Titel:
Erfolglose Klage eines Nigerianers gegen Ausweisung
Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 69, § 95 Abs. 1 Nr. 1
AufenthV § 51 Abs. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Wurde ein Ausländer wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass strafrechtlich verurteilt, begründet dies ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für den Erlass einer Ausweisungsverfügung kann keine Gebühr erhoben werden. (Rn. 42 – 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nigerianischer Staatsangehöriger, Ausweisung, Unerlaubter Aufenthalt ohne Pass, Gebühren für Ausweisung, Nigeria, Verurteilung, unerlaubter Aufenthalt ohne Pass, Gebühr
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.04.2022 – 10 ZB 22.879
Fundstelle:
BeckRS 2022, 10623
Tenor
I. Nr. 5 Satz 2 des Bescheids vom 9. November 2021 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der am … geborene Kläger ist n. Staatsangehöriger und reiste am 18. Juli 2015 in das Bundesgebiet ein.
2
Er stellte am 5. November 2015 einen Asylantrag. Im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt erklärte der Kläger u.a., in N. lebten seine Mutter, fünf Brüder und drei Schwestern. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht und abgeschlossen. Er habe als K., H. und P. gearbeitet. Am 7. Januar 2013 habe er N. verlassen.
3
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 9. Mai 2017 wurden die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus abgelehnt und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG verneint. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach N. oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist.
4
Die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. Februar 2019 abgewiesen (M 13 K 17.40285). Das Urteil ist rechtskräftig.
5
Seither ist der Kläger im Besitz einer Duldung und wurde mehrfach über die Passpflicht und seine Mitwirkungspflichten belehrt.
6
Am 20. Februar 2020 wurde dem Kläger eine Duldung gemäß § 60b AufenthG für Personen mit ungeklärter Identität ausgestellt.
7
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 13. August 2021 wurde der Kläger wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu einer Geldstrafe in Höhe von 160 Tagessätzen verurteilt.
8
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2021 wurde der Kläger zu der beabsichtigten Ausweisung angehört. Eine Reaktion des Klägers erfolgte nicht.
9
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 9. November 2021 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1 des Bescheids) und gegen ihn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, das auf die Dauer von drei Jahren befristet wurde (Nr. 2 des Bescheids). Der Kläger wurde aufgefordert die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von vier Wochen nach Bestandskraft des Bescheides zu verlassen (Nr. 3 des Bescheids). Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach N. oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 4 des Bescheids). Dem Kläger wurde die Tragung der Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 5 Satz 1 des Bescheids) und eine Gebühr in Höhe von 55 Euro festgesetzt (Nr. 5 Satz 2 des Bescheids).
10
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe mit seiner Ver urteilung gegen die geltende Rechtsordnung verstoßen und beeinträchtige mit seinem Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Das Ausweisungsinteresse wiege schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen habe (§ 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG). Seit 27. März 2019 sei sein Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen und der Kläger sei am 27. April 2019 vollziehbar ausreisepflichtig geworden. Gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG dürften Ausländer nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen. Der Kläger besitze keinen Pass oder Passersatz und halte sich seit dem Abschluss seines Asylverfahrens lediglich geduldet im Bundesgebiet auf. Er sei auch nicht von der Passpflicht befreit. Somit sei er verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken. Aufgrund seiner strikten Weigerungshaltung, an seiner Identitätsklärung sowie bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht zur Passbeschaffung mitzuwirken, sei er vom Amtsgericht … zu einer Geldstrafe in Höhe von 160 Tagessätzen verurteilt worden. Der Kläger habe den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Die von ihm begangene Straftat des unerlaubten Aufenthalts ohne Pass stelle im Hinblick auf das verhängte Strafmaß einen schweren Verstoß gegen die Rechtsordnung dar. Die festgesetzte Höhe der Geldstrafe sei auch nicht geringfügig. Diese überschreite eindeutig die Grenze der Geringfügigkeit. Das Ausweisungsinteresse wiege demnach schwer. Der Kläger habe sich von den möglichen strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Konsequenzen nicht abhalten lassen, die genannte Straftat vorsätzlich zu begehen. Er erfülle auch den Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG. Die Verletzung von Mitwirkungspflichten im Passbeschaffungsverfahren stelle eine bestehende Rechtspflicht nach § 54 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG dar. Der Kläger sei mehrmalig über seine gesetzliche Pflicht zur Passbeschaffung belehrt worden. In diesen seien die von ihm geforderten Handlungen aufgezeigt worden. Auch sei der Kläger ausdrücklich auf die Rechtsfolgen der Verletzung seiner Mitwirkungspflicht hingewiesen worden. Ein besonderes Bleibeinteresse bestehe beim Kläger nicht. Die Ausweisung werde auf generalpräventive Erwägungen gestützt, da sie geeignet sei, andere Ausländer von der Begehung derartiger Straftaten abzuhalten. Es bestehe ein gewichtiges öffentliches Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Einhaltung der Aufenthaltsbestimmungen. Die Ausweisung sei geeignet, anderen Ausländern deutlich vor Augen zu führen, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen werde und zur unverzüglichen Aufenthaltsbeendigung mit allen rechtlichen Konsequenzen führe. Der Kläger missachte die Gesetze und Verordnungen der Bundesrepublik in einem so erheblichen Maße, dass gerade an der Bekämpfung des von ihm begangenen Verstoßes ein überragendes öffentliches Interesse bestehe. Es komme einer Missachtung grundlegender staatlicher Hoheitsbefugnisse gleich, wenn ein Ausländer für sich in Anspruch nehme zu bestimmen, ob er sich den gesetzlichen Vorschriften unterwerfen wolle oder nicht. Nur durch eine kontinuierliche Anwendung der Ausweisungsermächtigung lasse sich eine verhaltenssteuernde Wirkung erreichen. Gerade auch im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde … sei regelmäßig zu beobachten, dass Ausländer vorsätzliche Straftaten wie unerlaubten Aufenthalt ohne Pass regelmäßig wiederkehrend begehen. Dem gelte es entschlossen entgegenzutreten, was durch konsequente Ausübung der Ausweisungsermächtigung möglich sei. Besondere wirtschaftliche, persönliche oder sonstige Bindungen, die zu beachten seien, seien im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Von Familienangehörigen, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit dem Kläger in familiärer Lebensgemeinschaft leben, sei dem Beklagten nichts bekannt. Die Notwendigkeit des Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ergebe sich aus der bisherigen Verfehlung des Klägers. Der Kläger sei erstmalig im Alter von 37 Jahren unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. Sein Asylverfahren sei seit 27. März 2019 rechtskräftig abgeschlossen und er sei vollziehbar ausreisepflichtig geworden. Er habe einen Großteil seines Lebens im Heimatland verbracht und in der Bundesrepublik keinerlei sozialen Bezug. In N. sei er zwölf Jahre zur Schule gegangen und habe die S. S. mit Abschluss verlassen. Anschließend habe er als K., H. und P. gearbeitet. In N. lebten seine Mutter, drei Schwestern und fünf Brüder. Der Kläger spreche nach wie vor die Sprache seines Herkunftslandes sehr gut und könne dort auch wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Abwägung der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts mit seinen persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib ergebe unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts überwiege. Die Ausweisung sie die geeignete Maßnahme, um den beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch andere Maßnahmen könne das Ziel nur unzureichend erreicht werden. Besondere persönliche Interessen könnten in Anbetracht der Tat nicht ein derartiges Ausmaß an Berücksichtigung finden, um das durch sein Verhalten entstandene, überragende Ausweisungsinteresse zu schmälern. Damit sei die geplante Ausweisung auch angemessen. Der Kläger habe zum jetzigen Zeitpunkt keine ihm zumutbaren Handlungen vorgenommen, um seine gesetzliche Mitwirkungspflicht zur Beschaffung eines Passes zu erfüllen. Auch wenn er sich seit sechs Jahren im Bundesgebiet aufhalte, begründe dies noch keine sonstigen Bindungen. Angesichts des Umstands, dass erhebliche Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für seine Ausweisung sprächen und demgegenüber seinen persönlichen Belangen ein geringes Gewicht zukomme, sei die Ausweisung verhältnismäßig. Über die Länge der Frist werde nach Ermessen entschieden. Beim Kläger bestünden keinerlei schutzwürdige Bindungen im Bundesgebiet, insbesondere keine familiären Bindungen. Bei Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens seien keine Gesichtspunkte ersichtlich, die sich in besonderer Weise positiv auf die Befristungsentscheidung auswirken würden. Unter dem zugrunde gelegten Ausweisungszweck aufgrund der von ihm begangenen Taten und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit werde eine Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung auf drei Jahre als angemessen erachtet. Als Veranlasser der Amtshandlung habe der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 69 Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit § 51 Abs. 1 Nr. 4 AufenthV.
