Titel:
außerordentliche Kündigung - Finanzverwaltung - Abfragen von Steuerdaten
Normenketten:
BGB § 626
KSchG § 1
Leitsätze:
1. Auch wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten das Vertrauen seines Arbeitgebers massiv zerstört hat, kann es diesem unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles trotz Vorliegens eines wichtigen Grundes "an sich" die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar sein. (Rn. 24) (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Abmahnung kann bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen, die den Vertrauensbereich betreffen, bei schweren Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers entbehrlich sein. Insofern ist dem Arbeitnehmer regelmäßig die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne weiteres genauso erkennbar, wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist.(Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arbeitnehmer, außerordentliche Kündigung, Abmahnung, wichtiger Grund, schwere Pflichtverletzung, ordentliche Kündigung, Interessenabwägung, verhaltensbedingter Kündigungsgrund
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Endurteil vom 03.06.2020 – 4 Ca 6838/19
Fundstelle:
BeckRS 2021, 8478
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 03.06.2020, Az.: 4 Ca 6838/19, wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung und um Weiterbeschäftigung.
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Der am 25.10.1964 geborene Kläger war seit dem 02.07.2018 beim Beklagten zunächst in der Vordruckverwaltung, nach deren Auflösung überwiegend in der Poststelle des Finanzamts N… als Tarifbeschäftigter (TV-L) gegen eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung von € 2.300,00 beschäftigt. Wegen der Einzelheiten des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrages wird auf Anlage K1, Bl. 7 f. d.A., verwiesen.
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Die Aufgabe des Klägers in der Poststelle bestand darin, Posteingänge zu sortieren und zuzuordnen. Ein dienstlicher Anlass, bei dieser Tätigkeit Steuerdaten abzurufen, war gegeben, wenn auf den Posteingängen keine Steuernummern angegeben waren, damit diese richtig zugeordnet werden konnten. Der Kläger wurde am Tag seiner Einstellung vom Geschäftsstellenleiter des Finanzamtes N…-S… über die in den regelmäßig bekanntzugebenden Verwaltungsanweisungen enthaltenen Verfügungen, insbesondere die geltende Regelungslage zur Zulässigkeit von Datenabrufen über die dienstlich zur Verfügung stehenden Abrufmöglichkeiten in Kenntnis gesetzt. Im Anschluss hieran unterschrieb er eine Erklärung über die Kenntnisnahme und noch am gleichen Tag den jährlichen Umlauf über die Kenntnisnahme der regelmäßig bekanntzugebenden Verwaltungsanweisungen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts dieser Erklärungen wird auf Bl. 67 ff. d.A. verwiesen. Die Zulässigkeit von Datenabrufen war regelmäßig und wiederholt Gegenstand von Besprechungen im Finanzamt N…-S… Die Verfügung des Bayerischen Landesamtes für Steuern (LfSt) vom 20.04.2018 „Steuergeheimnis; Steuerdatenabrufverordnung; stichprobenweise Überprüfung der Protokolldaten“, richtet sich an alle Beschäftigten der bayerischen Steuerverwaltung und ist Inhalt der regelmäßig bekanntzugebenden Verwaltungsanweisungen und im behördeneigenen Intranet abrufbar. Sie regelt unter anderem, dass Abrufe steuerlicher Daten über die dienstlich zur Verfügung stehenden Abrufmöglichkeiten ausschließlich aufgrund dienstlicher Veranlassung in Steuerangelegenheiten erfolgen dürfen und Abrufe aus anderen Gründen unzulässig sind. Sie lautet auszugsweise wie folgt:
2. Zulässigkeit und Unzulässigkeit von Datenabrufen Automatisierte Abrufe von Daten sind nach § 30 Abs. 6 AO zulässig, soweit sie der Durchführung eines Verfahrens im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO oder der zulässigen Weitergabe von Daten dienen.
Alle Abrufe zur Erfüllung der dienstlich (z.B. durch Geschäftsverteilungsplan oder Prüfungsauftrag) zugewiesenen Aufgaben in Steuerangelegenheiten sind daher zulässig.
Abrufe aus anderen Gründen (z.B. der automatisierte Abruf von Daten neuer Mitarbeiter zur Vorbereitung der Personalakte) sind unzulässig. Dies gilt auch für den Abruf eigener persönlicher Speicherdaten wie z.B. der eigenen Steuernummer, ELSTAM- oder eDaten-Abfrage usw. Stattdessen wird auf das Belegabrufverfahren des ElsterOnline-Portals hingewiesen. Dies ist schon deshalb von größter Bedeutung, um einen (wenn auch unberechtigten) Verdacht der Manipulation eigener Steuerangelegenheiten tunlichst zu vermeiden. Auch sind unzuständige Zugriffe auf gespeicherte Daten von Personen aus dem persönlichen Umfeld des/r Abrufenden wie Angehörige, Bekannte, Vereinsmitglieder etc. sowie aus dem dienstlichen Umfeld wie Kollegen, Vorgesetzte etc. ebenso wie unzuständige Zugriffe auf Daten von Personen, die öffentlich bekannt sind, sog. Prominente, unzulässig.
