Inhalt

VG München, Urteil v. 10.05.2022 – M 4 K 21.4251
Titel:

Erfolglose Klage gegen eine Ausweisung nach Brasilien (Eigentums- und Betäubungsmitteldelikte, faktischer Inländer mit Umgangskontakten)

Normenketten:
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1
Leitsätze:
1. Die Bildung einer Gesamtstrafe nach Maßgabe von § 53 StGB ist für die Gewichtung des Ausweisungsinteresses iSv § 54 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG unschädlich. (Rn. 84) (redaktioneller Leitsatz)
2. Um ein „serienmäßiges“ Eigentumsdelikt bejahen zu können, sind wohl mindestens drei Taten in diesem Sinne erforderlich (Anschluss an VG Saarlouis BeckRS 2020, 23919). (Rn. 86) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dass eine Freiheitsstrafe zunächst zur Bewährung ausgesetzt wird hindert nicht die Wertung als besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. (Rn. 88) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Rahmen der Entscheidung über die Ausweisung sind die Belange des auszuweisenden Elternteils und der Kinder umfassend zu berücksichtigen und im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte, dem jedoch kein unbedingter Vorrang vor dem Ausweisungsinteresse zukommt. (Rn. 108 – 109) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltsrecht, Ausweisung wegen Straffälligkeit, Einreise- und Aufenthaltsverbot vier bzw. sechs Jahre, Eigentums- und Betäubungsmitteldelikte, Abgeschlossene Berufsausbildung, Langjährige Drogenabhängigkeit, Soeben abgeschlossene Drogentherapie, Faktischer Inländer, Drei minderjährige deutsche Kinder von drei Kindsmüttern, Umgangsrecht, Ausweisung, Betäubungsmitteldelikte, Gesamtstrafe, Bewährung, serienmäßiges Eigentumsdelikt, Drogentherapie, faktischer Inländer, Kindeswohl, Umgangskontakte
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 28.07.2022 – 10 ZB 22.1505
Fundstelle:
BeckRS 2022, 11111

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland mit Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2021. Die Beklagte hat das Einreise- und Aufenthaltsverbot in der mündlichen Verhandlung bedingt auf vier Jahre bzw. unbedingt auf sechs Jahre verkürzt.
2
Der 30-jährige Kläger ist brasilianischer Staatsangehöriger und zusammen mit seiner Mutter im März 1998 im Alter von sechs Jahren ins Bundesgebiet eingereist. Nach der Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen im Juni 1998 lebte der Kläger bis zur Scheidung im Jahr 2001 mit seiner Mutter und seinem Stiefvater zusammen.
3
Im Anschluss lebte der Kläger mit seiner Mutter und deren neuem Lebensgefährten sechs Jahre lang bis zu deren Trennung zusammen. Am … … 2006 beging der Kläger im Alter von 14 Jahren eine Urkundenfälschung. Nach eigenen Angaben konsumiert der Kläger seit seinem 15. Lebensjahr regelmäßig illegale Betäubungsmittel, insbesondere THC und Amphetamine. Am … … 2006 beging der Kläger als 15-jähriger einen Ladendiebstahl. Auf Bitte der Mutter des Klägers um Unterstützung Anfang 2007 installierte das Jugendamt eine Erziehungsbeistandschaft.
4
Mit Urteil vom 7. März 2007 (Bl. … ff.) sprach das Jugendgericht beim Amtsgericht München den Kläger erstmals wegen Diebstahls in Mittäterschaft in Tateinheit mit Hausfriedensbruch in Tatmehrheit mit Diebstahl in zwei Fällen in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung in zwei Fällen schuldig und verhängte einen Freizeitarrest, wies den Kläger zu fünf mal vier Stunden gemeinnütziger Arbeit und dazu an, sich auf Dauer von zwölf Monaten der Aufsicht und Betreuung des Kreisjugendamts München zu unterstellen. Der Verurteilung lagen Diebstähle vom 7. August 2006, vom 15. November 2006 und vom 21. Dezember 2006 sowie Urkundenfälschungen im Zeitraum vor dem 17. Oktober 2006 und zwischen dem 15. Juli 2004 und dem 19. Oktober 2006 zugrunde. Ausweislich der Urteilsgründe war die Mutter mit der Erziehung des Klägers überfordert.
5
Nach der Trennung der Mutter von ihrem Lebensgefährten zog der Kläger im Mai 2007 mit ihr in ein Frauenhaus und besuchte ab September 2007 die 9. Jahrgangsstufe einer Hauptschule (Bl. 124).
6
Am … … 2007 erhielt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis (Bl. 126).
7
Im Oktober 2007 kam es im Frauenhaus unter Alkoholeinfluss zu einem Übergriff des damals 16-jährigen Klägers auf eine Mitbewohnerin, weshalb der Erziehungsbeistand den Kläger vorübergehend in einer Jugendpension und danach in einer Zufluchtsstelle unterbrachte, bevor der Kläger im März 2008 zu seiner Mutter zurückkehrte. In der Zwischenzeit beging der Kläger weitere Straftaten: Am … … 2007 eine gefährliche Körperverletzung, am … … 2008 eine Urkundenfälschung, am … … 2008 einen Ladendiebstahl. Im April 2008 gab das Jugendamt ein ambulantes Clearing in Auftrag (Bl. 225 ff.).
8
Mit Urteil vom 23. Juni 2008 (Bl. 184 ff.) sprach das Jugendgericht beim Amtsgericht München den Kläger der Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit Diebstahl schuldig und wies den Kläger unter Einbeziehung der Verurteilung vom 7. März 2007 an, 20 mal vier Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten und sich für weitere sechs Monate der Betreuung und Aufsicht des Kreisjugendamts zu unterstellen. Der Verurteilung des damals 17-jährigen Klägers lagen die Urkundenfälschung vom … … 2008 und der Diebstahl am … … 2008 zugrunde. Bereits am … … 2008, am … … 2008 und am … … 2008 beging der Kläger wieder Diebstähle. Wegen vieler unentschuldigter Fehltage beendete der Kläger das Schuljahr 2007/2008 ohne Abschluss.
9
Ab dem … … 2008 lebte der Kläger in einer intensiv-sozialpädagogischen Einzelmaßnahme (…) der Jugendhilfe … mit ein bis zwei Jugendlichen zusammen und wurde von drei Mitarbeitern betreut. Ab September 2008 besuchte er eine Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung und schloss die Hauptschule im Juli 2009 mit einem Notendurchschnitt von 3,77 ab (Bl. 225 ff., 331 ff.). Im September 2009 begann er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Seitdem war er nach seinen Angaben mit J.G., der späteren Mutter seines ersten Kindes, liiert (Strafurteil v. 21.5.2014, Bl. 331 ff.).
10
Mit Urteil vom 8. Oktober 2009 (Bl. 215 ff.) sprach der Jugendrichter bei dem Amtsgericht Weilheim den damals 18-jährigen Kläger der gefährlichen Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Bandendiebstahl in zwei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Anstiftung zum Diebstahl in Tatmehrheit mit versuchtem Diebstahl schuldig und verhängte eine Jugendstrafe von acht Monaten, die ausweislich der Urteilsgründe nur deshalb zur Bewährung ausgesetzt wurde, weil sich der Kläger zum Zeitpunkt der Verurteilung in einer stationären Jugendhilfemaßnahme befand. Der Verurteilung lagen die Taten vom … … 2007, vom … … 2008, vom … … 2008 und vom … … 2008 zugrunde. Hinsichtlich der im Dezember 2007 als 16-Jähriger begangenen gefährlichen Körperverletzung berücksichtigte der Jugendrichter zu Lasten des Klägers die Brutalität seines Vorgehens. Nachdem der Kläger den Geschädigten mit einem Faustschlag zu Boden gebracht hatte, „stiefelte“ er gemeinsam mit seinen Freunden auf den am Boden Liegenden ein. Nach Intervention einer weiteren Geschädigten ging der Kläger erneut mit erheblicher Aggressivität („menschliche Maschine“) auf den Geschädigten los und versetzte ihm einen weiteren Faustschlag. Im Übrigen spielte für die Strafzumessung zu Lasten des Klägers eine Rolle, dass er bereits etwa 14 Tage nach seiner Verurteilung durch das Amtsgericht München mit Urteil vom 23. Juni 2008 weitere Diebstähle begangen und damit dokumentiert hatte, dass er sich durch die Verurteilung nicht beeindrucken und nicht von weiteren Eigentumsdelikten abhalten ließ. Außerdem legte der Kläger ausweislich des Urteils bei der Entwendung der Lostrommeln mit seinen Mittätern „erhebliche kriminelle Energie“ an den Tag. Die Taten seien „geschickt geplant“ gewesen und arbeitsteilig und wiederholt umgesetzt worden. Auch die polizeilichen Ermittlungen und eine Festnahme nach der Tat am … … 2008 hätten den Kläger nicht von seinem kriminellen Weg abgebracht. Bereits am … … 2008 habe der Angeklagte weitere Vermögensdelikte begangen.
11
Am … … 2010 beging der Kläger ein Drogendelikt. Mit Urteil vom 22. September 2010 (Bl. 235 ff.) sprach der Jugendrichter bei dem Amtsgericht Weilheim den Kläger deshalb der Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln schuldig und verhängte einen Jugendarrest in Form von zwei Wochen Dauerarrest. Der Kläger hatte als 18-jähriger Beihilfe zum Erwerb von 1,5 g Marihuana geleistet. Es handelte sich um die erste Verurteilung des Klägers wegen eines Drogendelikts. Der Jugendrichter sah deshalb von der Einbeziehung der Verurteilung vom 8. Oktober 2009 ab und hielt es für sinnvoll und erzieherisch geboten, auf das Betäubungsmitteldelikt mit einem Dauerarrest zu reagieren. Dem Kläger sei „deutlich“ gesagt worden, dass er im Fall einer weiteren Straftat unter offener Bewährung mit einer länger dauernden Freiheitsentziehung zu rechnen habe. Am … … 2011 beging der Kläger weitere Straftaten (vorsätzliche Körperverletzung, Nötigung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung).
