Titel:
Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen in Aserbaidschan
Normenkette:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz:
Nach der Auskunftslage sind psychische Erkrankungen in Aserbaidschan behandelbar. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Aserbaidschan, Unglaubhafter Vortrag, Behandelbarkeit von psychischen Erkrankungen in Aserbaidschan, widersprüchlicher Vortrag, Aserbaidschan, unglaubhafter Vortrag, richterliche Überzeugungsgewissheit, Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen in Aserbaidschan
Fundstelle:
BeckRS 2022, 10767
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben
Tatbestand
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Die im Jahre 1997 geborene Klägerin ist aserbaidschanischer Staats- und Volkszugehörigkeit. Eigenen Angaben zufolge reiste sie am 6. August 2015 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 4. Dezember 2015 einen Asylantrag.
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Die Eltern und ein Bruder der Klägerin haben ihre Klage gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten hinsichtlich ihres Asylantrages zurückgenommen (AN 16 K 17.32453). Auf den Vortrag der Eltern der Klägerin in deren Verfahren wird Bezug genommen.
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In der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 4. Oktober 2016 führte die Klägerin im Wesentlichen aus, dass sie zuletzt in …, der … Stadt in Aserbaidschan, gelebt habe. Hinsichtlich der Ausreise am 6. August 2015 sei sie mit ihren Eltern von Aserbaidschan nach Georgien mit dem Auto und von Georgien in die Türkei mit dem Flugzeug gereist. Dann sei es weiter nach … mit dem Flugzeug gegangen. Sie sei mit einem Visum eingereist. Weitere Verwandte im Heimatland habe sie nicht. Sie habe 11 Jahre die Mittelschule besucht und einen Abschluss erreicht.
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Nach ihrem Verfolgungsschicksal befragt trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass sie nach Aserbaidschan ausgereist seien, weil sie bedroht worden seien. Man hätte 40.000 Dollar von ihnen haben wollen. Leute hätten das Auto ihres Vaters weggenommen und gesagt, dass es 10.000 Dollar wert sei. Sie seien dann zur Polizei gegangen und ihr Vater hätte Anzeige erstattet. Die Polizei hätte gemeint, dass diese Leute das nicht tun dürften, habe jedoch auch nicht helfen können. Diese Leute hätten versucht ihren Bruder zu entführen. Sie hätten ihre Mutter geschlagen und verletzt. Sie sei bewusstlos geworden als die Männer da gewesen seien. Seitdem habe sie psychische Probleme. Sie könne kein Blut sehen. Sie werde des Öfteren bewusstlos, insbesondere, wenn sie Blut sehe. Ein Freund ihres Vaters habe sie mit dem Auto nach Georgien gebracht. Von dort hätten sie flüchten können. Diese Leute seien jeden Tag in ihre Wohnung gekommen. Diese Leute hätten 40.000 Dollar von ihrem Vater gefordert, und behauptet, ihr Vater habe die Verantwortung für einen Unfall. Sie hätten so viel Geld nicht gehabt. Ihr Vater sei nicht versichert gewesen. Der Schaden am Fahrzeug des Geschädigten sei so hoch gewesen. Personenschaden habe es nicht gegeben. Es seien immer drei oder vier Männer gewesen, die gekommen seien. An ein genaues Datum, wann diese Bedrohungen begonnen hätten, könne sie sich nicht erinnern. Der Unfall sei im vergangenen Jahr gewesen, das genaue Datum könne sie nicht sagen. Sie seien dann gleich nach diesen Problemen ausgereist. Der Unfall sei im März oder April 2015 gewesen, genauer wisse sie es nicht mehr. Auch ihr Vater sei geschlagen worden. Ihr Vater hätte seinen Lebensunterhalt dergestalt bestritten, dass er in Deutschland Autos gekauft und diese in Aserbaidschan verkauft habe. Sie hätten von diesem Geld gut leben können. Diese Männer hätten sie auch in … gefunden. Sie hätten keinen Kredit aufnehmen können, um diese Schulden zu bezahlen. Sie hätten auch keine Verwandten, die ihnen Geld hätten leihen können. Nun hätten sie auch keine Wohnung mehr, da diese Leute ihnen die Wohnung weggenommen hätten. In Aserbaidschan hätten sie ein eigenes Haus gehabt. Sie hätten von ihren Nachbarn gehört, dass die Stadt das Haus weggenommen habe, nicht diese Männer. Auch nach ihrer Ausreise sei nach ihnen gesucht worden. Die Regierung habe ihnen das Haus weggenommen. Die Regierung sehe sie als Verräter an. Mit den Sicherheitsbehörden oder der Polizei hätten sie keine Probleme gehabt. Diese Leute hätten gedroht, dass sie sie töten würden. Vielleicht kämen sie aber auch ins Gefängnis, weil sie geflüchtet seien.