5. Folgen eines unbefugten Datenabrufs bzw. einer unbefugten Verwertung oder Weitergabe geschützter Daten Der unbefugte Datenabruf geschützter Daten in automatisierten Verfahren sowie die unbefugte Weitergabe erfüllen den Tatbestand einer Verletzung des Steuergeheimnisses nach § 30 Abs. 2 AO. Bereits der Versuch stellt eine Verletzung der Dienstpflichten dar. Im Falle einer unbefugten Offenbarung und/oder Verwertung drohen gemäß § 355 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Der behördliche Datenschutzbeauftragte ist verpflichtet, Verstößen nachzugehen und bei Beamten/innen disziplinarrechtliche und bei Angestellten arbeitsrechtliche Maßnahmen durch das Bayerische Landesamt für Steuern prüfen zu lassen. In besonders schweren Fällen (z.B. Weitergabe von Daten an Privatpersonen oder deren Verwendung zur Erlangung eigener Vorteile) wird auch das Vorliegen eines strafrechtlich vorwerfbaren Verhaltens geprüft. Verletzt ein/e Amtsträger/in das Steuergeheimnis und entsteht der betroffenen Person ein Schaden, kann dies zu einer Schadensersatzhaftung führen. Im Fall eines datenschutzrechtlichen Fehlverhaltens kann dem/der Bürger/in gemäß Art. 14 BayDSG ein Schadensersatzanspruch bis zu einem Betrag in Höhe von 125.000 € zustehen.
Diese Verfügung wird im AIS unter Themen/Datenschutz eingestellt und ist zu den regelmäßig bekanntzugebenden Verwaltungsanweisungen des Bayerischen Landesamts für Steuern zu nehmen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts dieser Verfügung wird auf Anlage B 1, Bl. 61 ff. d.A., verwiesen.
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Eine stichprobenartige Kontrolle der behördlichen Datenschutzbeauftragten beim LfSt über Datenabrufe einzelner Beschäftigter ergab, dass unter der Personalnummer des Klägers im Zeitraum von Juli 2018 bis Oktober 2019 54 zweifelsfrei unbefugte Datenabrufe ohne dienstliche Veranlassung vorgenommen wurden. Insoweit wird auf die vom Beklagten vorgelegte Abrufliste nach Zeit, Suchkriterien und betroffener Personen verwiesen (Bl. 51, Anlage B 4, Bl. 73 ff. d.A.). So wurden unter anderem am 05.07.2018 zwei Mal der amtierende bayerische Ministerpräsident und am 05.07.2018, 17.08.2018, 20.08.2018 sowie am 14.11.2018 der Kläger selbst abgerufen. In den weiteren Fällen betrafen die Abrufe Kollegen oder ehemalige Kollegen, Nachbarn sowie Mitglieder des Fußballvereins des Klägers. Teilweise wurden einzelne Personen mehrfach abgerufen.
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Der Kläger hat eingeräumt, die im Schriftsatz des Beklagten vom 07.04.2020 aufgeführten Abrufe mit Ausnahme der Abrufe des Ministerpräsidenten und seiner eigenen Abrufe selbst getätigt zu haben (Schriftsatz vom 07.05.2020, Seite 7, Bl. 94 d.A.). Im Schriftsatz vom 22.10.2020 (Seite 2, Bl. 268 d.A.) hat der Kläger „im Wesentlichen die Datenabrufe unstreitig gestellt. Lediglich die Behauptung, er habe die Finanzdaten des Ministerpräsidenten abgerufen, hat er zurückgewiesen“.
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Durch die Datenschutzbeauftragte beim LfSt wurde zunächst das für Fragen des Steuergeheimnisses zuständige Referat am LfSt informiert, welches prüft, ob die abgerufenen Steuerdaten zum Zweck arbeits- oder disziplinarrechtlicher Maßnahmen offenbart werden können. Von dort aus wurde das für Tarifbeschäftigte zuständige Personalreferat am LfSt informiert. Dieses informierte aufgrund der Erkenntnisse den stellvertretenden Amtsleiter des Finanzamtes N…-S…, Herrn B… Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts der entsprechenden Schreiben vom 09.12.2019 und 03.12.2019 wird auf Anlage
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B 4, Bl. 70 ff. d.A., verwiesen. Der stellvertretende Amtsleiter des Finanzamtes N…-S… führte in Anwesenheit des Geschäftsstellenleiters am 11.12.2019 ein Personalgespräch mit dem Kläger und eröffnete ihm unter Vorlage der Abrufliste den bestehenden Verdacht der unbefugten Datenabrufe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts des hierzu angefertigten Aktenvermerks wird auf Anlage B 5, Bl. 77 d.A., verwiesen.
