer Plakate und Gesten während der Demonstration nach dem Kläger gefahndet, den Vater festgenommen und zwei Tage lang festgehalten, um ihn zur Preisgabe des Aufenthalts seines Sohnes zu bewegen.
20
Hieraufhin habe sich der Kläger am 19. Dezember 2015 entschlossen, Äthiopien zu verlassen und sei bereits zwei Tage später, am 21. Dezember 2015 mit Hilfe von Schleppern ausgereist.
21
Hinsichtlich der genauen, in mehreren Punkten, insbesondere auch zeitlich divergierenden Angaben des Klägers zu den Umständen von Fahndung, Festnahme Vater und Vorbereitung der Ausreise wird auf die Niederschrift über die Anhörung vor dem Bundesamt vom 21. März 2017 verwiesen.
22
Das Bundesamt wiederum begründete seine Entscheidung, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutzes in seinem Bescheid vom 16. Oktober 2017 abzulehnen, im Wesentlichen wie folgt:
23
Der Klägervortrag sei hinsichtlich des geltend gemachten Vorfluchttatbestandes bereits in tatsächlicher Hinsicht aufgrund widersprüchlicher Angaben sowie unrealistischen Geschehensabläufen nicht glaubhaft. Insbesondere sei es unrealistisch, dass der Kläger trotz seiner Verletzungen ohne adäquate medizinische Versorgung sich zunächst mehrere Tage im Wald verstecken und anschließend ohne weitere medizinische Versorgung zu erhalten ausreisen konnte. Des Weiteren habe der Kläger nicht plausibel erklären können bzw. habe widersprüchliche Angaben dazu gemacht, wie er von der Polizei identifiziert werden konnte bzw. der Verdacht überhaupt auf ihn fiel. Des Weiteren sei nicht nachvollziehbar, dass die Polizei bei der Fahndung nach dem Kläger nur dessen Eltern besuchte, nicht jedoch bei anderen Verwandten oder im Umfeld des Hauses nach dem (verletzten) Kläger fahndete.“
24
Darüber hinaus wies das Bundesamt in rechtlicher Hinsicht darauf hin, dass die Zerstörung einer staatlichen Kaffeeplantage eine Straftat darstelle, für die eine Strafverfolgung grundsätzlich zulässig sei.
25
Die Entscheidung, hinsichtlich des Klägers in Bezug auf Äthiopien das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen, wurde im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse im Zielstaat nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK sei im Falle des Klägers vorliegend nicht gegeben. Der Kläger sei jung und arbeitsfähig, auch habe er seine Ausreise mithilfe seiner Familie selbst finanzieren können. Vor diesem Hintergrund seien keine Gründe ersichtlich, weshalb der Kläger für sein Existenzminimum nicht selbst aufkommen könne. Sonstige, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG begründende Umstände, etwa gesundheitliche Gründe, seien nicht vorgetragen worden.
26
Im Verlauf des Gerichtsverfahrens hat der Kläger sowie dessen Bevollmächtiger die gegenüber dem Bundesamt getätigten Angaben im Wesentlichen wie folgt präzisiert bzw. ausgebaut sowie folgende neue, im Verfahren vor dem Bundesamt noch nicht geltend gemachte Asylgründe vorgebracht:
27
Zu seinen aktuellen Familienverhältnissen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2022 folgende Angaben gemacht:
28
Seine Partnerin, eine am 1. Januar 1985 geborene äthiopische Staatsangehörige und der am 9. April 2020 im Bundesgebiet geborene gemeinsame Sohn hielten sich derzeit ebenfalls im Bundesgebiet auf. Seine Partnerin sei Ende 2015 ins Bundesgebiet eingereist und habe im Rahmen eines Resettlement-Verfahrens eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 4 AufenthG erhalten, wie auch sein Sohn.
29
Ausweislich der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Erklärung über die gemeinsame elterliche Sorge vom 29. November 2019 üben der Kläger und seine Partnerin die elterliche Sorge über den gemeinsamen Sohn gemeinsam aus.
30
Hinsichtlich seiner Familie in Äthiopien hat der Kläger seinen vor dem Bundesamt getätigten Angaben wie folgt aktualisiert:
31
Sein Vater sei mittlerweile ebenfalls verstorben, im April 2021. Seine zwei Brüder sowie seine Schwester lebten immer noch in Äthiopien, allerdings sei der Aufenthalt des einen Bruders unbekannt. Auch seine zwei Onkel sowie drei Tanten lebten weiterhin in Äthiopien.
32
Bezüglich seiner sprachlichen und beruflichen Qualifikationen hat der Kläger seine gegenüber dem Bundesamt getätigten Angaben in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2022 wie folgt ergänzt bzw. aktualisiert:
33
In Deutschland habe er nach seiner Ankunft zunächst für sechs Monate einen Deutschkurs besucht, danach die Hauptschule besucht und mit dem Mittelschulabschluss abgeschlossen. Danach habe er eine Berufsausbildung als Ausbaufacharbeiter begonnen und abgeschlossen, parallel dazu die Berufsschule besucht. Er spreche Deutsch sowie Englisch, des Weiteren ein bisschen Amharisch.
34
Zu seinem aktuellen Gesundheitszustand befragt hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, er sei gesund.
