Titel:
Inlandsungültigkeit einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis bei Wohnsitzverstoß ((hier: polnische Fahrerlaubnis)
Normenketten:
FeV § 7 Abs. 1 S. 2, § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1
Führerschein-RL Art. 2 Abs. 1, Art. 7, Art. 12
Leitsätze:
1. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Fahrerlaubnisinhaber substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat im Zusammenhang mit der Fahrerlaubniserteilung sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden, machen muss, wenn er trotz der das Gegenteil ausweisenden Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat und der inländischen Umstände darauf beharrt, das Wohnsitzerfordernis eingehalten zu haben (vgl. BVerwG BeckRS 2015, 41971; BeckRS 2014, 58781; BeckRS 2013, 12178; VGH München BeckRS 2013, 12178; BeckRS 2015, 46390; OVG Münster BeckRS 2014, 52198). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dies gilt umso mehr, als für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger seinen Lebensmittelpunkt tatsächlich nach Polen verlagert hatte, die tatsächlichen Wohn- und Lebensverhältnisse maßgeblich sind, nicht aber Eintragungen in behördliche Register (vgl. VGH München BeckRS 2012, 52534). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EU-Fahrerlaubnis (polnisch), Wohnsitzerfordernis, unbestreitbare Informationen, befristeter Aufenthalt, kein substantiierter Vortrag, Aufenthalt im Ausstellungsmitgliedstaat, Lebensmittelpunkt, RL 2006/126/EG
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.05.2022 – 11 ZB 22.473
Fundstelle:
BeckRS 2022, 12062
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B.
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1. Dem Kläger war mit seit 31. August 2014 unanfechtbarer Entscheidung vom 25. Juli 2011 die Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S wegen Fahrens unter Betäubungsmitteleinfluss entzogen wurden.
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Am 13. Juni 2020 beantragte der Kläger beim Landratsamt Aschaffenburg (im Folgenden: Landratsamt) die Erteilung einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Klasse B aufgrund einer ausländischen Fahrerlaubnis gemäß §§ 29 bis 31 FeV und gab im Zuge dessen an, dass ihm am 29. Juli 2015 durch die Behörde S. S., Polen, eine EU-Fahrerlaubnis der Klasse B ausgestellt worden sei. Vorgelegt wurde die Kopie eines polnischen Führerscheins.
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Mit Schreiben vom 26. Juni 2020 wandte sich das Landratsamt an das Generalkonsulat der Republik Polen mit der Bitte um Mitteilung, ob der Kläger die polnische Fahrerlaubnis, die er nach eigenen Angaben verloren habe, rechtmäßig erworben habe. Als Antwort wurde unter anderem eine Bestätigung vom 10. Juli 2014, wonach der Kläger für mindestens sechs Monate wohnhaft in Polen gewesen sei, sowie eine Registrierungsbescheinigung vom 23. Juni 2014 über einen vorübergehenden Aufenthalt des Klägers, dessen ständiger Wohnsitz in Deutschland gewesen sei, für den Zeitraum vom 23. Juni 2014 bis 22. Januar 2015 übersandt.
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Der Kläger wurde mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 zur beabsichtigten Versagung des Antrags auf Erteilung einer Fahrerlaubnis und der Feststellung, dass von der polnischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch gemacht werden dürfe, angehört. Aufgrund der dem Landratsamt vorliegenden Unterlagen der polnischen Führerscheinstelle S. sowie der Abfrage im Bayerischen Behördensystem könne eine Abmeldung des Klägers nach Polen nur für den Zeitraum von 17. Juli 2015 bis zum 22. Juli 2015 nachvollzogen werden. Der Kläger sei vom 7. Juli 1991 bis zum 16. Juli 2015 und wieder ab dem 22. Juli 2015 in der B. 10 in B. gemeldet gewesen. Die polnische Fahrerlaubnis sei jedoch erst am 29. Juli 2015 erteilt worden. Der Kläger habe damit nachweislich durch unbestreitbare Informationen vom Ausstellungsmitglied Polen zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in Polen gehabt, deshalb könne seine polnische Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik nicht anerkannt werden.
