Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 25.03.2021 – B 7 S 21.306
Titel:

Allgemeinverfügung, Testpflicht für Beschäftigte von Altenheimen, Fehlende Berücksichtigung des Anteils der geimpften Bewohner und Beschäftigten

Normenketten:
BayIfSMV § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12.
VwGO § 80 Abs. 5
Schlagworte:
Allgemeinverfügung, Testpflicht für Beschäftigte von Altenheimen, Fehlende Berücksichtigung des Anteils der geimpften Bewohner und Beschäftigten
Fundstelle:
BeckRS 2021, 8893

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung des Landratsamts … vom 15.03.2021 wird angeordnet.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die mit Allgemeinverfügung des Landratsamts … vom 15.03.2021 angeordnete Testpflicht für Beschäftigte u.a. in Altenheimen und Seniorenresidenzen.
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Der Antragsteller ist Geschäftsführer und Leiter der Pflegeeinrichtungen „…“, „…“ und des „…“.
3
Nachdem im Landkreis … der 7-Tage-Inzidenzwert von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten worden war, ordnete das Landratsamt … auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV per Allgemeinverfügung für die Beschäftigten u.a. in Altenheimen und Seniorenresidenzen eine Testpflicht auf das Coronavirus SARS-CoV-2 ab dem 16.03.2021 an mindestens zwei verschiedenen Tagen pro Woche, an denen die Beschäftigten zum Dienst eingeteilt sind, an. Die Anordnung gilt so lange, bis die 7-Tage-Inzidenz von 100 im Landkreis … an drei aufeinanderfolgenden Tagen unterschritten wird. Die Aufhebung der Testpflicht wird amtlich bekanntgemacht.
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Zur Begründung der Allgemeinverfügung wird u.a. ausgeführt, der 7-Tage-Inzidenzwert habe nach Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts (RKI) im Landkreis … vom 12.03.2021 bis 14.03.2021, somit an drei aufeinanderfolgenden Tagen, den Wert von 100 überschritten. In § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV sei vorgegeben, dass bei einer Überschreitung der maßgeblichen Inzidenz von 100 für die Beschäftigten von Einrichtungen im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2, 3 und 5 der 12. BayIfSMV an mindestens zwei verschiedenen Tagen pro Woche, an denen diese zum Dienst eingeteilt seien, eine Testung auf SARS-CoV-2 anzuordnen sei. Rechtsgrundlage für die getroffene Anordnung sei § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV. Altenheime und Seniorenresidenzen sowie Pflege- und Behinderteneinrichtungen seien in ganz besonderem Maße durch die Pandemie gefährdet, weil in diesen Einrichtungen ganz überwiegend Risikogruppen lebten. Die dort untergebrachten Personen zählten durchweg zum vulnerablen Personenkreis, bei dem COVID-19-Krankheitsausbrüche erhebliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen könnten, einhergehend mit einer proportional hohen Sterblichkeitsrate. Um den Eintrag von Infektionen in diesem sensiblen Bereich zu verhindern, seien daher regelmäßige Tests des Personals, neben der konsequenten Umsetzung von Schutz- und Hygienekonzepten, Besuchsbeschränkungen, sowie die fachkundige Beratung bei Ausbruchsgeschehen notwendig. Insofern sei die Testpflicht der Beschäftigten an zwei Tagen pro Woche, an denen Dienst in der Einrichtung geleistet werde, geeignet und erforderlich, um ein Eintragen von SARS-CoV-2 in die Einrichtung zu vermeiden.
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Einen Ausbruch in einer solchen Einrichtung gelte es - gerade im Hinblick auf die bereits mehrfach im Landkreis … aufgetretenen Virusmutationen und die noch bestehende Unkenntnis hinsichtlich der Wirksamkeit der Impfstoffe bei den neuen Virusvarianten - bestmöglich zu verhindern. Der Schutz und das Wohl der untergebrachten Personen in den Einrichtungen hätten einen deutlich höheren Stellenwert, als die für das Personal temporäre Testpflicht. Die Erfahrungen der letzten Monate zeigten, dass ein Ausbruchsgeschehen mit SARS-CoV-2 innerhalb einer Einrichtung schwer zu kontrollieren sei und viele Menschenleben gefährde. Die angeordnete zeitweise Testpflicht sei damit auch als angemessen anzusehen. Werde der Wert der Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen nicht mehr überschritten, werde dies unverzüglich amtlich bekanntgemacht und die Testpflicht ende am darauffolgenden Tag.
