Inhalt

VG München, Urteil v. 27.04.2022 – M 31 K 17.34680
Titel:

Verfolgung in Kuba nicht glaubhaft gemacht

Normenketten:
AsylG § 30
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Die wesentliche Steigerung des Vortrags vor Gericht und die daraus folgende signifikante Widersprüchlichkeit zum Vortrag vor dem Bundesamt rechtfertigt, sofern der Asylsuchende dies nicht einmal ansatzweise plausibel zu erklären vermag, die Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bessere wirtschaftliche oder soziale Perspektiven in Deutschland begründen kein Abschiebungsverbot. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Herkunftsland Kuba, Offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Keine asylerhebliche Verfolgung oder Bedrohung vorgebracht, Kuba, Asylantrag offensichtlich unbegründet, mangelnde Glaubhaftmachung, widersprüchliches Vorbringen, Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2022, 11101

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

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Der Kläger ist kubanischer Staatsangehöriger. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 3. Juli 2016 auf dem Luftweg aus Havanna kommend über den Flughafen München in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 19. August 2016 einen Asylantrag.
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Nach Anhörung am 13. Dezember 2016 lehnte das Bundesamt für ... (im Folgenden: Bundesamt) mit Bescheid vom 28. Februar 2017, zugestellt am 2. März 2017, den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab und stellte zudem fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Kuba oder in einen anderen Staat angedroht, in den er einreisen darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Am 13. März 2017 erhob der Kläger Klage. Er beantragt,
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den Bescheid des Bundesamts vom 28. Februar 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft und die Asylberechtigung, hilfsweise den subsidiären Schutz zuzuerkennen, und weiter hilfsweise festzustellen, dass bei ihm Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte hat die Akten vorgelegt, aber keinen Antrag gestellt.
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Mit Beschluss vom 10. März 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet, wobei sich Unbegründetheit hinsichtlich des Asylantrags als offensichtlich erweist.
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Die Beklagte hat den Asylantrag mit dem streitbefangenen Bescheid zutreffend abgelehnt und festgestellt, dass nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts auch offensichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Asylberechtigung oder der hilfsweise angestrebten subsidiären Schutzberechtigung. Zudem hat er keinen Anspruch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung des Vorliegens nationaler Abschiebungsverbote (§ 113 Abs. 5 VwGO). Schließlich erweisen sich auch die Nebenentscheidungen in den Nr. 5 und 6 des angefochtenen Bescheids in Gestalt der Abschiebungsandrohung nach Kuba und der Anordnung eines auf 30 Monate befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots als rechtmäßig.
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1. Zur Begründung wird nach § 77 Abs. 2 AsylG zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im streitbefangenen Bezug genommen. Zwischenzeitliche relevante Änderungen der Sach- und Rechtslage sind weder vorgetragen noch liegen solche vor.
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2. Des Weiteren liegen zur Überzeugung des Gerichts im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) die Voraussetzungen der offensichtlichen Unbegründetheit nach § 30 Abs. 1, 2 und Abs. 3 Nr. 1 AsylG vor, sodass über die Klage wie tenoriert zu entscheiden war.
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2.1 Die Einreise nach und der Aufenthalt in Deutschland sind offenkundig und maßgeblich von wirtschaftlichen (und daneben wohl auch familiären) Gründen getragen (§ 30 Abs. 2 AsylG).
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2.2 Zudem erweist sich - unabhängig vom Vorstehenden die vorliegende Entscheidung zur offensichtlichen Unbegründetheit selbstständig tragend - das Vorbringen des Klägers zu einer asylrechtlich erheblichen Verfolgung, Bedrohung oder Schädigung bzw. Gefährdung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG i.V.m. Art. 16a Abs. 1 GG, §§ 3 ff. AsylG) in seinem Heimatland im Falle einer Rückkehr als in wesentlichen Punkten widersprüchlich (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und sonach gänzlich unglaubhaft.