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Der Bevollmächtigte des Klägers übersandte daraufhin mit Schreiben 23. Oktober 2020 einen am 9. Juni 2014 auf den Kläger ausgestellten polnischen Bürgerpass, zwei Quittungen der Fahrschule … B. in S. vom 29. Mai 2014 für „1. Anreise B“ über 1.000,00 EUR und vom 13. Juli 2015 für „Nachprüfung Kl. B“ über 250,00 EUR sowie eine weitere Registrierungsbescheinigung vom 14. Juli 2015, wonach der Kläger, dessen ständiger Wohnsitz in Deutschland sei, für den Zeitraum vom 14. Juli 2015 bis 13. Februar 2016 einen vorübergehenden Aufenthalt in S. genommen habe. Somit sei der Kläger im Zeitpunkt der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis in Polen gemeldet gewesen. Mit weiteren Schreiben vom 13. und 20 November 2020 bat der Klägerbevollmächtigte um Fristverlängerung, da sich die schriftliche Bestätigung über die Wirksamkeit der Wohnsitznahme des Klägers, welche dieser bei den polnischen Behörden ausweislich der Anlage - einem Antrag vom 18. November 2020 auf Ausstellung einer Meldebestätigung - angefordert habe, coronabedingt verzögere.
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Mit kostenpflichtigem Bescheid vom 11. Dezember 2020 versagte das Landratsamt dem Kläger die beantragte Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Klasse B aufgrund seiner polnischen Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids). Weiter stellte es fest, dass von der polnischen Fahrerlaubnis, welche am 29. Juli 2015 von der Behörde S. S., Polen, erteilt worden sei, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zur keiner Zeit habe Gebrauch gemacht werden dürfen und auch in Zukunft kein Gebrauch gemacht werden dürfe (Nr. 2). Der Kläger habe über den Verlust der polnischen Fahrerlaubnis, welche am 29. Juli 2015 von der Behörde S. S., Polen, ausgehändigt worden sei - Führerschein der Klasse B mit der Führerscheinnummer … - unverzüglich, jedoch innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids beim Landratsamt eine Eidesstattliche Versicherung abzugeben; alternativ sei innerhalb der vorgenannten Frist der polnische Führerschein zum Eintragen eines Sperrvermerks beim Landratsamt vorzulegen (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 wurde angeordnet (Nr. 4) und für den Fall, dass der Kläger der Verpflichtung aus Ziffer 3 nicht fristgerecht nachkommt, ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR angedroht (Nr. 5). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass § 28 Abs. 4 FeV Anwendung finde, da der Kläger nachweislich durch unbestreitbare Informationen vom Ausstellungsmitgliedstaat Polen zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in Polen gehabt habe. Die Einlassungen des Klägerbevollmächtigten würden als reine Schutzbehauptungen angesehen. Die Ausführungen, es komme aufgrund der Corona-Pandemie zu Verzögerungen, könne keinem der vorgelegten Schreiben entnommen werden. Der Kläger habe die schriftliche Bestätigung über die Wirksamkeit der Erteilung der Wohnsitznahme erst am 18. November 2020 bei den polnischen Behörden beantragt. Dem vorgelegten Bürgerpass könne nur der Tag der Registrierung entnommen werden, eine Aufenthaltsdauer gehe daraus nicht hervor. Die vorgelegten Quittungen bestätigten eine Barzahlung vor Ort in Polen, was aber keinesfalls einen dauerhaften Aufenthalt in Polen belegen könne. Die Fahrschule … B., S., werbe auf ihrer Internetseite öffentlich damit, wie man einen EU-Führerschein ohne eine medizinisch-psychologische Untersuchung in Polen erwerben könne. Auch der Wortlaut „1. Anreise“ in der Quittung vom 29. Mai 2014 weise darauf hin, dass es keinen ordentlichen Aufenthalt bzw. Wohnsitz des Klägers in Polen gegeben habe, sondern nur kurzfristige Anreisen. Der Internetseite der Fahrschule Braun sei entnommen worden, dass es seit einiger Zeit zu Problemen bei der Ausstellung der Führerscheine durch die Behörden in S. komme und die Stadtpolizei beauftragt worden sei, die ordentlichen Wohnsitze zu überprüfen. Die Betreiber der Fahrschule selbst hätten unter anderem in S. Wohnungen angemietet, die einer Wohnsitzüberprüfung für EU-Bürger standhalte. Auch werde die unbeliebte, aber wirksame vorübergehende Abmeldung aus der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Laut Angaben der Homepage habe man beim Führerschein der Klasse B die Möglichkeit eines Doppeltermins oder man mache zwei Anreisen zu den zwei Prüfungen getrennt. Man müsse also nur dreimal anreisen: 1. Für die Beantragung der Bürgerkarte, 2. für die Anmeldung und Theorie sowie 3. für die praktische Prüfung. Weiter sei auf der Homepage ausgeführt, dass die Fahrerlaubnisbehörde am Wohnort den Führerschein neu ausstellen müsse, wenn der polnische Führerschein verloren gehe, selbst wenn für die alte Fahrerlaubnis noch die MPU-Auflage bestehe. Die vorgelegten Quittungen und auch die Angabe, dass der Kläger seinen polnischen Führerschein verloren habe, entsprächen dem auf der Internetseite der Fahrschule geschilderten Vorgehen. Die Behörde P. S., S., habe auf telefonische Nachfrage des Landratsamts mitgeteilt, dass seit 2018 keine polnischen Fahrerlaubnisse mehr an Bürger der Bundesrepublik Deutschland ausgestellt würden, wenn der Behörde bekannt werde, dass die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis in Deutschland mit der Auflage einer medizinisch-psychologischen Untersuchung oder