Inhalt

VGH München, Urteil v. 10.05.2022 – 1 B 19.362
Titel:

Tekturbaugenehmigung für Einfamilienhaus - Fortsetzungsfeststellungsklage

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
GO Art. 26 Abs. 2 S. 1
BayBO Art. 63 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1
BauGB § 34
Leitsätze:
1. Von einem Tekturantrag oder einer Tekturgenehmigung kann nur gesprochen werden, wenn die Identität des (genehmigten) Vorhabens gewahrt bleibt. Handelt es sich der Sache nach um einen vollständig neuen Bauantrag ("aliud"), der eine neue Baugenehmigung erforderlich macht, ist das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Gestalt im Ganzen auf seine Genehmigungsfähigkeit zu prüfen. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch im Falle einer rechtswidrigen Ablehnung eines beantragten Verwaltungsakts kann eine Verurteilung zum Erlass des Verwaltungsakts oder zur erneuten Entscheidung darüber nur erfolgen, wenn das neue Recht für diese Fälle die Anwendung des alten Rechts anordnet oder einen Anspruch für derartige Fälle (sog. Folgenbeseitigungslast) einräumt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zur Erzielung von Einheitlichkeit, zur Vermeidung einer unregelmäßigen Dachlandschaft oder im Interesse einer positiven Gestaltungspflege können in einer Ortsgestaltungssatzung (Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO) Dachformen festgelegt sowie Dachauf- und -ausbauten untersagt werden. Die Gemeinden haben im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO einen beträchtlichen gestalterischen Spielraum und dürfen einen strengen ästhetischen Maßstab anlegen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Klage kann auch auf die Feststellung gerichtet sein, dass dem Bauherrn während eines bestimmten Zeitraums ein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung oder eines Vorbescheids zustand. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fortsetzungsfeststellungsklage, Erteilung einer neuen Baugenehmigung, Nichtigkeit eines Bebauungsplans wegen Ausfertigungsmangel, Widerspruch zu Ortsgestaltungssatzung aufgrund Dachgestaltung, Keine Zulassung einer Abweichung, Tekturgenehmigung, aliud, geänderte Dachkonstruktion, Vertrauensschutz
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 21.06.2016 – 1 K 15.1496
Fundstelle:
BeckRS 2022, 12028

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Beklagte im Zeitpunkt unmittelbar vor Inkrafttreten der Örtlichen Bauvorschrift zur Ortsgestaltung (Ortsgestaltungssatzung) der Gemeinde R* … vom 22. Juni 2021, bekannt gemacht am 2. Juli 2021, verpflichtet war, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zwei Drittel, der Beklagte und die Beigeladene tragen je ein Sechstel.
Von den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Berufungsverfahren trägt die Klägerin zwei Drittel, im Übrigen trägt die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer Tekturgenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. …12, Gemarkung Z* … Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „S* … …“, den der Gemeinderat der Beigeladenen am 7. Juni 1977 als Satzung beschlossen hat und der in der Folge mehrfach geändert wurde. Das Grundstück der Klägerin ist auch von der Ortsgestaltungssatzung der Beigeladenen erfasst, die erstmals am 1. September 1982 in Kraft trat. Die Beigeladene beschloss am 4. Januar 2012, am 23. Oktober 2018 und am 22. Juni 2021 Neufassungen der Satzung. Mit Bescheid vom 18. Januar 2012 erteilte der Beklagte die Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses, mit Bescheid vom 31. Juli 2012 die Tekturbaugenehmigung für die Erweiterung der Kellerräume. Anlässlich einer Baukontrolle am 22. Januar 2014, bei der Abweichungen von der erteilten Genehmigung festgestellt wurden, wurde die Klägerin zur Vorlage geänderter Planunterlagen aufgefordert. Den daraufhin unter dem 15. Juli 2014 erneut gestellten Tekturantrag, zu dem die Beigeladene mit Beschluss ihres Bauausschusses vom 7. August 2014 das Einvernehmen verweigerte, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12. März 2015 ab.
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Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 21. Juni 2016 abgewiesen. Das bereits ausgeführte und aus mehreren Einzelmaßnahmen bestehende Gesamtvorhaben sei nicht bereits teilweise durch die erteilte Baugenehmigung oder die Tekturbaugenehmigung genehmigt. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässig. Die Festsetzungen des Bebauungsplans stünden dem Vorhaben nicht entgegen. Der Bebauungsplan sei formell unwirksam, da er erst nach seiner Bekanntmachung ausgefertigt worden sei. Das Wohnhaus der Klägerin füge sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die Umgebungsbebauung ein. Es widerspreche jedoch den Festsetzungen der Ortsgestaltungssatzung der Beigeladenen vom 4. Januar 2012. Der geltend gemachte Ausfertigungsmangel liege nicht vor. Die Ortsgestaltungssatzung überschreite nicht den Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO. Die damit verbundene Einschränkung des Eigentumsrechts nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sei verhältnismäßig. Die Beigeladene habe eine Bestandsaufnahme ihres Ortsbilds vorgenommen, den Geltungsbereich der Satzung für die Ortsteile bestimmt und für das Zentrum eigene Festsetzungen hinsichtlich Kniestock, Dachneigung und Dachform erlassen. Das Ortsbild der Beigeladenen stelle sich hier als weitgehend einheitlich dar. Das Wohngebäude der Klägerin verfüge nicht über den nach Nummer 7.1 Satz 1 der Ortsgestaltungssatzung erforderlichen Dachüberstand von mindestens 80 cm. Soweit nach Osten hin über dem Treppenaufgang eine Überdachung mit einer Tiefe von 1,7 m vorhanden sei, schließe diese mit der restlichen Wand ab und erwecke daher den Eindruck einer einheitlichen Fassade. Auch die von Süden sichtbare Überdachung des Balkons mit einer Tiefe von 1,3 m stelle keinen Dachüberstand im Sinn der Ortsgestaltungssatzung dar, sondern verleihe dem Balkon vielmehr den Charakter einer Loggia. Die Zulassung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO sei weder beantragt noch möglich.
