Titel:
Klagebefugnis eines eingetragenen Vereins zur Förderung des Kanusports
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 130 Abs. 2 Nr. 2
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3
Leitsatz:
Ein Befahrungsverbot mit Booten ohne eigene Triebkraft bei niedrigen Wasserständen triftt einen Verein, dessen satzungsgemäße Aufgabe es ist, den Kanusport zu fördern, nicht in dem von Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich seines Bestands oder seiner Tätigkeit. Allerdings ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG berührt. (Rn. 17 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anfechtung einer wasserrechtlichen Allgemeinverfügung, Befahren eines Gewässers mit Booten ohne eigene Triebkraft, Klagebefugnis eines Kanuverbands (e.V.), Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht, Allgemeinverfügung, freizeitbedingter Kanubetrieb, eingetragener Verein, Klagebefugnis, Befahrungsverbot, Gewässer, Natura 2000-Gebiet, Zurückverweisung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 14.11.2018 – AN 9 K 17.754, AN 9 K 17.1518
Fundstelle:
BeckRS 2021, 813
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. November 2018 wird aufgehoben, soweit es das Verfahren AN 9 K 17.754 entschieden hat.
II. Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Ansbach zurückverwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger, ein eingetragener Verein zur Förderung des Kanusports, wendet sich gegen die Untersagung der Befahrung der Pegnitz mit Booten ohne eigene Triebkraft bei niedrigen Pegelständen im Gewässerabschnitt von Neuhaus a.d. Pegnitz bis Rupprechtsstegen.
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Die Pegnitz ist im Bereich zwischen Michelfeld und Hersbruck als Natura 2000-Gebiet ausgewiesen. Nach den Feststellungen des Landratsamts Nürnberger Land führte der freizeitbedingte Kanubetrieb dort wegen des extremen Niedrigwasserstands im Jahr 2015 zu erheblichen Schäden an der Gewässervegetation. Vor diesem Hintergrund ordnete das Landratsamt mit Allgemeinverfügung vom 20. März 2017 an, dass das Befahren der Pegnitz mit Booten ohne eigene Triebkraft (Kajaks, Kanus, Canadier, Schlauchkajaks und -canadier) im Gewässerabschnitt von Neuhaus a.d. Pegnitz bis Rupprechtstegen erst ab einem mittleren Pegelstand des Vortages von mindestens 130 cm des Pegels Güntersthal und von Rupprechtsstegen bis Artelshofen erst ab einem mittleren Pegelstand des Vortages von mindestens 126 cm des Pegels Güntersthal gestattet ist. Der verfügende Teil der Allgemeinverfügung wurde am 24. März 2017 im Amtsblatt des Landkreises allgemein bekannt gemacht mit dem Hinweis, dass die vollständige Fassung der Allgemeinverfügung mit Rechtsbehelfsbelehrung:im Landratsamt Nürnberger Land einzusehen sowie im Internet abrufbar sei.
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Der Kläger erhob Klage mit dem Ziel, die Aufhebung der Allgemeinverfügung zu erreichen. Das Verwaltungsgericht verband dieses Verfahren mit einem - hier nicht streitgegenständlichen - weiteren gegen die Allgemeinverfügung anhängigen Verfahren und wies alle Klagen als unzulässig ab. Dem Kläger fehle die erforderliche Klagebefugnis. Er könne sich nur auf eigene Rechte berufen, eine Berufung auf die Rechte der Mitgliedsverbände bzw. deren Mitglieder komme nicht in Betracht. Eine Verletzung eigener Rechtspositionen erscheine nicht möglich. Das einfach-rechtliche Rechtsinstitut des Gemeingebrauchs sei nur natürlichen Personen eingeräumt. Auch aus dem Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG resultiere keine Klagebefugnis. Da der Regelungsbereich von Art. 9 Abs. 1 GG betroffen sei, dem Kläger jedoch keinen Schutz vermittle, sei ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG nicht möglich.
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Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung beantragt der Kläger,
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. November 2018 die Allgemeinverfügung des Landratsamts Nürnberger Land vom 20. März 2017 aufzuheben,
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hilfsweise, die Sache an das Verwaltungsgericht Ansbach zurückzuverweisen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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hilfsweise, die Sache an das Verwaltungsgericht Ansbach zurückzuverweisen,
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und verteidigt das angefochtene Urteil.
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Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Entscheidung im Berufungsverfahren kann mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Streitsache an das Verwaltungsgericht (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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1. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kann der Verwaltungsgerichtshof die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an das Verwaltungsgericht zurückverweisen, wenn es noch nicht in der Sache selbst entschieden hat und ein Beteiligter dies beantragt. Noch nicht in der Sache entschieden hat ein Verwaltungsgericht insbesondere, wenn es die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil abgewiesen hat (HessVGH, B.v. 7.5.2020 - 1 A 661/20 - DVBl 2020, 1148 = juris Rn. 29; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 130 Rn. 12).
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So liegt der Fall hier. Das Verwaltungsgericht hat die Klagebefugnis des Klägers (§ 42 Abs. 2 VwGO) zu Unrecht verneint. Zwar kann sich dieser nicht mit Erfolg auf Art. 9 Abs. 1 GG berufen; er ist aber klagebefugt aus Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG.