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Der beim Finanzamt N…-S… bestehende Personalrat wurde mit Schreiben vom 13.12.2019 unter Beifügung der Abrufliste zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers gehört und hat mit Schreiben vom 17.12.2019 hierzu Stellung genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts dieses Schreibens wird auf Anlage K 4, Bl. 13 f. d.A. verwiesen.
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Die Beklagte kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.12.2019, zugegangen am gleichen Tag, fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.03.2020. Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Anlage K 3, Bl. 11 f. d.A. verwiesen.
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Mit seiner am 20.12.2019 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangenen und gegen den Beklagten, vertreten durch den Leiter des Finanzamtes N…-S…, gerichteten Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen die ausgesprochene Kündigung. Diese sei sozial ungerechtfertigt und ohne gesetzlichen Grund erfolgt. Dementsprechend seien auch der Weiterbeschäftigungsantrag sowie der Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses begründet.
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Wegen der Anträge der Parteien und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
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Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 03.06.2020 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die am 19.12.2019 erklärte fristlose Kündigung des Beklagten nicht aufgelöst worden ist, sondern aufgrund der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 19.12.2019 unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.03.2020 beendet worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Arbeitsgericht Nürnberg hat den fristgemäßen Eingang der Kündigungsschutzklage bejaht. Die Zustellung sei „demnächst“ erfolgt, da zwischen dem Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist am 09.01.2020 und der Zustellung an die richtige Vertretungsbehörde am 20.01.2020 nur 11 Tage lagen. Das Arbeitsgericht hat in der nicht dienstlich veranlassten Steuernummernsuche des Klägers einen Pflichtverstoß gesehen, der an sich geeignet sei, ein wichtiger Grund zu sein. Der Kläger habe nicht nur gegen gesetzliche Vorschriften sowie die behördliche Verfügung des LfSt vom 20.04.2018, sondern auch gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten eklatant verstoßen. Die von ihm zugestandenen Abrufe der ihm bekannten Personen aus dem Kollegenkreis, der Nachbarschaft und seinem Fußballverein seien hierfür mehr als ausreichend. Selbst wenn die Abrufe lediglich aufgrund entsprechender zeitlicher Kapazitäten und zur Befriedigung der persönlichen Neugier des Klägers erfolgt seien, liege ein Verstoß gegen gesetzliche Regelungen und behördliche Anordnungen vor. Auch ohne eine Weitergabe der abgerufenen Daten an Dritte oder einen sonstigen Missbrauch habe der Kläger das Ansehen des Beklagten in die Zuverlässigkeit der Wahrung des Steuergeheimnisses beschädigt. Das Verhalten des Klägers habe das Vertrauen des Beklagten massiv zerstört. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles sei dem Beklagten trotz Vorliegens eines wichtigen Grundes an sich die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist jedoch zumutbar gewesen. Die vorzunehmende Interessenabwägung sei zugunsten des Klägers vorzunehmen. Er habe durch seine fortgesetzte Handlungsweise für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses zwar gezeigt, dass er grundlegende und offenkundige Grenzen zulässigen Handelns trotz Belehrung zu überschreiten bereit sei, was sein Verhalten für den Beklagten in der Zukunft unkalkulierbar mache. Zugunsten des Klägers könne jedoch unterstellt werden, dass er die von ihm abgerufenen Daten nicht an Dritte weitergegeben oder aus diesen irgendeinen persönlichen Vorteil gezogen habe. Auch nach den Ausführungen des Beklagten seien zum Zeitpunkt des Ausspruches der außerordentlichen Kündigung keine negativen Auswirkungen der unzulässigen Datenabrufe bekannt gewesen. Nachdem er spätestens ab der Konfrontation mit den Vorwürfen im Personalgespräch vom 11.12.2019 unter Beobachtung gestanden wäre, hätte er noch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, mithin bis zum 31.03.2020, weiterbeschäftigt werden können. Bei der Interessenabwägung sei auch das weitere Fortkommen des Klägers angesichts seines Alters zu berücksichtigen, welches bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung noch erschwerter wäre. Zwar sei damit die außerordentliche Kündigung nicht wirksam, weil sie nicht ultima ratio gewesen wäre, die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei aber sozial gerechtfertigt, da sie durch Gründe, die im Verhalten des Klägers lägen, bedingt sei. Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund an sich liege vor. Die Interessenabwägung falle zu Ungunsten des Klägers aus. Der Kündigung stehe nicht entgegen, dass der Beklagte den Kläger nicht abgemahnt habe. Es liege eine schwere Vertragspflichtverletzung des Klägers vor, die eine Abmahnung entbehrlich mache. Zum einen habe der Kläger aufgrund der erfolgten Belehrung und der wiederholten Thematisierung der Zulässigkeiten von Datenabrufen erkennen können, dass der Beklagte unzulässigerweise durchgeführte Abrufe nicht dulden und als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten ansehen werde. Zum anderen sei aufgrund des beharrlichen pflichtwidrigen Fehlverhaltens in jedenfalls 48 Fällen die zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage zerrüttet und nachhaltig gestört. Der Kläger habe sich über die gesamte Beschäftigungszeit nicht vertragsgetreu verhalten, womit der Beklagte nicht ausschließen könne, dass er weitere Vertragsverstöße begehe. Selbst wenn eine so genannte vorweggenommene Abmahnung wie in der Verfügung des LfSt vom 20.04.2018 eine förmliche Abmahnung nicht ersetzen könne, erleichtere sie doch die Entbehrlichkeit einer solchen. Auch der Vortrag des Klägers, wonach er im Personalgespräch vom 11.12.2019 sein Verhalten weitgehend zugestanden habe und nach seinem Vortrag weitere Pflichtverstöße nicht mehr erfolgen würden, ändere hieran nichts. Die fehlende Einsicht des Klägers werde auch durch sein Verhalten im Prozess belegt. Anstatt das Gewicht seiner Pflichtverletzungen einzusehen, schiebe er die Schuld auf mangelnde Sicherheitsvorkehrungen des Beklagten und eine daraus resultierende Obliegenheitsverletzung bzw. auf angebliche, nicht näher substantiierte Anweisungen von Kollegen, und sehe sein Verhalten dadurch als gerechtfertigt an. Damit sei eine Abmahnung entbehrlich gewesen. Auch im Rahmen der Interessenabwägung im Allgemeinen sei es dem Beklagten im Einzelfall nicht zumutbar gewesen, den Kläger über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus zu beschäftigen. Abzuweisen sei die Klage gewesen, soweit der Kläger Weiterbeschäftigung aufgrund des allgemeinen Beschäftigungsanspruches begehre, da das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet worden sei. Der Kläger habe wegen des beendeten Arbeitsverhältnisses auch keinen Anspruch auf ein Zwischenzeugnis.
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Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.06.2020 zugestellte Endurteil hat dieser mit Schriftsatz vom 13.07.2020, per Fax am selben Tag beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangen, für den Kläger Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 29.07.2020 ist am 30.07.2020 beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangen. Die Berufungsbegründungsschrift wurde dem Beklagten am 04.08.2020 zugestellt. Die Berufungserwiderungsfrist war bis zum 05.10.2020 verlängert worden. Die Anschlussberufungsschrift des Beklagten mit gleichzeitiger Begründung vom 02.10.2020 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 05.10.2020 eingegangen.
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Der Kläger bezieht sich auf seinen Vortrag in erster Instanz und wendet sich gegen die Abweisung der Klage hinsichtlich der ordentlichen Kündigung. Diese sei mangels erforderlicher Abmahnung sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam. Nach der Rechtsprechung sei eine Abmahnung grundsätzlich vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung erforderlich. Weil der Kläger im Personalgespräch nach Vorhalt der Anschuldigung sofort geständig gewesen sei, unmittelbar Reue gezeigt habe und angegeben habe, dass ein solches Fehlverhalten künftig nicht mehr erfolgen werde, sei für den Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung deutlich erkennbar gewesen, dass in Zukunft ein unbefugter Datenabruf unterbleiben werde. Es sei nicht ersichtlich, dass es sich um einen solch schweren Pflichtverstoß handele, dass eine Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung in Betracht komme. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit der außerordentlichen Kündigung sei das Gericht zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Interessenabwägung unterstellt werden müsse, dass der Kläger die von ihm abgerufenen Daten nicht an Dritte weitergegeben oder daraus irgendeinen persönlichen Vorteil gezogen habe. Nach Auskunft des Arbeitgebers seien keine negativen Auswirkungen der unzulässigen Datenabrufe bekannt gewesen. Er wäre ab der Konfrontation mit den Vorwürfen im Personalgespräch unter Beobachtung gestanden und in die Interessenabwägung sei auch das weitere Fortkommen des Klägers angesichts seines Alters zu berücksichtigen. Es sei widersprüchlich und ermessensfehlerhaft, wenn das Gericht eine Pflichtverletzung, die keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Einzelfall darstelle, als einen so schweren Pflichtenverstoß ansehe, der ausnahmsweise eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertige. Selbst wenn der unzulässige Abruf von Steuerdaten eine solch schwere Pflichtverletzung darstelle, dass deren Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar sei, sei dies im konkreten Fall jedenfalls für den Arbeitnehmer nicht offensichtlich erkennbar gewesen. Das Gericht übergehe in diesem Zusammenhang Beweisanträge des Klägers und begehe Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung. Der Kläger habe vorgetragen, dass er von Kollegen mit der sogenannten Steuernummernsuche ausdrücklich beauftragt worden sei. Unabhängig sei in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Zeugen ein Weisungsrecht gegenüber dem Kläger gehabt hätten.