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Die Klägerin beantragt in dem vom Senat mit Beschluss vom 20. Februar 2019 zugelassenen Berufungsverfahren zuletzt:
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I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21. Juni 2016 wird abgeändert. Der Bescheid des Landratsamtes T* … vom 12. März 2015 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen, hilfsweise über den Bauantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
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Hilfsweise zu Ziffer I:
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II. Es wird festgestellt, dass der Beklagte im Zeitpunkt unmittelbar vor Inkrafttreten der Örtlichen Bauvorschrift zur Ortsgestaltung (Ortsgestaltungssatzung) der Gemeinde R* … vom 22. Juni 2021 bzw. bis zum Inkrafttreten der Örtlichen Bauvorschrift zur Ortsgestaltung (Ortsgestaltungssatzung) der Gemeinde R* … vom 22. Juni 2021 verpflichtet war, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
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Maßgeblicher Zeitpunkt sei hier ausnahmsweise der Zeitpunkt der behördlichen Ablehnungsentscheidung, da das Vorhaben zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf die formell unwirksame Ortsgestaltungssatzung 2012 materiell rechtmäßig gewesen sei und seitdem Bestandsschutz genieße. Die Festsetzungen des Bebauungsplans „S** …“ hätten dem Vorhaben nicht entgegengestanden, da dieser formell unwirksam sei. Aber auch unabhängig von der Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die gerichtliche Entscheidung stünden die Ortsgestaltungssatzungen dem Vorhaben nicht entgegen. Die Ortsgestaltungssatzung vom 4. Januar 2012 sei wegen eines Ausfertigungsmangels gemäß Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO unwirksam. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Ausfertigung von aus mehreren Einzelblättern bestehenden Bebauungsplänen fänden auch bei der Ortsgestaltungssatzung Anwendung. Es fehle hier an der erforderlichen gedanklichen Schnur zwischen dem tatsächlich ausgefertigten Einzelblatt und den übrigen Einzelblättern. Weiter sei eine vollständige Bekanntmachung der Satzung nicht erfolgt, da eine Bekanntmachung der zeichnerischen Darstellungen und Karten fehle. Aus den gleichen Gründen dürfte auch die Ortsgestaltungssatzung 1982 unwirksam sein, zumindest sei der Geltungsbereich nach Ziff. 1.1 so weit gefasst, dass für die Satzung kein Schutzbedürfnis bestehe. Auch die Ortsgestaltungssatzung vom 23. Oktober 2018 sei unwirksam, da der räumliche Geltungsbereich der Satzung nicht hinreichend bestimmt sei. Nach Nummer 1.1 der Ortsgestaltungssatzung 2018 gelte diese Satzung insbesondere „innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und des Geltungsbereichs der Bebauungspläne“. Diese Formulierung genüge nicht den rechtstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit des räumlichen Geltungsbereichs von örtlichen Bauvorschriften. Der Geltungsbereich müsse unzweifelhaft von vornherein feststehen und dauerhaft fixiert sein. Dies sei nicht gegeben, wenn er von Faktoren abhängig sei, die außerhalb der örtlichen Bauvorschriften lägen und von der faktischen baulichen Entwicklung oder von der gemeindlichen Planungstätigkeit abhängig seien und sich deshalb letztlich als dynamisch darstellen würden. Vorliegend sei der Gemeinde zumindest mit § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 BauGB die Möglichkeit eröffnet, im Zusammenhang bebaute Ortsteile durch Satzung auszudehnen oder überhaupt erst neu zu schaffen. Daneben sei anerkannt, dass § 34 BauGB eine gewisse dynamische Tendenz habe. Jedenfalls könne insoweit beim Satzungserlass der örtlichen Bauvorschrift keine Abwägung stattgefunden haben. Nichts Anderes gelte im Hinblick auf die von Nummer 1.1 ebenfalls erfassten Geltungsbereiche von Bebauungsplänen. Der räumliche Geltungsbereich sei ferner insoweit unbestimmt, als in Nummer 1.1 für den Bereich des Sanierungsgebiets auf „Anlage 1“ verwiesen werde. Die dadurch in Bezug genommene Karte bzw. Plandarstellung sei nicht vermasst, sodass sich die genauen Grenzen des Sanierungsgebiets nicht zweifelsfrei feststellen ließen. Auch an anderer Stelle enthalte die Ortsgestaltungssatzung keine hinreichend bestimmte Festsetzung des räumlichen Geltungsbereichs des Sanierungsgebiets. Durch den Begriff „Ortsmitte“ werde der Geltungsbereich jedenfalls nicht eindeutig und abschließend festgelegt. Zudem habe die Beigeladene im Rahmen der Abwägung ihren privaten Interessen nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Ortsgestaltungssatzung 2021 sei aufgrund eines Ausfertigungsmangels unwirksam. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Satzung vom Bürgermeister der Beigeladenen bereits vor Beschlussfassung unterzeichnet worden sei. Der Beschluss des Gemeinderats, der in der C* …-Arena getagt habe, sei am 22. Juni 2021 gegen 18:30 Uhr gefasst worden; es sei nicht plausibel, dass die Satzung danach vom Bürgermeister unterzeichnet worden sei. Weiter sei die Festlegung des Geltungsbereichs durch Ziff. 1.1 der Satzung unbestimmt, da es sich bei der übersandten Kopie der „Anlage 1 - Karte „Ortsmitte“ - Maßstab 1:5000“ um eine verkleinerte bzw. vergrößerte Kopie handle und der Maßstab sich nicht exakt bestimmen ließe; zudem seien einzelne Parzellen bzw. Flurstücke vom Geltungsbereich der Anlage 1 nur teilweise erfasst. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Gestaltungsvorschriften nunmehr abweichend von der Ortsgestaltungssatzung 2012 im gesamten Gemeindegebiet gelten sollten und damit massiv ausgedehnt worden seien. Auch sei insoweit kein erhaltenswertes Ortsbild vorhanden. Zudem habe die Beigeladene im Rahmen der Abwägung ihren privaten Interessen nicht hinreichend Rechnung getragen. Eine Auseinandersetzung mit dem streitgegenständlichen Bauantrag habe nicht stattgefunden. Das Vorhaben stehe in Einklang mit dem materiellen Baurecht und sei seit 2014 genehmigungsfähig gewesen. Weder seien der bestehende Bestandsschutz noch die mit dem Erlass der Ortsgestaltungssatzung verbundenen Mehrkosten berücksichtigt worden. Soweit die Beigeladene zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses weiterhin von der Wirksamkeit der Ortsgestaltungssatzungen 2012 und 2018 ausgegangen sei, habe sie ihrer Abwägungsentscheidung eine fehlerhafte Rechtslage zugrunde gelegt. Es fehle zudem an einer Interessenabwägung dahingehend, ob die Beschränkung des bestehenden Baurechts bzw. des bestandsgeschützten Vorhabens eine Übergangs-, Ausnahme- und Befreiungsregelung und/oder eine Ausgleichsklausel erfordert hätten. Etwas Anderes könne nur gelten, wenn sich der Ortsgestaltungssatzung im Wege der (verfassungskonformen) Auslegung eine Übergangsvorschrift bzw. Befreiungsregelung entnehmen ließe, die die Genehmigung des klägerischen Vorhabens noch zuließe. Als Ansatzpunkt für eine dahingehende Interpretation ließe sich die Regelung in Nummer 13 der Ortsgestaltungssatzung heranziehen, wonach bei Vorliegen eines atypischen Falls eine Abweichung von den Vorgaben der Satzung zugelassen werden könne. Jedenfalls stelle sich die Ortsgestaltungssatzung aus diesen Gründen - unabhängig davon, ob der Abwägungsvorgang der gerichtlichen Kontrolldichte entzogen sei - ihr gegenüber als eine unangemessene Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG dar. Eine Vorbildwirkung für etwaige künftige Bauvorhaben ohne Dachüberstand sei aufgrund der vorhandenen Sondersituation nicht zu befürchten.
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Jedenfalls lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung nach Ziff. 13 der Ortsgestaltungssatzung 2021 vor. Es sei anerkannt, dass eine Rechtsänderung während eines laufenden Genehmigungsverfahrens eine Abweichung rechtfertigen könne, wenn ein Vorhaben mehr als nur unwesentlich umgeplant werden müsse, das im schutzwürdigen Vertrauen auf die Genehmigungsfähigkeit geplant worden sei. Bis zur (unterstellt) wirksamen Bekanntmachung der Ortsgestaltungssatzung 2021 habe keine rechtswirksame örtliche Bauvorschrift existiert. Ein Bauwerber dürfe auf die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Rechtslage und den Genehmigungsanspruch vertrauen, insbesondere wenn eine Sicherung der Bauleitplanung nach §§ 14 ff. BauGB weder beabsichtigt noch möglich sei. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Beigeladene keine bloße Fehlerheilung betrieben habe, sondern die Ortsgestaltungssatzungen 2018 und 2021 erheblich von der Ortsgestaltungssatzung 2012 abwichen. Der Übergang zwischen den unwirksamen Ortsgestaltungssatzungen und der Ortsgestaltungssatzung 2021 ohne Übergangsvorschrift stelle zudem eine unzumutbare Härte dar. Soweit der Auffassung, dass ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung bestehe, nicht gefolgt werde, hätte sich der Verwaltungsakt durch Änderung der Rechtslage nachträglich „erledigt“. Es bestehe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen sei. Dieses bestehe auch nach Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens fort. Der angestrebte Entschädigungsprozess sei nicht aussichtslos. Die rechtswidrige Ablehnung einer Baugenehmigung sei als enteignungsgleicher Eingriff zu werten, der auf eine angemessene Entschädigung der durch den Eingriff entstandenen Schäden gerichtet sei, beispielsweise die Kosten für das Baugesuch und nutzlose Aufwendungen.