35
Den bereits gegenüber dem Bundesamt geltend gemachten Vorfluchttatbestand hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2022 auf entsprechende Nachfragen des Gerichts u.a. wie folgt ergänzt bzw. präzisiert:
36
Zu seinen bei der Auflösung der Demonstration erlittenen Verletzungen sowie den genauen Umständen seines anschließenden Untertauchens hat der Kläger hierbei folgende Angaben gemacht:
37
Er habe er sich mit seiner gebrochenen Hand sowie heftigen Blutungen in einem Waldstück in der Nähe seines Elternhauses versteckt. Sein Bruder habe ihn notdürftig bandagiert und ihm Medikamente, u. a. Schmerzmittel aus der Apotheke besorgt. Eine medizinische Behandlung habe er weder während seines Aufenthaltes in Äthiopien bis zu seiner Ausreise am 21. Dezember 2015 noch später auf seiner Reise in den Westen erhalten.
38
Das Waldstück, in welchem er sich tagsüber versteckt gehalten habe, sei von seinem Elternhaus, zu dem er immer des Nachts zurückgekehrt sei, ca. 10 km entfernt gewesen. Auf nochmalige Nachfrage hat der Kläger korrigiert, er sei ungefähr eine Stunde einfach gegangen.
39
Zur Fahndung seitens der Sicherheitsbehörden hat der Kläger folgende Angaben gemacht:
40
Die Polizei habe sein Elternhaus innerhalb von fünf Tagen nach Auflösung der Demonstration zweimal durchsucht. Die Polizei habe bei den beiden Durchsuchungen explizit ihn gesucht, wegen der Teilnahme an der Demonstration sowie auch wegen der dort entwendeten Polizeiwaffen, und hierbei ein Foto vorgezeigt, das ihn während der Demonstration zeige.
41
Sein Vater sei festgenommen und zwei Tage inhaftiert worden, um ihn dazu zu bringen, den Aufenthaltsort des Klägers preiszugeben. Seine Brüder sowie seine Schwester hingegen seien nicht festgenommen worden. Nach zwei Tagen sei sein Vater freigekommen, unter der Auflage, sobald er Informationen zum Aufenthaltsorts des Klägers habe, diese preiszugeben.
42
Die Polizei sei später nochmals bei dem Vater des Klägers vorbeigekommen und habe nach dem Kläger gefragt. Der Vater habe jedoch gesagt, er wisse nicht, wo sein Sohn sei. Auf Nachfrage des Gerichts, ob die Polizei den Vater des Klägers auch später nochmals nach dem Kläger befragt habe, hat der Kläger angegeben, seit 2019, seitdem sein Vater herzkrank sei, sei er nicht mehr befragt worden.
43
Erstmals im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2022 hat der Kläger geltend gemacht, ihm drohe im Falle der Rückkehr nach Äthiopien seitens der äthiopischen Sicherheitsbehörden auch Verfolgung aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik.
44
Er sei seit seiner Ankunft im Bundesgebiet ca. Mitte 2016 exilpolitisch aktiv, habe u. a. an mehreren Demonstrationen in Deutschland teilgenommen, so etwa am 17. Juli 2020 in München, im August 2020 in Berlin sowie im Oktober 2020 in Nürnberg und hierbei auch als Ordner tätig gewesen.
45
Des Weiteren unterstütze er die OLA finanziell, zum einen durch monatliche Beiträge in Höhe von 20,00 EUR, auf einzelne Spendenaufrufe hin auch durch Beträge von 50,00 EUR. Im November 2021 habe er zudem eine Fundraising-Veranstaltung für die OLA in Nürnberg besucht.
46
Eine offizielle Funktion in einer der Auslandsorganisationen, etwa der OLA Task Force, habe er jedoch nicht inne.
47
Zudem sei er auch in den sozialen Netzwerken politisch aktiv. So habe er etwa seit 2016 auf F. Texte sowie Unterstützungsaufrufe für die OLA gepostet, zudem Beiträge anderer geteilt, die sich mit Menschenrechtsverletzungen der äthiopischen Regierung, sowohl der Bundesregierung wie auch der Regionalregierung in Oromia, auseinandergesetzt hätten.
48
Auf Bitten seiner Familie in Äthiopien, namentlich seiner Cousine, welche in der äthiopischen Verwaltung arbeite, habe er jedoch die Posts gelöscht, da seine Cousine gesagt hätte, diese würden Probleme für sie verursachen.
49
Mit Schreiben vom 16. Februar 2022 legte der Kläger im Nachgang zur mündlichen Verhandlung drei ausgedruckte Screenshots von F.s Posts vor: Einen Post vom 29. Juni 2020 mit dem Inhalt: „OLA fighters are a true freedom fighters. I support OLA struggle against Abiy government. Every oromo should do the same & stand togehhter to support OLA’s struggle towards freedom & Democracy.“ des Weiteren einen Post vom 3. Juli 2020 mit einem Foto / einem Videostandbild einer Demonstration, die laut der beigefügten handschriftlichen Kommentierung eine Demonstration in Nürnberg zeigen soll sowie einen Post vom 10. Juli 2020 mit einem Foto einer Demonstration, die laut der beigefügten handschriftlichen Kommentierung eine Demonstration in Berlin am 10. Juli 2020 darstellen soll. Ferner ein Foto, welches ihn laut der handschriftlichen Anmerkung als Ordner auf einer Demonstration am 17. Juli 2020 in Frankfurt zeigen soll sowie ein Foto, welches ihn laut der beigefügten handschriftlichen Anmerkung bei der OLA-Fundraising-Veranstaltung zeigen soll.
