Titel:
Selbständiges Beweisverfahren zur medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung
Normenkette:
ZPO § 485 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz:
Die Voraussetzungen für ein selbständiges Beweisverfahren liegen nicht vor, wenn damit die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung für einen Kostenersatzanspruch in der privaten Krankenversicherung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens festgestellt werden soll. (Rn. 8 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, medizinische Notwendigkeit, Heilbehandlung, selbständiges Beweisverfahren, rechtliches Interesse
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 23.05.2022 – 25 W 622/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 11321
Tenor
I. Der Antrag vom 12.10.2021 auf Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gegenstandswert wird festgesetzt auf 19.974,29 €.
Gründe
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Mit Schriftsatz vom 12.10.2020 beantragte der Antragsteller beim Landgericht Ingolstadt die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO. Es soll ein schriftliches medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt werden. Im Kern geht es darum, festzustellen, ob es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Behandlungszeitpunkt des Antragstellers vertretbar war, durchgeführte Heilbehandlungen als objektiv medizinisch notwendig anzusehen.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Antrag vom 12.10.2020 Bezug genommen.
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Die Antragsgegnerin beantragt die kostenpflichtige Abweisung des Antrages.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
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Der Antrag war zurückzuweisen.
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A) Nach § 485 Abs. 1 ZPO kann während oder außerhalb eines Streitverfahrens auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.
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Auch im Rahmen von § 485 Abs. 1 ZPO ist also die Begutachtung durch einen Sachverständigen möglich. Vorliegend stimmt der Gegner aber nicht zu.
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Es ist auch nicht zu besorgen, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.
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Bei der im anschließenden Hauptsacheverfahren zu klärenden Frage, ob eine medizinische Heilbehandlung als objektiv medizinisch notwendig anzusehen ist, kommt es nämlich nicht auf den jetzigen Zustand oder die jetzige Sichtweise an. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt vor Beginn der Behandlung. Insoweit ist also kein Beweismittelverlust oder Erschwernis der Benutzung, etwa durch eine Veränderung des Gesundheitszustandes beim Antragsteller, zu besorgen. Abzustellen wird sein auf Diagnosen und Behandlungsunterlagen vor Beginn der streitigen Behandlungen. Die Anwendung von § 485 Abs. 1 ZPO scheidet daher aus.
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B) Nach § 485 Abs. 2 ZPO kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist. Voraussetzung ist, dass die Partei ein rechtliches Interesse daran hat, dass
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der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache,
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die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels,
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der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird.
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Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.
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Auch die Voraussetzungen dieser Norm sind nicht gegeben.
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Im Rahmen § 485 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 kann nur die Begutachtung durch einen Sachverständigen hinsichtlich des Zustands einer Person angeordnet werden. Es geht vorliegend nicht um den Zustand des Antragstellers. Der aktuelle Zustand des Antragstellers ist für die sich im späteren Erkenntnisverfahren stellende Frage, ob medizinische Heilbehandlungen objektiv notwendig waren, nicht von Belang, da, wie bereits oben ausgeführt wurde, auf den Zustand vor der Behandlung abzustellen ist. Dieser Zustand kann durch ein aktuelles Sachverständigengutachten nicht besser festgestellt werden, als im späteren Erkenntnisverfahren. Abzustellen ist auf die vor Beginn der Behandlung gestellten Befunde. Auf den aktuellen Zustand des Antragstellers kommt es nicht an.
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Vorliegend geht es auch nicht um einen Personenschaden im Sinne von § 485 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2. Es geht dem Antragsteller nicht darum, die Ursache eines Personenschadens festzustellen. Vorliegend ist auch kein Personenschaden gegeben, sondern eine Erkrankung.
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Deswegen ist auch § 485 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 3. ZPO nicht einschlägig, weil es auch hier um den Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, nicht aber um eine Erkrankung geht.
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Desweiteren fehlt es vorliegend insgesamt schon an einem rechtlichen Interesse im Sinne § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Demnach ist ein rechtliches Interesse anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.
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Auch dieses ist vorliegend nicht gegeben. Die Feststellung der objektiven medizinischen Notwendigkeit der Behandlungen des Klägers ist nur ein Ausschnitt aus den Streitpunkten, die sich im Erkenntnisverfahren stellen werden. Dies zeichnet sich schon nach dem schriftsätzlichen Vorbringen der Parteien im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ab. Neben der Frage der objektiven medizinischen Notwendigkeit der Behandlungen stellen sich noch weitere Rechtsfragen, die in dem vorliegenden selbständigen Beweisverfahren nicht zu prüfen sind und auch nicht geprüft werden können. Die Prüfung von umfangreichen Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des selbständigen Beweisverfahrens.
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Auch sonst ist ein rechtliches Interesse des Antragstellers nicht erkennbar, warum die entsprechenden sachverständigen Feststellungen bereits vor einem ohnehin noch durchzuführenden Erkenntnisverfahren getroffen werden müssten.
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Die Behandlungsmaßnahmen und die entsprechenden Kosten stehen offensichtlich fest. Nachdem, wie bereits ausgeführt wurde, auf den Zustand bzw. die Einschätzung vor Beginn der Behandlung abzustellen ist, kann die entsprechende Begutachtung genauso gut im Erkenntnisverfahren wie im selbständigen Beweisverfahren durchgeführt werden. Ein wie auch immer gearteter Vorteil für den Antragsteller ist nicht erkennbar.
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Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt vorliegend die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 1, Abs. 2 ZPO nicht in Betracht.
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Nachdem es sich bei den Vorschriften über die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens erkennbar um Ausnahmevorschriften handelt, kommt auch eine entsprechende oder analoge Anwendung auf den vorliegenden Fall nicht in Betracht. Der Regelfall ist, dass die Begutachtung durch einen Sachverständigen im Rahmen des Erkenntnisverfahrens durchgeführt wird. Nur ausnahmsweise soll einer Partei gestattet sein, entsprechende Feststellungen schon vor einem Erkenntnisverfahren durchzuführen. Die Voraussetzungen, die das Gesetz hierfür in § 485 Abs. 1, Abs. 2 ZPO aufstellt, sind daher abschließend, der Anwendungsbereich der Norm kann nicht ausgedehnt werden.
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Es muss daher vorliegend gar nicht auf die Zulässigkeit der einzelnen vom Antragsteller gestellten Beweisfragen eingegangen werden. Der Antrag ist insgesamt unzulässig.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, jedenfalls in entsprechender Anwendung.
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Grundsätzlich ist im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens eine Kostenentscheidung nicht veranlasst. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass das selbständige Beweisverfahren durchgeführt wurde. Im Rahmen des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens wird dann auch über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens entschieden.
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Anders ist es aber vorliegend, hier ist eine Kostenentscheidung nach § 91 ZPO veranlasst. Die Antragsgegnerin hat sich anwaltlicher Hilfe bedient, es sind ihr hierdurch Kosten für die Anwaltsgebühren entstanden. Ob es überhaupt ein Erkenntnisverfahren geben wird, in welchem auch über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens entschieden werden könnte, ist nicht absehbar. Im Ergebnis würde dies dann bedeuten, dass die Antragstellerin ihre durch die Beauftragung eines Anwalts entstandenen Kosten selbst tragen muss. Dies ist nicht gerechtfertigt.
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In Übereinstimmung etwa mit dem Landgericht Hannover, Beschluss vom 04.04.2001 (3 OH 36/01-057, VersR 2001, 1099 m.w.N.) sind die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens dem Antragsteller aufzuerlegen.
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Bei der Festsetzung des Gegenstandswerts hat sich das Gericht an dem Vorschlag des Antragstellers orientiert.