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Infolge dessen könne nicht vom objektiven Pflichtverstoß auf die Wirkungslosigkeit einer Abmahnung geschlossen werden. Denn eine subjektive Erkennbarkeit des objektiven Pflichtverstoßes scheide dadurch aus, dass der Arbeitnehmer durch ältere Arbeitskollegen zur Einübung angewiesen worden sei, Steuernummern zu suchen. Über diese Tatsachenbehauptung hätte das Gericht Beweis erheben müssen und darin nicht eine Schutzbehauptung des Klägers oder eine Verharmlosung seiner Pflichtverletzung sehen dürfen. Rechtsfehlerhaft sei, wenn das Gericht davon ausgehe, dass der Kläger im Prozess die Schuld auf mangelnde Sicherheitsvorkehrungen des Beklagten und eine daraus resultierende Obliegenheitsverletzung bzw. auf angebliche nicht näher substantiierte Anweisungen von Kollegen schiebe. Das Arbeitsgericht setzte sich nicht nur in Widerspruch zu seinen eigenen Tatsachenfeststellungen, es habe auch die Rechtmäßigkeit der Kündigung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ex ante zu prüfen und nicht anhand des Prozessverhaltens im Rahmen der Kündigungsschutzklage. Es handele sich bei dem genannten Vorbringen um Anwaltsschriftsätze und gerade nicht um Formulierungen des Klägers selber. Ein zulässiges und selbstverständliches Prozessvorbringen der Anwälte des Klägers als fehlende Einsicht des Arbeitnehmers hinsichtlich seiner längst, von Anfang an eingeräumten Pflichtverletzungen, misszudeuten, sei völlig aus dem Zusammenhang gerissen und schlichtweg unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt mehr nachvollziehbar und damit willkürlich. Die streitgegenständlichen Verfehlungen gegen den Arbeitsvertrag seien rechtlich nicht geeignet, eine außerordentliche oder eine ordentliche Kündigung zu begründen, jedenfalls nicht ohne vorhergehende Abmahnung. Aus diesem Grunde sei die Anschlussberufung der Beklagten auch kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Der Kläger, Berufungskläger und Anschlussberufungsbeklagte stellt folgende Anträge:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 03.06.2020 - 4 Ca 6838/19 - wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sowohl durch die am 19.12.2019 erklärte - fristlose - Kündigung des Beklagten, als auch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 31.03.2019 nicht aufgelöst worden ist, sondern darüber hinaus unverändert fortbesteht.
3. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen, bei Meidung eines in das Ermessen des Gerichts gesetzten Zwangsgeldes für jeden Tag der Zuwiderhandlung.
4. Der Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
5. Die Anschlussberufung des Beklagten wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
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Der Beklagte, Berufungsbeklagte und Anschlussberufungskläger beantragt,
- 1.
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Die Berufung des Klägers vom 13.07.2020 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 03.06.2020, Az.: 4 Ca 6838/19 wird zurückgewiesen.
- 2.
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Der Kläger hat auch die Kosten der Berufung zu tragen.
- 3.