50
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung sowie auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
51
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 über die Verwaltungsstreitsache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung auf diese Folge ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.
II.
52
Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
53
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 16. Oktober 2017 ist - in dem zur Entscheidung des Gerichts gestellten Umfang - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).
54
Der Kläger hat zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) - weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) - hierzu sogleich unter den Ziffern 1 - 3.
55
Darüber hinaus hat das Bundesamt zu Recht festgestellt, dass keine zielstaatsbezogenen nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG zu Gunsten des Klägers bestehen - hierzu sogleich unter Ziffer 4.
56
Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig - hierzu sogleich unter Ziffer 5.
57
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
58
1. Ein über seine Lebensgefährtin oder den gemeinsamen Sohn abgeleiteter Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes gemäß § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 bzw. Abs. 3 AsylG ist vorliegend nicht gegeben.
59
Die Lebensgefährtin bzw. der gemeinsame Sohn haben ihre derzeitige Aufenthaltserlaubnis nicht auf Basis einer gemäß den §§ 3 ff AsylG im Rahmen eines Asylverfahrens erfolgten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutzes erlangt, sondern im Rahmen eines Resettlement-Verfahrens auf Grundlage von § 23 Abs. 4 AufenthG, so dass insoweit nicht § 26 AsylG einschlägig, der Kläger im Hinblick auf einen Familiennachzug vielmehr auf die vorliegend nicht Gegenstand des Verfahrens bildenden Regelungen des §§ 27 ff AufenthG zu verweisen ist.
60
2. Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG aufgrund von in seiner Person selbst begründeter Umstände.
61
Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AslyG zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a) AsylG) und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.
62
Weitere Einzelheiten regeln die §§ 3a - d AsylG in Umsetzung der RL 2011/95/EU vom 20. Dezember 2011 (sog. Qualifikationsrichtlinie). Erforderlich ist demnach eine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1, 2 AsylG, die an einen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG anknüpft und von einem Akteur i.S.v. § 3c AsylG ausgeht. Weiter muss es an einem effektiven Schutz vor Verfolgung im Herkunftsstaat fehlen (§§ 3d, 3e AsylG). Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere dieser Verfolgungsgründe zu treffen. Ob eine Verfolgungshandlung „wegen“ eines der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen. Die Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 13). Für die „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf nicht selten komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 13 m.w.N.).
63
Zur Beurteilung, ob eine begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen ist, muss das Gericht eine Verfolgungsprognose unter zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts anstellen. Maßgeblich ist hierbei der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 32). Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 32; VGH BW, U.v. 16.10.2017 - A 11 S 512/17 - juris Rn. 31 ff; BayVGH, U.v. 14.2.2017 - 21 B 16.31001 - juris Rn. 21).
64
Grundsätzlich obliegt es dem Asylsuchenden bzw. dem um Flüchtlingsschutz Nachsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass er bei verständiger Würdigung einer Verfolgung im oben genannten Sinne ausgesetzt war bzw. eine solche im Rückkehrfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen unter anderem Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden (vgl. OVG Münster, Urt. v. 14.2.2014 - 1 A 1139/13.A - juris Rn. 35 m.w.N.).
65
Von den in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, zu unterscheiden sind die in den allgemeinen Verhältnissen des Herkunftslandes liegenden Umstände, die eine begründete Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.1 983 - 9 C 68.81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44 / juris Rn. 5). Hinsichtlich dieser Verhältnisse reicht es wegen seiner zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse aus, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen sich - ihre Wahrheit unterstellt - hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1983 - 9 C 6 8.81 - juris Rn. 5). Hier ist es Aufgabe der Beklagten und der Gerichte, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsstaat aufzuklären und darauf aufbauend eine von Rationalität und Plausibilität getragene Prognose zu treffen (OVG Hamburg, Urt. v. 18.1.2018 - 1 Bf 81/17.A - juris Rn. 43 m.w.N.). In Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsland sind die Gerichte dabei regelmäßig darauf angewiesen, sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Erkenntnismittel gleichsam mosaikartig ein Bild zu machen und die Prognose, ob bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu treffen (vgl. zum Vorstehenden OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 - 4 Bf 186/18.A - juris Rn. 31-39).
66
Gemessen daran lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien sowie den eigenen Angaben des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt und derjenigen in der mündlichen Verhandlung nicht zur Überzeugung des Gerichts feststellen, dass dem Kläger im Falle seiner hypothetischen Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht.
67
a. Insbesondere ergibt sich eine solche Bedrohung nach Überzeugung des Gerichts nicht aus dem seitens des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Vorfluchttatbestand, wonach wegen der Teilnahme an einer Demonstration im Dezember 2015 in Mole sowie wegen des Verdachts, bei der gewaltsamen Auflösung der Demonstration Polizeiwaffen entwendet zu haben, die äthiopischen Sicherheitskräfte bereits nach dem Kläger gefahndet, hierbei zweimal binnen von fünf Tagen sein Elternhaus durchsucht und versucht hätten, mittels zweitägiger „Beugehaft“ seinen Vater dazu zu bringen, den Aufenthalt des Klägers preiszugeben, sich der Kläger einer Ergreifung nur durch Ausreise habe entziehen können und vor diesem Hintergrund fürchten müsse, im Falle einer Rückkehr auf Veranlassung der äthiopischen Sicherheitsbehörden inhaftiert oder gar getötet zu werden.