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Mit Bescheid vom 7. April 2017, der Klägerin zugestellt am 12. April 2017, lehnte die Beklagte eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), lehnte eine Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4), forderte die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und drohte der Klägerin für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Aserbaidschan an (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete die Beklagte auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
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Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass das Verhalten der Gegenseite in Aserbaidschan fraglos auch bei Berechtigung der zugrundeliegenden zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche kriminelles Unrecht darstelle. Dies falle jedoch nicht unter die abschließenden Verfolgungsgründe des § 3 AsylG. Wegen einer Asylantragstellung im Ausland habe die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan nicht mit einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung zu rechnen. Auch die Voraussetzungen des § 4 AsylG lägen nicht vor. Der Vortrag zur angeblichen Bedrohung des Vaters der Klägerin sei von etlichen Unstimmigkeiten durchzogen. Auch seien die Vorträge der Familienmitglieder widersprüchlich. Der Vater der Klägerin habe von zwei tätlichen Angriffen auf ihn selbst berichtet. Bei einem Angriff sei er zusammengeschlagen worden, bei einem anderen habe er blaue Flecken unter dem Auge und eine gebrochene Nase erlitten. Es seien nur kleine Verletzungen gewesen. Im Gegensatz hierzu habe die Mutter der Klägerin berichtet, dem Vater sei bei dem ersten Vorfall der Arm gebrochen worden, so dass er sofort ins Krankenhaus und danach zur Polizei gegangen sei. Bei einem zweiten Treffen sei dem Vater der Klägerin sogar das Bein gebrochen worden. Die Mutter der Klägerin habe zudem von einem Entführungsversuch des Bruders berichtet, während der Vater dies nicht getan habe. Die Mutter und die Klägerin selbst hätten zudem von ständigen Besuchen gesprochen, während der Vater nur einen einzigen Vorfall geschildert hätte. Der Vortrag der Klägerin würde zudem jegliches Detail vermissen lassen.
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Mit Schriftsatz vom 19. April 2017, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhob die Klägerin Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. April 2017.
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Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass die Eltern der Klägerin bedroht, geschlagen und verletzt worden seien. Der Klägerin sei eine Rückkehr in ihre Heimat nicht zuzumuten. Es sei offensichtlich, dass die Polizei nicht bereit sei, die Klägerin zu schützen. Zudem habe sich die Klägerin vom 6. Juli bis 15. August 2017 auf Grund einer akuten Belastungsreaktion in stationärer Behandlung befunden. Eine angemessene psychotherapeutische Behandlung der Klägerin sei in Aserbaidschan nicht gewährleistet. In diesem Zusammenhang wird ein vorläufiger Entlassungsbericht der Bezirkskliniken … vom … vorgelegt, wonach bei der Klägerin eine akute Belastungsreaktion diagnostiziert wird. Die Klägerin werde auf Grund Angst- und Panikstörung akut psychiatrisch behandelt.
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Auf den Bericht wird Bezug genommen.
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Die Klägerin beantragt,
- 1.
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Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2017, Geschäftszeichen …, wird aufgehoben.
- 2.
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Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen und deren Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG festzustellen.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren.
Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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Mit Beschluss vom 11. Februar 2022 ist der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die beigezogene Behördenakte, die Gerichtsakte sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16a Abs. 1 GG noch ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG zu. Ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG besteht ebenfalls nicht.
