Titel:
Erfolglose Klage eines Obdachlosen auf Unterbringung in einem Einzelzimmer wegen Gefahr der Infektion mit COVID-19
Normenkette:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
Leitsatz:
Ein Anspruch eines Obdachlosen auf Unterbringung in einem Einzelzimmer aus gesundheitlichen Gründen besteht im Hinblick auf die Corona-Pandemie nicht, wenn insbesondere zwischen den Betten eines Doppelzimmers ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten werden kann. (Rn. 23 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Obdachlosenunterbringung, Modalitäten der Unterbringung während der Corona-Pandemie, Anspruch auf Unterbringung im Einzelzimmer (hier: verneint), Corona, Obdachlose, Unterbringung, Einzelzimmer, Betten, Mindestabstand
Fundstelle:
BeckRS 2021, 9355
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine Nebenbestimmung im Rahmen der Entscheidung des Beklagten über seine Unterbringung als Obdachloser.
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1. Der 1956 geborene Kläger ist vom Beklagten nach der zwangsweisen Räumung der von ihm angemieteten Wohnung im März 2020 in einer Obdachlosenunterkunft des Beklagten untergebracht worden. Die Zuweisung in die Unterkunft wurde fortlaufend verlängert, sie besteht auch im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung.
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Die Unterkunft besteht nach den vom Beklagten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegten Bildern aus einem Wohn-/Schlafraum mit Küchenzeile, in dem zwei Betten und zwei absperrbare Spinde aufgestellt sind. Über einen Flur ist das Bad/WC erreichbar.
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Mit (Änderungs-) Bescheid vom 30. Oktober 2020 verlängerte der Beklagte die Zuweisung bis zum 31. Dezember 2020 (Ziffer 1 des Bescheids), regelte das Benutzungsentgelt (Ziffer 2) und erließ unter Ziffer 4 des Bescheids unter anderem die folgende Auflage:
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„c) Die Unterbringung zusätzlicher unfreiwillig obdachlos gewordenen Personen gleichen Geschlechts durch den [Beklagten] ist zu dulden.“
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Zur Begründung wurde auf Art. 6, 7 LStVG verwiesen. Der Kläger sei im Rahmen der Gefahrenabwehr in der Obdachlosenunterkunft unterzubringen. Eine dauerhafte Nutzung dieser Unterkunft sei nicht möglich, der Kläger sei im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Selbsthilfe verpflichtet. Für den Fall, dass der Beklagte Bedarf für die weitere Unterbringung obdachloser Personen habe, müsse der Kläger deren Aufnahme in die von ihm genutzte Wohnung dulden.
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2. Am 2. November 2020 erhob der Kläger Rechtsmittel und legte den vorgenannten Bescheid vor.
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Zur Begründung führte der Kläger mit dem Klageschriftsatz und mit weiteren Schreiben aus, dass er vom Sachbearbeiter des Beklagten schikaniert und im Februar 2020 nicht sofort in einer Wohnung untergebracht worden sei, sondern mehrere Wochen hätte auf der Straße verbringen müssen. Obwohl der kein Rundfunkgerät in die Wohnung einbringen dürfe, müsse er GEZ-Gebühren zahlen. Es sei ihm als schwerbehinderten, GdB 70 plus - Merkzeichen G, und kranken Menschen psychisch und gesundheitlich unzumutbar, die Aufnahme einer weiteren Person in der Wohnung dulden zu müssen. Das zweite Bett im Zimmer sei Psychoterror.
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Mit weiteren Schriftsätzen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes trug der Kläger zur Unterbringung einer weiteren Person in der Unterkunft ab Mitte November 2020 vor und hielt diese für unzumutbar.
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Ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen, beantragt der Kläger nach seinen Ausführungen sinngemäß,
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die Auflage in Ziffer 4) c) des Bescheids vom 30. November 2020 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 18. November 2020,
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Die Gesamtfläche der Wohnung betrage 29,92 qm. Im Hinblick auf diese Größe und die Ausstattung sei dem Kläger eine Unterbringung mit einer weiteren männlichen Person in der Obdachlosenunterkunft zumutbar. Eine alleinige Zuweisung der Wohnung an den Kläger sei auch im Hinblick auf die Umstände der Corona-Pandemie nicht geboten, die beiden Betten stünden etwa zwei Meter auseinander.