11
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2021, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,
12
den Bescheid des Beklagten vom 9. November 2021 aufzuheben.
13
Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 hat der Beklagte beantragt,
15
Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 bzw. 5. Januar 2022 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
16
Mit Beschluss vom 5. Januar 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
18
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dem zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
19
1. Die zulässige Klage ist in Bezug auf die in Nr. 5 Satz 2 des Bescheids festgesetzten Gebühren begründet. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
20
a) Die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Ausweisung ist recht mäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
21
Maßgeblicher Zeitpunkt zur rechtlichen Überprüfung der Ausweisung sowie der weiteren durch den Beklagten getroffenen Entscheidungen ist im schriftlichen Verfahren die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
22
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
23
Dem Kläger kommt ein erhöhter Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3, 3a, 3b und 4 AufenthG nicht zu, da er keiner der dort genannten Personengruppen angehört. Insbesondere ist sein Asylantrag bereits rechtskräftig abgelehnt.
24
aa) Vom Kläger geht sowohl aus spezial- als auch aus generalpräventiven Gründen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus.
25
Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Tat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Der Rang des bedrohten Rechtsguts bestimmt dabei die mögliche Schadenshöhe, wobei jedoch keine zu geringen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden dürfen (BVerwG, U.v. 10.7.2012, a.a.O.).
26
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe besteht zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegend eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass vom Kläger die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten und erheblicher Verstöße gegen die deutsche Rechtsordnung ausgeht, insbesondere im Bereich der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen. Das Verhalten des Klägers in der Vergangenheit, aus dem hinsichtlich der Wiederholungsgefahr Rückschlüsse zu ziehen sind, legt eine beachtliche Rückfallgefahr nahe.
27
Der Kläger ist nach dem rechtskräftigen negativen Abschluss seines Asylverfahrens am 27. März 2019 seit nunmehr nahezu drei Jahren vollziehbar ausreisepflichtig.
Über die Passpflicht und seine Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung wurde der Kläger seit 11. Juli 2019 wiederholt belehrt. Dennoch ist er seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und wurde folglich mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 13. August 2021 wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu einer Geldstrafe in Höhe von 160 Tagessätzen verurteilt. Die mittlerweile seit Jahren bestehende Verweigerungshaltung des Klägers legt nahe, dass er auch in Zukunft nicht gewillt sein wird, sich an die deutsche Rechtsordnung, insbesondere die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen, zu halten. Es besteht jedoch ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass sich Ausländer nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen unter Einhaltung der Passpflicht im Bundesgebiet aufhalten und deren Identität geklärt ist.
28
Daneben bestehen auch erhebliche generalpräventive Gründe für die Ausweisung.
§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt nach seinem Wortlaut nur, dass der weitere „Aufenthalt“ des Ausländers eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt. Vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers kann auch dann eine solche Gefahr ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Verstöße zu begehen. Diese Auslegung des Wortlauts wird systematisch durch § 53 Abs. 3 ff. AufenthG, die ausdrücklich für bestimmte ausländerrechtlich privilegierte Personengruppen verlangen, dass das „persönliche Verhalten des Betroffenen“ eine schwerwiegende Gefahr darstellt, sowie die Gesetzgebungsgeschichte (BTDrs. 18/4097 S. 49) bestätigt. Auch aus weiteren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes, z.B. § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG, ergibt sich, dass es generalpräventive Ausweisungsinteressen berücksichtigt sehen will (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 1 C 21.18 - BeckRS 2019, 16744 Rn. 17). Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Heranziehung generalpräventiver Gründe bei einer Ausweisungsentscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.1985 - 2 BvR 1642/83; B.v. 17.1.1979 - 1 BvR 241/77; B.v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06; B.v. 22.8.2000 - 2 BvR 1363/2000 - juris). Es liegt vorliegend im öffentlichen Interesse, die vom Kläger begangene Straftat mit dem Mittel der Ausweisung zu bekämpfen, um auf diese Weise andere Ausländer von der Nachahmung eines solchen Verhaltens abzuschrecken. Es soll anderen Ausländern vor Augen geführt werden, dass ein derartiger Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz mit der Aufenthaltsbeendigung und mit einem damit einhergehenden Aufenthaltsverbot bedacht werden. Diesem Zweck wird durch eine einheitlich verlässliche Verwaltungspraxis der Ausländerbehörden Rechnung getragen. Die konsequente Ahndung ist geeignet, unmittelbar auf das Verhalten anderer Ausländer einzuwirken und damit künftigen Verstößen wie den vom Kläger verwirklichten generalpräventiv vorzubeugen. Auf den Bescheid des Beklagten wird insoweit verwiesen.