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Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
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1. Vorliegend ist kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG und aufgrund der Identität der Schutzgüter auch kein Anspruch nach Art. 16a Abs. 1 GG auf Anerkennung als Asylberechtigte gegeben.
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Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in welchem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
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Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von den Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung. Dies bedeutet, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen muss, der auch nicht völlig auszuschließende Zweifel mit umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 - 1 C 33/71 - BVerwGE 55,82 - juris Rn. 15). Dabei ist der Beweiswert der Aussage des Asylbewerbers im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Er muss jedoch auch andererseits von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, detaillierten und widerspruchsfreien Sachverhalt schildern, der seine Verfolgungsfurcht für den Fall der Rückkehr in sein Heimatland begründet. Ein glaubhaftes Vorbringen liegt daher in der Regel nicht vor, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnisse entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 - 9 C 72/89 - juris Rn. 15). Insbesondere bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Schutzsuchenden nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - NVwZ 1990, 171 - juris Rn. 3).
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Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Sachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - BVerwGE 140,22 - juris Rn. 24; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146,67 - juris Rn. 32).
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Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylverfahren erst zu beachten, wenn der Kläger frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht und dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werde.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und unter Berücksichtigung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist das Gericht der Überzeugung, dass der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan keine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Zur Begründung nimmt das Gericht Bezug auf die Begründung der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid, der das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend gilt Folgendes:
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Auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht vermochte die Klägerin nicht, ihren Vortrag zu substantiieren. Der Vortrag ist widersprüchlich, oberflächlich und unsubstantiiert. Er ist damit nicht glaubhaft. Der Vortrag der Klägerin hinsichtlich der „Besuche“ des Herrn … bei der Klägerin und ihrer Familie ist undetailliert und oberflächlich. Es bleibt bei der Schilderung von einzelnen Dingen, ohne ins Detail zu gehen. Nach dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor Gericht sind die Familie der Klägerin und sie selbst letztendlich auf Grund dieser „Besuche“ des Herrn … ausgereist. Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung mehrfach bestätigt hat, dass dieser Herr … selbst nicht mehr in Aserbaidschan anwesend sei, ist davon auszugehen, dass auch bei Wahrunterstellung dieses Vortrags eine entsprechende Gefährdung der Klägerin und ihrer Familie nicht mehr vorliegt. Demnach hat die Klägerin auch auf Nachfrage des Gerichts, ob sie denn noch Verfolgung in Aserbaidschan befürchte, geantwortet, dass das Alleinsein einer Frau an sich schon ein Problem sei. Auf die gesamten Umstände der Ausreise ist die Klägerin in diesem Punkt nicht mehr eingegangen. Widersprüchlich ist auch der Vortrag der Klägerin hinsichtlich des Hauses der Familie in Aserbaidschan. Während die Klägerin in der Befragung beim Bundesamt für ... noch ausgeführt hat, der Familie sei das Haus weggenommen worden von der Regierung, so hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nun ausgeführt, dass das Haus durchaus noch im Besitz der Familie sei. Sie wisse nicht, ob man dieses zur Schuldentilgung verwenden könne.
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Der Vortrag der Klägerin ist daher auf Grund des Gesagten unglaubhaft.
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2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
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Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
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Das Gericht nimmt Bezug auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Der Klägerin droht nach Auffassung des Gerichts insoweit kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen.
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3. Die Klägerin kann die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht beanspruchen.
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a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Insbesondere Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe droht.
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Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG sind vorliegend nicht gegeben. Diesbezüglich wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen, der das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Zudem wird auf obige Ausführungen verwiesen.
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b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt eine einzelfallbezogene, erhebliche und konkrete Gefahrensituation voraus, wobei es nicht darauf ankommt, von wem die Gefahr ausgeht und wodurch sie hervorgerufen wird. Erheblich ist eine Gefahr, wenn sie von bedeutendem Gewicht ist, konkret, wenn ihre Verwirklichung mit einer auf stichhaltigen Gründen beruhenden beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dabei nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach Rückkehr in das Herkunftsland eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Maßgeblich sind vielmehr die dort üblichen Standards. Nicht zu prüfen ist deshalb, ob in Aserbaidschan eine medizinisch optimale Behandlung oder gar eine Heilung zu erreichen ist. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist.
