Inhalt

Truppendienstgericht Süd München, Beschluss v. 02.02.2022 – S 3 BLa 9/20, S 3 BLa 12/20, S 3 BLa 13/20, S 3 BLa 1/21, S 3 BLa 2/21, S 3 BLa 5/21, S 3 BLa 7/21, S 3 BLa 10/21, S 3 BLa 17/21, S 3 RL 3/21, S 3 RL 4/21, S 3 GL 1/21
Titel:

Kein Rechtsschutzbedürfnis zur Feststellung der Besorgnis der Befangeheit eines Vorsitzenden Richters nach dessen Eintritt in den Ruhestand

Normenketten:
VwGO § 54
ZPO §§ 41 ff.
WBO § 13 Abs. 1 S. 3, § 17, § 21, § 22, § 22a, § 22b, § 23a Abs. 2
Leitsatz:
Zweck der § 23a WBO iVm § 54 VwGO und §§ 41 ff. ZPO ist es, eine (noch ausstehende) Entscheidung unter Mitwirkung eines voreingenommenen Richters zu verhindern. Aus diesem Grund besteht für ein Ablehnungsgesuch kein Rechtsschutzbedürfnis, das gegen einen Richter gerichtet ist, dessen weitere Mitwirkung ohnehin nicht mehr in Betracht kommt, weil er durch den Eintritt in den Ruhestand aus dem Spruchkörper ausgeschieden ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Befangenheit, Auslegung, Befangenheitsantrag, Ruhestand, Ablehnung, Beschwerdeverfahren, Zeitpunkt, Ablehnungsgesuch, Besorgnis, Eintritt, Rechtsschutzbedüfnis, Unzulässigkeit
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 06.04.2022 – 1 WNB 1.22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 11184

Tenor

Das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin vom 15. September 2021 gegen Vizepräsident des Truppendienstgerichts a.D. B wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
1. Die Antragstellerin hat in den o.a. Verfahren jeweils die Entscheidung des Truppendienstgerichts beantragt.
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2. Mit Schreiben vom 4. September 2021 wandte sie sich über ihre Bevollmächtigte an den Präsidenten des Truppendienstgerichts Süd in C und beantragte, Herrn V. a.D. B, vor seinem Eintritt in den Ruhestand Vorsitzender der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd, „von den Aufgaben im Fall OFArzt Dr. D zu entbinden, ggfs. als befangen zu erklären“. Dieser Antrag ging dort am 15. September 2021 per Telefax ein. Die Besorgnis der Befangenheit sollte sich dabei im Wesentlichen aus den folgenden drei Aspekten ergeben.
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a) Zunächst habe Vizepräsident a.D. B einen Antrag auf einstweilige Anordnung bzgl. der Gewährung von Betreuungsurlaub erst nach vierzehn Tagen an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen.
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b) Außerdem sei die Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Anordnung vom 2. September 2021 bezüglich eines Befehls vom 25. August 2021, sich am 7. September 2021 um 13:30 Uhr bei einem anderen Truppenarzt sowie zu einem Zeitpunkt im Oktober 2021 im Bundeswehrkrankenhaus E vorzustellen, erst am 7. September 2021 um 14:30 Uhr an die Bevollmächtigte der Antragstellerin gefaxt worden. Zudem beziehe sich diese Entscheidung nur auf einen Befehl vom 16. August 2021 jedoch nicht auf den Befehl vom 25. August 2021.
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c) Schließlich habe Vizepräsident a.D. B bereits im Februar 2021 vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr gefordert, ein „Dienstfähigkeitsverfahren“ gegen die Antragstellerin einzuleiten, damit ein bei der 3. Kammer anhängiges Verfahrens ausgesetzt werden könne.