68
(1) Die Tatsache, dass ein Asylsuchender bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29/17 - NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 15). Die den früheren Handlungen oder Bedrohungen zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (EuGH, Urt. v. 2.3.2010, C-175/08 u.a., NVwZ 2010, 505 / juris Rn. 94). Fehlt es an einer entsprechenden Verknüpfung, so greift die Beweiserleichterung nicht ein (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17, NVwZ 2018, 1408 / juris Rn. 15). Die widerlegliche Vermutung entlastet den Vorverfolgten von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Sie ist widerlegt, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29/17 - juris Rn. 15).
69
(2) Der vom Kläger - vor dem Bundesamt und auch nochmals in der mündlichen Verhandlung dem Gericht gegenüber - als Vorfluchttatbestand geschilderte Sachverhalt ist nach Überzeugung des Gerichts bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht glaubhaft. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass sich der vom Kläger geschilderte Sachverhalt nicht ereignet hat, der Kläger Äthiopien vielmehr unverfolgt verlassen hat.
70
Zwar ist das vom Kläger zunächst geschilderte Grundszenario einer durch die Sicherheitsbehörden gewaltsam aufgelösten Demonstration und anschließenden Fahndung / Verfolgung von Teilnehmern im Jahr 2015 zunächst nicht schon generell unrealistisch. So kam es ausweislich der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien seit Herbst 2015, entzündet am „Stadtentwicklungsplan Addis Abeba“, im Bundesstaat Oromia tatsächlich zu teils gewaltsamen Protesten und Demonstrationen oromischer Volkszugehöriger gegen die seit Jahren anhaltende rechtswidrige Vertreibung von Bauern in Oromia von ihren Ländereien, die willkürliche Festnahme und Inhaftierung führender Oppositionspolitiker sowie gegen die gravierenden Einschränkung der Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit (BFA, Länderinformationsblatt v. 13.10.2016, S. 4; Amnesty International, Report v. 22.2.20018, S. 2). Die Sicherheitskräfte gingen hiergegen teils brutal vor; Menschen wurden willkürlich verhaftet (BFA, Länderninformationsblatt v. 13.10.2016, S. 4) und teils für längere Zeit ohne Anklage inhaftiert und hierbei unter Umständen auch körperlich misshandelt (siehe hierzu z.B. AA, Lagebericht v. 24.5.2016, S. 8-9).
71
Jedoch sind spätestens die Ausführungen des Klägers zur anschließenden Fahndung der Sicherheitsbehörden sowie insbesondere zu den Umständen, wie der Kläger der Fahndung trotz schwerer Verletzungen ohne ausreichende medizinische Versorgung zunächst durch Verstecken im Wald, dann mittels Ausreise hat entziehen können, nicht glaubhaft.
72
(a) Das Gericht folgt insoweit - auch nach Würdigung des ergänzenden Klägervortrags in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2022 - weiterhin den Gründen des angefochtenen Bescheids und nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
73
Insbesondere hat der Klage auch mittels der ergänzenden Angaben während seiner informatorischen Anhörung dem Gericht nicht überzeugend darlegen können, wie er trotz seiner schweren Verletzungen ohne ausreichende medizinische Behandlung sich in Äthiopien verstecken und anschließend sogar den Weg nach Europa habe bewältigen können. Insbesondere die in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben, er habe vom Waldstück, in dem er sich tagsüber versteckt gehalten habe zu seinem Elternhaus, in welches er des Nachts immer zurückgekehrt sei, ungefähr eine Stunde Fußmarsch einfach bewältigt und diese über mehrere Tage hinweg, verstärken die bestehenden Zweifel nochmals.
74
Auch die Zweifel an dem vom Kläger geschilderten Vorgehen der Sicherheitsbehörden im Zuge ihrer Fahndung nach dem Kläger konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht zerstreuen, insbesondere die Gründe, weshalb die Sicherheitskräfte von seinem Vater abließen.
75
(3) Davon abgesehen ist bei der vom Kläger vorliegend als Vorfluchttatbestand geltend gemachten Art des Geschehens bereits ganz allgemein nicht davon auszugehen, dass Betroffene nach einer viele Jahre später erfolgenden Rückkehr nach Äthiopien noch immer einer hieraus (!) erwachsenden Verfolgung durch die äthiopischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt sind - zur ebenfalls geltend gemachten jüngeren exilpolitischer Betätigung siehe sogleich die Ausführungen unter Ziffer b.
76
So sind seit der angeblichen Inhaftierung, Flucht und Ausreise des Klägers 2015 über sechs Jahre verstrichen.
77
Weder verfügt Äthiopien über ein zentrales Fahndungs- und Strafregister (AA, Lagebericht v. 14.6.2021) noch hatte der Kläger damals eine zentrale Rolle oder Funktion in einer, auch noch derzeit als Terrororganisation eingestuften Widerstandsgruppe oder einer der auch noch derzeit staatlicher Verfolgung ausgesetzten Oppositionsgruppen inne, die dafür sorgen könnte, dass er sich auch nach so langer Zeit der Abwesenheit immer noch auf dem Radar der Sicherheitsbehörden befindet.