sonstigen Auflagen verbunden sei. Die Behörde lasse sich mittlerweile auch bestätigen, dass der Erwerber einer polnischen Fahrerlaubnis für 185 Tage einen tatsächlichen Aufenthalt in Polen gehabt habe und nicht nur die sogenannte Bestätigung über den vorübergehenden Aufenthalt in Polen vorlege. Der Kläger hätte sich zur Wiedererteilung einer deutschen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterziehen müssen, was er mithilfe der Fahrschule B., S., umgangen habe. Der Kläger habe geltendes deutsches Recht umgangen und die Freizügigkeit der Unionsbürger ausgenutzt, um sich einen persönlichen Vorteil, den Erwerb einer Fahrerlaubnis, zu verschaffen. Die Anwendung der Unionsvorschriften könne nicht so weit gehen, dass Vorgänge geschützt würden, die zu dem Zweck durchgeführt würden, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigen des Klägers am 16. Dezember 2020 zugestellt.
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Hiergegen ließ der Kläger am 15. Januar 2021 Widerspruch einlegen, welcher mit Schreiben vom 5. Februar 2021 im Wesentlichen damit begründet wurde, dass die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Dokumente und Ausführungen keine hinreichende Berücksichtigung gefunden hätten. Der Kläger habe im relevanten Zeitpunkt und auch im Weiteren seinen Aufenthalt in Polen genommen, wie dem Schreiben vom 14. Juli 2015 zu entnehmen sei. Damit werde vom Ausstellerstaat die Wohnsitznahme bestätigt, sodass keine Information des Ausstellerstaats vorliege, dass ein Wohnsitzverstoß vorgelegen habe. Der bloße Umstand einer melderechtlichen Adresse in B. könne keine rechtliche Wirkung entfalten. Weiter übersandte der Klägerbevollmächtigte eine Bestätigung der Abteilung für Kommunikation und Straßen in S., mit welcher sowohl der rechtmäßige Aufenthalt des Klägers als auch die rechtmäßige Erteilung des Führerscheins bestätigt werde.
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Das Landratsamt half dem Widerspruch nicht ab und legte diesen mit Schreiben vom 19. Februar 2021 der Regierung von Unterfranken vor.
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Mit kostenpflichtigem Widerspruchsbescheid vom 16. April 2021 wies die Regierung von Unterfranken den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bescheid des Landratsamts vom 11. Dezember 2020 rechtmäßig sei und der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis der Klasse B habe. Beantrage ein Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis für die entsprechenden Klassen von Fahrzeugen, so sei ihm diese unter den erleichterten Bedingungen des § 30 FeV zu erteilen, wenn ihn die EU-Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtige oder berechtigt habe. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürften Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz i.S.d. § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland hätten, vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Diese Berechtigung gelte aber nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland gehabt hätten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler i.S.d. § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben hätten, § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV. Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland werde nach § 7 Abs. 1 FeV - eine Regelung, die mit Art. 12 der RiL 2006/1267EG in Einklang stehe - angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher oder beruflicher Bindungen oder bei fehlender beruflicher Bindungen wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen ließen, gewöhnlich, also während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnten. Unbestreitbare Informationen aus dem Ausstellerstaat lägen vor, wenn sie von einer Behörde dieses Staates herrühren, selbst, wenn sie nur indirekt in Form einer Mitteilung Dritter übermittelt worden seien. Der Wohnsitzverstoß müsse nach den vom Ausstellerstaat herrührenden Informationen zwar nicht eindeutig feststehen, aus ihnen müsse sich aber zumindest ein Hinweis auf eine Verletzung des Wohnsitzerfordernisses ergeben. Der Umstand, dass der Betreffende erst kurz vor Ausstellung des Führerscheins unter der angegebenen Adresse Wohnung im Ausstellerstaat genommen habe, sei ein sehr gewichtiges Indiz dafür, dass er sich nur zum Zweck des Erwerbs einer Fahrerlaubnis dort angemeldet habe, ohne einen ordentlichen Wohnsitz zu begründen. Wenn in einer Meldebestätigung des Ausstellungsmitgliedstaats zwar ein Aufenthalt von mehr als 185 Tagen im Ausstellungsmitgliedstaat, aber zugleich ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland bescheinigt und der Aufenthalt in Polen demgegenüber als vorübergehend bezeichnet werde, ergäben sich daraus erhebliche Zweifel daran, dass der Wohnsitz im Ausstellungsmitgliedstaat die Voraussetzungen des Art. 12 der RiL 2006/126/EG erfülle. Gemessen an diesen Voraussetzungen sei die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt gewesen, die Anerkennung der polnischen Fahrerlaubnis des Klägers zu versagen. Aufgrund des Wohnsitzverstoßes berechtige die polnische Fahrerlaubnis den Kläger nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland. Demnach habe der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis der Klasse B aufgrund der polnischen Fahrerlaubnis. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 21. April 2021 zugestellt.