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Des Weiteren wird beantragt, das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 03.06.2020, Aktenzeichen: 4 Ca 6838/19 abzuändern und insgesamt die Klage zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt das Ersturteil. Die Kündigung sei zu Recht wegen unzulässiger vorsätzlicher und fortgesetzter Abrufe steuerlicher Daten und damit wegen Verstöße gegen das Steuergeheimnis durch den Kläger erfolgt. Der Kläger sei explizit auf das zulässige bzw. unzulässige Abrufen von Steuerdaten hingewiesen worden. Ihm sei ausdrücklich deutlich gemacht worden, dass Abrufe der Steuerdaten nur im Rahmen dienstlich zugewiesener Aufgaben zulässig seien, sowie, dass die Steuerdaten dem Steuergeheimnis unterlägen. Der Kläger habe eine Erklärung über seine Kenntnisnahme unterschrieben. Bereits am zweiten Tag seiner Beschäftigung habe der Kläger jedoch den amtierenden bayerischen Ministerpräsidenten abgerufen. Er sei besonders gezielt vorgegangen, indem beim zweiten Abruf extra die Finanzamtsnummer gewechselt wurde, um das gewünschte Ergebnis angezeigt zu bekommen. An Folgetagen habe sich der Kläger selbst abgerufen, obwohl er auch hierbei gewusst habe, dass dies unzulässig sei. In den weiteren Fällen habe der Kläger Kollegen, Nachbarn oder Mitglieder seines Fußballvereins abgerufen. Es werde bestritten, dass sich der Kläger im Personalgespräch uneingeschränkt geständig und reumütig gezeigt habe und dass ihn Kollegen mit der sogenannten Steuernummernsuche ausdrücklich beauftragt und ihn darin eingewiesen hätten. Zu Recht habe das Erstgericht hier einen wichtigen Grund an sich bejaht. Durch die Steuernummernsuche würden sehr erhebliche Daten erlangt. Es liege ein klarer Verstoß des Klägers gegen seine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten vor. Bereits seit Beginn seiner Beschäftigung bis zur Kontrolle habe der Kläger in mindestens 48 Fällen über einen Zeitraum von 16 Monaten die ihm zur Verfügung gestellte Abrufmöglichkeit missbraucht. Die Interessenabwägung falle zu Ungunsten des Klägers aus. Eine Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen, da der Kläger bereits am zweiten Arbeitstag skrupellos Abrufe ohne dienstlichen Bezug durchgeführt habe, zu einem Zeitpunkt, an dem er sich noch in der arbeitsvertraglichen Probezeit befunden habe und gerade erst von seinem Dienstvorgesetzten die einschlägigen Belehrungen erhalten und gegengezeichnet habe. Es habe sich damit in dem Arbeitsverhältnis mit dem Kläger kein Vertrauen bilden können. Der Kläger sei von Anfang an nicht gewillt gewesen, sich gesetzes- und vertragstreu zu verhalten. In Anbetracht der Schwere und der enormen Häufigkeit der vom Kläger begangenen Pflichtverletzungen sei eine Abmahnung entbehrlich gewesen. Dem Kläger sei die Rechtswidrigkeit seines Handelns von Beginn an voll erkennbar gewesen und ihm sei ebenso klar gewesen, dass sein beharrliches Fehlverhalten vom Beklagten auf keinen Fall hingenommen werde. Dazu komme aufgrund des Prozessverhaltens des Klägers, dass ihm jede Einsicht in sein Fehlverhalten fehle. Statt die Schuld bei sich zu suchen, schiebe er diese entgegen seinen Eingeständnissen auf den „großen Unbekannten“ oder moniere angebliche mangelnde Sicherheitsvorkehrungen des Beklagten und konstruiere daraus eine Obliegenheitsverletzung des Beklagten. Prozessvorbringen und Erklärungen seines Anwaltes müsse er sich selbstverständlich zurechnen lassen. Zu Unrecht allerdings habe das Arbeitsgericht die ausgesprochene außerordentliche Kündigung für nicht wirksam angesehen. Zwar habe es den wichtigen Grund an sich bejaht. Zu Unrecht aber habe das Arbeitsgericht nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist für zumutbar erachtet. Wegen der schwerwiegenden und immer wiederkehrenden Verstöße des Klägers - noch dazu im Vertrauensbereich - habe es nicht ansatzweise zu einer Vertrauensbeziehung zwischen den Parteien kommen können. Aufgrund der Beharrlichkeit und des Fehlverhaltens des Klägers und des hohen Stellenwerts des Umgangs mit hoch sensiblen persönlichen Daten der Steuerpflichtigen habe der Beklagte nicht davon ausgehen können, dass der Kläger in der Folgezeit nicht weitere Vertragsverstöße begehe. Der gesamte Verlauf des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger sei von dessen vorsätzlichen und fortgesetzten Vertragsverstößen geprägt gewesen. Damit überwögen die Interessen des Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 13.01.2021 verwiesen. Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 c) ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
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Die Berufung ist aber nicht begründet. Die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 19.12.2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 31.03.2020 aufgelöst.
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Das Berufungsgericht folgt in vollem Umfang der ausführlich und sorgfältig begründeten Entscheidung des Erstgerichts und schließt sich ihr nach eigener Prüfung vorbehaltlos an. Von einer bloß wiederholenden Darstellung der Gründe wird abgesehen. Lediglich in Bezug auf das Berufungsvorbringen sind folgende Anmerkungen angebracht:
24
Das Erstgericht hat vorbildlich entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Wirksamkeit der außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des Beklagten geprüft. Entgegen der Ansicht der Berufung sieht das Berufungsgericht keinen Widerspruch in den Ausführungen des Erstgerichtes. Es hat unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend das Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes „an sich“ bejaht. Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen, auf sie wird verwiesen. Das Arbeitsgericht hat dann in einer sorgfältig durchgeführten Interessenabwägung das Interesse der beklagten Partei an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses als weniger schwerwiegend als das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses eingeordnet (dazu später im Rahmen der Anschlussberufung).