78
Auch handelt es sich bei der vorliegenden Aktivität nicht etwa um die Beteiligung an militärischen Aktionen, sondern um die Teilnahme an einer der damals vielen Demonstrationen gegen den Masterplan der damaligen Regierung, die sich zudem seit 2018 gar nicht mehr an der Macht befindet (siehe hierzu z.B. AA - Lagebericht v. 17. Okt. 2018).
79
(4) Darüber hinaus handelt es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Vorfluchttatbestand zudem bereits ganz allgemein um eine wenn überhaupt nur lokal bestehende, auf den jeweiligen Bundesstaat bzw. sogar die örtliche Region oder Stadt begrenzte Bedrohung, derer sich Betroffene durch Verlagerung ihres Wohnsitzes in eine andere Region oder einen anderen Bundesstaat, etwa in die Hauptstadt Addis Abeba, entziehen können (siehe hierzu AA, Lagebericht v. 14.6.2021 - Ziff. 3 - S. 15), insbesondere da es, wie oben dargestellt, kein zentrales Fahndungs- und Strafregister gibt.
80
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
81
Bei der Zumutbarkeit sind in einer umfassenden wertenden Gesamtbetrachtung die allgemeinen sowie individuellen Verhältnisse am Ort der Niederlassung in den Blick zu nehmen. Dies betrifft insbesondere die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums. Maßstab für eine Zumutbarkeit ist, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zu besorgen ist (vgl. BVerwG, U. v. 18.2.2021 - 1 C 4.20 - juris Rn. 27).
82
Unter Berücksichtigung der aus den vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien hervorgehenden allgemeine Lage sowie der individuellen Situation des Klägers ist davon auszugehen, dass es dem Kläger (ggf. zusammen mit seiner Partnerin) auch in einem anderen Landesteil gelingen wird, für sich - sowie gegebenenfalls für seine Partnerin und den gemeinsamen Sohn - eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu schaffen - siehe hierzu die Ausführungen im Rahmen der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK unter Ziffer 4. a. und b. jeweils unter (1).
83
b. Nach Überzeugung des Gerichts droht dem Kläger zudem auch keine Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG aufgrund seiner angeblich während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik ausgeübten exilpolitischen Betätigung.
84
Zwar kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
85
Jedoch führt nach Überzeugung des Gerichts weder die Teilnahme an Demonstrationen oder die angebliche geringfügige finanzielle Unterstützung der OLF - hierzu sogleich bei Ziffer (3) - noch seine angeblichen Aktivitäten in den sozialen Medien - hierzu sogleich bei Ziffer (2) - zu einer begründeten Furcht vor Verfolgung.
86
(1) Bis zum Regierungswechsel 2018 konnte die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führen. Dies hing vor allem davon ab, ob diese Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wurde, des Weiteren von Art und Umfang der exilpolitischen Aktivität (z. B. Organisation gewaltsamer Aktionen, führende Position) sowie ob und wie sich die Person nach ihrer Rückkehr in Äthiopien politisch betätigte - AA, Lagebericht v. 14.6.2021 - Ziff. 1.9 - S. 14.
87
Mit dem Regierungswechsel 2018 (s.o.) und der nachfolgend eingeleiteten Entkriminalisierung der politischen Opposition wandelte sich zwar zunächst das politische Klima - AA, Lagebericht v. 14.6.2021 - Ziff. 1.9 - S. 14. Dennoch fand weiterhin eine weitgehende nachrichtendienstliche Überwachung politischer Aktivitäten von im Ausland lebenden Äthiopiern statt - AA, Lagebericht v. 14.6.2021 - Ziff. 1.9 - S. 14.
88
Angesichts des derzeitigen bewaffneten Konflikts zwischen Zentralregierung und verbündeten regionalen Milizen einerseits sowie Kräften der TPLF und verbündeter Gruppierungen, wie etwa der OLA andererseits, ist jedoch wieder von einem verschärften Vorgehen gegen oppositionelle, den militärischen Widerstand gegen die Zentralregierung führende Organisationen und deren führende Mitglieder auszugehen.
89
(2) Auch eine ausreichende Gefährdung des Klägers aufgrund seiner Aktivitäten auf F. ist - selbst bei Würdigung der erst im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Posts - nach Überzeugung des Gerichts nicht anzunehmen.
1. (a) Bei den angeblich geposteten Inhalten handelt es sich um persönliche Umstände, bezüglich derer die formelle Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich beim Kläger liegt (s.o.). Anders als etwa bei bestimmten Vorgängen im Herkunftsland, hinsichtlich derer den Asylsuchenden ein Nachweis im engeren Sinne häufig nicht möglich ist (s.o.), kann der Kläger einen Nachweis, z.B. durch entsprechende Screenshots, auch ohne weiteres erbringen.
90
(b) Soweit der Kläger ausgeführt hat, seine Posts auf Bitte seiner in Äthiopien verbliebenen Familie gelöscht zu haben, um diese nicht zu gefährden und diese deshalb nicht vorlegen kann, ist in anzumerken, dass er jedoch vor Löschung derselben z.B. durch entsprechende Screenshots noch Nachweise für das laufende Asyl- bzw. Gerichtsverfahren hätte generieren können, ohne hierdurch seine Familie zu gefährden.
