Titel:
Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts wegen unbefugter Verwendung der dienstlichen Tankkarte
Normenketten:
BayDG Art. 12, Art. 14 Abs. 1 S. 1
StGB § 263 Abs. 1, § 266 Abs. 1
Leitsatz:
Bei einem Dienstvergehen eines Polizeibeamten in Form der zweimaligen unbefugten Verwendung der dienstlichen Tankkarte ist die Kürzung des Ruhegehalts geboten. (Rn. 28) (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarklage, Zweimaliger Tankkartenmissbrauch durch Polizeibeamten in Führungsposition, Kürzung des Ruhegehalts, zweimaliger Tankkartenmissbrauch, Polizeibeamter in Führungsposition
Fundstelle:
BeckRS 2022, 1218
Tenor
I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von einem Zehntel für die Dauer von 27 Monaten erkannt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrte mit seiner Disziplinarklage die Zurückstufung des Beklagten, nach dessen Versetzung in den Ruhestand wurde die Disziplinarklage auf die Kürzung des Ruhegehalts umgestellt.
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1. Der am … Dezember 1961 geborene Beklagte trat am 1. Oktober 1979 in den Dienst der Bayerischen Polizei. Nach Durchlaufen der Ämter des mittleren und des gehobenen Polizeivollzugsdienstes erfolgte die letzte Ernennung zum Ersten Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 13) mit Wirkung vom 1. Oktober 2013.
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Der Beklagte war von Dezember 2009 bis April 2017 Leiter der OED (Operative Ergänzungsdienste) … In der letzten periodischen Beurteilung im Jahr 2015 erhielt er das Gesamtprädikat von 13 Punkten. Ein am 21. April 2017 ausgesprochenes Verbot der Führung der Dienstgeschäfte wurde am 28. Januar 2020 aufgehoben. Von Mai 2020 bis zu seiner Ruhestandsversetzung zum 31. Dezember 2021 war er in der Prüfungsstelle … der Bereitschaftspolizeiabteilung eingesetzt.
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Der Beklagte ist verheiratet und hat zwei Söhne. Er ist bislang straf- und disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
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2. Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd leitete mit Aktenvermerk vom 13. April 2017 wegen des Vorwurfs des Tankkartenmissbrauchs disziplinarrechtliche Ermittlungen gegen den Beklagten ein und setzte diese gleichzeitig bis zum Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens aus. Mit Schreiben vom 26. März 2020 setzte es das Disziplinarverfahren fort. Am 24. Mai 2020 wurde ein positives Persönlichkeitsbild für den Beklagten erstellt. Mit Schreiben vom 7. August 2020 übernahm das Polizeipräsidium München das Disziplinarverfahren als Disziplinarbehörde. Die abschließende Anhörung des Beklagten erfolgte mit Schreiben vom 18. September 2020. Der auf Antrag des Beklagten beteiligte Personalrat nahm mit Schreiben vom 23. Dezember 2021 Stellung.
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Der Beklagte erhielt in allen Verfahrensschritten Gelegenheit zur Äußerung, von der sein Bevollmächtigter mit Schriftsatz vom 12. November 2020 Gebrauch machte.
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3. Die Staatsanwaltschaft München II stellte ein Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten wegen Untreue bzw. Betrugs durch unbefugte private Nutzung einer Tankkarte bzw. eines Tankchips der Dienststelle im Zeitraum vom 29. Dezember 2015 bis 30. März 2017 in 27 Fällen mit Verfügung vom 8. August 2019 nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Weiter stellte sie ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs in Tateinheit mit Untreue in Tatmehrheit mit versuchtem Betrug (§§ 263 Abs. 1 und 2, 266 Abs. 1 Alt. 2, 22, 23, 53 Strafgesetzbuch - StGB) nach Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von 1200 € mit Verfügung vom 22. Oktober 2019 nach § 153a StPO ein.
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4. Der Kläger erhob am 18. März 2021 Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Beklagten zurückzustufen.