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Der Beklagte trägt ohne eigene Antragstellung vor, dass für den von der Klägerin gestellten Hilfsantrag jedenfalls das erforderliche Feststellungsinteresse fehle. Mit Schreiben vom 17. März 2021 legte er den Bescheid des Landratsamts vom 15. März 2021 vor, mit dem der Antrag der Klägerin vom 23. Juli 2021, ergänzt durch Schreiben vom 23. November 2021, auf Erteilung von Abweichungen von der Ortsgestaltungssatzung der Beigeladenen abgelehnt wurde.
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Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
12
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung der (Tektur-)Baugenehmigung. Dem Bauvorhaben der Klägerin stünden öffentlich-rechtliche Bauvorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen seien. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung über den Hauptantrag der Klägerin sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Ein Ausnahmefall, wonach auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung abzustellen wäre, liege nicht vor. Es entspräche nicht der Interessenslage der Beteiligten, wenn diese nicht auf zwischenzeitliche Veränderungen oder aber auch auf Erkenntnisse aus dem erstinstanzlichen Verfahren reagieren dürften. Denn der Nachteil, der sich durch die lange Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für die Klägerin ergeben könne, wirke in gleichen Maßen auf die anderen Beteiligten. Sie könne nicht gezwungen sein, an einer örtlichen Bauvorschrift festzuhalten, auch wenn sich in der Zwischenzeit beispielsweise rein tatsächliche Veränderungen o.ä. ergeben hätten, die einen Neuerlass der Satzung erforderten. Der von der Klägerin vorgebrachte Gedanke des „Bestandsschutzes“ wirke in diesem Zusammenhang systemfremd. Eine - behauptete - frühere materielle Legalität alleine führe noch nicht dazu, dass sich der Beurteilungszeitpunkt für die maßgebliche materielle Rechtslage verschiebe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass sich der „Bestandsschutz“ allenfalls deshalb ergäbe, weil die Klägerin vollendete Tatsachen geschaffen und ihr Wohngebäude abweichend von den ursprünglich genehmigten Planunterlagen errichtet habe. Bei einer gebundenen Entscheidung verbleibe es beim grundsätzlichen Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung. Die Ortsgestaltungssatzung vom 23. Oktober 2018 sei wirksam ausgefertigt, die Festsetzungen seien hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar. Für die Bestimmung des Geltungsbereichs der Satzung genüge die Bezugnahme auf den Geltungsbereich von Bebauungsplänen, aber auch auf die Gebiete nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Der Geltungsbereich der Satzung bleibe auch bei künftigen Änderungen oder Konkretisierungen, z.B. durch den Erlass von Innenbereichssatzungen, stets eindeutig bestimmbar. Gleiches gelte für den Neuerlass von Bebauungsplänen, soweit diese keine eigenen ortsgestaltenden Regelungen treffen würden. Soweit auf das „Sanierungsgebiet Ortsmitte“ in Anlage 1 Bezug genommen worden sei, habe diese Anlage nur insoweit Bedeutung gehabt, als bestimmte Regelungen der Satzung in diesem Gebiet nicht oder ausschließlich gelten sollten. Der Geltungsbereich der Ortsgestaltungssatzung im Übrigen sei davon unberührt geblieben. Es handle sich um eine maßstabsgerechte Karte, die einen Maßstab von 1:5000 aufweise und parzellenscharf den Geltungsbereich erkennen lasse. Ein aufgedruckter Maßstab biete keinen Mehrwehrt im Hinblick auf die Bestimmtheit. Die Ortsgestaltungssatzung leide auch nicht an Abwägungsmängeln, die wesentlichen Belange seien zutreffend ermittelt und bewertet worden. Das Interesse der Klägerin an für sie günstigen Festsetzungen, insbesondere der vorgetragene „Bestandsschutz“, hätte nicht berücksichtigt werden müssen, sie habe weiter von der Wirksamkeit der Ortsgestaltungssatzungen ausgehen können. Selbst die unterstellte Unwirksamkeit der früheren Ortsgestaltungssatzungen hätte nicht eine notwendige Auseinandersetzung mit den Rechtspositionen der Klägerin erfordert. Die Ortsgestaltungssatzung vom 22. Juni 2021 sei wirksam, insbesondere sei die Ortsgestaltungssatzung ausweislich der dienstlichen Erklärung des Bürgermeisters nach Beschlussfassung im Gemeinderat ausgefertigt worden. Bei der neu ausgefertigten Karte handle es sich um eine maßstabsgetreue Karte mit dem Maßstab 1:5000. Das Vorhaben der Klägerin, das keinen Dachüberstand aufweise, verstoße gegen Nummer 7.1 der Ortsgestaltungssatzung. Ein Anspruch auf Erteilung der zuletzt beantragten Abweichung bestehe nicht. Die vorgetragene unzumutbare Härte sei alleine auf die abweichende Bauausführung der Klägerin und den daraus resultierenden Schwarzbau zurückzuführen. Die stelle keinen atypischen Fall dar. Für den Hilfsantrag fehle jedenfalls das erforderliche Feststellungsinteresse. Ein verschuldensunabhängiger Anspruch aufgrund Enteignung oder enteignungsgleichem Eingriff wäre offensichtlich unbegründet. Durch die bloße Nichterteilung einer Baugenehmigung werde keine Rechtsposition entzogen. Die Aussicht auf eine Baugenehmigung sei eine bloße Erwartungshaltung, die vom Eigentumsbegriff nicht umfasst sei. Im Übrigen bestehe kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin auf eine (angebliche) Unwirksamkeit der Ortsgestaltungssatzungen, da sie mit deren Änderung bzw. Fehlerheilung habe rechnen müssen und jedenfalls die Satzung aus dem Jahr 1982 gegolten hätte.
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Der Senat hat am 15. Juni 2021 und am 3. August 2021 mündlich verhandelt sowie am 3. August 2021 einen Augenschein durchgeführt. Angesichts der Bemühungen der Parteien um eine einvernehmliche Lösung wurde eine Entscheidung über eine Abweichung weiter zurückgestellt. Die Beteiligten haben sich mit einem Übergang ins schriftliche Verfahren einverstanden erklärt. Nachdem eine einvernehmliche Verfahrensbeendigung nicht zustande gekommen ist, haben sie sich mit der Einbeziehung des Bescheids des Beklagten vom 15. März 2021, mit dem der Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Abweichung abgelehnt wurde, in das Berufungsverfahren einverstanden erklärt.
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Auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 15. Juni 2021 und 3. August 2021 sowie des Augenscheins mit Bildaufnahmen wird Bezug genommen. Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Normaufstellungsakten und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Berufung konnte mit Einverständnis aller Beteiligter ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Nach der für die Entscheidung über die Verpflichtungsklage maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bleibt die im Hauptantrag erhobene Klage erfolglos. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Tekturbaugenehmigung gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO noch einen Anspruch auf erneute Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Das abweichend von der bereits erteilten Baugenehmigung errichtete Vorhaben ist in seiner Gesamtheit genehmigungsbedürftig (1.). Es ist bauplanungsrechtlich genehmigungsfähig, die Festsetzungen des Bebauungsplans „S** …“ der Beigeladenen stehen dem Vorhaben nicht entgegen (2.). Das nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilende Vorhaben ist zulässig (3.). Dem Vorhaben steht jedoch die Ortsgestaltungssatzung der Beigeladenen vom 22. Juni 2021 entgegen (4.). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung von Ziff. 7.1 der Ortsgestaltungssatzung (5.). Die Klage ist aber mit der hilfsweise beantragten Feststellung, dass der Beklagte im Zeitpunkt unmittelbar vor Inkrafttreten der Ortsgestaltungssatzung der Beigeladenen vom 22. Juni 2021 verpflichtet war, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen, erfolgreich (6.).