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Bei der anschließenden Prüfung der Voraussetzungen der ordentlichen Kündigung hat das Erstgericht völlig zutreffend und folgerichtig den verhaltensbedingten Kündigungsgrund „an sich“ für eine ordentliche Kündigung bejaht. Wegen dieses schwerwiegenden Grundes, der an sich für eine außerordentliche Kündigung ausreicht, hat das Erstgericht zu Recht den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung auch ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung als verhältnismäßig angesehen.
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Zwar ist in der Regel auch bei verhaltensbedingten Gründen, die den Vertrauensbereich betreffen, nach der Rechtsprechung des BAG vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich. Allerdings kann eine Abmahnung bei schweren Pflichtverletzungen entbehrlich sein. Insofern ist dem Arbeitnehmer regelmäßig die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne weiteres genauso erkennbar, wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. Eine Abmahnung muss aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers geeignet sein, die künftig für den Fall des Nichtausspruchs einer Kündigung befürchteten Störungen zu vermeiden. Diese Eignung kann nur angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten ist nicht vertragswidrig oder wird vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen. Nur in diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass eine Abmahnung den Arbeitnehmer dazu bringt, sein Verhalten zu ändern. Ist die Pflichtwidrigkeit so schwer, dass der Arbeitnehmer nicht mit einer Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber rechnen konnte, kann im Gegenzug nicht davon ausgegangen werden, dass eine Abmahnung den Arbeitnehmer zur Änderung seines Verhaltens veranlasst, denn er hat durch seine vergangenen Vertragsverletzungen gezeigt, dass er in Kenntnis möglicher kündigungsrechtlicher Folgen vor der Begehung von erheblichen Pflichtverletzungen nicht zurückschreckt. In einem solchen Fall ist eine Abmahnung entbehrlich und eine ausgesprochene Kündigung jedenfalls nicht wegen einer fehlenden Abmahnung unverhältnismäßig (Arbeitsgericht Nürnberg unter Hinweis auf BAG vom 23.06.2009 - Az.: 2 AZR 283/08 - Rn. 18).
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Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch darauf hingewiesen, dass aufgrund der erfolgten Belehrung und der wiederholten Thematisierung der Zulässigkeit von Datenabrufen der Kläger erkennen musste, dass der Beklagte unzulässig durchgeführte Abrufe nicht dulden werde, sondern als eine Verletzung der Dienstpflichten ansieht. Unmissverständlich ist in den Verwaltungsanweisungen, deren Kenntnis der Kläger schriftlich bestätigt hat, darauf hingewiesen, dass der unbefugte Datenabruf geschützter Daten den Tatbestand einer Verletzung des Steuergeheimnisses erfüllt und bereits der Versuch eine Verletzung der Dienstpflichten darstellt. Eine negative Prognose hinsichtlich einer an sich möglichen Verhaltensänderung des Arbeitnehmers in der Zukunft ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer die Vertragswidrigkeit eines Verhaltens sowie die damit verbundene Gefährdung seines Arbeitsverhältnisses kannte oder kennen musste, z.B. aus entsprechenden Hinweisen bei früheren Anlässen, im Arbeitsvertrag, in Rundschreiben oder Betriebsaushängen und aus einer „vorweggenommenen Abmahnung“ vor einer konkret befürchteten Pflichtverletzung (KR-Fischermeier, 12. Aufl., § 626 BGB, Rn. 280 m.w.N.). Damit musste dem Kläger klar sein, dass es der Beklagte nicht dulden werde, wenn gegen diese grundlegenden Vorschriften betreffend das Steuergeheimnis verstoßen werde.
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Der Kläger kann sich auch nicht damit entschuldigen, er habe auf Anweisung von Kollegen die Steuernummernsuche üben müssen. Zum einen ist unstreitig, dass der vom Kläger benannte Kollege W… kein Vorgesetzter des Klägers gewesen ist. Der Kläger konnte damit nicht von einer Weisung eines Vorgesetzten ausgehen, unabhängig davon, dass diese offensichtlich mit der gerade vorgenommenen Belehrung durch die Behördenleitung kollidiert hätte. Zum anderen würde dies nicht erklären, weshalb der Kläger nach einer - unterstellten - Aufforderung durch den Kollegen W… etwa anderthalb Wochen nach Beginn des Arbeitsverhältnisses (Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung) über ein Jahr lang bis zur Entdeckung durch den Datenschutzbeauftragten weitere Aufrufe vorgenommen hat. Er hat auch nach dem Wechsel in die Meldestelle und sogar nach dem Wechsel in der Hardware-Betreuung, wo er keine Steuernummern nachschauen musste, dies weiterhin getan. Auf Frage des Vorsitzenden, warum der Kläger dennoch weiterhin Steuernummern nachgeschaut habe, hat der Kläger erklärt: „Wir hatten keine Arbeit“. Dies zeigt deutlich, dass das angeblich angewiesene „Erlernen der Steuernummernsuche“ nur eine Schutzbehauptung ist. Der Kläger hat klar zu erkennen gegeben, dass diese Abrufe aus Langeweile geschehen sind. Soweit er schriftsätzlich hat vortragen lassen, dass die über die Steuernummernsuche erkennbaren Daten nicht allzu sensibel seien, steht damit seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung in Widerspruch, nach der man erkennen konnte, dass Pfändungen vorlägen oder so und so viel Autos und Motorräder vorhanden seien.