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1.1 Das Erstgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Klagebefugnis des Klägers nicht aus Art. 9 Abs. 1 GG ableiten lässt.
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Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, sich zu Vereinigungen des privaten Rechts zusammenzuschließen. Der Schutz des Grundrechts umfasst sowohl für Mitglieder als auch für die Vereinigung die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte sowie das Recht auf Entstehen und Bestehen. Art. 9 Abs. 1 GG schützt insbesondere vor einem Eingriff in den Kernbereich des Vereinsbestandes und der Vereinstätigkeit (BVerfG, B.v. 24.9.2014 - 1 BvR 3017/11 - BayVBl 2015, 126 = juris Rn. 13 f. m.w.N.). Nicht von Art. 9 Abs. 1 GG geschützt sind indessen die sonstigen - mit dem Verhalten von jedermann vergleichbaren - Tätigkeiten von Vereinigungen im Rechtsverkehr; deren Schutz richtet sich vielmehr nach den materiellen Individualgrundrechten (BVerfG, B.v. 15.12.1999 - 1 BvR 2161/93 - NJW 2000, 1251 = juris Rn. 7; BVerwG, B.v. 8.7.1997 - 8 B 101.97 - juris Rn. 7, jeweils m.w.N.).
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Nach diesen Maßstäben ist der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 GG durch das verfahrensgegenständliche Befahrungsverbot mit Booten ohne eigene Triebkraft bei niedrigen Wasserständen nicht berührt. Die angegriffene Regelung trifft den Kläger nicht in dem von Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich seines Bestands oder seiner Tätigkeit als Verein. Dass der Kläger seinen satzungsgemäßen Vereinszweck vor allem mit der Durchführung gemeinsamer Wettkämpfe, von Lehrgängen zu Ausbildungszwecken und Wanderfahrten verfolgt, ändert daran nichts. Es ist nicht erkennbar, inwieweit die bei niedrigen Wasserständen untersagte Befahrung eines Gewässerabschnitts der Pegnitz für einen Verein, dessen satzungsgemäße Aufgabe es ist, den Kanusport in ganz Bayern zu fördern, von existenzieller oder sonst gravierender Bedeutung sein sollte. Dass die Regelung rein faktisch die Verwirklichung des Vereinszwecks erschwert oder - örtlich begrenzt - zeitweise unmöglich macht, reicht dafür nicht (vgl. auch BVerwG, U.v. 16.7.1980 - 7 C 23.78 - DVBl 1980, 1010 = juris Rn. 6).
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1.2 Der Kläger ist jedoch klagebefugt, weil er sich auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG berufen kann.
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Das Kanufahren fällt als Betätigungsform menschlichen Handelns in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 6.6.1989 - 1 BvR 921/85 - BVerfGE 80, 137 = juris Rn. 66 f.; HessVGH, U.v. 9.3.2017 - 4 C 328/16.N - NuR 2017, 702 = juris Rn. 32). Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Dies ist für die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG zu bejahen (BVerfG, B.v. 4.11.2015 - 2 BvR 282/13 u.a. - NJW 2016, 1436 = juris Rn. 9 f.; BVerwG, U.v. 5.8.2015 - 6 C 8.14 - BVerwGE 152, 355 = juris Rn. 12), sodass dem Kläger als eingetragenem Verein eine Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) nicht abzusprechen ist.
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Dem steht nicht entgegen, dass die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiär ist, weil der Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechts - hier Art. 9 Abs. 1 GG (vgl. oben Rn. 19) - nicht betroffen ist (vgl. BVerfG, B.v. 23.5.2018 - 1 BvR 97/14 u.a. - BVerfGE 149, 86 = juris Rn. 107; Di Fabio in Maunz/Dürig, GG, Stand August 2020, Art. 2 Abs. 1, Rn. 21).
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1.3 Auch im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit der Klage keine Bedenken.
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2. Der Senat übt das ihm in § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass er das Verfahren an das Verwaltungsgericht zurückverweist, damit dem Kläger der Rechtsweg umfassend eröffnet bleibt. Hierfür spricht, dass die Prüfung des Klagebegehrens in der Sache, also dessen tatsächliche und rechtliche Aufbereitung, noch ganz am Anfang steht und nicht ohne Aufwand möglich sein dürfte (vgl. BayVGH, U.v. 2.8.2016 - 22 B 16.619 - DVBl 2016, 1336 = juris Rn. 47; OVG NW, B.v. 4.12.2020 - 13 B 1813/20 - juris Rn. 7). Zu berücksichtigen ist auch, dass die Beteiligten für den Fall, dass der Senat die Klage als zulässig erachtet, die Zurückverweisung des Verfahrens an das Verwaltungsgericht beantragt haben (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2012 - 3 C 8.11 - NVwZ-RR 2012, 431 = juris Rn. 18; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 130 Rn. 11; zur Anwendung des § 130 Abs. 2 VwGO auf einen Hilfsantrag vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 130 Rn. 7).
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3. Eine Entscheidung über die Kosten und zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist bei einer Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 VwGO nicht veranlasst (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, § 130 Rn. 12; Happ in Eyermann, VwGO, § 130 Rn. 19).
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4. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.