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Tekturbaugenehmigung gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Das abweichend von der erteilten Baugenehmigung errichtete Vorhaben ist in seiner Gesamtheit genehmigungsbedürftig.
18
Die Klägerin beantragt für das streitgegenständliche Gebäude, das abweichend von der Baugenehmigung vom 18. Januar 2012 und der Tekturgenehmigung vom 31. Juli 2012 errichtet wurde, mit ihrem abgelehnten „Tekturantrag“ die (nachträgliche) Genehmigung von Abweichungen. Diese betreffen die Errichtung eines Aufzugs, die Erweiterung eines Garagengebäudes, die Verlängerung des Balkons über den Aufzugschacht, die Veränderung der Befensterung, die Errichtung einer Verschattungskonstruktion am Balkon sowie einer Natursteinwand an Stelle der Betonstützwand sowie einer zusätzlichen Natursteinwand, die Änderung der Dachkonstruktion, die Errichtung eines Dachs ohne Dachüberstände sowie die Änderung der Höhenlage des Gebäudes und der Darstellung des natürlichen und des geplanten Geländes. Damit begehrt die Klägerin keine bloße Tekturgenehmigung, sondern eine Genehmigung für ein „aliud“, dessen Genehmigungsfähigkeit unabhängig von der Baugenehmigung vom 18. Januar 2012 und der Tekturgenehmigung vom 31. Juli 2012 gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO im Ganzen neu beurteilt werden muss.
19
Mit dem in der BayBO nicht enthaltenen Begriff der Tekturgenehmigung wird in der Baupraxis üblicherweise eine Genehmigung für geringfügige oder kleinere, das Gesamtvorhaben in seinen Grundzügen nur unwesentlich berührende Änderungen eines bereits genehmigten Vorhabens bezeichnet, die sich während des Genehmigungsverfahrens oder nach Erteilung der Genehmigung ergeben haben bzw. ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 26.10.2021 - 15 B 19.2130 - juris Rn. 28 m.w.N.). Von einem Tekturantrag oder einer Tekturgenehmigung kann aber nur gesprochen werden, wenn die Identität des (genehmigten) Vorhabens gewahrt bleibt. Als für die Identität eines Bauvorhabens wesentliche Merkmale werden in der Rechtsprechung Standort, Grundfläche, Bauvolumen, Zweckbestimmung, Höhe, Dachform oder Erscheinungsbild herausgestellt. Ob eine Veränderung dieser für ein Vorhaben charakteristischen Merkmale die Identität von genehmigten und errichteten Vorhaben aufhebt, hängt vom Umfang der Abweichungen und von der Bewertung ihrer Erheblichkeit im jeweiligen Einzelfall ab. Es kommt dabei entscheidend darauf an, ob durch die Änderung Belange, die bei der ursprünglichen Genehmigung des Vorhabens zu berücksichtigen waren, neuerlich oder andere Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage neu stellt (vgl. BayVGH, U.v. 26.10.2021 a.a.O.). Auf ein „aliud“ weist auch hin, dass ein Vorhaben ohne Zerstörung seiner Substanz oder wesentlicher Teile mit der erteilten Baugenehmigung nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2020 - 1 ZB 18.1164 - juris Rn. 7).
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Die Klägerin verfolgt mit ihrem abgelehnten Bauantrag nicht lediglich kleinere Änderungen, die über eine bloße, die Ausgangsbaugenehmigung ergänzende Tektur- oder Nachtragsbaugenehmigung abgedeckt wären, sondern vielmehr eine Baugenehmigung für ein anderes - bereits verwirklichtes - Vorhaben („aliud“). Denn das von dem Beklagten abgelehnte (und bereits vollständig umgesetzte) Vorhaben soll im Vergleich zum genehmigten Vorhaben insbesondere eine geänderte Dachkonstruktion erhalten, die einen Verzicht auf Dachüberstände ermöglicht, geänderte bzw. zusätzliche Stützmauern mit weitergehender Freilegung des Untergeschosses sowie die zusätzliche Errichtung eines Aufzugsschachts. Die wesentlichen Abweichungen werden durch einen Vergleich zwischen den Bauvorlagen des genehmigten Vorhabens und den abgelehnten Änderungen deutlich. Bei dem von der Klägerin errichteten Gebäude handelt es sich daher um ein anderes Vorhaben, nämlich ein „aliud“. Damit stellt sich für das gesamte Vorhaben die bauplanungsrechtliche Zulässigkeitsfrage hinsichtlich des bauplanungsrechtlichen „Einfügens“ im Ganzen neu, es handelt sich der Sache nach um einen vollständig neuen Bauantrag, der eine neue Baugenehmigung erforderlich macht. Es ist folglich das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Gestalt im Ganzen auf seine Genehmigungsfähigkeit zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 5.4.2019 - 22 CS 18.2572 u.a. - juris Rn. 49).
21
2. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB genehmigungsfähig. Die Festsetzungen des Bebauungsplans „S** …“ der Beigeladenen vom 7. Juni 1977 stehen dem Vorhaben nicht entgegen.
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Der Bebauungsplan ist aufgrund eines von Amts wegen zu prüfenden, gegen Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO verstoßenden Ausfertigungsmangels unwirksam. Bebauungspläne sind Satzungen (§ 10 Abs. 1 BauGB) und als solche nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO auszufertigen. Dies gebietet das in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 BV verfassungsrechtlich verankerte Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerwG, B.v. 4.9.2014 - 4 B 31.14 - ZfBR 2014, 782; U.v. 1.7.2010 - 4 C 4.08 - BVerwGE 137, 247; B.v. 9.5.1996 - 4 B 60.96 - NVwZ-RR 1996, 630), das die Identität der anzuwendenden Norm und ihres Inhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen verlangt. Durch die Ausfertigung wird die Satzung als Originalurkunde hergestellt, die den Willen des Normgebers nach außen wahrnehmbar macht. Zudem wird bestätigt und sichergestellt, dass der Inhalt des als Satzung beschlossenen Bebauungsplans mit dem Willen des Gemeinderats übereinstimmt (vgl. BayVGH, U.v. 28.4.2017 - 15 N 15.967 - juris Rn. 34; U.v. 28.10.2014 - 15 N 12.1633 - NVwZ-RR 2015, 321 - sog. „Identitätsfunktion“, „Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion“, vgl. auch BVerwG, B.v. 21.6.2018 - 4 BN 34.17 - ZfBR 2018, 796; U.v. 1.7.2010 a.a.O.). Darüber hinausgehende Anforderungen stellt das Bundesrecht nicht; Regelungen über Art, Inhalt und Umfang der Ausfertigung richten sich allein nach Landesrecht (vgl. BVerwG, B.v. 4.9.2014 a.a.O.; BayVGH, U.v. 28.10.2014 a.a.O.). In Bayern gibt Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO vor, dass Satzungen auszufertigen sind. Durch die Ausfertigung wird die Satzung als Originalurkunde hergestellt, die den Willen des Normgebers nach außen wahrnehmbar macht. Zudem wird bestätigt und sichergestellt, dass der Inhalt des als Satzung beschlossenen Bebauungsplans mit dem Willen des Gemeinderats übereinstimmt.
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Der Bebauungsplan „S** …“ der Beigeladenen entspricht diesen Anforderungen nicht. Der Bebauungsplan wurde mit Bescheid des Landratsamts am 27. Juli 1979 genehmigt, die Genehmigung wurde am 7. September 1979 ortsüblich bekannt gemacht. Die Ausfertigung des Bebauungsplans mittels Unterschrift des ersten Bürgermeisters und damit die Dokumentation der Identität der „ausgefertigten“ Originalurkunde erfolgte jedoch erst am 3. März 1981 und damit nach der Bekanntmachung (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.1999 - 4 B 129.98 - BayVBl 1999, 410).
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3. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässig, da es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfügt.