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2. Hiergegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 7. Mai 2021, bei Gericht am selben Tage eingegangen, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erheben und beantragen,
den Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2020 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2021 aufzuheben;
den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die deutsche Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Klasse B aufgrund seiner polnischen Fahrerlaubnis zu erteilen;
die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig sei und den Kläger in subjektiven Rechten verletze. Entgegen den Ausführungen des Landratsamts stehe dem Kläger ein Anspruch auf Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Klasse B aufgrund seiner polnischen Fahrerlaubnis zu. Die Feststellung, dass der Kläger auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von der ihm erteilten polnischen Fahrerlaubnis keinen Gebrauch habe machen dürfen und in Zukunft keinen Gebrauch machen dürfe, sei damit rechtswidrig. Dem folgend sei auch die Anordnung zur Aushändigung der polnischen Fahrerlaubnis alternativ zur Vorlage zur Eintragung eines Sperrvermerks rechtswidrig. Insbesondere liege kein Wohnsitzverstoß vor. Die vermeintlichen Erkenntnisse der deutschen Führerscheinstelle seien rechtlich unerheblich. Grundsätzliche gelte die Vermutung, dass die Führerscheinstelle des EU-Mitgliedstaates bei der Ausstellung der Fahrerlaubnis überprüft habe, dass die nach europäischem Recht vorgegebenen Mindestanforderungen auch hinsichtlich des Wohnsitzerfordernisses erfüllt seien. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sei als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag der Ausstellung die dafür maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt gehabt habe. Der 185-Tage-Regelung komme somit nur insofern Bedeutung zu, als der Ausstellerstaat diesbezügliche Überprüfungen vorzunehmen habe, und zwar bevor die Fahrerlaubnis erteilt werde. Die anderen Mitgliedstaaten seien sodann nicht befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen. Eine wie auch immer geartete Mitteilung des Ausstellermitgliedstaates, nach der sich der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit der Erlangung der Fahrerlaubnis nicht mindestens 185 Tage im Ausstellermitgliedstaat aufgehalten habe, liege nicht vor. Dies sei tatsächlich auch nicht der Fall. Insbesondere genügten hierfür auch nicht die Ausführungen der Führerscheinstelle in Bezug auf die Fahrschule. Bereits die Erteilung der EU-Fahrerlaubnis sowie das Fehlen gegenläufiger Angaben aus dem Ausstellerstaat bewiesen die Beachtung des Wohnsitzerfordernisses durch den Ausstellerstaat. Auch soweit der Kläger nach Ausführungen der Beklagten zum Teil während des insoweit maßgeblichen Zeitraums seinen Wohnsitz in Deutschland beibehalten gehabt haben soll, belege dies keinen Wohnsitzverstoß. Denn es könne nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine solche, auch den Zeitraum des Führerscheinerwerbs erfassende einwohnermeldeamtliche Meldung in Deutschland nicht gegenläufig als Nachweis eines Wohnsitzverstoßes herangezogen werden. Der Kläger habe in der Zeit vom 14. Juli 2015 bis 13. Februar 2016, mithin im relevanten Zeitraum und auch im Weiteren seinen Aufenthalt in Polen genommen. Somit habe der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis am 29. Juli 2015 seinen Aufenthalt in Polen gehabt und sei entsprechend auch dort gemeldet gewesen. Der Umstand, dass der Kläger noch bis zum 17. Juli 2015 in der B. 10 in B. gemeldet gewesen sei, sei allein darauf zurückzuführen, dass es sich hierbei um die Wohnsitznahme seit Geburt des Klägers handele. Eine Wohnsitzmeldung zum 22. Juli 2015 für die B. 10 in B. könne nicht nachvollzogen werden. Solches sei vom Kläger nicht veranlasst worden. Die Bestätigung des Ausstellerstaats Polen vom 14. Juli 2015, mit welcher der Ausstellerstaat die Wohnsitznahme des Klägers in Polen bestätige, sei zu berücksichtigen. Es liege gerade keine Information des Ausstellerstaates vor, dass ein Wohnsitzverstoß vorgelegen gehabt habe. Der angegriffene Bescheid widerspreche damit den rechtskräftigen Feststellungen des Ausstellerstaates in der EU und sei aufzuheben.