12
Im Zeitraum zwischen dem … … 2011 und dem … … 2011 entwendeten der Kläger und seine damalige Freundin J.G. aus der Wohnung der Großmutter der J.G. Schmuck im Wert von ca. 10.000 €. Am … … 2011 stahlen der Kläger und seine damalige Freundin J.G. in einer Klinik ein Mobiltelefon im Wert von ca. 550 €. Zwischen dem … … 2011 und dem … … 2011 drangen der Kläger und seine damalige Freundin J.G. über eine gekippte Balkontür in eine Wohnung ein und stahlen mehrere elektronische Geräte samt Zubehör, insbesondere einen Laptop, einen Flachbildfernseher und eine Goldkette im Gesamtwert von ca. 800 €. Im Zeitraum zwischen dem … … 2011 und dem … … 2011 warf die damalige Freundin des Klägers J.G. mit einem Pflasterstein die untere Glasfüllung der Zugangstür eines Lotteriegeschäfts ein, gelangte in den Verkaufsraum und entwendete mit dem Kläger Lotterielose im Wert von ca. 600 €. Zwischen dem … … 2011 und dem … … 2011 warf die damalige Freundin des Klägers J.G. mit einem Pflasterstein die Glastür eines Schreibwarenladens sein, gelangte in den Verkaufsraum und entwendete gemeinsam mit dem Kläger Bargeld, Lotterielose, Farbstifte und Zigarettenstangen im Wert von ca. 900 € unter Verursachung eines Sachschadens in Höhe von ca. 500 €.
13
Mit Urteil vom … … 2011 (Bl. 309 ff.) sprach der Jugendrichter bei dem Amtsgericht Weilheim den 20-jährigen Kläger der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig und verhängte eine Jugendstrafe von zwei Monaten und zwei Wochen. Der Verurteilung lagen die Taten vom … … 2011 zugrunde, bei denen der Kläger einen vermeintlichen Nebenbuhler seiner damaligen Freundin J.G. verletzte und dessen Wohnungstür eintrat.
14
Am … … 2011 warf die damalige Freundin des Klägers J.G. mit einem Pflasterstein eine Fensterscheibe eines Lotteriegeschäfts ein, um gemeinsam mit dem Kläger aus den Verkaufsräumen Bargeld und Waren zu entwenden. Es entstand ein Sachschaden i.H.v. ca. 300 €. Die Freundin J.G. führte einen Teleskopschlagstock und ein Tier-Abwehr-Spray mit, was der Kläger wusste. Der Kläger und J.G. drangen nicht in die Verkaufsräume ein, weil sie bemerkten, dass Nachbarn aufgrund des Lärms auf sie aufmerksam geworden waren.
15
Der Kläger wurde am 19. November 2011 zur Verbüßung der Jugendstrafe aus dem Urteil vom … … 2011 inhaftiert (Bl. 368). Während seiner Inhaftierung brachte seine damalige Freundin J.G. den gemeinsamen Sohn … am … … 2011 zur Welt. Das Kind besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Am … … 2012 zog die Kindsmutter J.G. mit dem Kind in eine Mutter-Kind-Einrichtung (Bl. 360). Am … … 2012 wurde der Kläger nach etwa zweieinhalb Monaten aus der Haft entlassen (Bl. 250). Anschließend verbrachte der Kläger „jedes“ Wochenende bei der Kindsmutter und dem gemeinsamen Kind (Strafurteil v. 23.8.2012, Bl. 360). Nach Angaben des Klägers endete die Beziehung zu J.G. bereits im März 2012 (Strafurteil v. 21.5.2014, Bl. 331 ff.). Anschließend war er mit der späteren Mutter seines zweiten Kindes F.E. liiert.
16
Am … … 2012 drang der Kläger mit einem Mittäter in den Umkleideraum eines Ballettstudios ein und entwendete ein Mobiltelefon, Zigaretten und Sekt im Wert von ca. 420 €.
17
Im Juli 2012 schloss der Kläger seine Lehre mit der Gesamtnote 4 ab (Strafurteil v. 29.4.2012, Bl. 260, 263, Strafurteil v. 21.5.2014, Bl. 331 ff.). Im Anschluss war der Kläger ab dem 1. August 2012 als Maler und Lackierer beschäftigt (Strafurteil v. 21.5.2014, Bl. 331 ff., v. 23.8.2012, Bl.356 ff.).
18
Mit Urteil vom 23. August 2012 (Bl. 356 ff.) sprach das Jugendschöffengericht beim Amtsgericht München den Kläger und die Kindsmutter J.G. des versuchten Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit Wohnungseinbruchsdiebstahl in Tatmehrheit mit vier tatmehrheitlichen Fällen des Diebstahls schuldig und verurteilte den Kläger unter Einbeziehung des Urteils vom 8. Oktober 2009 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Kindsmutter J.G. wurde angewiesen, 120 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten, fünf Mal an der nächsten Mutter-Kind-Gruppe teilzunehmen und noch weitere zwölf Monate in der Mutter-Kind-Einrichtung zu bleiben und zuverlässig mitzuarbeiten. Der Verurteilung lagen die gemeinsam begangenen Straftaten im Zeitraum zwischen dem … … 2011 und dem … … 2011 zugrunde, und sie beruhte auf der Absprache einer Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe in einer Höhe, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Dieser Absprache lag der Gedanke zugrunde, dass der Kläger mit seinem Geständnis zur Aufklärung beigetragen und damit auch seiner Mittäterin die Möglichkeit gegeben habe, „reinen Tisch“ machen, unabhängig von ihrer persönlichen Beziehung. Außerdem wurde berücksichtigt, dass der Kläger soeben eine zweieinhalbmonatige Haftstrafe verbüßt hatte, die ihn „ganz offensichtlich nachhaltig“ beeindruckt habe. Nicht zuletzt habe der Kläger - trotz der zahlreichen Straftaten in offener Bewährung - gerade in letzter Zeit eine „sehr positive Entwicklung“ durchlaufen: Er habe seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, sich mit Erfolg um eine Arbeitsstelle bemüht und kümmere sich intensiv um sein Kind. Im Hinblick auf diese positive Entwicklung der letzten Monate könne die Jugendstrafe nochmals zur Bewährung ausgesetzt werden. Am 22. September 2012 führte der Kläger 0,35 g Marihuana und einen Joint mit sich. Ab Oktober 2012 lebte der Kläger in einer Notunterkunft (Strafurteil v. 29.4.2013, Bl. 263), ab dem 1. Dezember 2012 war er arbeitslos (Strafurteil v. 21.5.2014, Bl. 331 ff.).
19
Im Januar 2013 wurde der Kläger wegen des Diebstahls im Ballettstudio am … … 2012 als Beschuldigter vernommen. Seine damalige Freundin E.F. bezichtigte sich im Februar 2013 gegenüber einem Richter, am … … 2013 in einer Beschuldigtenvernehmung der Tat (Strafurteil v. 21.5.2014, Bl. 331 ff., 346). Am 28. Februar 2013 verwahrte der Kläger in seinem Zimmer 0,41 g Marihuana und einen Joint (Strafurteil v. 29.4.2013, Bl. 264).
20
Mit Urteil vom 1. März 2013 (Bl. 254 ff.) sprach das Amtsgericht München den Kläger des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln am 22. September 2012 schuldig und verurteilte ihn zu einer Gesamt-Geldstrafe von 90 Tagessätzen (Bl. 254), wobei es bei der Strafzumessung u.a. die „konkreten Aussichten des Klägers auf eine Arbeitsstelle als Maler“ berücksichtigte.
21
Mit Urteil vom 29. April 2013 (Bl. 260 ff.) sprach das Amtsgericht München den Kläger des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln am 28. Februar 2013 schuldig und verurteilte ihn unter Einbeziehung des Urteils vom 1. März 2013 zu einer Gesamt-Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Am … … 2013 entwendeten der Kläger, seine damalige Freundin F.E. und eine weitere Mittäterin Lebensmittel, Bekleidungsartikel, Kosmetika und Haushaltsartikel im Wert von ca. 260 €.
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Ab dem 13. Mai 2013 arbeitete der Kläger über eine Zeitarbeitsfirma als Maler und Lackierer (Strafurteil v. 21.5.2014, Bl. 331 ff.) und leistete für sein zweijähriges Kind … 120 € monatlich Unterhalt (Strafurteil v. 18.10.2013, Bl. 291).
23
Am 4. September 2013 führte der Kläger Marihuana mit sich.
24
Mit Urteil vom … … 2013 (Bl. 267 ff.) sprach das Jugendgericht bei dem Amtsgericht München den Kläger, seine damalige Freundin F.E. und eine weitere Angeklagte wegen der Tat am … … 2013 des Diebstahls in Mittäterschaft schuldig und verurteilte den Kläger zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Der Kläger zahlte ausweislich des Strafurteils nach eigenen Angaben zum Zeitpunkt der Verurteilung monatlich 200 € Unterhalt für seinen Sohn. Bei der Strafzumessung wertete das Gericht zu Lasten des Klägers das kriminelle Vorgehen, den hohen Warenwert, die offene und zum Teil einschlägige Bewährung. Im Tatzeitpunkt habe der Kläger unter offener Bewährung wegen z.T. einschlägiger Delikte aus der Verurteilung vom 8. Oktober 2009 gestanden. Eine Bewährung komme nicht mehr in Betracht, da beim Kläger jegliche Sozialprognose fehle. Er sei bereits zwei Mal unter offener Bewährung verurteilt und in offener Bewährung sowohl zu Arresten als auch zu Geldstrafen verurteilt worden. Dennoch habe er zwei Monate nach der letzten Verurteilung eine nicht unerhebliche Straftat begangen. Seine Arbeitsstelle habe er während des gesamten Zeitraums der vergangenen Verurteilungen innegehabt. Dies erscheine nicht ausreichend, um den Kläger zu stabilisieren. Gegen die damalige Freundin F.E. wurde ein Dauerarrest von drei Wochen verhängt. Sie war zum Zeitpunkt der Verurteilung schwanger, vom Kläger jedoch bereits getrennt.
25
Mit Urteil vom 18. Dezember 2013 (Bl. 288 ff.) sprach das Amtsgericht München den Kläger des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln am 4. September 2013 schuldig und verurteilte ihn unter Einbeziehung des Strafurteils vom … … 2013 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen. Die Freiheitsstrafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt, obwohl der Kläger zur Zeit der Verurteilung wieder Arbeit hatte und in einer Wohngemeinschaft lebte, weil das Gericht der Einlassung des Klägers, es habe sich bei der Tat um einen „einmaligen“ Ausrutscher gehandelt, nicht folgte. Selbst die zweifachen Verurteilungen zu Geldstrafen im Jahr 2013 während zweier offener Bewährungen hätten den Kläger nicht von der Begehung der Straftat abhalten können. Bereits 4,5 Monate nach der letzten Verurteilung sei er wieder straffällig geworden. Der Kläger legte gegen die Entscheidung Berufung ein.
26
Ab dem … … 2014 war der Kläger arbeitslos (Strafurteil v. 21.5.2014, Bl. 331 ff.). Am 25. März 2014 trat er in der Justizvollzugsanstalt München seine Freiheitsstrafe von fünf Monaten aus der Verurteilung vom … … 2013 an (Bl. 283, 318). Mit Beschluss vom 3. April 2014 widerrief das Amtsgericht München die Berufung aus der Verurteilung vom 23. August 2012 (Bl. 315).