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Mit am 22.03.2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenem Schriftsatz ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen. Die Hauptsacheklage wurde am 23.03.2021 anhängig gemacht (Az. B 7 K 21.345).
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Zur Begründung des Eilantrags wurde geltend gemacht, der Antragsteller sei, ebenso wie die überwiegende Zahl der in den Einrichtungen beschäftigten Mitarbeiter, bereits zweimal gegen das SARS-CoV-2-Virus geimpft. Ein entsprechender Impfnachweis wurde als Anlage vorgelegt. Neben den bereits durchgeführten Schutzimpfungen der Beschäftigten sei in den Einrichtungen ein umfangreiches Hygienekonzept in Kraft. Dass sich der Antragsteller ungeachtet dessen und weiterhin noch, ebenso wie seine Mitarbeiter, mindestens an zwei verschiedenen Tagen pro Woche testen lassen müsste, stelle nicht nur einen erheblichen organisatorischen Aufwand dar, sondern führe auch regelmäßig zu Verletzungen im Nasen-Rachen-Bereich, die durch die immer wiederkehrenden Tests nicht abheilen könnten.
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Der Eilantrag sei in der Sache begründet, weil die angegriffene Allgemeinverfügung offensichtlich rechtswidrig sei und den Antragsteller in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG verletze.
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Die Anordnung einer generellen Testpflicht für Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen nach der 11. BayIfSMV habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 02.03.2021 bereits außer Kraft gesetzt. In der 12. BayIfSMV sei deshalb in § 9 Abs. 2 Nr. 5 vorgesehen, dass die Kreisverwaltungsbehörde eine Testpflicht nur unter Berücksichtigung des Anteils der Bewohner und Beschäftigten, die bereits eine Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 erhalten hätten, anordnen solle. Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung enthalte aber keine solche Einschränkung im Hinblick auf bereits durchgeführte Schutzimpfungen der Beschäftigten. Dem Wortlaut nach gelte die Testpflicht stattdessen wiederum generell für alle Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen unabhängig davon, ob diese bereits geimpft seien oder nicht. Der Eilantrag geht im Weiteren auf die angegebenen Rechtsgrundlagen der Allgemeinverfügung ein und befasst sich mit § 28 Abs. 1 Satz 1 und § 29 Abs. 1 IfSG. Nachdem die Normadressaten der angegriffenen Allgemeinverfügung als pauschal „die Beschäftigten“ der in der Verfügung genannten Einrichtungen von vornherein weder als Kranke noch als Krankheitsverdächtige oder als Ausscheider im Sinne der Legaldefinitionen nach § 2 IfSG angesehen werden könnten, komme allenfalls eine Inanspruchnahme als Ansteckungsverdächtige im Sinne von § 2 Nr. 2 IfSG in Frage. Die durch die angegriffene Norm der Beobachtung und - als Folge der Beobachtung - einer regelmäßigen Testung unterworfenen Beschäftigten von Einrichtungen im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 und 5 der 11. BayIfSMV seien jedoch bei generalisierender Betrachtung nicht ansteckungsverdächtig im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG. Dies gelte insbesondere in Ansehung dessen, dass mittlerweile ein erheblicher Teil der Normadressaten vollständig gegen eine Infektion mit SARS-CoV-2 geimpft worden sei und zumindest starke Indizien darauf hindeuteten, dass die Impfung das Transmissionsrisiko deutlich senken oder sogar ausschließen dürfte. Hingewiesen wurde auf eine Publikation des Spiegels und auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 02.03.2021 - 20 NE 21.353. Die Anordnung einer generellen Testpflicht in der Allgemeinverfügung vom 15.03.2021 entbehre daher einer Rechtsgrundlage und sei somit rechtswidrig.
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Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sei zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten, sodass auch ein Anordnungsgrund bestehe (wurde näher ausgeführt). Der mit der angegriffenen Norm verbundene Eingriff in die Rechte des Antragstellers sei auch nicht nur geringfügig. Es falle insbesondere ins Gewicht, dass der Standard einer Testung auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 derzeit noch die Untersuchung einer auf der Grundlage einer mittels Nasen-Rachen-Abstrichs gewonnenen Probe darstelle. Da selbst bei stets fachgerechter Ausführung der Abstriche, insbesondere bei häufiger und fortlaufender Wiederholung, es zu nicht nur unerheblichen Schleimhautreizungen kommen könne, sei jedenfalls bei Anordnung einer mehrmals wöchentlichen Testung ein Nachteil von hinreichendem Gewicht anzunehmen. Der Antrag sei somit zulässig und begründet, die Allgemeinverfügung sei offensichtlich rechtswidrig, weshalb die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sei.