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Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils zulässig‚ wenn es sich hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung‚ der Bauweise und der Grundstücksfläche, die bebaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein Vorhaben fügt sich im allgemeinen ein‚ wenn es sich hinsichtlich dieser vier Kriterien innerhalb des Rahmens hält‚ der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Auch ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben kann aber ausnahmsweise zulässig sein‚ wenn es trotz der Überschreitung keine städtebaulichen Spannungen hervorruft (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1994 - 4 C 13.93 - NVwZ 1995, 698).
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Als „nähere Umgebung“ im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 - 4 B 38.13 - NVwZ 2014, 1246; B.v. 20.8.1998 - 4 B 79.98 - NVwZ-RR 1999, 105). Die Grenzen lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 - 4 B 74.03 - juris Rn. 2). Unter dem Eindruck, den der Senat bei der Ortsbesichtigung gewonnen hat und der sich aus den gefertigten Bildern und dem Auszug aus BayernAtlas ergibt, stellt die nähere Umgebung in diesem Sinn für das Maß der Bebauung die Bebauung der Grundstücke nördlich und südlich der Straße A* … dar, ausgehend vom Bestandsgebäude auf dem Vorhabengrundstück in westlicher Richtung bis zur Höhe der Grundstücke A* … … und …, in östlicher Richtung bis zur Höhe des Grundstücks A* … … Dieser Abschnitt ist gekennzeichnet von einer homogenen Bebauung, die aus Wohngebäuden besteht. Insoweit ist von einer gegenseitigen Beeinflussung und Prägung dieser Grundstücke auszugehen.
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Für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung ist maßgeblich die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung. Dabei ist vorrangig auf diejenigen Maßkriterien abzustellen‚ in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt. Das sind vor allem die (absolute) Grundfläche‚ die Anzahl der Geschosse und die Höhe des Gebäudes‚ bei offener Bauweise zudem das Verhältnis der Bebauung zur umgebenden Freifläche (vgl. BVerwG‚ B.v. 3.4.2014 - 4 B 12.14 - BauR 2014‚ 1126). Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben überschreitet das Bauvorhaben den Rahmen der prägenden Umgebungsbebauung in der vorhandenen Hanglage nicht. Das Gebäude der Klägerin hält von der Firsthöhe jedenfalls die Höhe des östlichen Nachbargebäudes ein. Die umgebende Bebauung nördlich der Straße A* … tritt durchgehend zweigeschossig und südlich der Straße am Z* … von der Straßenseite eingeschossig in Erscheinung, was jedoch der Hanglage geschuldet ist. Auch das Gebäude der Klägerin kommt im rückwärtigen, höherliegenden Gartenbereich nur eingeschossig zum Tragen. Der unter dem natürlichen Gelände liegende, überdachte und mit Lichtkuppeln versehene Wohnteil befindet sich nicht außerhalb einer vorhandenen rückwärtigen Gebäudelinie.
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Das Vorhaben beeinträchtigt auch nicht das Ortsbild im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB. Auch ein Vorhaben, das sich gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, kann gleichwohl bauplanungsrechtlich unzulässig sein, wenn es das Ortsbild beeinträchtigt. Die Beeinträchtigung des Ortsbilds ist nur unter städtebaulichen Gesichtspunkten zu beurteilen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.1990 - 4 B 106.90 - BauR 1990, 688), nicht aber in baugestalterischer Hinsicht. Diese das Ortsbild schützende Vorschrift stellt auf einen größeren maßstabbildenden Bereich als die für das Einfügensgebot maßgebliche nähere Umgebung ab (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000 - 4 C 14.98 - NVwZ 2000, 1169). Das Erfordernis eines Dachüberstands ist ein baugestalterischer Gesichtspunkt, der wie hier mit einer Ortsgestaltungssatzung geregelt werden kann.
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4. Das Vorhaben widerspricht aber Ziff. 7.1 der Ortsgestaltungssatzung vom 22. Juni 2021, bekannt gemacht am 2. Juli 2021. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Verpflichtungsklage nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, die auf die Erteilung der Tekturgenehmigung gerichtet ist, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 16.8.2017 - 4 B 18.17 - juris Rn. 4). Sinn und Zweck eines Berufungsverfahrens ist die Herbeiführung einer richtigen Entscheidung, also einer Entscheidung, die mit der (maßgeblichen) Sach- und Rechtslage im Einklang steht (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.2002 - 7 AV 3.02 - NVwZ 2003, 490).
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Ein Ausnahmefall, wonach abweichend davon auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung abzustellen wäre - hier der Zeitpunkt der Ablehnung des Bauantrags - liegt nicht vor. Denn auch im Falle einer rechtswidrigen Ablehnung des beantragten Verwaltungsakts kann eine Verurteilung zum Erlass des Verwaltungsakts oder zur erneuten Entscheidung darüber nur erfolgen, wenn das neue Recht für diese Fälle die Anwendung des alten Rechts anordnet oder einen Anspruch für derartige Fälle (sog. Folgenbeseitigungslast) einräumt (stRspr BVerwG, U.v. 23.2.2012 - 2 C 76.10 - BVerwGE 142, 59 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Die neue Ortsgestaltungssatzung hat die Vorgängersatzungen - ohne Überleitungsvorschrift - ersetzt. Die Klägerin kann insoweit ggf. auf einen Feststellungsantrag verwiesen werden, den sie auch mit dem Hilfsantrag gestellt hat (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 - 1 C 10.11 - BVerwGE 143, 38; B.v. 11.11.2002 - 7 AV 3.02 - NVwZ 2003, 490; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 63). Auch die von der Klägerin angeführte materielle Legalität führt nicht zu einer Verschiebung des Beurteilungszeitpunkts für die materielle Rechtslage. Die Gemeinde kann mit dem Instrumentarium der Bauleitplanung oder einer Gestaltungssatzung die baurechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen ändern (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2007 - 4 C 9.07 - BVerwGE 130, 113).
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4.1 Die somit maßgebliche Ortsgestaltungssatzung vom 22. Juni 2021 ist formell wirksam. Ein Ausfertigungsmangel liegt nicht vor. Die auch für Ortsgestaltungssatzungen nach dem Rechtsstaatsprinzip gebotene Ausfertigung bestimmt sich nach Art. 26 Abs. 2 GO. Die Ausfertigung hat die Übereinstimmung des vom Satzungsgeber beschlossenen mit dem bekanntzumachenden Satzungsinhalt zu gewährleisten. Dazu wird auf die vorstehenden Ausführungen unter Nr. 2 zur Wirksamkeit des Bebauungsplans verwiesen. Satzungen dürfen danach erst ausgefertigt werden, wenn der entsprechende Satzungsbeschluss erfolgt ist (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2007 - 26 N 06.2031 - juris Rn. 21). Das ist hier der Fall. Der erste Bürgermeister hat die Ortsgestaltungssatzung am 22. Juni 2021 unterzeichnet. Dass es sich dabei um den Tag der Beschlussfassung handelt, ist unschädlich. Anhaltspunkte dafür, dass von der üblichen Verfahrensweise abgewichen wurde, liegen nicht vor. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) verlangt in diesem Zusammenhang nur, dass Rechtsnormen nicht mit einem anderen als dem vom Normgeber gewollten Inhalt erlassen werden.
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Die Klägerin rügt, dass der erste Bürgermeister auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht angeben konnte, zu welchem Zeitpunkt er die Satzung am 22. Juni 2021 unterzeichnet habe. Da der Satzungsbeschluss am frühen Abend gegen 18:30 Uhr gefasst worden sei, sei nicht nachvollziehbar, dass die Ausfertigung zeitlich nach der Beschlussfassung erfolgt sei. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Satzung bereits vor Beschlussfassung unterzeichnet worden sei. Das trifft so nicht zu. Der erste Bürgermeister hat mit dienstlicher Erklärung vom 1. Dezember 2021 glaubhaft versichert, dass er die Ortsgestaltungssatzung am 22. Juni 2021 nach Beschlussfassung durch den Gemeinderat ausgefertigt habe. Dieser Ablauf ist ungeachtet der vorgetragenen Beschlussfassung am frühen Abend plausibel. So wurde auch geltend gemacht, dass der enge zeitliche Zusammenhang dem bevorstehenden gerichtlichen Termin zur Ortseinsicht geschuldet gewesen sei, bis zu dem eine Fehlerheilung habe durchgeführt werden müssen. Es steht daher zur Überzeugung des Senats fest, dass die Ausfertigung ordnungsgemäß erfolgt ist.