27
Auf die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts München von 18. Dezember 2013 änderte das Landgericht München I mit Urteil vom 15. April 2014 (Bl. 297 ff.) dieses im Straffolgenausspruch dahingehend ab, dass es den Kläger unter Einbeziehung der Strafe aus der Verurteilung vom … … 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen verurteilte. Ausweislich dieses Urteils hatte der Kläger bis zu seiner Inhaftierung „regelmäßig, d.h. mehrmals pro Woche“ Kontakt zu seinem Sohn. Für diesen zahlte er zuletzt 120 € Unterhalt. Nach seinen Angaben hatte sich der Kläger von beiden Kindsmüttern getrennt und seine Kinder seit seiner Inhaftierung nicht mehr gesehen.
28
Während der Inhaftierung des Klägers kam am … … 2014 seine Tochter … zur Welt. Mutter des Kindes ist die ehemalige Freundin des Klägers E.F.. Das Kind besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.
29
Mit Urteil vom 21. Mai 2014 sprach das Jugendschöffengericht am Amtsgericht Weilheim den Kläger des Diebstahls am … … 2012 schuldig und verurteilte ihn unter Einbeziehung der mit Urteilen vom 1. März 2013 und vom 29. April 2013 ausgesprochenen Einzelstrafen und unter Auflösung der mit Urteil vom 29. April 2013 gebildeten Gesamtgeldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr (Bl. 331 ff.). Es berücksichtigte im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten die erhebliche, auch einschlägige Vorbelastung, die Tatbegehung innerhalb einer Bewährung, dass die Tat nur neun Monate nach der letzten Verurteilung und nur sechs Monate der Verbüßung einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten und zwei Wochen und nur zwei Monate nach Anklagezustellung verübt worden war und der Kläger damit rechnen musste, eine erhebliche Freiheits- bzw. Jugendstrafe zu erhalten, sein Nachtatverhalten, das gezeigt habe, dass bislang jeglicher Versuch auf ihn einzuwirken „kläglich“ zum Scheitern verurteilt gewesen sei sowie, dass der Kläger es letztlich zugelassen habe, dass seine „ihn offensichtlich sehr liebende Ex-/Freundin“ F.E. die Tat auf sich genommen und gleichzeitig eine Straftat begangen habe. Eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung komme nicht in Betracht, weil der Kläger, dem vielfach Chancen eingeräumt worden seien, Bewährungsversager sei und ungeachtet der Anzahl von Verurteilungen unmittelbar vor und unmittelbar nach denselben weitere Straftaten begangen habe, ohne sich in irgendeiner Weise beeindruckt zu zeigen. Am … … 2014 wurde Kläger in die Justizvollzugsanstalt … verlegt (Bl. 323).
30
Mit Schreiben vom … … 2014 verwarnte die Ausländerbehörde den Kläger ausländerrechtlich (Bl. 326).
31
Am … … 2015 beging der Kläger in der Justizvollzugsanstalt einen versuchten Diebstahl. Mit Urteil vom 14. Juni 2016 sprach das Amtsgericht Rosenheim den Kläger deshalb des versuchten Diebstahls schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen (Bl. 417 ff.). Es lägen besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten vor, die die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf ihn unerlässlich machten. Die einschlägigen Vorahndungen machten deutlich, dass sich der Kläger allein durch die Verhängung von Geldstrafen nicht davon abhalten lasse, erneut straffällig zu werden. Aufgrund fehlender Sozialprognose komme auch eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht. Der Kläger habe die Tat im offenen Vollzug begangen.
32
Am … … 2017 wurde der Kläger nach dreieinhalb Jahren aus der Haft entlassen (Bl. 379) und bezog vom … … 2017 bis zum … … 2017 Arbeitslosengeld II.
33
Vom … … 2017 bis zum … …il 2018, vom … … 2018 bis zum … … 2018 und vom … … 2018 bis zum … … 2019 leistete der Kläger Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung.
34
Vom … … 2019 bezog der Kläger bis zum … … 2019 wieder Arbeitslosengeld II. Im Mai 2019 leistete der Kläger Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung. In diesem Monat war er geringfügig nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Am … … 2019 beging der Kläger einen Diebstahl.
35
Vom … … 2019 bis zum … … 2019 leistete der Kläger Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung. Das Amtsgericht München verhängte wegen des Diebstahls am … … 2019 mit Entscheidung vom … … 2019 gegen den Kläger eine Geldstrafe i.H.v. 70 Tagessätzen (Bl. 490). Am … … 2019 besaß der Kläger unerlaubt Betäubungsmittel.
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Ab dem … … 2019 leistete der Kläger wieder Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung.
37
Das Amtsgericht München verhängte wegen der Tat vom … … 2019 mit Strafbefehl vom 27. August 2019 gegen Kläger eine Geldstrafe i.H.v. 70 Tagessätzen (Bl. 446 f.).
38
Am … … 2019 kam das dritte Kind des Klägers zur Welt. Mutter des Kindes ist Frau Z., das Kind besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Kläger beendete sein Arbeitsverhältnis zum 20. November 2019.
39
Am … … 2020 verschaffte sich der Kläger mit seinen zwei Mittätern H. und S. nachts Zugang zu Büroräumen in der … in …, indem sie eine verschlossene Tür mittels eines Werkzeugs aufhebelten. Der Kläger und seine Mittäter durchsuchten die Räume nach Wertgegenständen, wobei sie auch einen versperrten Stahlschrank aufbrachen. Der Kläger und seine Mittäter entwendeten Laptops, Handys und eine Geldkassette mit Bargeld in Höhe von 500 € sowie Geräte aus den Schreibtischrollcontainern. Der Gesamtwert der Tatbeute betrug ca. 14.500 €. An dem aufgebrochenen Stahlschrank entstand ein Schaden i.H.v. 300 €.
40
Am … … 2020 gelangte der Kläger mit einem unbekannten Mittäter spätabends in einen Bürokomplex in der … … in … Sie öffneten mittels eines Werkzeugs die Bürozugangstür und entwendeten die über die Büroräume verteilten Wertgegenstände im Gesamtwert von geschätzt 4.560 €.
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In der Nacht vom … … 2020 auf den … … 2020 gelangte der Kläger mit einem unbekannten Mittäter, während der Mittätter H. vor dem Eingang des Gebäudes wartete, in die Kellerabteile des Bürokomplexes … … in … und brach sie auf. Hierbei entstand ein Sachschaden i.H.v. 500 €. Der Kläger und seine Mittäter fanden keine stehlenswerten Gegenstände vor. Im Anschluss verschaffte sich der Kläger mit dem Mittäter H. Zugang zu Büroräumen im 2. Obergeschoss des Gebäudes und entwendete mit ihm zahlreiche Wertgegenstände. Der Kläger und sein Mittäter H. nahmen auch den Fahrzeugschlüssel für einen Skoda aus einem Schreibtisch an sich und nutzten ihn, um das Fahrzeug zu entwenden. Im Anschluss nutzten der Kläger und sein Mittäter H. das Fahrzeug für die gemeinsame Flucht.
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Am 24. März 2020 öffneten der Kläger und sein Mittäter H. in der … … in … auf unbekannte Weise eine mittels Zahlencodeschloss gesicherte Tür zu Büroräumen. Sie betraten das Badezimmer und verließen die Räumlichkeiten aus unbekannten Gründen. Wenige Stunden später betraten der Kläger und sein Mittäter H. auf demselben Weg erneut die Büroräume, durchsuchten diese, brachen einen verschlossenen Rollcontainer gewaltsam auf und entnahmen einen dort befindlichen Schlüsselbund, um weitere Türen und Rollcontainer zu öffnen.
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In der Nacht vom … … 2020 auf den … … 2020, vermutlich nach dem ersten Verlassen der Büroräume in der … … in …, gelangten der Kläger und sein Mittäter H. in Büroräume im 4. Obergeschoss, indem sie die dortige Zugangstür auf nicht bekannte Weise öffneten. Sie hebelten auf ihrer Suche nach stehlenswerten Gegenständen mindestens 15 Rollcontainer auf und entwendeten Laptops, Headsets, ein Tablet und einen Schlüsselbund. Es entstand ein Sachschaden i.H.v. 4.250 € an den Büromöbeln.
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Der Kläger und seine Mittäter handelten bei allen Taten in der Absicht, sich aus der fortgesetzten und wiederholten Begehung von Diebstählen eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu verschaffen und damit ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
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Am 27. März 2020 wurde der Kläger vorläufig festgenommen. Er verbüßte zunächst zwei Ersatzfreiheitsstrafen und anschließend ab dem 9. Juli 2020 bis zur rechtskräftigen Verurteilung Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt München. Am … … 2020 besuchte Frau Z. den Kläger dort einmalig zusammen mit dem Sohn … Sie stellte ihre Besuche in der Haftanstalt im November 2020 ein.
46
Mit Urteil vom 16. Februar 2021 sprach das Amtsgericht - Schöffengericht - München den Kläger des Diebstahls in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig und verurteilte ihn aufgrund einer Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten. Das Urteil wurde am 24. Februar 2021 rechtskräftig. Das Strafgericht setzte die Einzelstrafen für die vier Taten des Klägers auf 15 Monate, neun Monate, 20 Monate und zehn Monate fest und bildete daraus die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten. Das Gericht bewertete zu Gunsten des Klägers im Rahmen der Strafzumessung sein vollumfängliches Geständnis, das der Kläger von Anfang an abgelegt hatte. Der Kläger habe die Tat aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen und die Taten hätten der Drogenbeschaffung gedient. Der Kläger habe zum Teil unter Drogeneinfluss gestanden. Zu Ungunsten des Klägers wertete das Strafgericht, dass der Kläger zum Teil mehrere Delikte tateinheitlich verwirklicht habe und mehrere Alternativen des § 243 StGB im Rahmen der Diebstähle verwirklicht worden seien. Die Schadenshöhe sei zum Teil sehr groß gewesen, insbesondere in den Fällen 1 und 3. Weiter weise der Bundeszentralregisterauszug des Klägers 14 Einträge auf, acht davon seien einschlägig. Es seien auch bereits mehrfach Vollzugsstrafen verhängt worden, und es bestehe Führungsaufsicht.