11
Der Antragsteller beantragt,
1.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 15.03.2021 zur Anordnung einer Testpflicht für Beschäftigte in Altenheimen und Seniorenresidenzen sowie Pflege- und Behinderteneinrichtungen wird angeordnet.
2.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
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Das Landratsamt … beantragt für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
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Der Eilantrag sei abzulehnen, da die Anfechtungsklage in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg habe. Die Allgemeinverfügung, deren Rechtsgrundlage § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV sei, sei rechtmäßig ergangen. Das SARS-CoV-2 Ausbruchsgeschehen habe sich am 15.03.2021 über den gesamten Landkreis diffus gestaltet. Auch aufgrund des Infektionsgeschehens in den Nachbarlandkreisen … und … habe zudem noch von einem weiteren Anstieg des Inzidenzwertes ausgegangen werden müssen. Im Nachbarlandkreis … habe der Sieben-Tage-Inzidenzwert an jenem Tag 267 betragen und im Nachbarlandkreis … 199.
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Nach der Begründung der 12. BayIfSMV ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, dass hier ein intendiertes Ermessen bestehe. Hierbei stelle der Verordnungsgeber darauf ab, dass entweder die Sieben-Tage-Inzidenz von 100 überschritten sei oder aber es größere - zuordenbare - Ausbruchsgeschehen gebe. Die Bewertung der Berücksichtigung des Anteils der Bewohner und Beschäftigten, die bereits eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus erhalten hätten, falle somit unterschiedlich aus, je nachdem, ob ein diffuses Ausbruchsgeschehen zugrunde liege oder aber lokale eingrenzbare Ausbruchsgeschehen.
15
Die in Alten- und Pflegeheimen untergebrachten Personen zählten durchweg zum vulnerablen Personenkreis, bei denen COVID-19-Erkrankungen erhebliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen könnten. Obgleich inzwischen erhebliche Anteile der Bewohner in Alten- und Pflegeheimen geimpft seien, sei es im Landkreis … zu SARS-COV-2-Infektionen bei Bewohnern bei Einrichtungen gekommen, die an der hochinfektiösen kritischen Variante B.1.1.7 erkrankt seien. Einige der erkrankten Bewohner hätten entweder kurz vor der Infektion die erste oder die zweite SARS-CoV-2-Impfung erhalten, jedoch habe zum Zeitpunkt der Erkrankung der Betroffenen noch kein voller Impfschutz bestanden.
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In die Bewertung sei deshalb eingeflossen, dass es gelte, einen Ausbruch in einer Alten- und Pflegeeinrichtung gerade im Hinblick auf die bereits mehrfach im Landkreis … aufgetretenen Virusmutationen und die noch bestehende Unkenntnis hinsichtlich der Wirksamkeit der Impfstoffe bei den neuen Virusvarianten bestmöglich zu verhindern. Der Schutz und das Wohl der untergebrachten Personen in den Einrichtungen hätten hier einen deutlich höheren Stellenwert als die für das Personal bestehende temporäre Testpflicht. Im Weiteren wurde auf das Protokoll der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder am 22.03.2021 eingegangen und auf die entsprechende Nr. 11 hingewiesen, wonach durch die Umsetzung der Impfstrategie vorrangig bei Bewohnern in Alten- und Pflegeeinrichtungen ein wichtiger Beitrag zur Reduzierung schwerer und tödlicher Verläufe erkennbar sei. Mit diesem Erfolg sei die Erwartung einer Normalisierung der seit langem angespannten Situation für alle Beteiligten verbunden. Dieser Erwartung stehe bis zu einer entsprechenden wissenschaftlichen Klärung und Empfehlung durch das RKI weiterhin die Unsicherheit gegenüber, inwieweit die Impfung eine potenzielle Infektiosität Geimpfter ausschließe.