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3. Mit Schreiben 17. September 2021 antwortete der Präsident des Truppendienstgerichts Süd der Antragstellerin und wies darauf hin, dass eine Entbindung von Vizepräsident a.D. B schon wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des gesetzlichen Richters nicht möglich sei. Da das Schreiben bei wohlwollender Auslegung als Befangenheitsantrag ausgelegt werden könne, leite er dieses Schreiben zuständigkeitshalber nach F weiter, damit dort der Vertreter des Vorsitzenden der 3. Kammer, im Fall also der Vorsitzende der 4. Kammer, über den Befangenheitsantrag entscheiden könne. Dort ging der Vorgang am 23. September 2021 ein.
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4. In seiner dienstlichen Äußerung vom 5. Oktober 2021 erklärte der Vizepräsident a.D. B, dass er sich nicht für befangen halte. Zur Begründung führte er Folgendes aus:
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a) So sei der Antrag vom 24. August 2021 erst am 2. September 2021 bei der 3. Kammer eingegangen. Dabei hätten mehrere avisierte Anlagen gefehlt. Diese seien mit Schreiben vom 8. September 2021 nachgefordert worden. Zugleich sei die Antragstellerin darauf hingewiesen worden, dass für ihren Antrag die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gegeben sei. Nachdem die nachgeforderten Anlagen per Telefax am 7. September 2021 bei Gericht eingegangen seien, hätte das Gericht noch am selben Tag über den Antrag entschieden und die Sache an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen.
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b) Die Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Anordnung vom 2. September 2021 bezüglich eines Befehls vom 25. August 2021, sich am 7. September 2021 um 13:30 Uhr bei einem anderen Truppenarzt sowie zu einem Zeitpunkt im Oktober 2021 im Bundeswehrkrankenhaus E vorzustellen, sei tatsächlich am 2. September 2021 bei Gericht eingegangen. Allerdings sei dem umfangreichen Aktenkonvolut (56 Seiten) kein entsprechender Befehl vom 25. August 2021 zu entnehmen gewesen, sondern nur eine E-Mail des Zeugen O. Dr. G vom 16. August 2021, in welcher dieser der Antragstellerin drei mögliche Termine aufgezeigt hätte. Insoweit habe er diesen Befehl zur Grundlage seiner Entscheidung genommen. Aufgrund der Eilbedürftigkeit habe er - wie beantragt - ohne Kammer am 7. September 2021 über diesen Antrag entschieden. Der entsprechende Beschluss sei dann auch umgehend an die Antragstellerin übermittelt worden. Auch hierin könne er kein Fehlverhalten erkennen.
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c) Schließlich sei es unzutreffend, dass er das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr aufgefordert hätte, das „Dienstfähigkeitsverfahren“ gegen die Antragstellerin einzuleiten, obwohl das Bundesamt zuvor das „Dienstfähigkeitsverfahren“ ausgesetzt hatte. Er habe lediglich auf die Nachfrage der Regierungsamtfrau H vom 1. Februar 2021 am 2. Februar 2021 geantwortet, dass er keine Vorgreiflichkeit des bei der 3. Kammer anhängigen Antragsverfahrens gegenüber dem Dienstunfähigkeitsverfahren erkennen könne, welches zu diesem Zeitpunkt im Übrigen bereits seit Längerem eingeleitet gewesen sei.
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5. Der Vorsitzende der 4. Kammer leitete die dienstliche Äußerung nach Rückkehr aus seinem Erholungsurlaub an die Bevollmächtigte der Antragstellerin weiter und gab ihr Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.
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6. Hiervon machte die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 5. Dezember 2021 Gebrauch und schildert ergänzend unter anderem folgende Umstände, aus denen sich die Befangenheit ergebe.
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So habe Vizepräsident a.D. B in keinem der Verfahren trotz entsprechender Anträge Beweis erhoben und eine mündliche Verhandlung durchgeführt; dabei habe auch unzutreffende Ausführungen der Amtsseite als richtig unterstellt. Außerdem wisse er seit dem Verfahren S 3 BLa 13/17, dass die Antragstellerin unrechtmäßig von Generalstabsarzt Dr. L verfolgt und verleumdet werde. Schließlich kommuniziere er nur mit der Amtsseite, während er der Antragstellerin vor dem Beschluss nicht einmal die Stellungnahmen der Amtsseite zur Kenntnis gebe.