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Deshalb war auch nach Ansicht des Berufungsgerichts eine Beweisaufnahme über die „Anweisung“ des Klägers durch Kollegen nicht erforderlich. Aufgrund der vom Erstgericht aufgeführten und vom Kläger in seiner Einlassung bestätigten Umstände liegt eine Schutzbehauptung vor. Der Beklagte war nicht verpflichtet, zusätzlich zu den im Vorfeld erteilen eindringlichen Belehrungen über die Strafbarkeit solcher Abrufe noch eine Abmahnung zu erteilen.
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Schließlich ist auch die vom Erstgericht vorgenommene Interessenabwägung zutreffend. Dem Beklagten war es nicht zumutbar, den Kläger über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen. Auch das Berufungsgericht würdigt die häufigen und über einen sehr langen Zeitraum durchgeführten schwerwiegenden Vertragsverletzungen zu Lasten des Klägers. Während der gesamten (relativ kurzen) Beschäftigungszeit des Klägers hat dieser immer wieder Verstöße begangen. Demgegenüber wiegt das Alter des Klägers und die daraus möglicherweise erwachsenden Probleme bei der Arbeitssuche weniger schwer. Zu Recht weist das Erstgericht darauf hin, dass es nicht möglich wäre, den Kläger ständig zu kontrollieren, da gerade im Bereich der Steuerverwaltung in allen Einsatzgebieten eine erhöhte Sensibilität der Mitarbeiter hinsichtlich der personenbezogenen Daten der Steuerpflichtigen erwartet werden kann. Die Ansicht des Prozessbevollmächtigten des Klägers, der Beklagte müsse Vorkehrungen gegen unberechtigten Datenabruf schaffen, ist wenig verständlich. Denn es gehörte ja gerade zu den Aufgaben des Klägers, Steuernummernsuchen durchzuführen. Soll nun der Beklagte durch Umprogrammieren seiner Software oder durch Abstellen von Mitarbeitern zur Überwachung versuchen, Steuernummernsuchen des Klägers ohne dienstlichen Bezug herauszufinden und zu unterbinden?
Dem Arbeitsgericht folgend ist auch das Berufungsgericht nach eigener Prüfung davon überzeugt, dass die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt ist und das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.03.2020 beendet hat. Den allgemeinen Feststellungsantrag hat der Kläger zurückgenommen. Eine Weiterbeschäftigung aufgrund des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs besteht aufgrund des beendeten Arbeitsverhältnisses nicht. Soweit das Erstgericht wegen des beendeten Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf ein Zwischenzeugnis verneint hat, hat sich der Kläger hiergegen in seinen Berufungsanträgen nicht gewendet. Ein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis besteht nach Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr.
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Die Berufung des Klägers war deshalb in vollem Umfang zurückzuweisen.
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Die Anschlussberufung ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 519, 520, 524 Abs. 1, Abs. 2 ZPO.
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Auch die Anschlussberufung der beklagten Partei war zurückzuweisen. Mit dem Erstgericht geht auch das Berufungsgericht davon aus, dass ein Kündigungsgrund „an sich“ für eine außerordentliche Kündigung vorliegt, aber die Interessenabwägung im Falle der außerordentlichen Kündigung zugunsten des Klägers ausgeht. Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung beeinträchtigt die Chancen des Klägers auf einen neuen Arbeitsplatz stark. Angesichts seines fortgeschrittenen Lebensalters ist es geboten, das Interesse des Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im vorliegenden Einzelfall zurückzustellen. Für einen begrenzten Zeitraum wäre dem Beklagten die Beschäftigung des Klägers noch zumutbar gewesen, selbst wenn dies bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eine erhöhte Überwachung des Klägers bedeutet hätte. Daher war die Anschlussberufung des Beklagten zurückzuweisen.
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1. Aufgrund des Ausmaßes des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens waren die Kosten des Berufungsverfahrens gegeneinander aufzuheben, §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 525 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. ZPO.
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2. Für die Zulassung der Revision besteht weder für die Berufung noch für die Anschlussberufung ein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Abs. 1 und 2 ArbGG, denn die Beurteilung des Kündigungsgrundes und die Interessenabwägung orientierten sich ausschließlich an den konkreten Umständen des Einzelfalls.