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Entsprechende wissenschaftlich fundierte Auswirkungen durch das RKI stünden voraussichtlich erst in einigen Wochen zur Verfügung. Erst dann könne auch für den vulnerablen Personenkreis der Bewohner in Alten- und Pflegeeinrichtungen konkretere Aussagen getroffen werden, ob und in welchem Umfang hier durch das Coronavirus Gefährdungen ausgingen, die es rechtfertigen, Maßnahmen, wie hier die Testpflicht der eingesetzten Beschäftigten, anzuordnen. Bis zum Vorliegen der abschließenden wissenschaftlichen Ergebnisse durch das RKI sei es daher zum Schutz und dem Wohl der untergebrachten Personen in den Einrichtungen geeignet, erforderlich und auch angemessen, für das Personal eine temporäre Testpflicht anzuordnen, soweit, wie hier vorliegend, der Sieben-Tage-Inzidenzwert über 100 liege.
18
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
19
Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Allgemeinverfügung vom 15.03.2021 hat in der Sache Erfolg.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung - hier § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG - zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Verwaltungsakt bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
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Bei summarischer Prüfung spricht ganz Überwiegendes dafür, dass die Klage des Antragstellers im Hauptsacheverfahren erfolgreich sein wird, weil der Antragsteller durch die ohne nähere Differenzierung angeordnete Testpflicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV gestützte Allgemeinverfügung berücksichtigt ausweislich ihres Tenors in keiner Weise den Anteil der Bewohner und Beschäftigten, die bereits eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 erhalten haben. Vielmehr soll die Verfügung unabhängig vom Anteil der bereits wirksam geimpften Bewohner und Beschäftigten landkreisweit Geltung beanspruchen.
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§ 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV mit seinem Wortlaut
„Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt die 7-Tage-Inzidenz den Wert von 100 oder gibt es größere Ausbruchsgeschehen, so hat die zuständige Kreisverwaltungsbehörde - unter Berücksichtigung des Anteils der Bewohner und Beschäftigten, die bereits eine Schutzimpfung gegen das das Coronavirus SARS-CoV-2 erhalten haben - eine Testung der Beschäftigten dieser Einrichtungen auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 an mindestens zwei verschiedenen Tagen pro Woche, in denen die Beschäftigten zum Dienst eingeteilt sind, anzuordnen.“
sieht indessen zwingend vor, dass der Anteil der geimpften Personen bei der zu treffenden Anordnung zu berücksichtigen ist. Auch die der Allgemeinverfügung beigegebene Begründung lässt nicht erkennen, dass die Behörde diesem Aspekt bei ihrer Entscheidung Rechnung getragen hätte. Die im gerichtlichen Verfahren nachgereichte Begründung kann diesen Mangel nicht heilen. Zwar wird auf das diffuse Infektionsgeschehen im Landkreis und hohe Inzidenzen in benachbarten Landkreisen hingewiesen und auch der Umstand beleuchtet, dass inzwischen bereits erhebliche Teile der Bewohner der entsprechenden Einrichtung geimpft worden seien, wobei es (gleichwohl) zu Ausbrüchen der infektiöseren britischen Variante des Coronavirus B.1.1.7 gekommen sei. Das Landratsamt ist dabei auch auf den hier allein relevanten Schutz der Bewohner der Einrichtungen eingegangen und hat darauf hingewiesen, dass einige der geimpften und erkrankten Bewohner noch keinen vollen Impfschutz aufgebaut gehabt hätten.
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Derartige Erwägungen, die sich auf den Anteil der bereits geimpften Bewohner und Beschäftigten, die bereits einen vollen Impfschutz aufgebaut haben, beziehen, hätten jedoch auch Eingang in den konkret tenorierten Inhalt der Allgemeinverfügung finden müssen.
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Dabei hätte durchaus berücksichtigt werden können, dass aus wissenschaftlicher Sicht die bisher vorliegenden Daten es nicht erlauben, die Wirksamkeit der mRNA- und vektorbasierten COVID-19-Impfstoffe hinsichtlich einer Verhinderung der Transmission abschließend zu bewerten, dass aber andererseits eine Verminderung der Virusausscheidung bei nach Impfung Infizierten als gesichert angesehen werden kann, so dass bis zum Vorliegen von Daten zum Schutz der Impfung vor Transmission deshalb wissenschaftlich empfohlen wird, auch nach Impfung die allgemein empfohlenen Schutzmaßnahmen weiterhin einzuhalten (vgl. Epidemiologisches Bulletin vom 25.03.2021 - STIKO-Empfehlungen zur COVID-19-Impfung).
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Die Allgemeinverfügung berücksichtigt auch nicht den Anteil der bereits geimpften Bewohner. Die derzeit eingesetzten Impfstoffe bieten eine hohe Wirksamkeit von bis zu 95%, wobei sich der volle Impfschutz erst einige Zeit nach der (zweiten) Impfung einstellt (vgl. RKI - Faktenblatt zum Impfen sowie RKI - Infektionsschutz - Impfen - Wirksamkeit und Sicherheit (Stand: 15.03.2021)).