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Im aserbaidschanischen Gesundheitssystem hat die Regierung in den letzten Jahren erhebliche Investitionen vorgenommen (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan des Auswärtigen Amtes vom 17.11.2020, Stand: November 2020, S. 21). Zu Anfang des Jahres wurde eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt, die auf eine Verbesserung der medizinischen Versorgung insgesamt abzielt. Ihre schrittweise verbindliche Einführung wurde wegen der Covid-19-Pandemie auf 2021, mithin auf dieses Jahr, verschoben.; theoretisch gibt es eine alle notwendigen Behandlungen umfassende kostenlose medizinische Versorgung. Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt, mittellose Patienten werden minimal versorgt, dann jedoch nach einigen Tagen „auf eigenen Wunsch“ entlassen, wenn sie die Behandlungskosten und „Zuzahlungen“ an die Ärzte und das Pflegepersonal nicht aufbringen können. In diesem Fall erfolgt dann die weitere Behandlung ambulant oder nach Kostenübernahme durch Dritte. Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bildete sich in den vergangenen Jahren ein florierender privater medizinischer Sektor heraus, der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Standard bietet. Bei stationärer Behandlung sind alle Medikamente kostenfrei (vgl. IOM Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2016, S. 2). Ambulante Patienten zahlen ihre Medikamente mit Ausnahme bei Krebserkrankungen und psychischen Erkrankungen selbst. Medikamente sind vergleichsweise teuer. Auch wenn die medizinische Versorgung noch nicht europäischen Standards entspricht, können verbreitete Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Asthma, Anämie, Gelenk- und Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie die coronare Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen, psychische Erkrankungen wie Depressionen, Drogenmissbrauch und posttraumatische Belastungsstörungen in Aserbaidschan adäquat behandelt werden. Bis auf wenige Ausnahmen sind die in Deutschland üblichen Medikamente auch in Aserbaidschan erhältlich (vgl. Information zur medizinischen Versorgung in Aserbaidschan der Botschaft Baku vom 29.4.2016). Nicht vorhandene Medikamente können in der Regel durch andere, wirkungsgleiche ersetzt werden.
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Unter Zugrundelegung der genannten Maßstäbe und Erkenntnismittel erweist sich eine Abschiebung der Klägerin nach Aserbaidschan weder gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG noch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als unzulässig. Zur Begründung wird vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Soweit die Klägerin einen vorläufigen Entlassungsbericht der Bezirkskliniken … vom … vorgelegt hat, wonach bei der Klägerin eine akute Belastungsreaktion bestehe, so führt dies nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
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Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich nicht, dass die Klägerin eines bestimmten Medikaments bedürfe. Darüber hinaus sind nach der Auskunftslage psychische Erkrankungen in Aserbaidschan behandelbar. Ebenso sind entsprechende Medikamente verfügbar.
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Hinsichtlich des § 60 Abs. 5 AufenthG ist festzuhalten, dass auch dessen Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. Hierzu wird auf den streitgegenständlichen Bescheid und dessen Begründung Bezug genommen. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin als junger, gesunder Mensch mit einer abgeschlossenen Schulausbildung in der Lage ist, sich ihren Lebensunterhalt finanziell zu sichern. Dass die Klägerin trotz ihrer damaligen akuten Belastungsreaktion in der Lage ist zu arbeiten, zeigen ihre Bestrebungen, auch in Deutschland eine Ausbildung zu machen. Zudem leben auch noch teilweise Familienangehörige der Klägerin in Aserbaidschan, von deren Unterstützung grundsätzlich auszugehen ist.
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4. Auch die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung unter Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
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5. Gleiches gilt für die Befristung des in Ziffer 6 festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzungen in zeitlicher Hinsicht nur auf, im vorliegenden Fall nicht ersichtliche, Ermessensfehler hin überprüft (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.