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Das Landratsamt beantragte für den Beklagten sinngemäß,
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Zur Begründung wurde unter Bezugnahme auf den Bescheid und den Widerspruchsbescheid im Wesentlichen vorgetragen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Klasse B aufgrund seiner polnischen Fahrerlaubnis habe. Die Feststellungen im Bescheid und im Widerspruchsbescheid seien zutreffend und damit ebenso wie eine Eintragung des Sperrvermerks im polnischen Führerschein alternativ zur Abgabe einer Versicherung an Eides statt nicht rechtswidrig. In der Rechtsprechung des EuGH sei geklärt, dass im Anwendungsbereich der EU-Führerschein-Richtlinie ein aus dem Führerschein oder aufgrund unbestreitbarer Informationen aus dem Ausstellerstaat ersichtlicher Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip den Aufnahmemitgliedstaat berechtige, die ausländische Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen. Aus der durch die polnischen Behörden über das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland auf Anfrage des Landratsamts übermittelten Registrierungsbescheinigung für einen vorübergehenden Aufenthalt vom 23. Juni 2014 ergebe sich, dass der Kläger vom 23. Juni 2014 bis zum 22. Januar 2015 für einen vorübergehenden Aufenthalt unter der Adresse 69-100 S., W. … 12/4 registriert worden sei und sich sein ständiger Wohnsitz in Deutschland befunden habe. Die Bescheinigung sei auf Grundlage des Einwohnermelderegisters durch das Bezirksamt S. ausgestellt worden. Aus diesen auf offiziellem Wege übermittelten Unterlagen von einer Behörde des Ausstellungsmitgliedstaats Polen ergebe sich nicht einmal ein vorübergehender Aufenthalt des Klägers in Polen zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins am 29. Juli 2015. Beziehe man die vom Kläger in Kopie nachgereichte Registrierungsbescheinigung der Stadtverwaltung S. vom 14. Juli 2015 mit ein, die ihm einen vorübergehenden Aufenthalt unter der Adresse Ul. W. … 12/4 vom 14. Juli 2015 bis 13. Februar 2016 bescheinige, dann habe sich der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis lediglich 16 Tage in Polen aufgehalten. Zusammen mit dem Aufenthalt im Januar 2015 von 22 Tagen ergebe sich ein Aufenthalt in Polen vor Ausstellung der Fahrerlaubnis von 38 Tagen. Damit hätte zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins noch kein Aufenthalt von 185 Tagen im Jahr 2015 vorgelegen. Außerdem habe der Kläger auch nach dieser Bescheinigung seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland. Hinweise darauf, dass der Kläger irgendwelche persönlichen oder beruflichen Beziehungen zu seinem Wohnort in Polen gehabt habe, lägen nicht vor. Der Kläger habe diesbezüglich nichts vorgebracht. Die gegebenenfalls erforderliche Prüfung, ob bestimmte Informationen als aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührend eingestuft werden könnten, sei nach Rechtsprechung des EuGH Sache der nationalen Gerichte. Diese müssten die ihnen vorliegenden Informationen bei Bedarf dahingehend beurteilen, ob es sich um unbestreitbare Informationen handele, die bewiesen, dass der Inhaber des Führerscheins zu dem Zeitpunkt, als er ihn erhalten habe, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats gehabt habe. Die nationalen Gerichte könnten dabei insbesondere etwaige Informationen berücksichtigen, die darauf hinwiesen, dass sich der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellermitgliedstaats nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zwecke errichtet habe, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu umgehen. Für die Versagung seien vorliegend nicht Meldedaten in Deutschland, sondern Informationen über Meldedaten in Polen ausschlaggebend gewesen. Diese Informationen aus Polen stellten unbestreitbar einen Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip dar. Die Entscheidung stütze sich nicht auf die inländischen Meldedaten, diese dienten gleichwohl als eines der Indizien, welche für den Verdacht eines beabsichtigten Missbrauchs der Unionsvorschriften zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine durch Begründung von Scheinwohnsitzen spreche. Auch wenn der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung des polnischen Führerscheins einen Wohnsitz in Polen gehabt habe, sei klar, dass es sich hierbei nicht um seinen ordentlichen Wohnsitz gehandelt habe. Laut vorliegender Meldeformulare habe sich der Kläger am 16. Juli 2015 nach S., Polen, in die Adresse A. 1 abgemeldet. Bereits am 22. Juli 2015 habe er sich aus der A. 1 wieder in der B. 10 in B. angemeldet. Seine Unterschrift auf dem Anmeldeformular bestätige dies. Dies entkräfte, dass der Wohnsitzwechsel vom 22. Juli 2015 nicht vom Kläger veranlasst worden sein solle. Aufgrund dessen seien die Voraussetzungen für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis nicht gegeben.