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7. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2021 beantragte die Bevollmächtigte schließlich, „die Beschlüsse zur Begutachtung in E aufzuheben und dem Befangenheitsantrag stattzugeben, hilfsweise festzustellen, dass Herr B als Richter befangen war, als er die Beschlüsse zu den Befehlen vom 25.08.2021, 30.09.2021 und 13.10.2021 gefasst hat (AZ: S 3 GL 13/21, S 3 GL 12/21, S 3 GL 11/21 S 3 GL 10/21).“
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8. Mit Ablauf der 31. Dezember 2021 ist Vizepräsident a.D. B mit Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand getreten.
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9. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Inhalte der jeweiligen Verfahrensakten verwiesen.
II.
17
Das Schreiben der Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 4. September 2021 ist als Befangenheitsantrag gegen Vizepräsident a.D. B auszulegen.
18
1. Der Befangenheitsantrag ist nach Ausscheiden des Vizepräsidenten B aus dem aktiven Dienstverhältnis mit Ablauf des 31. Dezember 2021 mangels Rechtschutzbedürfnis unzulässig (geworden).
19
a) Über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen ist im Antragsverfahren vor den Wehrdienstgerichten nach den entsprechend anwendbaren Vorschriften des § 54 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit den §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung (ZPO) durch den regelmäßigen Vertreter zu entscheiden (BVerwG, Beschlüsse vom 30. Januar 2018 - 1 WB 42/17, Rn. 3 und vom 25. März 2010 - 1 WB 28.09, Rn. 4 m.w.N.). Für den Vorsitzenden der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd ist die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Truppendienstgerichts Süd für das Geschäftsjahr 2021 vom 24. November 2020, I. B. 1. c), der Vorsitzende der 4. Kammer.
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§ 23a Absatz 2 der Wehrbeschwerdeordnung (WBO) ordnet für die gerichtlichen Antragsverfahren - auch nach Inkrafttreten des sog. Wehrrechtsänderungsgesetzes 2009 - nach §§ 17, 21, 22 sowie §§ 22a und 22b WBO ausdrücklich die entsprechende Anwendung der Vorschriften der VwGO (und des Gerichtsverfassungsgesetzes) an, soweit nicht die Eigenart des Beschwerdeverfahrens entgegensteht. § 23a Absatz 2 WBO stellt hinsichtlich der Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen die speziellere Regelung dar, die der allgemeinen Verweisung auf die Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung durch § 23 Absatz 1 WBO vorgeht; die letztgenannte Vorschrift konzentriert - gerade auch für den Bereich möglicher Befangenheit - ihren Geltungsbereich auf das vorgerichtliche Beschwerdeverfahren vor dem Disziplinarvorgesetzten (BVerwG, Beschlüsse vom 30. Januar 2018 - 1 WB 41.17, Rn. 5 und vom 26. Mai 2009 - 1 WB 48.07, Rn. 24; Dau/Scheuren, Kommentar zur WBO, 7. Auflage 2020, § 23a Rn. 2).
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b) Das Ablehnungsgesuch gegen den Vizepräsidenten des Truppendienstgerichts Süd a.D. B ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden.
22
Zweck der § 23a WBO in Verbindung mit § 54 VwGO und §§ 41ff. ZPO ist es, eine (noch ausstehende) Entscheidung unter Mitwirkung eines voreingenommenen Richters zu verhindern. Aus diesem Grund besteht für ein Ablehnungsgesuch kein Rechtschutzbedürfnis, das gegen einen Richter gerichtet ist, dessen weitere Mitwirkung ohnehin nicht mehr in Betracht kommt, weil er durch den Eintritt in den Ruhestand aus dem Spruchkörper ausgeschieden ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. April 2021 - 9 A 8.19 u.a, Rn. 3 und vom 30. Januar 2018 - 1 WB 42.17 u.a., Rn. 6; BGH NJW 2011, 1358, 1359 sowie aus dem Schrifttum u.a. Stackmann, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 44 Rn. 6). Diese Konstellation ist im vorliegenden Fall - nunmehr - gegeben, da die weitere Mitwirkung von Vizepräsident a.D. B an weiteren gerichtlichen Entscheidungen der Antragstellerin ausgeschlossen ist, nachdem er mit Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze mit Ablauf des Monats Dezember 2021 aus dem aktiven Dienst ausgeschieden ist.