47
Mit Schreiben vom 25. März 2021 hörte die Beklagte den Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung an. Der Kläger nahm mit Schreiben vom 29. März 2021 Stellung und trug im Wesentlichen vor: Er sei in einem „Drogenstrudel“ gefangen gewesen, weshalb er eine Therapie anstrebe. Er sei seit 23 Jahren in Deutschland. In Brasilien sei er entwurzelt, seinen Vater kenne er nicht. Er habe bestimmt Familie in Brasilien, die er aber nicht kenne. Die einzige Familie, die er habe, seien seine Mutter, sein kleiner Bruder und seine Tante, die in München lebten, sowie seine Kinder, die bei ihren Müttern lebten. Mit der Kindsmutter des jüngsten Kindes habe er zuletzt als kleine Familie zusammengelebt. Er habe eine Geldstrafe zu bezahlen gehabt und seine Familie nicht weiter mit seinen Problemen belasten wollen. Mit seinem Chef habe er ausgemacht, erst Mal Zuhause zu bleiben. Er sei unter großen Druck geraten und habe alles mit sich selbst ausgemacht. Nebenbei habe er einem Bekannten im Restaurant geholfen, um seine Schulden zu tilgen. Er habe seiner Freundin bei der Betreuung des Babys nicht helfen können, weshalb es zu Streitereien gekommen sei. Schließlich habe seine Freundin ihn rausgeschmissen und er sei bei einem Bekannten untergekommen. Von da an sei er eine billige, abhängige Arbeitskraft gewesen. Der Bekannte habe ein massives Drogen- und Spielsuchtproblem, das er sich „mit der Zeit auch angeeignet“ habe. Er habe auf der Straße „auf der Flucht“ gelebt. Er wolle sein Problem mittels einer Therapie endlich „an der Wurzel packen“. Er bitte um eine Chance. Seine Kinder bräuchten ihn. Er habe eine abgeschlossene Ausbildung und wolle zu seiner alten Firma zurück. Seine Kenntnisse der portugiesischen Sprache seien mangelhaft, er verstehe sie, spreche sie aber nicht wirklich. Seine Beziehung zu seinen Kindern sei „wieder stabil“ gewesen, als er „draußen“ gewesen sei. „Bis auf die letzten zwei Monate“ sei es ihm durch eigene Kraft gut gelungen, straffrei zu leben. Er stehe in Kontakt mit der Drogenberatung. Der Kläger gab die Anschriften der Mütter seiner beiden jüngsten Kinder an. Die aktuelle Adresse der Mutter von … habe er nicht. Die Mutter des jüngsten Kindes …, Frau Z. teilte im Anhörungsverfahren mit Schreiben vom 27. April 2021 mit, dass der gemeinsame Sohn im Zeitpunkt der Verhaftung erst vier Monate alt gewesen sei. Vor seiner Inhaftierung habe sich der Kläger - soweit es seine Sucht zugelassen habe - um den Kleinen „bemüht“. Die Mutter der Tochter …, Frau F.E. nahm mit Schreiben vom 8. Juni 2021 wie folgt Stellung: Der Kläger und seine Tochter hätten ein sehr inniges und liebevolles Verhältnis. Seit der Kläger „damals“ aus der Haft entlassen worden sei, sei er alle zwei Tage da gewesen und habe sich sehr liebevoll gekümmert. Die Tochter liebe den Kläger sehr und vermisse ihn. Der Kläger habe regelmäßig Unterhalt gezahlt und sei auch jederzeit dagewesen, wenn er gebraucht worden wäre. Die Mutter des ältesten Kindes …, Frau J.G. nahm mit Schreiben vom 2. Juni 2021 Stellung und teilte mit, der Kläger habe sich im Zeitpunkt der Geburt des Kindes in Haft befunden, sich aber nach der Haftentlassung um die Aufrechterhaltung von Kontakt zu ihr und zum gemeinsamen Kind bemüht, was auch solange gelungen sei, bis der Kläger mit Frau E. zusammengekommen sei; da sei … ca. vier Monate alt gewesen. Seitdem bestehe kaum bis kein Kontakt. … wünsche mehr Kontakt. Dieser Wunsch werde mit zunehmendem Alter des Kindes größer. Bis jetzt habe der Kläger kaum einen Beitrag zur Erziehung und Betreuung geleistet. Sie gehe davon aus, dass der Kläger einen konstanten und stabilen Umgang mit … „nicht schaffen“ werde. … befinde sich seit seiner Geburt im Umgang mit seinem Papa in einer „wartenden Position“. Der Kontakt sei nie konstant gewesen und … deswegen sehr enttäuscht. Dieser unregelmäßige Kontakt werde … in Zukunft mehr schaden als nützen. Finanziell habe der Kläger sie nie unterstützt, sie besitze das alleinige Sorgerecht.
48
Mit Bescheid vom 7. Juli 2021, dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis am 8. Juli 2021 in der Justizvollzugsanstalt zugestellt, wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1), ordnete eine Einreise- und Aufenthaltsverbot an, befristete dieses auf acht Jahre ab Ausreise bzw. auf sechs Jahre ab Ausreise unter der Bedingung des Nachweises von Straf- und Drogenfreiheit (Nr. 2), ordnete die Abschiebung aus der Haft nach Brasilien an bzw. setzte dem Kläger eine Ausreisefrist von vier Wochen nach Haftentlassung und drohte die Abschiebung nach Brasilien oder einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat an (Nr. 3). Die Beklagte begründete die Ausweisung sowohl spezial- als auch aus generalpräventiv. Das Ausweisungsinteresse wiege besonders schwer, weil der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten wegen Straften gegen das Eigentum verurteilt sei (§ 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a lit. d) AufenthG), das Bleibeinteresse wiege besonders schwer, da der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitze und das Umgangsrecht für minderjährige Deutsche ausübe (§ 55 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4 AufenthG). In der Abwägung überwiege das Ausweisungsinteresse. Es werde berücksichtigt, dass der Kläger seine prägenden Jahre von Kindheit und Jugend im Bundesgebiet verbracht habe und somit als faktischer Inländer zu betrachten sei. Seine Integration stütze sich jedoch allein auf seinen langen Aufenthalt. Trotz Schul- und Ausbildungsabschluss und Arbeit im erlernten Beruf sei der Kläger wegen Gebrauchs von Suchtmitteln immer wieder straffällig geworden. Die beruflichen Aussichten des Klägers seien in Brasilien nicht schlechter zu beurteilen als in Deutschland. Auch sehr schlechte Sprachkenntnisse der Muttersprache stellten kein Hindernis für eine Rückkehr dar, weil der Kläger seine Sprachkenntnisse noch in der Haft verbessern könne. Abgesehen davon sei davon auszugehen, dass der Kläger mit seiner Mutter in seiner Muttersprache spreche. Auch die Gebräuche und Lebensgewohnheiten in Brasilien dürften dem Kläger unter Berücksichtigung seiner brasilianischen Mutter bekannt sein. Seine Sprachkenntnisse reichten für eine Rückkehr aus. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung des langjährigen Aufenthalts nicht unverhältnismäßig. Vom Kläger als alleinstehendem jungen Mann könne die Rückkehr nach Brasilien und die Bestreitung des Lebensunterhalts durch Aufnahme einer Beschäftigung auch ohne Unterstützung durch Familienangehörige erwartet werden. Nach seiner Haftentlassung habe der Kläger im Bundesgebiet auch keinen stabilen sozialen Empfangsraum, sondern kehre vielmehr in das Umfeld zurück, in dem er zuletzt massive Straftaten begangen und Drogen konsumiert habe. Der Kläger habe sich trotz mehrerer Vorverurteilungen und Inhaftierungen nicht von der Begehung weiterer Straftaten abschrecken lassen. Die Verhinderung weiterer Straftaten entspreche einem besonders dringenden sozialen Bedürfnis. Im Hinblick auf Art. 6 GG sei maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und zu prüfen, ob eine tatsächliche persönliche Verbundenheit zum Vater bestehe, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen sei. Spätestens seit dem … … 2020 bestehe weder telefonischer noch persönlicher Kontakt zum jüngsten Kind, um das der Kläger sich vor seiner Inhaftierung gekümmert habe, soweit es seine Sucht zugelassen habe. Das Kind sei im Zeitpunkt der Festnahme des Klägers erst vier Monate alt gewesen und somit an ein Leben ohne den Vater gewöhnt. Zum ältesten Kind … bestehe nach Angaben der Kindsmutter gar kein Kontakt mehr. Die Mutter der Tochter habe zwar vorgetragen, dass der Kläger vor seiner Inhaftierung ein inniges Verhältnis zum gemeinsamen Kind gehabt habe, sie habe den Kläger jedoch in der Haft weder besucht noch habe telefonischer Kontakt bestanden. Die Trennung vom Vater stelle für die Kinder somit die „ganz alltägliche Lebenssituation“ dar, in die sie hineingewachsen seien. Im Fall der Abschiebung seien die Kinder gewohnt, zum Kläger nur eingeschränkten Kontakt - wenn überhaupt - mittels Briefen, Telefonaten oder gelegentlichen Besuchen zu haben. Aufgrund der drohenden Wiederholungsgefahr müssten die privaten Belange zurückstehen. Auf die Fürsorge und den Beistand seiner in … lebenden Mutter sei der Kläger nicht angewiesen. Zur Abmilderung eventueller Härten könne der Kläger Betretenserlaubnisse für das Bundesgebiet beantragen. Den Bindungen im Bundesgebiet und dem langjährigen Aufenthalt habe man durch die Befristung der Ausweisungswirkung auf sechs Jahre Rechnung getragen.
49
Am … … 2021 wurde der Kläger in die Justizvollzugsanstalt … verlegt. Am … … 2021 besaß der Kläger unerlaubter Weise ein Mobiltelefon und wurde deshalb disziplinarisch belangt.
50
Mit Schriftsatz vom 9. August 2021, bei Gericht am selben Tag per Telefax eingegangen, ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben und beantragen,
51
den Bescheid aufzuheben.
52
Zur Begründung der Klage wurde zunächst auf das Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren verwiesen und eine gesonderte Begründung nach Akteneinsicht angekündigt.
53
Mit Verfügung vom 18. August 2021 sah die Staatsanwaltschaft München I gemäß §154 Abs. 1 StPO von der Verfolgung wegen eines Vergehens nach § 29 BtMG ab (Az.: 367 Js 121416/21).
54
Mit Schriftsatz vom 25. August 2021 beantragte die Beklagte,
55
die Klage abzuweisen.
56
Der Kläger sei insgesamt zu einem Arrest sowie zu Jugend- und Freiheitsstrafen in einer Gesamthöhe von 6,83 Jahren und Geldstrafen in einer Gesamthöhe von 140 Tagessätzen verurteilt. Am folgenden Tag wurde die Behördenakte in elektronischer Form vorgelegt.
57
Am … … 2021 unterschlug der Kläger Lebensmittel als Hausarbeiter und wurde von seiner Arbeit abgelöst.
58
Mit Verfügung vom 21. Oktober 2021 bewilligte die Staatsanwaltschaft München I eine Zurückstellung der Vollstreckung gemäß § 35 BtMG. Am … … 2021 wurde der Kläger ausweislich der Aufnahmemitteilung der Drogenhilfe … vom … … 2021 zur stationären Behandlung in die Fachklinik … … … aufgenommen.