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In der mündlichen Verhandlung am 26. Januar 2022 wurde der Kläger durch seinen Bevollmächtigten vertreten. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
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Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten, sowie der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
18
Der Bescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 11. Dezember 2020 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 16. April 2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
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1. In den genannten Bescheiden wurde zu Recht festgestellt, dass der Kläger infolge eines Wohnsitzverstoßes weder einen Anspruch auf Umschreibung seines polnischen Führerscheins nach § 30 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat, noch darauf gemäß § 28 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 FeV von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.
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1.1 Für die Ausstellung eines deutschen Führerscheins auf der Grundlage einer EU-Fahrerlaubnis ist nach § 30 Abs. 1 Satz 1 FeV erforderlich, dass der Antragsteller Inhaber einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten EU-Fahrerlaubnis ist, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat. Eine solche Umschreibung setzt also u.a. voraus, dass die umzuschreibende ausländische EU-Fahrerlaubnis des Klägers inlandsgültig ist, was sich im vorliegenden Fall nach den Voraussetzungen des § 28 FeV bestimmt (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2019 - 3 B 26/19 - juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 25.9.2012 - 11 B 10.2427 - juris Rn. 21 m.w.N.). Demnach dürfen die Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen, sofern keiner der in § 28 Abs. 2 - 4 FeV normierten Ausnahmetatbestände vorliegt. Gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV gilt diese Berechtigung nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellermitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten.
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Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - bei fehlenden beruflichen Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Ein Bewerber, dessen persönliche Bindungen im Inland liegen, der sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sich der Bewerber zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
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Diese Bestimmungen stehen mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl EG Nr. L 403 S.18) in Einklang. Insbesondere achten nach Art. 7 Abs. 5 Unterabsatz 2 der Richtlinie die Mitgliedstaaten bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis sorgfältig darauf, dass eine Person die Anforderungen des Absatzes 1 - und somit auch die Wohnsitzvoraussetzung - erfüllt.
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Die Prüfung und Bewertung, ob Informationen über den Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 - C-467/10 - juris Rn. 73 f.). Dabei muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein. Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012, a.a.O., Rn. 75).
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1.2 Der Beklagte ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die aus dem Ausstellermitgliedsstaat Polen stammenden Informationen auf die Nichterfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei der Erteilung der Fahrerlaubnis hinweisen und die Zusammenschau mit den übrigen in Zusammenhang mit dem Kläger bekannten Tatsachen, auf einen Wohnsitzverstoß schließen lassen.
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Der Kläger hat nur die Kopie eines polnischen Führerscheins vorgelegt.