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Ihm wurde zur Last gelegt:
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(1) Er habe am 8. April 2017 gegen 13:42 Uhr seinen privaten Pkw BMW X3 bei der …-Tankstelle in Murnau mit 50,16 l Diesel zu einem Preis von 59,14 € an der Zapfsäule Nr. 4 betankt. Den fälligen Betrag habe er mit einer dienstlichen Routex-Karte bezahlen wollen. Bei der Bezahlung sei es zu einer Verwechslung der Zapfsäulen gekommen, sodass ihm für eine geringere Benzinmenge von 4,29 l Super nur 6,56 € belastet worden sein. Die Verwechslung sei aufgefallen, als der Kunde der Zapfsäule Nr. 3 seinen Betrag habe ausgleichen wollen. Die …-Tankstelle habe im Anschluss Kontakt mit der Polizeiinspektion Murnau aufgenommen. Zu der Einreichung des entsprechenden Belegs und einem Schaden von mindestens 6,56 € sei es nicht mehr gekommen.
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(2) Am 11. Mai 2016 sei der Beklagte von 6:56 bis 17:07 Uhr im Dienst gewesen. Im Fahrtenbuch habe er angegeben, den Dienstwagen ...-… (Mercedes 220) von 12:30 bis 16:15 Uhr für eine Besprechung in Miesbach genutzt zu haben. Außerdem habe er angegeben, den Pkw um 17:16 Uhr mit 36,8 l betankt zu haben. Der Betrag sei daraufhin zulasten des Budgets seiner Dienststelle angewiesen worden. Bereits um 17:00 Uhr habe jedoch ein anderer Beamter der OED Weilheim den Pkw zu einer Fahrt nach Garmisch genutzt und ihn um 18:08 Uhr mit 27,2 l bei der …-Tankstelle in Murnau betankt. Der Beklagte könne den Pkw nicht um 17:16 Uhr betankt und dann mit nach Hause genommen haben, weil das Fahrzeug ab 17:00 Uhr mit einem anderen Beamten unterwegs gewesen sei.
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Ungeachtet von Widersprüchen im Sachverhalt, die der Beklagte im Disziplinarverfahren aufgezeigt habe, stünden die Vorwürfe gegen ihn fest. Soweit er darauf verweise, dass er die dienstliche Tankkarte am 8. April 2017 irrtümlicherweise benutzt habe, sei zu entgegnen, dass durch die erforderliche Eingabe weiterer Informationen (PIN und km-Stand) sichergestellt sei, dass der tankende Beamte nochmals zum Nachdenken angeregt werde.
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Durch das vorgeworfene Verhalten habe der Beklagte schuldhaft seine Pflicht zu uneigennütziger Amtsführung (§ 34 Satz 2 Beamtenstatusgesetz - BeamtStG), die Pflicht zur Beachtung der Gesetze (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG - i.V.m. § 266 Abs. 1 StGB) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verletzt. Gerade einem Polizeibeamten komme die Pflicht zu, sich seinem Beruf und den Gesetzen entsprechend zu verhalten. Weil der Besitz einer Tankkarte nur polizeiangehörigen Mitarbeitern möglich sei, stelle das Fehlverhalten eine innerdienstliche Pflichtverletzung dar. Die beiden Ereignisse begründeten ein einheitliches Dienstvergehen.
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Als Disziplinarmaßnahme werde unter Berücksichtigung aller für und gegen den Beklagten sprechenden Umstände eine Zurückstufung beantragt.
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Der Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23. April 2021 und gestand den Tankvorgang am 8. April 2017 ein. Er habe sich am Tattag infolge beruflicher Belastung und nach einem heftigen Beziehungsstreit mit seiner Verlobten in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Der Bezahlvorgang mit der dienstlichen Tankkarte erfordere nicht sonderlich viel Konzentration, weshalb es denkbar sei, dass ihm die irrtümliche Benutzung dieser Karte nicht aufgefallen sei.
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Zum Tankvorgang am 11. Mai 2016 trug er vor, aufgrund von Ungereimtheiten im Sachverhalt lasse sich nicht eindeutig widerlegen, dass er das von ihm genutzte Dienstfahrzeug an diesem Tag um 17:16 Uhr an der Aral-Tankstelle betankt habe.
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Bei dem Vorfall am 8. April 2017 handle es sich um ein einmaliges persönlichkeitsfremdes Fehlverhalten unter dem Eindruck einer hohen psychischen Belastung. Zudem habe er durch das lange andauernde Disziplinarverfahren eine tiefe Einwirkung erfahren.