59
Die Justizvollzugsanstalt … übermittelte dem Gericht am 24. März 2022 einen Führungsbericht vom … … 2021 (sic!) über den dortigen Aufenthalt des Klägers vom … … 2021 bis zum … … 2021. Das vollzugliche Verhalten des Klägers habe zweimalig Anlass zu Beanstandung und disziplinarischem Einschreiten gegeben. Der Kläger habe Schulden, deren Höhe er nicht beziffert habe. An weiteren vollzuglichen Maßnahmen und Angeboten habe der Kläger nicht teilgenommen. Vollzugsöffnende Maßnahmen seien bislang nicht gewährt worden. Privatbesuch habe der Kläger nicht erhalten. Er habe jedoch in regelmäßigem Telefonkontakt mit seiner Mutter und seiner Tochter gestanden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe sei ab dem … … 2021 zur Bearbeitung der Suchtproblematik im Rahmen einer Therapie in der Fachklinik … i.S.v. § 35 BtMG zurückgestellt worden.
60
Mit Schreiben vom 25. März 2022 berichtete die Drogenhilfe … Der Kläger habe am … … 2021 eine stationäre Entwöhnungsbehandlung begonnen, die regulär am … … 2022 ende. Der Kläger habe seine „Drogendistanz verbessern“ können und sei dabei, sich in körperlicher und psychischer Hinsicht zu „stabilisieren“. Er sei auch dabei, seine finanzielle Situation zu ordnen. Der Kläger habe sich auch entschlossen, im Anschluss an die dortige Behandlung das Angebot der Adaptionsbehandlung in Anspruch zu nehmen, deren Schwerpunkt bei der beruflichen Integration liege. Der Kläger habe als ausgebildeter Maler bereits Kontakt zu Zeitarbeitsfirmen aufgenommen. Der Kläger wolle zudem seinen Wohnort wechseln, um noch mehr Abstand zu seinem drogenassoziierten Umfeld zu erreichen. Der Kläger habe sich in einem Fußballverein angemeldet, um seine Freizeit drogenfrei und sportlich zu gestalten. Es sei erforderlich, dass der Kläger bei der Umsetzung des begonnenen Entwicklungsprozesses „therapeutisch weiter begleitet“ werde. Wenn es dem Kläger gelingen sollte, den begonnenen Veränderungsprozess durch die Nachsorge fortzusetzen, seine Distanz gegenüber Drogen auszubauen und sich in Abgrenzung von kriminellen Kontakten ein hinreichend gutes soziales Netz aufzubauen, bestünden „eher günstige“ Aussichten für eine drogen- und straffreie Lebensführung.
61
Am 27. April 2022 nahm der Prozessbevollmächtigte bei Gericht Akteneinsicht.
62
Mit Email vom 28. April 2022 teilte die Drogenhilfe … mit, dass der Kläger bislang zwei Heimfahrten nach … „zu seiner Mutter und seinen Kindern“ unternommen habe. Die erste vom 18. März 2022 bis zum 20. März 2022, die zweite vom 15. April 2022 bis zum 20. April 2022.
63
Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2022 begründete der Prozessbevollmächtigte die Klage.
64
Am 10. Mai 2022 fand die mündliche Verhandlung statt. Die Mutter des zweiten Kindes E.F. nahm an der Verhandlung teil. Der Prozessbevollmächtigte stellte einen Beweisantrag und erhob gegen die Ablehnung Gegenvorstellungen. Die Beklagte verkürzte die Befristungen des Einreise- und Aufenthaltsverbots jeweils um zwei Jahre auf vier Jahre für den Fall der Drogen- und Straffreiheit und im Übrigen auf sechs Jahre.
65
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt das Gericht Bezug auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung, auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie die beigezogene Strafakte der Staatsanwaltschaft München I im Verfahren 263 Js 129898/20.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
67
I. Die zulässige Klage ist unbegründet, weil der Bescheid vom 7. Juli 2021 in der Form, die er durch die Änderung in der mündlichen Verhandlung erfahren hat, rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
68
Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12).
69
Das Gericht verweist mit den nachfolgenden Maßgaben auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten, denen es folgt, § 117 Abs. 5 VwGO. Ergänzend gilt insbesondere hinsichtlich der tatsächlichen Entwicklungen nach Erlass des Bescheids Folgendes:
70
1. Die Ausweisung des Klägers, die ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG findet, ist rechtmäßig. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Ausweisung sind erfüllt.
71
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen, § 53 Abs. 2 AufenthG.
72
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 AufenthG liegen vor. Vom Aufenthalt des Klägers geht nach wie vor eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus (1.1.) und bei der gebotenen Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem entgegenstehenden Bleibeinteresse des Klägers überwiegt - auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK - das Ausweisungsinteresse (1.2.).
73
1.1. Vom Aufenthalt des Klägers geht trotz der am … … 2022 abgeschlossenen und im Anschluss angetretenen Adaptionsbehandlung bei der Drogenhilfe … nach wie vor eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Dies gilt sowohl in spezial- (1.1.1.) als auch in generalpräventiver (1.1.2.) Hinsicht.
74
1.1.1. Für die Beurteilung, ob vom Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt noch eine Wiederholungsgefahr ausgeht, haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfungen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18).
75
Gemessen an diesen Grundsätzen kommt die Kammer zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung zu der Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass der Kläger erneut durch vergleichbare Straftaten die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt.
76
Die Begehung von Straftaten zieht sich, beginnend im Jahr 2006, wie ein „roter Faden“ durch das Leben des Klägers. Der Kläger ist seit dem Jahr 2007 wiederholt und zuletzt mit erheblich steigender Intensität strafrechtlich verurteilt worden und wurde zuletzt vom Amtsgericht München mit Urteil vom 16. Februar 2021 wegen Diebstahls in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten wegen besonders schweren Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 StGB verurteilt. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger in der Absicht handelte, sich aus der fortgesetzten und wiederholten Begehung von Diebstählen eine nicht nur unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen und sich damit seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Das Gericht stellte in seinen Urteilsgründen weiter fest, dass der Kläger die Taten aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen habe und diese der Drogenbeschaffung gedient hätten. Das bedrohte Rechtsgut Eigentum ist verfassungsrechtlich geschützt.
77
Der bisherige Werdegang des Klägers zeigt eindrucksvoll, dass ihn seit seiner ersten Verurteilung im März 2007 als damals 15-Jähriger weder die Verhängung von Jugendarrest, Jugendhilfemaßnahmen unterschiedlicher Intensität, die Verurteilung zu Jugend- bzw. Freiheitsstrafen zur Bewährung noch ein zweieinhalbmonatiger, noch ein dreieinhalbjähriger Strafvollzug beeindruckt haben. Die im Jugendalter des Klägers unternommenen Versuche, ihn mittels Jugendhilfemaßnahmen wie Erziehungsbeistandschaft und ISE-Maßnahme von der Begehung von Straftaten abzuhalten, waren nicht erfolgreich. Weder ein erster zweieinhalbmonatiger Strafvollzug von November 2011 bis Ende Januar 2012 noch ein dreieinhalbjähriger Strafvollzug von März 2014 bis September 2017 vermochten eine Änderung des delinquenten klägerischen Verhaltens zu bewirken. Bemerkenswert ist hierbei, dass der Kläger sogar während des zweiten langjährigen Strafvollzugs innerhalb der Justizvollzugsanstalt am … … 2015 mit einem versuchten Diebstahl einschlägig straffällig und während des damals laufenden Strafvollzugs erneut mit Entscheidung des Amtsgerichts Rosenheim vom 14. Juni 2016 verurteilt wurde. Nach seiner Haftentlassung am … … 2017 wurde der Kläger am … … 2019 wieder mit einem Eigentumsdelikt straffällig und trotz eines diesbezüglichen Strafbefehls vom … … 2019 über eine Geldstrafe sodann, davon offenbar unbeeindruckt, am … … 2019 mit einem Drogendelikt. Weder der Abschluss seiner Ausbildung noch das Innehaben eines entsprechenden Arbeitsplatzes hielten den Kläger von Straftaten ab. Auch die (bevorstehenden) Geburten seiner drei Kinder bewirkten ersichtlich keine Zäsuren im Leben des Klägers. Die weiterhin bestehende erhebliche Wiederholungsgefahr, die vom Kläger ausgeht, wird weiter durch den Umstand belegt, dass es dem Kläger auch nach seiner erneuten Inhaftierung im März 2020, als er sich bereits zum dritten Mal im Justizvollzug befand, selbst im engen Rahmen der Regeln der Justizvollzugsanstalt nicht gelungen ist, sich an diese Regeln zu halten; er wurde sowohl am … … 2021 als auch am … … 2021 disziplinarisch auffällig.
78
Soweit der Prozessbevollmächtigte vorträgt, dass die soeben abgeschlossene Suchttherapie die vom Kläger ausgehende Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten entfallen lasse und dies durch ein Sachverständigengutachten unter Beweis stellen möchte, ändert dies derzeit nichts an der gegenteiligen Gefahrenprognose des Gerichts. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und weiterer Obergerichte (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2022 - 19 ZB 22.129, BeckRS 2022, 8203 Rn. 22, 23; B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 - juris Rn. 27; B.v. 14.5.2021 - 19 ZB 20.2345 - juris Rn. 28; B.v. 11.3.2020 - 10 ZB 19.777 - juris Rn. 9; B.v. 16.9.2019 - 10 ZB 19.1614 - juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 8.4.2019 - 10 ZB 18.2284 - juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 6.6.2019 - 10 C 19.801 - juris Rn. 7; U.v. 23.7.2019 - 10 B 18.2464 - juris Rn. 27; B.v. 26.7.2019 - 10 ZB 19.1207 - juris Rn. 25 m.w.N.; U.v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32 m.w.N.; ebenso OVG Koblenz, U.v. 25.2.2021 - 7 A 10826/20 - juris Rn. 58; OVG Berlin-Bbg, B.v. 11.6.2020 - OVG 11 N 55.19 - juris Rn. 16 ff.) kann bei Straftaten, die - wie vorliegend - ihre (Mit-)Ursache in einer Suchtmittelproblematik haben, von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange eine entsprechende Therapie nicht abgeschlossen ist und sich der Betreffende nach Therapieende hinreichend in Freiheit bewährt hat. Solange kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11). Dies bedeutet, dass selbst eine erfolgreich absolvierte Drogentherapie nicht automatisch zu einem Entfallen der Wiederholungsgefahr führt (BayVGH, B.v. 29.3.2022 - 19 ZB 22.129, BeckRS 2022, 8203 Rn. 22, 23). Der Kläger hat sich nach Therapieende am … … 2022 noch nicht hinreichend in Freiheit bewährt. Andere Gesichtspunkte, aus denen sich ein Entfallen der Wiederholungsgefahr ergibt, sind vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich, im Gegenteil.