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4.2 Die Ortsgestaltungssatzung ist auch materiell wirksam, insbesondere entspricht sie Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO. Danach können die Gemeinden im eigenen Wirkungskreis örtliche Bauvorschriften über die besonderen Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern erlassen. Anforderungen an Dächer im Bereich positiver Gestaltungspflege sind regelmäßig zulässig, da Dächer in besonderem Maß das Gesamtbild einer Gemeinde bestimmen und Ausdruck eines ortsüblichen und landschaftsgebundenen Baustils sind, wie er häufig in Oberbayern anzutreffen ist. Zur Erzielung von Einheitlichkeit, zur Vermeidung einer unregelmäßigen Dachlandschaft oder im Interesse einer positiven Gestaltungspflege können demnach Dachformen festgelegt sowie Dachauf- und -ausbauten untersagt werden (vgl. BayVGH, U.v. 11.9.2014 - 1 B 14.169 - BayVBl 2015, 637). Die Gemeinden haben im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO einen beträchtlichen gestalterischen Spielraum und dürfen einen strengen ästhetischen Maßstab anlegen (vgl. BayVGH, U.v. 9.8.2007 - 25 B 05.1340 - juris Rn. 41).
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Auch die mit der Satzung verbundene Einschränkung des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist verhältnismäßig. Danach sind Verbote nur gerechtfertigt, soweit ortsgestalterische Gründe sie erfordern (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.1.2012 - Vf. 18-VII-09 - BayVBl 2012, 397). Dies schließt aber nicht aus, Verbote für das (ganze) Gemeindegebiet zu erlassen, um auf diese Weise Einfluss auf das örtliche Gesamterscheinungsbild Einfluss zu nehmen (vgl. BVerwG, B.v. 10.7.1997 - 4 NB 15.97 - ZfBR 1997, 327; BayVGH, U.v. 11.9.2014 a.a.O.). Nach der Ortseinsicht und den vorgelegten Unterlagen, insbesondere der umfangreichen Fotodokumentation zur Ortsgestaltungssatzung 2018, stellt sich das Ortsbild der Beigeladenen überwiegend einheitlich dar. Gerade auch im Bereich des Vorhabengrundstücks sind in Bezug auf die Dachform und Dachgestaltung - mit Ausnahme des Vorhabengrundstücks - Satteldächer mit einem Dachüberstand vorhanden.
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Die Festsetzung in Ziff. 1.1 der Ortsgestaltungssatzung, mit der der Geltungsbereich für den Bereich der „Ortsmitte“ mit der als Anlage 1 beigefügten und markierten Karte bezeichnet wird, genügt den Anforderungen an den Grundsatz der Bestimmtheit und Normenklarheit. Entsprechend den in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung für Normenkontrollanträge gegen Bebauungspläne entwickelten Grundsätzen müssen die Festsetzungen einer sonstigen kommunalen Satzung - wie hier der Ortsgestaltungssatzung - als Rechtsnorm im materiellen Sinn den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit sowohl für zeichnerische als auch für textliche Festsetzungen folgt daraus, dass die Festsetzungen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Eigentums unmittelbar berühren und ausgestalten. Die von den Festsetzungen der Ortsgestaltungssatzung Betroffenen müssen deshalb wissen, welche Nutzungen auf den Grundstücken zulässig sind. Der planenden Gemeinde steht es dabei frei, zu entscheiden, welcher Mittel sie sich bedient, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen. Sie hat die Wahl zwischen zeichnerischer Festsetzung und textlicher Beschreibung; sie kann auch beide Elemente kombinieren. Entscheidend ist nur, dass - gegebenenfalls nach Auslegung - hinreichend klar ist, welche Regelungen mit welchem Inhalt normative Geltung beanspruchen. Das im Einzelfall zu fordernde Maß an Konkretisierung hängt wesentlich von der Art der jeweiligen Festsetzung, den Planungszielen und den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den örtlichen Verhältnissen, ab (vgl. BayVGH, U.v. 6.12.2019 - 15 N 18.636 - juris Rn. 26; U.v. 21.6.2016 - 9 N 12.218 - BayVBl 2016, 850; U.v. 5.2.2009 - 1 N 07.2713 u.a. - juris Rn. 50; OVG NRW, U.v. 2.12.2016 - 2 D 121/14.NE - juris Rn. 62).
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Gemessen an diesen Maßgaben fehlt es nicht an der erforderlichen Bestimmtheit. Die als Anlage 1 beigefügte Karte weist eine zulässige und ausreichende Maßangabe (Maßstab 1:5000) auf, die eine Zuordnung der von den Festsetzungen betroffenen Grundstücke ohne Abgrenzungsschwierigkeiten ermöglicht (vgl. BayVGH, U.v. 18.5.1999 - 9 N 97.2491 - BayVBl 2001, 434; Bielenberg/Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2021, § 1 PlanZV Rn. 8; Engelbrecht in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand März 2022, Art. 51 LStVG Rn. 30). Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 14. Juni 1991 (3 A 960/86), die zu § 125 BauGB ergangen ist, betrifft eine nicht vergleichbare Fallkonstellation, da dort maßgeblich auf eine (ungeeignete) Kartenkopie abgestellt wurde und der räumliche Geltungsbereich - anders als hier - nicht hinreichend ableitbar war. Soweit weiter geltend gemacht wird, Abgrenzungsschwierigkeiten ergäben sich aus der nur teilweisen Erfassung von Grundstücken, trifft das nicht zu. Denn die bei der Ortsgestaltungssatzung vorgenommene Grenzziehung, die sich im Wesentlichen an den bebauten Grundstücken und Straßen orientiert und nur hinsichtlich einiger (unbebauter) Freiflächen geringfügig von der Grundstücksgrenze abweicht, lässt den genauen Grenzverlauf hinreichend deutlich erkennen. Damit fehlt es nicht an einer eindeutigen Bestimmbarkeit des Bereichs „Ortsmitte“. Auch die Bekanntmachung, der die Anlage 1 in verkleinerter Form beigefügt war, ist nicht zu beanstanden, zumal die Anlage 1 aufgrund des Hinweises gemäß Art. 81 Abs. 3 Satz 2 und 3 BayBO in der maßstabsgetreuen zeichnerischen Darstellung im Bauamt der Beigeladenen eingesehen werden kann und den Geltungsbereich der Ortsgestaltungssatzung erkennen lässt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 13.4.2011 - OVG 2 S 94.10 - juris Rn. 14; Engelbrecht in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern a.a.O Rn. 33b).
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Auch soweit in Ziff. 1.1 für den räumlichen Geltungsbereich auf die im Zusammenhang bebauten Ortsteile und den Geltungsbereich der Bebauungspläne verwiesen wird, fehlt es nicht an der hinreichenden Bestimmtheit. Dabei entspricht die Formulierung „innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile“ dem in § 34 BauGB verwendeten Begriff zur Abgrenzung von Außenbereich und unbeplantem Innenbereich. Der mit dieser Formulierung erfasste räumliche Bereich ist in aller Regel ohne Weiteres auf Grund der Siedlungsstruktur erkennbar (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1994 - 4 C 2.94 - BVerwGE 96,110 zu einer Baumschutzsatzung). Das Bundesverwaltungsgericht hat weiter ausgeführt, dass mit der ergänzenden Formulierung „und des Geltungsbereichs der Bebauungspläne“ der räumliche Geltungsbereich der Satzung bestimmbar ist. Auch der Umstand, dass sich der räumliche Geltungsbereich der Ortsgestaltungssatzung sozusagen „dynamisch“ mit der tatsächlichen Veränderung des Bebauungszusammenhangs oder der Änderung des Bestands der Bebauungspläne „automatisch“ mitverändert, führt nicht zur mangelnden Bestimmtheit, da sich der Geltungsbereich im jeweiligen Zeitpunkt der Anwendung der Satzung eindeutig bestimmen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1994 a.a.O.; OVG SH, U.v. 9.5.1995 - 1 L 165.94 - juris Rn. 38; VGH BW, U.v. 28.7.1994 - 5 S 2467/93 - NVwZ 1995, 402). Der Geltungsbereich bleibt auch bei Änderungen oder Konkretisierungen, beispielsweise durch Erlass von Innenbereichssatzungen, eindeutig bestimmbar.