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Der Kläger hat erstmals im Klageverfahren (vgl. Schriftsatz vom 2.5.2017 mit anliegender persönlicher Stellungnahme des Klägers) vorgetragen, er sei aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Kirche „Fuego y Dinamica“ von der Polizei beobachtet, kontrolliert, festgenommen, einer Leibesvisitation untersucht und verhört worden und habe zudem im Weiteren versucht, sich aufgrund der erlittenen Überwachung umzubringen. Von alledem war in der Anhörung vor dem Bundesamt mit keinem Wort die Rede. Vielmehr hat er dort lediglich allgemein das unfreie politische System in Kuba, Repressalien gegen Christen und die Beschränkung der Meinungsfreiheit kritisiert, ohne die nunmehr im Klageverfahren erwähnten, angeblich ihn persönlich betreffenden erheblichen Vorfälle auch nur ansatzweise zu thematisieren. Auf die Frage vor dem Bundesamt, was ihm in seiner Heimat passiert sei, konnte er keinerlei konkret-persönlich erlebte Ereignisse oder Zwischenfälle schildern. Mithin erweist sich der nunmehr erstmals im Klageverfahren unterbreitete Vortrag als ganz erheblich gesteigert, daher in wesentlichen Punkten widersprüchlich und folglich zur Überzeugung des Gerichts als gänzlich unglaubhaft (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Für das Gericht steht fest, dass, hätte der Kläger tatsächlich erlebt, was er nunmehr im Klageverfahren geschildert hat, dies von ihm ohne weiteres bereits vor dem Bundesamt hätte erwähnt und im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt werden können und müssen. Zur Überzeugung des Gerichts ist der gesteigerte Vortrag des Klägers im Klageverfahren allein asyltaktisch motiviert. Die wesentliche Steigerung seines Vortrags und die daraus folgende signifikante Widersprüchlichkeit zum Vortrag vor dem Bundesamt hat er zudem auch nicht auch nur ansatzweise erklärt. Damit scheidet eine Schutzgewährung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG i.V.m. Art. 16a Abs. 1 GG, §§ 3 ff. AsylG für den Kläger offensichtlich aus.
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3. Auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheiden unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in Kuba und der individuellen Umstände des Klägers aus.
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Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass die Lage des Betroffenen und seine Lebensumstände im Fall einer Aufenthaltsbeendigung erheblich beeinträchtigt würden, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen - hier nicht vorliegenden - Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 - 26565/05 - NVwZ 2008, 1334; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris; B.v. 25.10.2012 - 10 B 16/12 - juris). Unabhängig davon, in welchen Fällen existenzbedrohende Armut im Sinne von Art. 3 EMRK relevant sein kann, liegen konkrete Anhaltspunkte hierfür nicht vor.
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Der Kläger ist volljährig und arbeitsfähig; die normative Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG ist nicht widerlegt. Hinweise darauf, dass der Kläger nach seiner Rückkehr - allein oder gegebenenfalls mit familiärer Unterstützung, namentlich durch die im Heimatland lebenden Geschwister - nicht in der Lage sein wird, das Existenzminimum für sich zu sichern, sind auch im Übrigen nicht ersichtlich. Es ist nichts dafür erkennbar, dass der Kläger, der in seiner Heimat aufgewachsen und sozialisiert ist und nach einem höheren Bildungsabschluss sogar eine Berufsausbildung als Facharbeiter absolviert hat und auch entsprechend berufstätig war, nicht in der Lage wäre, im Falle der Rückkehr seinen Lebensunterhalt zumindest „mit seiner Hände Arbeit“, wenn gegebenenfalls auch auf eher niedrigem Niveau, so doch noch ausreichend zu bestreiten. Durch seine weiteren beruflichen Erfahrungen, die er zwischenzeitlich in Deutschland gewonnen hat, hat der Kläger zudem bewiesen, dass er auch in der Lage ist, sich in neuer Umgebung eine berufliche Existenz aufzubauen. Bessere wirtschaftliche oder soziale Perspektiven in Deutschland begründen im Übrigen kein Abschiebungsverbot. Aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln (vgl. Liste Nr. 351 vom 14.3.2022, dort insbesondere KAS-Länderbericht vom Juli 2021, AI vom 7.4.2021 und BAMF-Briefing Notes aus den Jahren 2021 und 2022) ergibt sich, dass sowohl hinsichtlich der Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie als auch der der allgemeinen Lebensmittelversorgungskrise sowie auch in Zusammenschau beider Ereignisse und im Lichte der weiteren aktuellen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Kuba nach derzeitigem Stand nichts Konkretes für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK erkennbar ist. Die negativen wirtschaftlichen Folgen wird der Kläger im Falle der Rückkehr nach Kuba dort sicherlich spüren. Dass dies für ihn aber derart existenzielle Folgen zeitigen wird, dass ihm existenzbedrohende Armut und somit gleichsam die Verelendung droht, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht wahrscheinlich.
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Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Danach soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
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Bei den in Kuba vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise dann nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - juris; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris), wenn ein Einzelner gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, liegt nach dem vorstehend Ausgeführten nicht vor.
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4. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung sowie gegen die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG bestehen schließlich ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 2 AsylG).