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Die Kammer hat vor diesem Hintergrund keinen Zweifel daran, dass vom Kläger trotz einer von November 2021 bis zum Mai 2022 absolvierten Therapie bei der Drogenhilfe … in spezialpräventiver Hinsicht nach wie vor eine erhebliche Wiederholungsgefahr für Eigentums- und Drogendelikte ausgeht.
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1.1.2. Die Ausweisung ist zudem auch aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Die Verurteilung vom 16. Februar 2021, die die Beklagte zum Anlass der Ausweisung genommen hat, ist unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Verjährungsfristen nach §§ 78 ff StGB und der Tilgungsfristen nach den §§ 46, 51 BZRG noch aktuell und kann daher als Ausweisungsgrund herangezogen werden (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16/17 - juris Rn. 23 ff.). Sie ist auch geeignet, andere Ausländer durch eine einheitliche Ausweisungspraxis von der Begehung vergleichbarer Straftaten aus dem Bereich der Eigentumsdelikte abzuhalten.
81
1.2. Bei der gebotenen Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem entgegenstehenden Bleibeinteresse des Klägers überwiegt das Ausweisungsinteresse, § 53 Abs. 1 AufenthG.
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1.2.1. Der Kläger erfüllt durch seine strafrechtlichen Verurteilungen besonders schwerwiegende und schwerwiegende normierte Ausweisungsinteressen.
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Die Verurteilungen vom 16. Februar 2021, vom 21. Mai 2014, vom 18. Dezember 2013 und vom 23. August 2012 sind noch verwertbar. Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG steht dem nicht entgegen. Es handelt sich hierbei weder um getilgte noch um zu tilgende Eintragungen gemäß §§ 46, 47 Abs. 1 i.V.m. § 36 BZRG. Sie sind auch noch nicht verbraucht.
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1.2.1.1. Mit der Verurteilung vom 16. Februar 2021 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten ist das in § 54 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG normierte besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse erfüllt. Die Bildung einer Gesamtstrafe nach Maßgabe von § 53 StGB ist im Rahmen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG unschädlich (BeckOK, AuslR/Fleuß, AufenthG, § 54 Rn. 16).
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Zu Gunsten des Klägers geht das Gericht davon aus, dass seine Verurteilung nicht außerdem auch das in § 54 Abs. 1 Nr. 1a) lit. d) Alt. 1 AufenthG normierte besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse erfüllt, weil der Kläger rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Eigentum verurteilt worden ist und das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht. Der Kläger wurde zwar wegen besonders schweren Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 3 StGB u.a. zu Einzelstrafen von 15 Monaten und 20 Monaten verurteilt. Zu Gunsten des Klägers sieht das Gericht den sachlichen Anwendungsbereich der Norm unter Hintanstellung erheblicher Zweifel vorliegend indes als nicht eröffnet an. Das gesetzliche Mindestmaß der zeitigen Freiheitsstrafe beträgt zwar gemäß § 38 Abs. 2 StGB einen Monat. Es ist allerdings umstritten, ob sich die im Mindestmaß erhöhte Strafandrohung für das Eigentumsdelikt bereits aus dem Grunddelikt, aus einer Strafschärfung für besonders schwere Fälle wie vorliegend § 243 StGB oder aus einer Qualifikation wie § 244 StGB ergeben muss (vgl. BeckOK, AuslR/Fleuß, AufenthG, § 54 Rn. 35, BeckOK MigrR/Katzer § 54 Rn. 15 einerseits, die die Strafschärfung in § 243 StGB genügen lassen, a.A. in Bezug auf die Strafschärfung in §243 StGB Bergmann/Dienelt/Bauer, AufenthG §54 Rn. 18).
86
Das Gericht geht trotz Zweifeln weiter zu Gunsten des Klägers auch davon aus, dass das normierte besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse gemäß §54 Abs. 1a) lit. d) Alt. 2 AufenthG der serienmäßigen Begehung ebenfalls nicht erfüllt ist. Der Begriff der serienmäßigen Begehung einer Straftat gegen das Eigentum ist weder im Aufenthaltsgesetz definiert, noch wird er in der Gesetzesbegründung näher umschrieben. Versteht man ihn angesichts der in §54 Abs. 1 Nr. 1a) lit. d) Alt. 2 AufenthG zum Ausdruck kommenden Verknüpfung zwischen der seriellen Straftat und der entsprechenden Verurteilung dahingehend, dass die serienmäßige Begehung als Aspekt der Strafzumessung aufgrund besonderer Feststellungen Niederschlag im Strafurteil gefunden haben muss (vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, AufenthG, §54 Rn. 19), so ist der Tatbestand nicht erfüllt. Denn das Strafgericht hat in seiner Strafzumessung zwar berücksichtigt, dass der Kläger die Taten aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat und sie der Drogenbeschaffung dienten, aber im Übrigen keine Ausführungen im Hinblick auf eine Tatserie oder ähnliches gemacht. Jedoch auch dann, wenn man die serienmäßige Begehung entsprechend bereits früher geltender Regelungen im Ausweisungsrecht (§ 48 Abs. 2 AuslG 1990 und § 56 Abs. 2 Satz 3 AufenthG a.F.) und mit Blick auf die gefahrenabwehrrechtliche Funktion der §§ 53 ff. AufenthG als einen eigenständigen öffentlich-rechtlich Begriff auffasst, der nicht identisch mit dem strafrechtlichen Begriff der „Serienstraftat“ sein muss, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach diesem Verständnis verlangt eine „Serie“ die Begehung mehrfacher, gleicher oder ähnlicher Straftaten in einer annähernd regelmäßigen zeitlichen Abfolge. Die Taten müssen in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang begangen worden sein und gewisse Gemeinsamkeiten bzgl. der Begehungsweise haben. Dies ist bei den vorliegenden Diebstählen zwar zu bejahen. Um ein „serienmäßiges“ Eigentumsdelikt bejahen zu können, sind jedoch wohl mindestens drei Taten in diesem Sinne erforderlich (VG Saarlouis, B.v. 21.9.2020 - 6 L 806/20, BeckRS 2020, 23919 Rn. 27 ff.). Der Kläger wurde vorliegend zwar wegen vier Taten verurteilt, allerdings haben nur die Einzelstrafen für zwei Taten die Schwelle von einem Jahr überschritten. Im Hinblick auf die Unschärfe der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale und fehlende Ausführungen im Strafurteil geht das Gericht vorliegend deshalb zu Gunsten des Klägers davon aus, dass seine Verurteilung vom 16. Februar 2021 nicht auch das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse i.S.v. § 54 Abs. 1 Nr. 1a) lit. d) Alt. 2 AufenthG erfüllt.
87
1.2.1.2. Mit den Verurteilungen vom 21. Mai 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vom 18. Dezember 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen ist jeweils auch das normierte schwerwiegende Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt.
88
1.2.1.3. Die Verurteilung vom 23. August 2012 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren zur Bewährung (unter Einbeziehung des Urteils vom 8. Oktober 2009) erfüllt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.v. § 54 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG. Dass diese Strafe zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde, hindert nicht die Wertung als besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (BeckOK AuslR/Fleuß, AufenthG, § 54 Rn. 17). Das Gericht geht vorliegend zu Gunsten des Klägers davon aus, dass obwohl der Kläger wegen Diebstahls mit Waffen gemäß §244 StGB verurteilt wurde und somit der sachliche Anwendungsbereich von §54 Abs. 1 Nr. 1a) lit. d) Alt. 1 AufenthG an sich eröffnet ist, nicht auch noch dieses normierte besondere Ausweisungsinteresse erfüllt ist, weil sich aus dem Strafurteil keine Einzelstrafen in Bezug auf die einzelnen Taten ergeben und sich somit nicht feststellen lässt, ob der Kläger wegen dieser Tat zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde.
89
Zusammenfassend hat der Kläger somit jeweils zwei Mal ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse und ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse verwirklicht.
90
1.2.2. Diesen Ausweisungsinteressen stehen normierte besonders schwerwiegende Bleibeinteressen gegenüber, weil der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und weil er sein Umgangsrecht mit einem deutschen Familienangehörigen, in Bezug auf seine beide älteren Kinder, ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG).
91
Es ist unschädlich, dass der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung für keines seiner Kinder das Sorgerecht besitzt. Für den Schutz des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG genügt auch die Ausübung eines Umgangsrechts. Das Gericht legt seiner Beurteilung zu Grunde, dass der Kläger mit seinen beiden älteren Kindern sein Umgangsrecht ausübt.