29
bb) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG zu treffende Abwägung ergibt, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
30
§ 53 AufenthG gestaltet die Ausweisung als Ergebnis einer umfassenden, ergebnisoffenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus. Sofern das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt, ist die Ausweisung rechtmäßig. In die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind die in §§ 54, 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen. Neben den dort explizit aufgeführten Interessen sind aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar. Die Katalogisierung in den §§ 54, 55 AufenthG schließt die Berücksichtigung weiterer Umstände nicht aus (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Nach § 53 Abs. 2 AufenthG sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Die Aufzählung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien ist aber nicht abschließend (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Es sind für die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung maßgeblich auch die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen (vgl. nur EGMR, U.v. 18.10.2006 - Üner, Nr. 46410/99 - juris; EGMR, U.v. 2.8.2001 - Boultif, Nr. 54273/00 - InfAuslR 2001, 476-481).
31
Im Fall des Klägers besteht ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Dabei ist § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG so zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, er hingegen immer beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift. Unter engen Voraussetzungen kann es zwar auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten Ausnahmefälle geben, in denen der Rechtsverstoß des Ausländers als geringfügig zu bewerten ist, was etwa dann in Betracht kommen kann, wenn ein strafrechtliches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 24.9.1996 - 1 C 9/94 - juris Rn. 20 f. zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990; so auch zuletzt NdsOVG, B.v. 20.6.2017 - 13 LA 134/17 - juris Rn. 10 m.w.N. zu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F.; BayVGH, B.v. 19.09.2017 - 10 C 17.1434 juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 5.7.2016 - 10 ZB 14.1402 - juris Rn. 14 m.w.N). Bei der abgeurteilten Straftat des unerlaubten Aufenthalts ohne Pass (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) handelt es sich aber um keinen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, da es sich um eine vorsätzlich begangene Straftat handelt, die strafrechtlich mit einer erheblichen Geldstrafe in Höhe von 160 Tagessätzen geahndet wurden.
32
Dem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht weder ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 AufenthG noch ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 AufenthG gegenüber. Denn der Kläger hat weder eine Aufenthalts- noch eine Niederlassungserlaubnis noch treffen auf ihn die übrigen Tatbestände des § 55 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG zu.
33
Die nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG durchzuführende Gesamtabwägung ergibt unter Berücksichtigung der §§ 54, 55 AufenthG und unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass die Ausweisung des Klägers rechtmäßig ist, weil das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiegt.
34
Im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände kann festgestellt werden, ob das Interesse an der Ausweisung das Bleibeinteresse überwiegt (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49). Vorliegend überwiegt das schwere Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG die Interessen des Klägers an einem Verbleib in der BRD, insbesondere spricht Art. 8 EMRK nicht gegen die Ausweisung des Klägers.
35
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Die Behörde darf nach Art. 8 Abs. 2 EMRK in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Da Art. 8 Abs. 2 EMRK eindeutig Ausnahmen von den in Art. 8 Abs. 1 EMRK zugesicherten Rechten vorsieht, kann aus Art. 8 Abs. 1 EMRK kein absolutes Recht auf Nichtausweisung abgeleitet werden (Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, Vor §§ 53-56 Rn. 96 ff.). Vielmehr bedarf es einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, in die sämtliche Aspekte des Einzelfalls einzustellen sind.