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Aus der Begründung der Allgemeinverfügung ergibt sich nicht, aus welchen Gründen die verfügte Testpflicht auch dann eingreifen soll, wenn etwa sämtliche Bewohner der jeweiligen Einrichtung über einen vollen Impfschutz verfügen und auch für neue Bewohner sichergestellt ist, dass diese zu diesem geschützten Personenkreis gehören. Weiter zugespitzt - wenn auch praktisch wohl kaum realisierbar und durch § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV nicht als einzustellender Aspekt vorgegeben - würde die hier angeordnete Testpflicht selbst dann gelten, wenn für sämtliche Bewohner einer Einrichtung nicht nur aufgrund der erhaltenen Impfungen zu einem hohen Prozentsatz von einem Impfschutz auszugehen wäre, sondern zugleich Testergebnisse verfügbar wären, dass die Bewohner tatsächlich einen Impfschutz aufgebaut haben, z.B. erkennbar an hinreichend vorhandenen Antikörpern.
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Hat aber die Behörde den Anteil der geimpften Bewohner und Beschäftigten im Rahmen der verfügten Anordnung nicht berücksichtigt, kann die Allgemeinverfügung voraussichtlich nicht als rechtmäßig bestätigt werden. Es kann in der vorliegenden Sache dagegen offenbleiben, welche Konzepte der Berücksichtigung - soweit eine solche erkennbar ist - als in Übereinstimmung mit der Verordnungsermächtigung zu qualifizieren sind, wobei hier freilich auch die jeweiligen örtlichen Verhältnisse eine Rolle spielen (zu einer Berücksichtigung zumindest des Anteils geimpfter Beschäftigter vgl. beispielsweise die im Internet frei zugängliche Allgemeinverfügung des Landratsamts … vom 20.03.2021 oder jene der Stadt … vom 13.03.2021).
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Im Ergebnis geht daher die Allgemeinverfügung über die Grenzen der Ermächtigung des § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV hinaus und ist mithin von dieser nicht mehr gedeckt.
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2. Ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt, wird auf Folgendes hingewiesen:
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a) In rechtlicher Hinsicht nicht durchdringen könnte der Antragsteller dagegen mit seiner an die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 02.03.2021 - 20 NE 21.353 - angelehnten Argumentation, die auf eine nach § 29 IfSG angeordnete Beobachtung abstellt, denn die aktuell einschlägige Norm des § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV ist nicht als Maßnahme der Beobachtung konzipiert und wird auch nicht auf § 29 IfSG gestützt.
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b) Ebenfalls nicht überzeugend erscheint der auf die Folgen der konkreten Testungen gerichtete Einwand des Antragstellers in Form von körperlichen Beeinträchtigungen (Schleimhautreizungen, etc.), denn weder § 9 Abs. 2 Nr. 5 der 12. BayIfSMV noch die hier streitgegenständliche Allgemeinverfügung sehen eine bestimmte Art von Testung vor, so dass der Wahl einer leichter tolerierbaren (sonder-)zugelassenen Testmethode nichts entgegenstehen dürfte (vgl. im Gegensatz dazu § 9 Abs. 2 Nr. 1 der 12. BayIfSMV, der konkrete Maßgaben für POC-Antigen-Schnelltest und PCR-Tests enthält).
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Zwar mögen sog. Nasopharynx-Abstriche den Standard der Probenentnahme für den Nachweis von SARS-CoV-2 aus dem oberen Respirationstrakt darstellen. Im Vergleich zu diesen Abstrichen soll die Entnahme von Rachenabstrichen bei vergleichbarer bzw. etwas niedrigerer diagnostischer Sensitivität der molekularen Diagnostik für die meisten Patienten leichter tolerierbar sein. Diskutiert wird aber auch die Verwendung anderer Probenmaterialien, wie z.B. von Rachenspülwasser/Gurgelwasser und Speichel. Dabei deuten für Rachenspülwasser wenige Veröffentlichungen auf eine mit nasopharyngealen Abstrichen vergleichbare Sensitivität der PCR hin, wobei aber je nach Spülvolumen und -technik es hier jedoch zu Verdünnungseffekten mit unter Umständen hoher Ergebnisvariabilität kommen könnte (vgl. zum Ganzen: RKI - Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 - Stand: 12.03.2021).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.