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Nach der Unterbringung einer weiteren männlichen Person in der Obdachlosenunterkunft im November 2020 erhob der Kläger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Au 8 E 20.2539). Das Verfahren wurde nach dem Auszug der weiteren Person im Dezember 2020 übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Mit einem Schriftsatz vom 26. November 2020 wandte sich der Kläger mit dem sinngemäß gleichen Begehren wie im vorliegenden Verfahren an das Sozialgericht *. Dieses hat mit Beschluss vom 10. Dezember 2020 den Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht Augsburg verwiesen (Au 8 K 21.143). Nach gerichtlichem Hinweis zur möglichen doppelten Rechtshängigkeit hat der Kläger diese Klage zurückgenommen, das Verfahren wurde mit Beschluss vom 22. Februar 2021 eingestellt.
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Mit Beschluss vom 1. Februar 2021 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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In der Sache wurde am 26. Februar 2021 mündlich vor Gericht verhandelt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird im Einzelnen Bezug genommen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch in den Verfahren Au 8 E 20.2539 und Au 8 K 21.143, sowie der beigezogenen Behördenakten des Beklagten.
Entscheidungsgründe
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Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2021 konnte entschieden werden, ohne dass der Kläger oder der Beklagte am Verhandlungstermin teilgenommen haben. Der Parteien wurden nach § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf diese Möglichkeit hingewiesen.
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Eine Aufhebung des Termins war auch nicht aufgrund des klägerischen Schreibens vom 5. Februar 2021 geboten. Soweit der Kläger darin auf seine Schwerbehinderung und die damit verbundene Sturzgefahr verweist, ist damit kein Verhinderungsgrund im Rechtssinn dargetan.
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Nach § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Diese erheblichen Gründe kommen nur in Betracht, wenn die Verhandlungsunfähigkeit einer Partei nachgewiesen ist. Dazu müssen die Beteiligten die Gründe für die Verhinderung so angeben und untermauern, dass das Gericht die Frage der Verhandlungsfähigkeit selbst zu beurteilen vermag (BGH, B.v. 12.3.2015 - AnwZ (Brfg) 43/14 - juris Rn. 5; B.v. 8.12.2011 - AnwZ (Brfg) 15/11 - juris Rn. 12 und B.v. 4.7.2009 - AnwZ (B) 14/08 - juris Rn. 12; jeweils m.w.N). Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich nicht, dass der Kläger verhandlungsunfähig ist, der Grad der Behinderung lässt eine Verhandlungsunfähigkeit nicht erkennen. Im Übrigen handelt es sich vorliegend alleine um die Entscheidung von Rechtsfragen, so dass auch eine persönliche Anwesenheit des Klägers nicht geboten erscheint und auch nicht angeordnet worden ist.
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1. Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Zuweisung einer Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG). Danach ist die Sicherheitsbehörde zum Tätigwerden verpflichtet, um die in der Obdachlosigkeit bestehende konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Betroffenen abzuwehren. Dem kam der Beklagte nach, indem er dem Kläger einen Platz in einer, auch als Zwei-Bett-Zimmer nutzbaren Wohnung zur Verfügung gestellt hat. Diese Zuweisung erfolgte erstmals im März 2020, sie wurde vom Beklagten zur Abwendung der Obdachlosigkeit des Klägers fortlaufend verlängert.
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a) Die Obdachlosenfürsorge dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Da ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, müssen obdachlose Personen eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird (stRspr., zuletzt etwa BayVGH, B.v. 17.2.2021 - 4 CE 21.36 - n.v. Rn. 11 des BA; BayVGH, B.v. 19.2.2010 - 4 C 09.3073 - juris Rn. 3 je unter Verweis auf BayVGH, B.v. 10.10.2008 - 4 CE 08.2647 m.w.N.).
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Der Sicherheitsbehörde steht bei der Auswahl der Unterkunft ein weites Ermessen zu. Der Betroffene hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten oder von ihm gewünschten Unterkunft. Die Zurverfügungstellung eines Bettplatzes in einem Mehrbettzimmer ist zur Abwehr der sich aus der Obdachlosigkeit ergebenden Gefahren grundsätzlich ausreichend (Ehmann, Obdachlosigkeit in Kommunen, 3. Aufl. 2019, S. 133). Ein Anspruch auf Unterbringung in einem Einzelzimmer bzw. auf die alleinige Nutzung eines Mehrbettzimmers ist nur unter engen Voraussetzungen, etwa aufgrund einer dahingehenden gesundheitlichen Notwendigkeit, denkbar (VG München, B.v. 5.12.2019 - M 22 E 19.5853 - juris Rn. 21; vgl. auch BayVGH, B.v. 17.2.2021 - 4 CE 21.36 - Rn. 12 des BA).