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Das Polizeipräsidium München replizierte mit Schreiben vom 26. Mai 2021.
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Auf Ersuchen des Gerichts legte es ein erneut positives Persönlichkeitsbild für den Beklagten vom 1. Dezember 2021 vor.
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Mit Schreiben vom 11. Januar 2022 wies es auf seine Ruhestandsversetzung hin und beantragte,
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als Disziplinarmaßnahme die Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von einem Zehntel für die Dauer von fünf Jahren auszusprechen.
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Der Beklagte beantragte,
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auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
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5. In der mündlichen Verhandlung am … Januar 2022 erklärten sich die Parteien mit der im Tenor ausgesprochenen Disziplinarmaßnahme einverstanden und verzichteten nach Belehrung auf Rechtsmittel gegen das Urteil.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Disziplinar-, Ermittlungs- und Personalakten sowie der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von einem Zehntel für die Dauer von 27 Monaten erkannt (Art. 12 Bayerisches Disziplinargesetz - BayDG).
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1. Das Disziplinarverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Der Beklagte erhielt in allen Verfahrensschritten die Gelegenheit zur Äußerung. Auf seinen Antrag wurde der Personalrat beteiligt.
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2. Das Gericht geht in tatsächlicher Hinsicht von den in der Disziplinarklage dargestellten Vorwürfen aus. Diese stehen zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts fest (vgl. BayVGH, U.v. 18.3.2015 - 16a D 09.3029 - juris Rn. 44). Dem Beklagten ist die unbefugte Verwendung der dienstlichen Tankkarte am 8. April 2017 (kein Schaden eingetreten) und am 11. Mai 2016 (Schaden 38,24 €) vorzuwerfen. Trotz der hinsichtlich der letztgenannten Tat bestehenden Ungereimtheiten im Sachverhalt lässt sich der Vorwurf aus den zweifelsfrei feststehenden Umständen (Rückgabe des Fahrzeugs um 16:15 Uhr, Dienstende um 17:07 Uhr, Betankung um 17:16 Uhr, Übernahme des Dienstfahrzeugs durch einen anderen Beamten um 17:00 Uhr) eindeutig belegen.
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3. Durch die vorgeworfenen Taten hat der Beklagte ein Dienstvergehen begangen. Er hat hierdurch die in der Disziplinarklage genannten Pflichten verletzt.
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4. Dieses Dienstvergehen hat er innerdienstlich begangen, weil die Nutzung der dienstlichen Tankkarte nur Polizeibediensteten möglich war (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 11).
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5. Er hat die dienstliche Tankkarte mit Wissen und Wollen verwendet und damit vorsätzlich gehandelt. Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB liegen nicht vor.
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6. Von dem dargestellten Sachverhalt ausgehend ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu bemessen (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, der Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße sowie den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale). Zu berücksichtigen sind auch die unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BayVGH, U.v. 25.10.2016 - 16b D 14.2351 - juris Rn. 73).
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Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist vorliegend die Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von einem Zehntel für die Dauer von 27 Monaten geboten. Auf der Grundlage des Strafrahmens von Betrug und Untreue - nach §§ 263 Abs. 1, 266 Abs. 1 StGB bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe - ist bei der vorliegenden innerdienstlichen Tat der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 20). Im Hinblick auf die nur zweimalige Tat, den geringen Schaden (unter 40 €), die sehr guten dienstlichen Leistungen des Beklagten, seine Belastung durch das Disziplinarverfahren, die lange Verfahrensdauer und das geringere Sanktionsbedürfnis nach seiner Ruhestandsversetzung erscheint es trotz seiner Vorgesetztenstellung ausreichend, auf das Dienstvergehen mit der im Tenor ausgesprochenen Disziplinarmaßnahme zu reagieren.
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7. Der Disziplinarmaßnahme steht auch nicht Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 BayDG entgegen, weil sie bei dem Beklagten als Polizeibeamten zusätzlich erforderlich ist, um das Ansehen des Berufsbeamtentums zu wahren.
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Die Kostenentscheidung folgt aus Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
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Nach Rechtsmittelverzicht in der mündlichen Verhandlung ist das Urteil rechtskräftig.