36
Der Kläger ist erst im Jahr 2015 im Alter von nahezu 37 Jahren in das Bundesgebiet eingereist und hier kaum verwurzelt. Er hat zu keinem Zeitpunkt über ein gesichertes Aufenthaltsrecht in Deutschland verfügt, sondern sich allein zur Durchführung seines Asylverfahrens gestattet bzw. nach dem negativen Abschluss des Asylverfahrens geduldet im Bundesgebiet aufgehalten. Nach unanfechtbarem negativem Abschluss des Asylverfahrens ist der Kläger bereits aufgrund der Entscheidung des Bundesamts vollziehbar ausreisepflichtig. Er hat zudem keinerlei familiäre Bindungen in Deutschland. In N. leben hingegen zahlreiche Familienangehörige des Klägers. Auch eine besondere wirtschaftliche Integration hat nicht stattgefunden. Zwar ist der Kläger während seines Aufenthalts über längere Zeit einer Beschäftigung nachgegangen (Z., K.). Aufgrund seiner mangelnden Mitwirkung bei der Passbeschaffung, die auch zu seiner Verurteilung geführt hat, ist der Kläger jedoch seit 20. Februar 2020 lediglich im Besitz einer Duldung mit dem Zusatz nach § 60b AufenthG und darf somit seit nahezu zwei Jahren keiner Beschäftigung mehr nachgehen. Angesichts der begangenen Straftat ist es für den Kläger zumutbar, in sein Heimatland zurückzukehren. Er ist nach seiner nicht besonders langen Aufenthaltszeit im Bundesgebiet nicht derart irreversibel in die deutschen Lebensverhältnisse eingefügt, dass ihm ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit unzumutbar wäre. Der Kläger ist in N. geboren und aufgewachsen und hat dort 12 Jahre die Schule besucht. Erst im Alter von 35 Jahren hat er sein Heimatland verlassen. Den Kläger erwarten somit im Fall einer Rückkehr nach N. weder unüberbrückbare sprachliche noch kulturelle Hürden, so dass ihm eine Reintegration problemlos möglich sein wird, zumal zahlreiche Geschwister im Heimatland leben.
37
Nach alledem überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse. Die Ausweisung steht auch mit Art. 8 EMRK im Einklang, da sie gesetzlich vorgesehen ist (§ 53 Abs. 1 AufenthG) und einen in dieser Bestimmung aufgeführten legitimen Zweck, nämlich die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Verhinderung von Straftaten, verfolgt. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck vorliegend nicht erreicht werden. Im Ergebnis erweist sich die Ausweisungsentscheidung als geeignet, erforderlich und zumutbar, um der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begegnen.
38
b) Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots beruht auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
39
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG von Amts wegen zu befristen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden. Sie darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Frist soll in diesem Fall zehn Jahre nicht überschreiten. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen; dieses normative Korrektiv bietet den Ausländerbehörden und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 - 10 B 13.715 - juris Rn. 56). Diese vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze (BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12- juris Rn. 32; U.v. 13.12.2012 - 1 C 14/12 - InfAuslR 2013, 141 Rn. 13 ff.; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13/12 - NVwZ-RR 2013, 778 Rn. 32 f.) gelten auch im Rahmen der geänderten Fassung des § 11 AufenthG fort (BayVGH, B.v. 13.5.2016 - 10 ZB 15.492 - juris Rn. 4; BayVGH, U.v. 28.6.2016 - 10 B 15.1854 - Rn. 50).
40
Gemessen an diesen Vorgaben ist eine Befristung auf drei Jahre nicht zu beanstanden. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich. Die in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannte Höchstfrist ist vorliegend bedeutungslos, weil der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen wurde. Die behördliche Entscheidung hält sich am unteren Rand des in § 11 Abs. 5 AufenthG festgelegten Rahmens. Der Beklagte hat bei der Bestimmung der Länge der Frist das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigt. Die Frist ist auch gemessen an verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben des Art. 8 EMRK nicht weiter zu relativieren.
41
c) Die Abschiebungsandrohung und die dem Kläger zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist entspricht § 59 Abs. 1 AufenthG.
42
d) Die Festsetzung von Gebühren in Höhe von 55 Euro in Nr. 5 Satz 2 des streitge genständlichen Bescheids ist mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bescheid war daher insoweit aufzuheben.
43
Für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen nach dem Aufenthaltsgesetz und den zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen werden nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AufenthG Gebühren und Auslagen erhoben.
44
Die gebührenpflichtigen Tatbestände werden gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in §§ 44 ff. der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) bestimmt. Ein Gebührentatbestand für den Erlass einer Ausweisungsverfügung ist in der Aufenthaltsverordnung nicht enthalten. Insbesondere ist § 51 Abs. 1 Nr. 4 AufenthV, die der Beklagte als Rechtsgrundlage heranzieht, nicht einschlägig, da § 51 AufenthV lediglich Widerspruchsgebühren regelt (vgl. Schöninger in BeckOK MigrR, Stand: 15.1.2022, § 69 AufenthG, Rn. 19).
45
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Beklagte ist nur zu einem geringen Teil unterlegen.
46
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.