92
Der Umgang mit seinen Kindern gestaltete sich in der Vergangenheit und Gegenwart wie folgt:
93
„1.2.2.1. Zum Zeitpunkt der Geburt seines ältesten Kindes … am … … 2011 befand sich der Kläger in Haft. Als der Kläger damals am 1. Februar 2012 aus der Haft entlassen wurde, war sein Sohn sechs Wochen alt und lebte mit seiner Mutter J.G. in einer Mutter-Kind-Einrichtung. Nach den Angaben der Kindsmutter im Rahmen der Anhörung kümmerte sich der Kläger in dieser Zeit um seinen Sohn, „bis“ er mit der Kindsmutter des zweiten Kindes E.F. „zusammenkam“; da sei … vier Monate alt gewesen. Ausweislich des Strafurteils vom 23. August 2012 kümmerte sich der Kläger nach Entlassung „intensiv“ um sein Kind und verbrachte „jedes Wochenende“ bei ihm und der Kindsmutter. Ausweislich des Strafurteils vom … … 2013 zahlte der Kläger im Zeitpunkt der Verurteilung 200 € Unterhalt für seinen Sohn. Ausweislich des Strafurteils vom 15. April 2014 hatte der Kläger bis zu seiner Inhaftierung (am 25. März 2014) „regelmäßig, d.h. mehrmals pro Woche“ Kontakt zu seinem Sohn und zahlte zuletzt 120 € Unterhalt. Nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er nach seiner späteren Haftentlassung (im September 2017) bis zu seiner erneuten Inhaftierung (im März 2020) regelmäßig persönlichen Kontakt zu seinem Sohn. Dieser habe „meistens“ jedes zweite Wochenende zusammen mit ihm bei der Mutter des Klägers und deren Sohn, der in etwa im selben Alter wie … sei, verbracht. Die Mutter J.G. hatte dagegen im Anhörungsverfahren angegeben, es habe nur unregelmäßigen, keinen konstanten Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Sohn gegeben. Dem Kläger war im Zeitpunkt der Anhörung die Postanschrift der Mutter von … nicht bekannt. Der Sohn … besuchte den Kläger nicht in der Haft, also seit März 2020; sie telefonierten auch nicht. Seit der Kläger im November 2021 seine Drogentherapie absolvierte, fanden nach seinen Angaben mindestens einmal pro Woche Videotelefonate statt. Im April 2022 hat der Kläger einen Tag mit seinem Sohn beim Fußball und beim Schwimmen verbracht. Dies zugrunde gelegt, hat der Kläger sowohl in der Vergangenheit als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Umgangskontakte mit seinem Sohn ausgeübt. Ob dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, zwischen September 2017 bis zum März 2020 hätten regelmäßige Besuche von … zwei Mal im Monat stattgefunden, zu folgen ist, kann daher dahinstehen. Zugunsten des Klägers wird vorliegend davon ausgegangen.“
94
1.2.2.2. Auch zum Zeitpunkt der Geburt seines zweiten Kindes, der Tochter …, befand sich der Kläger in Haft. Die Mutter E.F. besuchte den Kläger zwar zunächst mit der gemeinsamen Tochter in der Justizvollzugsanstalt, jedoch mit zunehmendem Alter des Kindes aus Rücksicht auf das Kind, das die Situation allmählich verstand, nicht mehr. Im Zeitpunkt der Haftentlassung des Klägers im September 2017 war die Tochter des Klägers dreieinhalb Jahre alt. Nach erstmaligen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung lebte er mit seiner Tochter und deren Mutter nach dieser Haftentlassung für zwei bis drei Monate zusammen. Diesbezüglich hatte die Mutter im Anhörungsverfahren bislang nichts vorgetragen. Besuche während der letzten Inhaftierung seit März 2020 fanden mit Rücksicht auf das Kind wiederum nicht statt, jedoch regelmäßige Telefonate spätestens seitdem der Kläger sich in der Justizvollzugsanstalt Bernau befand, also seit März 2021. Seit Beginn der Drogentherapie im November 2021 telefonierte der Kläger nach seinen Angaben mehrmals pro Woche, nach Angaben der Kindsmutter gegenüber der Beklagten am 9. Mai 2022 täglich, per Videotelefonie mit seiner Tochter. Kontakt besteht danach auch über WhatsApp. Der Kläger hat seine Tochter nach Angaben der Kindsmutter bei seinem Aufenthalt in … im April 2022 täglich gesehen und war an ihrem Geburtstag am … … 2022 mit ihr beim Schwimmen. Ausweislich der Klagebegründung hat der Kläger im März 2022 ebenfalls Zeit mit seiner Tochter verbracht. … habe auch einmal in der Wohnung der Großmutter väterlicherseits während seines Aufenthalts dort übernachtet. Seit Beginn der Therapie hat der Kläger nach Angaben der Mutter E.F. in Einzelfällen auf ihre Bitte Schuhe und Spielzeug geschickt. Einen Unterhaltsbeitrag leiste der Kläger nicht. Die Tochter hängt nach Angaben der Kindsmutter in der Anhörung sehr am Kläger.
95
1.2.2.3. Mit seinem jüngsten Kind und dessen Mutter lebte der Kläger nach dessen Geburt im November 2019 bis etwa Januar/Februar 2020 in häuslicher Lebensgemeinschaft, bevor die Kindsmutter den Kläger aus der Wohnung warf. Im Juli 2020 besuchte die Kindsmutter den Kläger einmalig mit dem gemeinsamen Kind der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt. Im November 2020 stellte die Kindsmutter ihre Besuche beim Kläger ein. Seitdem besteht nach Angaben des Klägers kein Kontakt mehr.
96
Das Gericht geht nach dem Vorstehenden davon aus, dass der Kläger sein Umgangsrecht mit seinen beiden älteren Kindern ausübt und er sich in Bezug auf sie somit auf das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG berufen kann.
97
1.2.3. Die erforderliche umfassende, einzelfallbezogene Interessenabwägung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG geht vorliegend zuungunsten des Klägers aus.
98
In die Abwägung sind sämtliche Umstände des Einzelfalls einzustellen, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in § 53 Abs. 2 AufenthG aufgezählten Umstände nicht abschließend zu verstehen sind. Auch die Gefahrenprognose ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung. Eine arithmetische Bilanzierung der normierten Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist nicht zulässig (vgl. OVG Bremen, B.v. 27.10.2020 - 2 B 105/20 - juris Rn. 25).
99
1.2.3.1. Zugunsten des 30-jährigen Klägers ist gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG danach einzustellen, dass er sich seit nunmehr 24 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, er u.a. aufgrund dieses langjährigen Aufenthalts die deutsche Sprache beherrscht, einen Schulabschluss erworben und eine dreijährige Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat. Außerdem hat der Kläger - wenn auch nicht durchgängig, so doch zumindest teilweise immer wieder - in seinem erlernten Beruf und auch anderweitig gearbeitet und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet. Seine drei deutschen minderjährigen Kinder, seine Mutter, sein Halbbruder und eine Tante leben in … Für sein ältestes Kind … hat der Kläger zumindest in der Vergangenheit teilweise durch Geldzahlungen Unterhalt geleistet; für seine Tochter bemüht er sich nach Angaben der Kindsmutter um Beiträge wie Schuhe und Spielzeug. Auch Unterhaltszahlungen sind ein Zeichen für die Wahrnehmung elterlicher Verantwortung (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - BverfGK 7, 49, 58; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 35). Mittlerweile hat er auch soziale Kontakte in einem Fußballverein an seinem derzeitigen Wohnort in Overrath im Rahmen der Drogentherapie bzw. nunmehrigen Adaptionsbehandlung geknüpft. Daneben sind zu Gunsten des Klägers die unter 1.2.2. angeführten normierten besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen des Besitzes einer Niederlassungserlaubnis und der Ausübung seines Umgangsrechts mit seinen beiden minderjährigen deutschen Kindern … und … zu berücksichtigen.
100
1.2.3.2. Zuungunsten des Klägers fällt neben den unter 1.2.1. angeführten normierten besonders schwerwiegenden und schwerwiegenden Ausweisungsinteressen ins Gewicht, dass ihm ausweislich seiner bisherigen Erwerbsbiographie trotz einer abgeschlossenen Berufsausbildung eine wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet nicht gelungen ist. Der Kläger hat bislang noch nicht unter Beweis gestellt, dass er in der Lage ist, einer geregelten Tätigkeit über einen längeren Zeitraum nachzugehen. Der Kläger hat in seinem erlernten Beruf nach Abschluss der Ausbildung vom 1. August 2012 bis zum 30. November 2012 (vier Monate), vom 13. Mai 2013 bis zum 13. Januar 2014 (acht Monate), vom 29. Januar 2014 bis zum 19. Februar 2014 (ca. drei Wochen), vom 24. Februar 2014 bis zum 24. März 2014 (ein Monat) sowie vom 15. Dezember 2017 bis zum 12. April 2018 (vier Monate), vom 3. September 2018 bis zum 25. September 2018 (drei Wochen), vom 8. Oktober 2018 bis zum 22. März 2019 (fünf Monate), im Mai 2019 (ein Monat), vom 1. Juni 2019 bis zum 16. Juni 2019 (zweieinhalb Wochen) sowie vom 21. August 2019 bis zum 20. November 2019 (drei Monate) zumeist wohl als Maler und Lackierer gearbeitet. Die Zeiten der Erwerbstätigkeit sind auch durch Zeiten des Bezugs von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit unterbrochen. Der Kläger war und ist auch nicht in der Lage, den Unterhalt für seine drei Kinder - jedenfalls nicht durchgängig - zu zahlen und ist in Höhe von ca. 15.000,00 € verschuldet. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger im November 2019 nach der Geburt seines dritten Kindes ausweislich seiner Angaben in der Stellungnahme im Anhörungsverfahren freiwillig seine Arbeitsstelle aufgegeben hat, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger damals wegen der beiden Verurteilungen zu Geldstrafen aus dem Jahr 2019 nach eigenen Angaben massive Geldprobleme hatte. Entscheidend fällt jedoch ins Gewicht, dass der Kläger sich nicht rechtstreu verhalten hat. Seine Delinquenz hat im Jahr 2006 im Alter von 14 Jahren früh eingesetzt und zieht sich wie ein „roter Faden“ durch das Leben des Klägers. Wie die Vielzahl der von ihm begangenen Straftaten belegt, ist der Kläger nicht gewillt oder dazu in der Lage, die deutsche Rechtsordnung zu akzeptieren und sich in diese einzufügen. Weder die ihm eingeräumten Möglichkeiten im Rahmen der Jugendhilfe, der Abschluss einer Ausbildung, das Innehaben eines ausbildungsangemessenen Arbeitsplatzes, die Bewährungsmöglichkeiten, die Geburten seiner Kinder, noch die Verbüßung von Strafhaft vermochten den Kläger bisher von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Es handelt sich bei ihm um einen notorischen Straftäter.
101
1.2.3.3. Für die Abwägung ist nicht von entscheidendem Belang, ob der Kläger im Hinblick auf seine Einreise in das Bundesgebiet als Sechsjähriger, den erworbenen Schulabschluss und die beendete Ausbildung als sog. faktischer Inländer zu betrachten ist.
102
Der Begriff „faktischer Inländer“ ist nicht einheitlich definiert, sondern wird in der Rechtsprechung unterschiedlich umschrieben. Das Bundesverwaltungsgericht bezeichnet faktische Inländer als „im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kinder, deren Eltern sich hier erlaubt aufhalten“ (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2002, 1 C 8/02, BVerwGE 116, 378 - juris Rn. 23). Das Bundesverfassungsgericht umschreibt den Begriff mit „hier geborene bzw. als Kleinkinder nach Deutschland gekommenen Ausländer“ (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 19; B. v. 25.8.2020 - 2 BvR 640/20 - juris Rn. 24). Die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ entbindet nicht davon, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung im Bundesgebiet und der Entwurzelung im Heimatstaat zu prüfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht auch für sogenannte „faktische Inländer“ kein generelles Ausweisungsverbot (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn .19; B.v. 25.8.2020 - 2 BvR 640/20 - juris Rn. 24). Bei der Ausweisung im Bundesgebiet geborener Ausländer ist jedoch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Auch nach der Rechtsprechung des EGMR bietet Art. 8 EMRK bei sogenannten „Zuwanderern der zweiten Generation“ keinen absoluten Schutz vor einer Aufenthaltsbeendigung (vgl. EGMR [Große Kammer], U.v. 18.10.2006 - 46410/99 Rn. 54 - Üner, NVwZ 2007, 1279).
103
Im Rahmen der Ermittlung der entsprechenden Belange der Ver- bzw. Entwurzelung ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2022 - 19 ZB 21.2650 - juris Rn. 32 ff.).
104
Der Kläger ist als 30-jähriger Mann trotz seines langen Aufenthalts, seiner Sprachkenntnisse, seines Schul- und Ausbildungsabschlusses und seiner Erwerbstätigkeit als unbelehrbarer Straftäter nicht im Gaststaat integriert.