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Die daraufhin auf rechtmäßige Aufforderung des Landratsamts vorgelegten Bescheinigungen der polnischen Behörden enthalten ausdrückliche Hinweise, dass ein Wohnsitzverstoß vorliegt. So ist in den polnischen Dokumenten von vornherein von einer dokumentierten befristeten Meldebescheinigung in S. bzw. von einem befristeten Aufenthalt bzw. einem zeitweisen Wohnsitz in der Stadt S. die Rede. Die übersandte Meldebescheinigung für einen vorübergehenden Aufenthalt (poswiadczenie zameldowania na pobyt czasowy) vom 23. Juni 2014 attestiert dem Kläger einen vorübergehenden Aufenthalt (pobyt czasowy) für den Zeitraum vom 23. Juni 2014 bis 22. Januar 2015 und gibt aber zugleich ausdrücklich an, dass der Kläger weiterhin seinen ständigen Wohnsitz (pobyt staly) in Deutschland hat. Schließlich ist im Anschreiben der polnischen Behörden vom 11. August 2020 zu den Grundlagen für den Erwerb des Führerscheins u.a. angemerkt: dokumentierter vorübergehender Aufenthalt in der Stadt S. sowie unter Strafandrohung bei Falschaussagen (vom Kläger) abgegebene Erklärung über einen Aufenthalt auf dem Territorium der Republik Polen von mehr als 185 Tagen. Zudem wird auf eine Bescheinigung über die Abmeldung in Deutschland verwiesen.
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Da es sich bei diesen Informationen um originäre Auskünfte der polnischen Behörden handelt, stellen sie unbestreitbare Informationen dar, die - auch und gerade in ihrer Zusammenschau - deutlich darauf hinweisen, dass die Wohnsitzvoraussetzung möglicherweise nicht gegeben war. Es ist jedoch, wie bereits dargestellt, Sache der Gerichte, die Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat zu prüfen und zu bewerten Demnach ergeben sich nach der hier vorzunehmenden freien Beweiswürdigung gemäß § 108 VwGO aus den vorgelegten polnischen Unterlagen Zweifel und damit Hinweise auf die fehlende Begründung eines tatsächlichen ordentlichen Wohnsitzes des Klägers im Ausstellermitgliedstaat. Hinsichtlich des Beweiswertes der vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen für das Nichtbestehen eines dortigen ordentlichen Wohnsitzes im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung genügt die bloße Möglichkeit einer entsprechenden Sachverhaltsgestaltung. Es ist ausreichend, wenn diese Informationen eine Missachtung des unionsrechtlichen Wohnsitzerfordernisses als möglich erscheinen lassen; ein Indizcharakter ist insoweit ausreichend (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2012 - 11 CS 11.2795 - juris Rn. 28 ff., B.v. 20.10.2014 - 11 CS 14.1688 - juris Rn. 12 ff.; OVG RhPf, B.v. 15.1.2016 - 10 B 11099/15.OVG - juris Rn. 4). Wenn in einer Meldebestätigung des Ausstellungsmitgliedstaats zwar ein nach eigenen Angaben des Antragstellers längerer Aufenthalt von mehr als 185 Tagen im Ausstellungsmitgliedstaat, aber zugleich ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland bescheinigt und der Aufenthalt in Polen demgegenüber als vorübergehend bezeichnet wird, ergeben sich daraus erhebliche Zweifel daran, dass der Wohnsitz im Ausstellungsmitgliedstaat die Voraussetzungen des Art. 12 der RL 2006/126/EG erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 - 11 CE 17.718 - juris Rn. 18 m.w.N.) Die alleinige melderechtliche Information ohne Kenntnis der tatsächlichen Umstände des polnischen Wohnsitzes ist bei gleichzeitig beibehaltenem dauerhaften Aufenthalt in Deutschland ein ausreichender Hinweis darauf, dass sich der Kläger nur vorübergehend in Polen aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, die Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins in Deutschland zu umgehen (vgl. BayVGH, B.v. 15.9.2015 - 11 ZB 15.1077 - juris Rn. 16 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 29.3.2016 - 12 ME 32/16 - juris Rn. 9 m.w.N.).
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Da unbestreitbare Informationen vorliegen, aus denen sich nicht nur die Möglichkeit, sondern bereits ernstliche Zweifel dahingehend ergeben, dass der Kläger nur einen Scheinwohnsitz im Ausstellungsmitgliedsstaat Polen hatte, sind zur endgültigen Beurteilung der Frage die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen, also ergänzend auch die „inländischen Umstände“ (stRspr, vgl. nur BayVGH, B.v. 7.2.2017 - 11 CS 16.2562 - juris Rn. 16 m.w.N.).
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Folglich durfte der Beklagte zulässigerweise die Angaben der deutschen Einwohnermeldeämter berücksichtigen, welche bestätigen, dass der Kläger bis zum 16. Juli 2015 seinen Hauptwohnsitz in B. gehabt und sich zwar anschließend nach Polen abgemeldet, jedoch wieder ab 22. Juli 2015 mit Hauptwohnsitz in B.l angemeldet hat, sodass er auch im Zeitpunkt der Erteilung des polnischen Führerscheins am 29. Juli 2015 mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war. Die pauschale Behauptung, der Kläger könne nicht nachvollziehen, wie es zu der Wiederanmeldung in Deutschland gekommen sei, obwohl der Beklagte zutreffend ausführt, dass dies eine Unterschrift des Klägers erfordert, wertet das Gericht insoweit als bloße Schutzbehauptung.