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2. Auch der Hilfsantrag der Antragstellerin, mit der sie die Feststellung begehrt, das Vizepräsident a.D. B bei seinen Entscheidungen in den Verfahren S 3 GL 10/21, S 3 GL 11/21, S 3 GL 12/21 und S 3 GL 13/21 befangen war, ist unzulässig.
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a) So betrifft das Verfahren S 3 GL 12/21 bereits nicht die Antragstellerin, sondern einen Kameraden.
25
b) Hinsichtlich der Verfahren S 3 GL 10/21, S 3 GL 11/21 und S 3 GL 13/21, die allesamt die Antragstellerin betreffen, fehlt indes das erforderliche Feststellungsinteresse.
26
Wie bereits ausgeführt soll mit den Regeln zur Befangenheit verhindert werden, dass eine noch ausstehende, also eine zukünftige, Entscheidung unter Mitwirkung eines voreingenommenen Richters ergeht. Eine nachträgliche Kontrolle bereits abgeschlossener Verfahren ist insoweit nicht mit Sinn und Zweck der Regelungen über die Befangenheit vereinbar.
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Zudem fehlt einem solchen Antrag auch das Rechtsschutzbedürfnis. Denn mit einer solchen Feststellung kann das Rechtschutzziel des ursprünglichen Verfahrens nicht mehr erreicht werden. Hat ein befangener Richter an einer Entscheidung mitgewirkt, so ist vielmehr grundsätzlich Rechtsmittel gegen diese Entscheidung einzulegen.
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In der vorliegenden Konstellation ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass es sich bei den drei Verfahren, die die Antragstellerin betrafen um Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelte, in denen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Rechtsmittel nicht gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. September 2020 - 1 WNB 1.20, Rn. 2 und vom 30. März 2020 - 2 WNB 5.20, Rn. 4). Denn in allen drei Fällen hatten die Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz die Ausführung von Befehlen zum Gegenstand, wobei der Zeitpunkt zur Ausführung nunmehr in allen Fällen in der Vergangenheit lag. Allerdings besteht gemäß § 13 Absatz 1 Satz 3 WBO hinsichtlich der drei Befehle ein berechtigtes Interesse, festzustellen, ob der Befehl rechtmäßig ergangen ist. Vor diesem Hintergrund kann die Antragstellerin vom Truppendienstgericht - unter Vorsitz eines neuen Kammervorsitzenden - überprüfen lassen, ob die Befehle, die sich zwischenzeitlich aufgrund des Zeitablaufs erledigt haben, hätten ergehen dürfen. Einer Feststellung, ob der frühere Kammervorsitzende bei seinen damaligen Eilentscheidungen befangen war, bedarf es dafür nicht.
III.
29
Diese Entscheidung ist nach § 23 Absatz 2 WBO in Verbindung mit §§ 54 und 146 Absatz 2 VWGO unanfechtbar.
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§ 146 Absatz 2 VwGO geht insoweit als Spezialregelung im Verwaltungsrecht der zivilprozessualen Regelung des § 46 Absatz 2 ZPO vor, wonach gegen den Beschluss, mit dem ein Ablehnungsgesuch zurückgewiesen wird, die sofortige Beschwerde gegeben ist (vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2002, 471, 472; Kimmel, in: Beck-Online-Kommentar zur VwGO, 59. Edition, Stand: 1. Januar 2021, § 54 Rn. 44; Hoppe, in: Eyermann, Kommentar zur VwGO, 15. Auflage 2019, § 54 Rn. 28 und Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider, Kommentar zur VwGO, Werkstand: 41. EL, Juli 2021, § 54 Rn. 57 - jeweils m.w.N.).