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b) Dass diese vorgenannten Voraussetzungen hier gegeben sind, ist nicht erkennbar. Der Kläger kann keinen Anspruch auf die Unterbringung in einem Einzelzimmer geltend machen. Die unter Ziffer 4) c) des angefochtenen Bescheids verfügte Auflage ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Insbesondere ist eine medizinische Notwendigkeit, die einzig die Unterbringung in einem Einzelzimmer zulassen würde, auch unter Berücksichtigung der derzeitigen Corona-Pandemie nicht ersichtlich.
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Nach den vom Beklagten vorgelegten Lichtbildern der als Obdachlosenunterkunft genutzten Wohnung ist diese ausreichend groß, sie bietet auch bei einer Belegung mit zwei Personen einen ausreichenden Schutz vor Infektionen. Zwar hat der Beklagte selbst kein Hygienekonzept für die Nutzung der Obdachlosenunterkunft erstellt. Allerdings kann vorliegend das Rahmenhygienekonzept für Asylunterkünfte des Bayerischen Staatministeriums des Inneren, Sport und Integration und des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 23. September 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 553) als ausreichende Grundlage für eine Belegung der Unterkunft mit zwei Personen herangezogen werden. Die dort geregelten allgemeinen Hygieneregeln bei einer gemeinschaftlichen Unterbringung sind - bei Beachtung durch die Bewohner - ausreichend geeignet, die Gefahr einer Infektion im notwendigen Maß zu minimieren.
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Eine doppelte Belegung der Obdachlosenwohnung durch den Beklagten, zu deren Duldung der Kläger verpflichtet wird, ist auch nur vorgesehen, soweit aufgrund der Umstände der Beklagte eine weitere unfreiwillig obdachlos gewordene Person kurzfristig unterbringen muss und keine ausreichende anderweitige Unterkunft zur Verfügung steht. Demgemäß hat vorliegend der Beklagte auch die Mitte November 2020 die in der dem Kläger zugewiesenen Wohnung untergebrachte weitere männliche Person innerhalb kurzer Zeit auch wieder anderweitig untergebracht und die alleinige Nutzung der Obdachlosenunterkunft durch den Kläger damit wiederhergestellt.
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Da der Wohn-/Schlafbereich ausreichend groß ist, so dass zwischen den Betten ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten werden kann, kann auch insoweit ein ausreichender Infektionsschutz in der Obdachlosenunterkunft gewährleistet werden. Dass im vorliegenden Fall darüber hinaus eine Einzelunterbringung des Klägers vonnöten wäre, ist nicht erkennbar. Er ist im Zeitpunkt der Entscheidung zwar 64 Jahre alt. Die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Schwerbehinderter lassen jedoch nicht erkennen, dass auch bei einer Doppelbelegung der Unterkunft dem Infektionsschutz durch die getroffenen Maßnahmen nicht Genüge getan werden kann (vgl. auch BayVGH, B.v. 17.2.2021 - 4 CE 21.36 - Rn. 12 f. des BA).
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2. Soweit der Kläger im Klageschriftsatz zur Verzögerung der Unterbringung in der Obdachlosenunterkunft des Beklagten im Februar 2020 vorträgt, ist dies nicht Gegenstand des Bescheids vom 30. Oktober 2020. Eine Auslegung dahin, dass der Kläger insoweit eine Fortsetzungsfeststellungsklage erheben will, ist nicht sachgerecht (§ 88 VwGO). Ein konkretes Feststellungsinteresse lässt sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht erkennen.
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Für die vom Kläger im Klageschriftsatz weiter angesprochene Erhebung von GEZ-Gebühren für ein Rundfunkempfangsgerät ist der Beklagte nicht zuständig, eine Klage gegen die Gebührenerhebung kann auch insoweit nicht im vorliegenden Verfahren gegen den Beklagten verfolgt werden.
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3. Die Kostenentscheidung für das erfolglose Klageverfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.