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1.3 Aus der Zusammenschau der ausländischen und inländischen Umstände folgen erhebliche Zweifel am Vorliegen eines polnischen Wohnsitzes, sodass die durch den Führerschein des Ausstellermitgliedstaats begründete Annahme, das Wohnsitzerfordernis sei zum Ausstellungsdatum erfüllt, erschüttert ist. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Fahrerlaubnisinhaber substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat im Zusammenhang mit der Fahrerlaubniserteilung sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden, machen muss, wenn er trotz der das Gegenteil ausweisenden Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat und der inländischen Umstände darauf beharrt, das Wohnsitzerfordernis eingehalten zu haben (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2015 - 3 B 48.14 - juris Rn. 6; B.v. 22.10.2014 - 3 B 21.14 - juris Rn. 3; U.v. 30.5.2013 - 3 C 18.12 - juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 22.8.2016 - 11 CS 16.1230 - juris Rn. 20; B.v. 20.5.2015 - 11 CS 15.685 - juris Rn. 15; OVG NW, U.v. 16.5.2014 - 16 A 2255/10 - juris Rn. 30). Dies gilt umso mehr, als für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger seinen Lebensmittelpunkt tatsächlich nach Polen verlagert hatte, die tatsächlichen Wohn- und Lebensverhältnisse maßgeblich sind, nicht aber Eintragungen in behördliche Register (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2012 - 11 CS 11.2795 - juris Rn. 35).
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Der Kläger vermochte jedoch weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren nachvollziehbar und substantiiert Umstände darlegen, aus denen sich eine persönliche oder berufliche Bindung dergestalt ergeben hätte, die die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Polen tragen könnten.
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Insbesondere hat der Kläger keinerlei substantiierte weitere Angaben zum Grund und den Umständen seines Aufenthalts in Polen gemacht, sondern lediglich zwei Quittungen der Fahrschule … B. in S. vom 29. Mai 2014 für „1. Anreise B“ und vom 13. Juli 2015 für „Nachprüfung Kl. B“ vorgelegt, die eher darauf hindeuten, dass der Kläger nur anlässlich der Anmeldung zur Führerscheinprüfung bzw. deren Durchführung nach Polen gereist ist und daher keinerlei weitere Belege - wie beispielsweise einen Mietvertrag oder entsprechende Rechnungen - über seinen Aufenthalt in Polen vorlegen kann. Auch die vom Kläger vorgelegte weitere Meldebescheinigung vom 14. Juli 2015 über einen vorübergehenden Aufenthalt für den Zeitraum vom 14. Juli 2015 bis 13. Februar 2016, gibt zwar an, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Ausstellung des polnischen Führerscheins seinen vorübergehenden Aufenthalt in Polen hatte, attestiert zugleich aber seinen dauerhaften Wohnsitz in Deutschland. Zwar setzt die Rechtsprechung nicht voraus, dass für die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes die 185-Tage-Frist bereits bei Ausstellung des Führerscheins verstrichen sein muss, allerdings müssen Anhaltspunkte gegeben sein, dass sich der Betroffene an diesem Ort, an dem er über persönliche und ggfs. berufliche Bindungen verfügt, auf eine Weise niederlässt, die es als gesichert erscheinen lassen, dass er dort an 185 Tagen wohnen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 - 11 CE 17.718 - juris Rn. 17; B.v. 19.3.2013 - 11 CS 13.407 - juris Rn. 41; B.v. 22.2.2010 - 11 CS 09.1934 - juris Rn. 29-3). Solche Beziehungen nach S. hat der Kläger, wie bereits ausgeführt, jedoch in keiner Weise dargetan.
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2. Nach alledem begegnen auch die übrigen im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zu überprüfenden Folgeregelungen - Abgabe einer Eidesstattlichen Versicherung (§ 5 Satz 1 StVG) bzw. Vorlage des polnischen Führerscheins zum Eintragen eines Sperrvermerks (§ 47 Abs. 2 Satz 1 FeV), Zwangsgeldandrohung und Kostenentscheidung - keinen rechtlichen Bedenken.
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3. Folglich war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.