91
Davon abgesehen kann insoweit mangels näherer Ausführungen über den geposteten Inhalt sowie Angaben darüber, wem die Inhalte zugänglich gemacht wurden, schon gar keine Risikoeinschätzung vorgenommen werden.
92
(c) Soweit der Kläger noch drei Posts im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vorgelegt hat (relevant ist hierbei insbesondere der Post vom 29. Juni 2020 in Bezug auf die OLA) ist aus den vorgelegten Unterlagen nicht ersichtlich, wem diese Inhalte genau zugänglich gemacht wurden, so dass ein etwaig hieraus entstehendes Risiko sich nicht einschätzen lässt.
93
(3) Auch die Teilnahme an den beschriebenen Demonstrationen bzw. die (angebliche) geringfügige finanzielle Unterstützung der OLA reichen noch nicht aus, um den Kläger ins Visier der äthiopischen Sicherheitsbehörden zu bringen.
94
(a) Wie dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren anderer oromischer Volkszugehöriger bekannt ist (siehe z.B. M 12 K 17.47736, M 12 K 17.48963, M 12 K 17.48964 u.a.), werden die vom Kläger genannten (angeblichen) finanziellen Unterstützungszahlungen für die OLA in Deutschland über die sog. OLA-Taskforce abgewickelt.
95
Zwar bezeichnet sich die sog. OLF/OLA-Taskforce laut einer, in anderen Verfahren zu Nachweiszwecken vorgelegten Erklärung als ausländische Unterstützungsorganisation der OLA, welche wiederum Anfang Mai 2021 von der äthiopischen Regierung als terroristische Vereinigung eingestuft wurde - Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopen v. 1.5.2021). Jedoch ist bereits äußerst fraglich ob die erst kürzlich gegründete sog. Taskforce tatsächlich Unterstützungsleistungen an die OLA erbringt oder ob der Zweck der Gruppierung nicht eher asyltaktischer Natur ist (entsprechende Nachweise für Ersteres liegen nicht vor).
96
(b) In jedem Fall ist angesichts der vorliegenden Erkenntnismittel über den Staat Äthiopien davon auszugehen, dass derartige geringfügige, wohl asyltaktisch motivierte Beiträge allein nicht dazu führen, in den Fokus der äthiopischen Sicherheitsbehörden zu gelangen. Auch die Teilnahme an den beschriebenen Demonstrationen allein reicht hierfür nicht aus.
97
Hierfür erforderlich wäre vielmehr eine zentrale Rolle in einer der Auslandsorganisationen der OLA bzw. anderer relevanter, insbesondere den militärischen Widerstand propagierender Oppositionsgruppen, welche der Kläger jedoch nach eigenen Angaben gerade nicht inne gehabt hat oder noch hat.
98
(c) Davon abgesehen hat der Kläger die finanziellen Zahlungen für die OLA dem Gericht gegenüber nicht nachgewiesen (zur Frage der den Kläger treffenden Beweislast, s.o.).
99
(d) Zudem ist in Zusammenhang mit der geltend gemachten Unterstützung der OLA noch ganz allgemein Folgendes zu berücksichtigen:
100
Derzeit kommt es im Westen und Süden des Bundesstaates Oromia regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Äthiopischen Armee und Kämpfern der OLA (Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopien v. 1.5.2021, S. 22-23).
101
Die OLA wird nicht nur für Attacken gegen militärische Ziele sowie die gezielte Tötung von Amtsträgern oder Personen, die loyal zur Regional- oder Bundesregierung stehen verantwortlich gemacht (Aljazeera: Worsening violence in western Ethiopia forcing civilians to flee, 20.02.2021, https://www.aljazeera.com/news/2021/3/20/ worsening-violence-western-ethiopia-forcing-civilians-to-flee (Abruf 17.05.2021)), sondern auch für teils massive Übergriffe auf die Zivilbevölkerung bis hin zu gezielten ethnische Säuberungen sowie für Angriffe auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, insbesondere seit große Teile der äthiopischen Sicherheitskräfte in die Region Tigray verlegt wurden.
102
Opfer der Übergriffe bzw. ethnischen Säuberungen sind vor allem Angehörige der Volksgruppe der Amharen (Amnesty International: Ethiopia: Over 50 ethnic Amhara killed in attack on village by armed group, 02.11.2020, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/11/ethiopia-over-50-ethnic-amhara-killed-in-attack-on-village-by-armed-group (Abruf 17.05.2021); Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopien v. 1.5.2021, S. 22-23) sowie religiöse Minderheiten, insbesondere orthodoxe Christen (United States Department of State: 2019 Report on International Religious Freedom: Ethiopia, 11.06.2020, https://www.state.gov/reports/2019-report-on-international-religious-freedom/ethiopia/ (Abruf 17.05.2021)). Berichtet wird von Tötungen, Plünderungen, insbesondere dem Raub von Vieh sowie dem Niederbrennen von Kirchen und ganzen Dörfern.