38
Die Ortsgestaltungssatzung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil der Gemeinderat der Beigeladenen bei ihrem Erlass die vorgetragenen Belange der Klägerin, insbesondere das Vorliegen eines Bauantrags, einer materiellen Rechtmäßigkeit ihres bereits verwirklichten Vorhabens sowie die in Betracht zu ziehenden Mehrkosten aufgrund der neuen Satzung nicht in ihre Abwägung eingestellt hat. Denn bei der richterlichen Kontrolle von (untergesetzlichen) Normen kommt es, soweit keine anderweitigen Rechtsvorschriften bestehen, auf das Ergebnis des Rechtssetzungsverfahrens, also auf die erlassene Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung, nicht aber auf die die Rechtsnorm tragenden Motive dessen an, der an ihrem Erlass mitwirkt. Fehlt es an einer besonders ausgestalteten Bindung des Normgebers an gesetzlich formulierten Abwägungsdirektiven, wie sie etwa im Bauplanungsrecht gegeben sind, kann die Rechtswidrigkeit einer Norm nicht mit Mängeln im Abwägungsvorgang begründet werden (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2006 - 6 C 19.05 - BVerwGE 125, 384). Das ist hier bei den selbständigen örtlichen Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 BayBO der Fall. Entscheidend ist damit allein, ob das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden Maßstäben entspricht (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand September 2021, Art. 81 Rn. 77 f.). Daran bestehen nach den vorstehenden Ausführungen keine Zweifel.
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5. Das beantragte Vorhaben steht in Widerspruch zu Ziff. 7.1 der Ortsgestaltungssatzung. Danach sind Satteldächer mit einem Dachüberstand von mindesten 80 cm auszuführen. Diese Anforderungen erfüllt das Gebäude der Klägerin nach dem Eindruck, den der Senat sich bei der Ortsbesichtigung machen konnte, nicht. Das Gebäude verfügt nicht über Dachüberstände. Im Westen ist die Außenwand des Gebäudes bis zur Dachkante vorgezogen, ein Dachüberstand besteht nicht. Auf der östlichen Seite befindet sich über dem Aufzug ein Balkon, der mit einer Jalousie versehen ist. Der sich weiter in Richtung Westen entlang der Hauswand erstreckende Balkon wird lediglich durch die Dachfläche überdacht, ohne dass ein weiterer Dachüberstand angebracht wurde. Von Süden aus entsteht der Eindruck einer einheitlichen Fassade. Die Ortsbesichtigung hat die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die von Süden sichtbare Überdachung des Balkons verleihe diesem den Charakter einer Loggia, bestätigt. Auch an der Ost- bzw. Nordseite befinden sich keine Dachüberstände; an der Nordseite wurde lediglich die Dachrinne vorgezogen.
40
Ein Anspruch auf Erteilung einer Abweichung nach Ziff. 13 i.V.m. 7.1 der Ortsgestaltungssatzung der Beigeladenen i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO besteht nicht. Das Landratsamt hat den Antrag der Klägerin vom 23. Juli 2021 und 23. November 2021 auf Erteilung von Abweichungen von der Ortsgestaltungssatzung nach Ziff. 13 zu Recht mit Bescheid vom 15. März 2022 abgelehnt. Über die Einbeziehung des Ablehnungsbescheids in das Berufungsverfahren besteht allseits Einigkeit, die Einbeziehung ist zudem sachdienlich (§ 91 Abs. 1 VwGO).
41
5.1 Eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann mangels einer atypischen Fallgestaltung nicht zugelassen werden. Es muss sich insoweit um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte grundstücksbezogene Fallgestaltung handeln. Wirtschaftliche Erschwernisse oder besondere persönliche Verhältnisse des Bauherrn rechtfertigen eine Abweichung nicht (vgl. Dhom/Simon in Busse/Kraus, BayBO, Stand September 2021, Art. 63 Rn. 29).
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Gemessen an diesen Maßgaben ist eine solche atypische Fallgestaltung im Hinblick auf Ziff. 7.1 der Ortsgestaltungssatzung nicht zu erkennen. Die von der Klägerin durch das Erfordernis eines Dachüberstands geltend gemachten Beeinträchtigungen für das von ihr (abweichend von der erteilten Genehmigung) errichtete Niedrigenergiehaus, insbesondere die Verwitterung des Holzes und eine Beeinträchtigung des modernen Erscheinungsbilds des Gebäudes, sind nicht grundstücksbezogen und damit nicht geeignet, eine atypische Fallgestaltung zu begründen. Dass die Einhaltung der Vorschriften der Ortsgestaltungssatzung möglich ist, belegt die ursprünglich genehmigte Planung.
43
5.2 Die Erteilung einer Abweichung kommt auch nicht aufgrund eines schutzwürdigen Vertrauens der Klägerin in eine bestehende Rechtsposition zum Zeitpunkt der Antragstellung in Betracht. Auch die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Abweichung richtet sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung. Wird mit der Verpflichtungsklage der Erlass eines Verwaltungsakts begehrt, darf die Behörde zum Erlass nur verpflichtet werden, wenn sie dazu nach der geltenden Rechtslage verpflichtet bzw. befugt ist. Ändern sich die maßgeblichen Rechtsvorschriften, ist die neue Rechtlage vorbehaltlich abweichender Übergangsregelungen auch dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Kläger nachteilig ist (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.1996 - 1 B 82.95 - juris Rn. 12). Dies stellt keine unzumutbare Härte für die Klägerin dar.
44
5.3 Auch kann nicht die Rede davon sein, dass der Klägerin ein an die Unwirksamkeit der Vorgängerortsgestaltungssatzungen anknüpfender Vertrauensschutz zukommen könnte. Zwar sind die früheren Ortsgestaltungssatzungen unwirksam bzw. Außerkraftgetreten.
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Die Ortsgestaltungssatzung vom 23. Oktober 2018, bekannt gemacht am 2. November 2018, ist jedenfalls hinsichtlich der Festsetzungen über die Dachgestaltung unwirksam. Zwar liegen Ausfertigungsmängel nicht vor, es fehlt jedoch an der hinreichenden Bestimmtheit, da die in Ziff. 1.1 angeführte Anlage 1 für den Bereich des Sanierungsgebiets „Ortsmitte“ nicht vermasst ist (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2020 - 1 ZB 19.189 - juris Rn. 14). Ob es sich bei der Karte trotz der fehlenden Maßangabe tatsächlich um eine maßstabsgerechte Karte handelt, kann daher dahinstehen.