105
Eine derartige Verwurzelung im Bundesgebiet und eine Entwurzelung aus dem Heimatstaat, die eine Rückkehr dorthin unzumutbar macht, ist nicht gegeben. Der Kläger ist nicht nur noch über das Band seiner Staatsangehörigkeit mit seinem Heimatstaat verbunden und in Deutschland nicht derart nachhaltig integriert, dass es eine unzumutbare Härte darstellt, das Bundesgebiet für die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots verlassen zu müssen. Das Gericht geht zwar von einer weitgehenden Entfremdung des Klägers von seinem Heimatstaat, jedoch nicht von einer Entwurzelung aus.
106
Der Kläger hat seine ersten sechs Lebensjahre in Brasilien verbracht und dort den Kindergarten besucht. Er besitzt nach eigenen Angaben portugiesische Sprachkenntnisse; soweit er sie selbst als „mangelhaft“ betrachtet, ist es ihm zuzumuten, sie aufzubessern. Als Sohn einer brasilianischen Mutter ist davon auszugehen, dass der Kläger auch mit den dortigen Sitten und Gebräuchen vertraut ist. Als gesundem arbeitsfähigen jungen Mann mit einer handwerklichen Ausbildung und deutschen Sprachkenntnissen dürfte es ihm auch in Brasilien gelingen, eine Arbeit zu finden, mit der er seinen Lebensunterhalt sichern kann. Auf die Unterstützung durch eine Familie, die ihm den Einstieg dort erleichtern könnte, ist der 30-jährige Kläger nicht angewiesen. Es ist ihm zuzumuten, sich im Land seiner Staatsangehörigkeit, in dem er die ersten sechs Lebensjahre verbracht hat, zurecht zu finden und seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu sichern. Dem steht keine nachhaltige Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse gegenüber. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
107
1.2.3.4. Die Ausweisung verletzt auch nicht Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK. Sie ist vorliegend von der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt. Sie dient dem Schutz eines der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Rechtsgüter, nämlich der Verhinderung von Straftaten, und ist in einer demokratischen Gesellschaft notwendig i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK, weil sie verhältnismäßig ist.
108
Der mit einer Ausweisung verbundene Eingriff in das Recht aus Art. 6 GG und das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss auch gemessen an den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Anforderungen gerechtfertigt sein (zu den sog. Boultif/Üner-Kriterien s. insbes. EGMR, U.v. 18.10.2006 - 46410/99 - NVwZ 2007, 1279). Belange des Elternteils und der Kinder sind umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte.
109
In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen (BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14). Eine Aufenthaltsbeendigung für einen Elternteil aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist jedoch nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen. Dem Kindeswohl kommt weder nach europäischen Grund- und Menschenrechten noch nach Verfassungsrecht ein unbedingter Vorrang vor den entsprechenden Interessen zu (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.2015 - 1 B 26/15 - juris Rn. 5).
110
Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls. Bei der vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist. Der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft steht nicht entgegen, dass ein Elternteil nur ausschnittsweise am Leben des Kindes teilnimmt und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt. Es kommt jedoch darauf an, ob die vorhandenen Kontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis zum Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. Erforderlich ist, dass der Sorge-/Umgangsberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maß Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt. Es kommt darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist. Rechtliche Schutzwirkungen entfalten Art. 6 GG und Art. 8 EMRK dann, wenn im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und seinem Kind besteht, die eine hinreichende Konstanz in der Beziehung erwarten lässt und auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Bei der Beurteilung, ob ein Kind auf die Aufrechterhaltung der Verbundenheit zu seinem Vater zu seinem Wohl angewiesen ist, ist zu würdigen, welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BayVGH, B.v. 30.7.2021 - 19 ZB 21.738 - BeckRS 2021, 22451).
111
Gemessen hieran ergibt sich vorliegend, dass auch dann, wenn man davon ausgeht, dass der Kläger seine Elternverantwortung in diesem Sinn im Hinblick auf seine beide älteren Kinder in hinreichendem Maße wahrnimmt, sich weder aus Art. 6 GG noch aus Art. 8 EMRK ergibt, dass die Ausweisung des Klägers unverhältnismäßig ist. Das öffentliche Interesse an der Abwehr der von einem weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet ausgehenden schwerwiegenden und erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit überwiegt das Bleibeinteresse. Dabei fallen zu seinen Lasten vor allem die Art und die Schwere der von ihm begangenen Straftaten und die von ihm auch weiterhin ausgehende erhebliche Wiederholungsgefahr maßgeblich ins Gewicht.
112
Im Einzelnen ist auszuführen: Von der Ausweisung sind nicht „sehr kleine“ Kinder betroffen; die in den Blick zu nehmenden Kinder … und … sind im Zeitpunkt der Entscheidung zehn Jahre bzw. acht Jahre alt. Der bisherige Kontakt per Telefon bzw. per Videotelefonie und WhatsApp kann auch von Brasilien aus unverändert aufrechterhalten werden. Allerdings wird der Vollzug der Ausweisung den persönlichen Kontakt zwischen dem Kläger und seinen beiden älteren Kindern erschweren, auch wenn diesbezüglich gegenseitige Besuche - seitens des Klägers mittels Betretenserlaubnissen - möglich sind. Zu berücksichtigen ist bei der Einschränkung des persönlichen Kontakts aufgrund des Vollzugs der Ausweisung, dass die persönlichen Kontakte bislang schon eingeschränkt waren: zum einen dadurch, dass die Kinder jeweils andere Mütter mit verschiedenen Wohnsitzen haben und zum anderen durch die Haftzeiten des Klägers und dadurch eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten. Von daher sind die Kinder es seit langem gewohnt, ihren Vater nicht als dauerhaften Teil einer häuslichen Lebensgemeinschaft zu begreifen. Abgesehen davon hat der Kläger mit seinem ältesten Kind nie, mit der Tochter nur sehr kurzfristig vor fast fünf Jahren in einer häuslichen Lebensgemeinschaft gelebt, es bestanden im Übrigen Umgangskontakte. Zwar unterfallen auch diese dem Schutz von Art. 8 EMRK und Art. 6 GG; jedoch verringert dies die Schwere des Eingriffs (vgl. OVG Bremen, B.v. 27.10.2020 - 2 B 105/20 - juris Rn. 26). Derzeit ist es auch so, dass die Kinder ihren Vater gut zwei Jahre - zwischen der Inhaftierung im März 2020 und der ersten Heimfahrt im März 2022 bzw. im April 2022 - nicht persönlich gesehen und erste persönliche Kontakte gerade erst wieder stattgefunden haben. Auch dies verringert die Schwere des Eingriffs. Es ist ebenfalls in den Blick zu nehmen, dass der Kläger beabsichtigt, nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach Abschluss seiner auf 16 Wochen angelegten Adaptionsbehandlung beabsichtigt, Wohnung und Arbeit (für etwa fünf Jahre) in Nordrhein-Westfalen zu nehmen. Zwar ist davon auszugehen, dass für den Kläger die Aufrechterhaltung eines persönlichen Kontakts auch dann deutlich einfacher zu bewerkstelligen wäre als wenn er nach Brasilien abgeschoben wird. Aber auch der Umstand, dass der Kläger in einer anderen Stadt wohnen wird und dies die persönlichen Kontakte erschwert, ist bei der Prüfung, ob Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK durch die Ausweisung beeinträchtigt wird, zu berücksichtigen. Daneben ist auch zu sehen, dass die Eltern in Wahrnehmung ihrer Elternverantwortung und Erziehungsaufgabe die Kinder auf die zwar vorübergehende, jedoch mehrjährige Abwesenheit des Klägers vorbereiten und ihnen altersgerecht vermitteln können, dass dessen Abwesenheit nicht mit einem endgültigen Verlust seiner Person verbunden ist. Die Beklagte hat das Einreise- und Aufenthaltsverbot vorliegend wegen der Beziehung des Klägers zu den Kindern für den Fall der Drogen- und Straffreiheit auf vier Jahre, im Übrigen auf sechs Jahre befristet. Deshalb ist der Zeitraum, in dem der persönliche Kontakt zwischen dem Kläger und seinen beiden älteren Kindern beeinträchtigt sein wird, nach Auffassung des Gerichts von noch hinnehmbarer Dauer. Die übrigen familiären und sozialen Kontakte sind zwar ebenfalls in die Abwägung einzustellen, ihrerseits jedoch nicht von erheblichen Gewicht. Der Kläger ist ein erwachsener junger Mann, der auf den Beistand seiner Mutter, seines Halbbruders oder seiner Tante bzw. umgekehrt nicht angewiesen ist. Soziale Kontakte im Fußballverein, die der Kläger soeben im Rahmen seiner Drogentherapie geknüpft hat, sind ebenfalls nicht mit einem erheblichen Gewicht in die Abwägung einzustellen.
113
Zusammenfassend ist daher auch den durch Art. 6 Abs. 1 GG ebenso wie von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet kein Vorrang vor den öffentlichen Interessen an seiner Ausreise einzuräumen. Die von dem Kläger auch weiterhin ausgehende Gefahr der erneuten Begehung erheblicher Straftaten wird hierdurch nicht aufgewogen. Dem Schutz der hier lebenden rechtschaffenen Bevölkerung ist insbesondere im Hinblick auf die vom Kläger nach wie vor ausgehende, erhebliche Wiederholungsgefahr Vorrang einzuräumen. Das Eigentum ist ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut. Vor diesem Hintergrund können weder die vorliegenden schutzwürdigen Vater-Kind-Beziehungen noch die sonstigen, als nicht unerheblich anzusehenden Folgen der Ausweisung für den Kläger und seine Kinder das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse kompensieren, das sowohl in dem Schutzinteresse der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Bevölkerung vor weiteren Eigentumsdelikten durch den Kläger als auch in dem öffentlichen Bedürfnis begründet liegt, andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten.
114
Die Ausweisung erweist sich somit als rechtmäßig.
115
2. Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 2 des Bescheids begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
116
Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots folgt aus § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und ist zwingend vorgesehen. Die Anordnung ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG bei ihrem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Befristung kann gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- und Drogenfreiheit. Über die Länge der Frist entscheidet die Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten, § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG.
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Da der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen wird, darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG fünf Jahre überschreiten.
118
Im Übrigen ist das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO darauf beschränkt, die Entscheidung über die Länge der Frist auf Ermessensfehler zu überprüfen. Ermessensfehler sind vorliegend nicht ersichtlich. Die gewählten Fristen sind wegen der erheblichen Rückfallgefahr und -geschwindigkeit trotz der soeben therapierten Drogensucht und wegen des Rangs der beeinträchtigten Rechtsgüter auch unter Berücksichtigung der familiären Bindungen des Klägers und seines langjährigen Aufenthalts angemessen.
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3. Die Abschiebungsandrohung begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken, §59 AufenthG.
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II. Der Kläger trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens, § 154 Abs. 1 VwGO.
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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.