103
So wurden etwa Anfang November 2020 in der Kebele Gawa Qanqa (Guliso Distrikt, West Wollega - Grenzregion zum Regionalstaat Benishangul-Gumuz) mindestens 54 Menschen getötet, das Dorf geplündert, Vieh gestohlen und Häuser in Brand gesetzt (Amnesty International: Ethiopia: Over 50 ethnic Amhara killed in attack on village by armed group, 02.11.2020, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/11/ethiopia-over-50-ethnic-amhara-killed-in-attack-on-village-by-armed-group(Abruf 17.05.2021)).
104
Im Dezember 2020 kam es in der Grenzregion zum Bundesstaat Amhara zu Tötungen, Plünderungen und dem Niederbrennen von Kirchen (The Economist: Ethnicviolence threatens to tear Ethiopia apart, 02.11.2019, https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2019/11/02/ethnic-violence-threatens-to-tear-ethiopia-apart (Abruf 17.05.2021)).
105
Vor diesem Hintergrund erklärte die äthiopische Regierung Anfang Mai 2021 die OLA zur terroristischen Vereinigung (Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopen v. 1.5.2021).
106
Sofern die äthiopischen Sicherheitskräfte vor diesem Hintergrund gegen Kämpfer und aktive Unterstützer der OLA vorgehen, handelt es sich grundsätzlich nicht um eine gezielte Verfolgung oppositioneller oromischer Volkszugehöriger allein wegen deren politischer Überzeugung, sondern um legitime Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts bzw. zur Abwehr allgemeiner Gefahren (BayVGH, B.v. 1.4.2021 - 3 ZB 20.32507 - Rn. 37).
107
c. 107 Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien ist zudem nicht zu entnehmen, dass aktuell jedem oromischen Volkszugehörigen in Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine auch von ihrer Intensität her asylrechtlich relevante zielgerichtete Verfolgungsmaßnahme i.S.d. §§ 3 ff AsylG droht.
108
3. Der Kläger hat über dies auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
109
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
110
a. Davon, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien infolge des geltend gemachten Vorfluchttatbestandes oder seiner angeblichen exilpolitischen Betätigung ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr.2 AsylG (Todesstrafe / Folter / unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) droht, hat der Kläger das Gericht, wie bereits soeben im Rahmen der §§ 3 ff AsylG dargelegt, nicht überzeugen können. Auch finden die Regelungen über den Internen Schutz nach § 3e AsylG über § 4 Abs. 3 AsylG auch im Rahmen des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG Anwendung, so dass auch insoweit auf die zur Flüchtlingseigenschaft gemachten Ausführungen verwiesen werden kann.
111
b. Auch mit Blick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und den Konflikt zwischen der TPLF und der Bundesregierung im Norden des Landes im Bundesstaat Tigray sowie in Teilen der Bundesstaaten Afar und Amhara ist keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers im Falle seiner Rückkehr beachtlich wahrscheinlich. Bei einer Einreise des Klägers über den Internationalen Flughafen von Addis Abeba und einer Weiterreise von dort in seine Heimatregion im östlichen Teil des Bundesstaates Oromia wird der Kläger mit dem Kampfgebiet nicht in räumlichen Kontakt kommen.
112
4. Des Weiteren bestehen zu Gunsten des Klägers auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
113
Bei den nationalen Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - juris; BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - juris).
114
Da das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid allein eine Abschiebung nach Äthiopien angedroht hat, kommt es für die Feststellung von Abschiebungsverboten ausschließlich auf die Situation in Bezug auf Äthiopien an.
115
Einer Abschiebung des Klägers nach Äthiopien stehen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht entgegen.
116
Insbesondere besteht vorliegend nicht die Gefahr, dass der Kläger (sowie dessen Familienverbund) nicht in der Lage sein wird, nach seiner Rückkehr nach Äthiopien sein Existenzminimum zu decken * sogleich unter a. sowie b. jeweils unter (1).
117
a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.
118
(1) Eine Verletzung von Art. 3 EMRK *sowie von Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht, vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh), kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (siehe § 3c AsylG), fehlt, wenn die humanitären Gründe mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Hygiene und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris, Rn. 12 m.v.N.). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 - 41 738/10, Paposhvili/Belgien - NVwZ 2017, 1187 Rn. 174; EuGH, U.v. 16.2.2017 - C-578/1, C. I. u.a. - NVwZ, 691, Rn. 68). Dieses Mindestmaß kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 11).
119
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer drohenden menschenunwürdigen Verelendung setzt dabei keine „Extremgefahr“ voraus, die für die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG notwendig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018, 1 B 25.18 - juris Rn. 13). Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner Rechtsprechung (EuGH, Urteile v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim - JZ 2019, 999, Rn. 89 ff., und C-163/17, Jawo, InfAuslR 201 9, 236, Rn. 90 ff.) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 21.1 .2 0 1 1, 30696/09, M.S.S. / Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413, Rn. 252 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris, Rn. 12; OVG Hamburg, U.v. 18.12.2019 - 1 Bf 132/17.A - juris, Rn. 39).
120
Jedoch besteht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien sowie den eigenen Angaben des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 nach Überzeugung des Gerichts vorliegend nicht die Gefahr, dass der Kläger (ggf. zusammen mit seiner Partnerin und dem gemeinsamen Sohn, sofern diese ebenfalls nach Äthiopien zurückkehren sollten) im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht in der Lage sein wird, nach einer Rückkehr nach Äthiopien sein Existenzminimum (ggf. unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Familienverbundes) zu decken.