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Auch die Ortsgestaltungssatzung 2012, die infolge der Unwirksamkeit der Ortsgestaltungssatzung 2018 wieder auflebt (vgl. BVerwG, B.v. 16.5.2017 - 4 B 24.16 - BauR 2017, 1498; BayVGH, U.v. 9.5.2018 - 1 B 14.2215 - BayVBl 2019, 23), ist unwirksam, da sie an einem Ausfertigungsmangel gemäß Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO leidet. Denn der Satzung, die aus einem Textteil und mehreren Planzeichnungen besteht, ohne dass diese körperlich untrennbar verbunden oder jeweils gesondert ausgefertigt sind, fehlt es an einer „gedanklichen Schnur“. Die Einzelblätter sind weder fortlaufend nummeriert noch enthalten sie inhaltsbestimmende Hinweise, wie beispielsweise das Datum des Satzungsbeschlusses oder das Fassungsdatum, in der Kopf- oder Fußzeile (vgl. BayVGH, U.v. 28.4.2017 - 15 N 15.967 - juris Rn. 46). Diese von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Ausfertigung von aus mehreren Einzelblättern bestehenden Bebauungspläne gelten auch für Ortsgestaltungssatzungen.
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Die Ortsgestaltungssatzung vom 1. September 1982 kann demgegenüber nicht mehr herangezogen werden. Zwar enthält die Ortsgestaltungssatzung 2012 keinen Aufhebungsbeschluss mit der Folge, dass die Festsetzungen der früheren Ortsgestaltungssatzung auf jeden Fall ersatzlos beseitigt werden (vgl. BVerwG, B.v. 16.5.2017 a.a.O.). Jedoch steht einer möglichen Auslegung dahingehend, dass auch diese Ortsgestaltungssatzung mit der Unwirksamkeit der Ortsgestaltungssatzung 2012 wiederaufleben sollte, entgegen, dass die Beigeladene ausweislich der vorliegenden Aufstellungsakte für die Ortsgestaltungssatzung 2012 eine Überarbeitung aus rechtlichen und bautechnischen Gründen für dringend erforderlich gehalten und insbesondere eine differenzierende Betrachtung der gestalterischen Situationen innerhalb des Gemeindegebiets zur Bestimmung der schutzbedürftigen Ortsteile mit Hilfe einer Ortsbildanalyse vorgenommen hat.
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Unabhängig von dem Vorliegen wirksamer Ortsgestaltungssatzungen fehlt es jedoch an dem Vorliegen eines schutzwürdigen Vertrauens mit der Folge, dass der Klägerin wegen einer Reduzierung des Ermessens des Beklagten auf Null die beantragte Abweichung zu erteilen wäre. Ein solcher Anspruch wäre anzunehmen, wenn der Klägerin die Baugenehmigung vor Inkrafttreten der Ortsgestaltungssatzung 2021 zu Unrecht vorenthalten worden wäre und nachträglich keine Umstände eingetreten sind, die eine Ermessensausübung zuungunsten der Klägerin rechtfertigen können (vgl. BVerwG, U.v. 20.8.1992 - 4 C 54.89 - BauR 1993, 51 zu § 8 BauNVO). Solche nachträglichen Umstände sind hier in der Ortsgestaltungssatzung 2021 zu sehen, mit der die Beigeladene in Fortführung ihrer bisherigen (unzureichenden) ortsgestalterischen Planungen erneut gestalterische Regelungen - auch für die hier maßgebliche Dachgestaltung - erlassen und damit die maßgebliche Bedeutung der Festsetzungen zum Ausdruck gebracht hat. Die Beigeladene kann auch nicht darauf verwiesen werden, statt einer Ortsgestaltungssatzung einen Bebauungsplan mit ortsgestalterischen Festsetzungen aufzustellen, um ggf. anhängige Bauvorhaben mittels einer Veränderungssperre nach §§ 14 ff. BauGB sperren oder zurückstellen zu können. Im Übrigen ist auch in den Blick zu nehmen, dass die Klägerin ihr Vorhaben wesentlich abweichend von der Baugenehmigung und in Kenntnis der entgegenstehenden Festsetzungen der Ortsgestaltungssatzung, von deren Wirksamkeit auch das Verwaltungsgericht noch ausgegangen ist, errichtet hat. Sie konnte daher nicht auf die Genehmigungsfähigkeit vertrauen und musste damit rechnen, dass mehr als nur unwesentliche Umplanungen erforderlich sein könnten. Damit fehlt es auch an den erforderlichen weiteren besonderen Umständen (vgl. BayVGH, U.v. 12.11.1987 - 26 B 83 A.2808 - BayVBl 1989, 404).
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6. Der hilfsweise gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig und begründet.
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Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nach Erledigung des Verpflichtungsbegehrens auf Erteilung der Baugenehmigung statthaft und auch im Übrigen zulässig. Dass auch bei Erledigung einer Verpflichtungsklage - hier auf Erteilung einer Baugenehmigung - in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft ist, entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Allerdings darf insoweit mit der beantragten Feststellung der Streitgegenstand nicht ausgewechselt werden. Die Klage kann auch auf die Feststellung gerichtet sein, dass dem Bauherrn während eines bestimmten Zeitraums ein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung oder eines Vorbescheids zustand (vgl. BVerwG, B.v. 21.1.2015 - 4 B 42.14 - juris Rn. 8; B.v. 21.10.2014 - 4 B 76.04 - juris Rn. 2; U.v. 28.4.1999 - 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74; U.v. 27.3.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295; U.v. 28.8.1987 - 4 C 31.86 - BayVBl 1988, 440; SächsOVG, (Zwischen) U.v. 27.3.2014 - 1 A 857.10 - juris Rn. 41). Das die Hauptsache erledigende Ereignis war das Inkrafttreten der Ortsgestaltungssatzung vom 22. Juni 2021 (vgl. BVerwG, B.v. 2.10.1998 - 4 B 72.98 - NVwZ 1999, 523). Zu diesem Zeitpunkt lag eine zulässige Verpflichtungsklage vor. Prozessual unerheblich ist, dass der Fortsetzungsfeststellungsantrag nur hilfsweise gestellt wurde (vgl. BVerwG, U.v. 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128). Das weiterhin erforderliche berechtigte Feststellungsinteresse liegt auch dann vor, wenn ein Kläger während der Anhängigkeit eines Verfahrens von einer ihm (möglicherweise) nachteiligen Rechtsänderung betroffen worden ist und eine Klärung der ursprünglichen Rechtslage erreichen möchte bzw. wenn eine Rechtsklärung im Verhältnis zu anderen Personen nur auf diese Weise möglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 7.5.1996 - 4 B 55.96 - juris Rn. 5; U.v. 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128). Eine solche Klärung kommt vorliegend aufgrund des Vortrags der Bevollmächtigten der Klägerin und der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung am 3. August 2021 in Bezug auf eine mögliche Betreibensaufforderung durch die Beigeladene an den Beklagten zur Beseitigung des Vorhabens in Betracht. Zudem hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 12. November 2021 nach Scheitern der Bemühungen um eine gütliche Einigung die Rücknahme der Klage angeboten, sofern die Beigeladene und der Beklagte im Gegenzug zusichern würden, keine bauaufsichtlichen Maßnahmen wegen der bestehenden Bebauung auf dem Grundstück der Klägerin zu beantragen bzw. einzuleiten.
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Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Die Klägerin hatte im Zeitpunkt unmittelbar vor Inkrafttreten der erneuten Ortsgestaltungssatzung vom 22. Juni 2021 einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung, da das Vorhaben bauplanungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässig war und auch die Ortsgestaltungssatzungen aus den Jahren 2018, 2012 und 1982 der Zulassung des Vorhabens nicht entgegenstanden. Dazu wird auf die vorstehenden Ausführungen unter Nr. 1 bis 5 verwiesen. Damit steht ein bauaufsichtliches Einschreiten nicht im Raum.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Da die Beteiligten jeweils teilweise unterlegen sind, sind die Kosten verhältnismäßig zu teilen. Die Quotelung im Verhältnis zwei Drittel (Klägerin) zu einem Drittel (Beklagter bzw. Beigeladene) berücksichtigt, dass das erfolglose Verpflichtungsbegehren für die Klägerin eine größere Bedeutung hat als das erfolgreiche Feststellungsbegehren. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, erscheint es billig, dass ihre außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig erklärt werden, soweit sie obsiegt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO).
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.