121
Das Gericht folgt insoweit zunächst der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht hinsichtlich der bereits dort berücksichtigten Punkte von einer weiteren Darstellung der Gründe ab, § 77 Abs. 2 AsylG.
122
Auch bei Berücksichtigung von Umständen, die erst nach Erlass des angefochtenen Bescheids eingetreten sind, wie etwa die sich durch Heuschreckenplage, Dürrekatastrophe, Tigray-Konflikt und COVID-19-Pandemie / in diesem Zusammenhang national wie international ergriffener Maßnahmen ergebenden Auswirkungen auf die allgemeine Versorgungslage, die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Äthiopien geht das Gericht davon aus, dass es dem Kläger weiterhin möglich sein wird, für sein Existenzminimum (bzw. ggf. das seines Familienverbundes) durch eigene Erwerbstätigkeit, gegebenenfalls mit zusätzlicher Unterstützung seiner Familie decken zu können, insbesondere da derzeit keine weitreichenden Einschränkungen der Wirtschaft im Zuge der Pandemiebekämpfung gelten (siehe AA, Reise- und Sicherheitshinweise Äthiopien, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504 - abgerufen am. 8. Febr. 2022)
123
Insbesondere spricht der Kläger mittlerweile auch Deutsch sowie Englisch und verfügt damit über Fähigkeiten, die er auf dem äthiopischen Arbeitsmarkt gewinnbringend einsetzen kann, etwa in der Tourismusindustrie oder als Dolmetscher / sonstiger Mitarbeiter für westliche Hilfsorganisationen. Zudem konnte er während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik seine beruflichen Qualifikationen ausbauen. Auch seine Lebensgefährtin ist gesund und arbeitsfähig.
124
b. Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
125
(1) Liegen - wie hier - die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes wegen schlechter humanitärer Bedingungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. 09.11.2017 - A 11 S 789/17 - juris Rn. 282).
126
(2) Auch in Äthiopien derzeit bestehende allgemeine Gesundheitsgefahren begründen vorliegend kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Gunsten des Klägers.
127
Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Gefahr einer Ansteckung mit dem auch in Äthiopien grassierenden Sars-Cov-2-Virus und einer anschließenden COVID-19-Erkrankung (zur aktuellen Lage in Äthiopien siehe diesbezüglich WHO, https://covid19.who.int/region/afro/country/et - abgerufen am 7. Febr. 2022).
128
Beruft sich ein Ausländer auf allgemeine (hier: Gesundheits) Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wie etwa die sämtliche Menschen in Äthiopien treffende Gefahr einer Ansteckung mit dem Sars-Cov-2-Virus und einer daran anschließenden COVID-19-Erkrankung, wird Abschiebungsschutz grundsätzlich ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
129
Allerdings kann ein Ausländer in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch bei Fehlen einer solchen generellen Regelung ausnahmsweise dann individuellen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund der im Zielstaat herrschenden allgemeinen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn in diesem Fall gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren.
130
Zwar besteht auch für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien, wie für jeden anderen Menschen in Äthiopien auch, die Gefahr, sich dort mit SARS-CoV-2 anzustecken und infolge dessen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden. Jedoch ist die Gefahr hinsichtlich des Klägers nicht derart extrem, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien „sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgesetzt würde (vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 -, juris Rn. 16) und deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG entfällt.
131
So kann eine COVID-19-Erkrankung zwar bei schwerem Verlauf zum Tod führen oder zumindest schwere, dauerhafte bzw. lange andauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Auch hängt der Grad der Gefahr, im Falle eines schweren Verlaufes zu sterben, neben individuellen Faktoren wie etwa der gesundheitlichen Disposition des Erkrankten sowie der bei Ansteckung ausgesetzten Virusmenge u.a. auch von allgemeinen Umständen wie Qualität und Kapazitäten der vor Ort vorhandenen medizinischen Behandlung (Personal / Intensivbetten / Sauerstoff etc.) sowie den vor Ort ergriffenen Infektionsschutzmaßnahmen ab. Jedoch ist der Kläger jung, gesund und ohne Vorerkrankungen und weist auch im Übrigen keinen Risikofaktor für einen schweren Verlauf im Falle einer Infektion auf.
132
(3) Individuelle gesundheitliche Gründe in der Person des Klägers, die einer Abschiebung nach Äthiopien entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich.
133
4. Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreiseund Aufenthaltsverbotes begegnen keinerlei rechtlichen Bedenken.
134
Klarzustellen ist hierbei, dass die nach § 11 Abs. 1 AufenthG a. F. getroffene Entscheidung über die Befristung eines gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes unter Geltung des am 21.08.2019 in Kraft getretenen § 11 AufenthG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.08.2019 (BGBl I, Satz 1294) als behördliche Anordnung eines solchen Verbots auszulegen ist (vgl. zur zuvor erfolgten Auslegung in Übereinstimmung mit der RL 2008/115/EG - Rückführungsrichtlinie - BVerwG, B. v. 13.07.2017 - 1 VR 3/17 - juris).
135
Auch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das Bundesamt insoweit nicht (mehr) i. S. d. § 114 Satz 1 VwGO pflichtgemäß von dem ihm nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffneten Ermessen bezüglich der Länge der Frist Gebrauch gemacht hätte.
III.
136
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
137
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.