Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.04.2021 – 20 NE 21.1036
Titel:

Normenkontrollantrag gegen die Testpflicht in Schulen

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 6
GG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 3 Abs. 1
GrCh Art. 14 Abs. 1
IfSG § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1
12. BayIfSMV § 18 Abs. 4
DSGVO Art. 4 Nr. 11, Art. 7 Abs. 3
Leitsätze:
1. Durch die angegriffene Regelung wird keine Testpflicht im Rechtssinne statuiert, vielmehr trifft Schülerinnen und Schüler die Obliegenheit, ein negatives Testergebnis vorzuweisen, um am Präsenzunterricht teilnehmen zu können. Andernfalls findet für sie Distanzunterricht und Distanzlernen statt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die vom Verordnungsgeber getroffene Gefährdungsprognose ist nicht zu beanstanden; wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Solange keine zuverlässigere Testmethode vorhanden und anerkannt ist, stellt der PCR-Test ein geeignetes Instrument zur Einschätzung der Übertragungsgefahr von SARS-CoV-2 dar. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Hinblick auf den Schutz besonders sensibler Gesundheitsdaten ist die Teilnahme an den Testungen ausschließlich freiwilliger Natur; die Einwilligung ist jederzeit widerruflich. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
5. Dass die Fortführung des Distanzunterrichts in den unteren Klassen bzw. für die Schüler, die ihrer Testobliegenheit nicht nachkommen möchten, völlig unvertretbar sein könnte, ist gegenwärtig nicht zu erkennen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolle, Eilantrag, Schülerin, Präsenzunterricht, Wechselunterricht, Distanzunterricht, Covid-19, Corona-Test, Selbsttest, Schwellenwert, Inzidenzwert, Datenschutz, Gesundheitsdaten
Fundstelle:
BeckRS 2021, 7909

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
1. Die Antragstellerin, die die 11. Klasse der Fachoberschule in Bayern besucht, beantragt, § 18 Abs. 4 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV vom 5.3.2021, BayMBl. 2021 Nr. 171) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 9. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 261), die mit Ablauf des 18. April 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), durch Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen.
2
2. Die angegriffene Regelung hat folgenden Wortlaut:
3
„(4) 1Die Teilnahme am Präsenzunterricht und an Präsenzphasen des Wechselunterrichts sowie an der Notbetreuung und Mittagsbetreuung ist Schülerinnen und Schülern nur erlaubt, wenn sie sich zwei Mal wöchentlich, im Fall des Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 mindestens zwei Mal wöchentlich, nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5 einem Test in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 unterziehen. 2Hierfür haben die Schülerinnen und Schüler zu Beginn des Schultages über ein schriftliches oder elektronisches negatives Ergebnis eines PCR- oder POC-Antigentests zu verfügen und dieses auf Anforderung vorzuweisen oder müssen in der Schule unter Aufsicht einen Selbsttest mit negativem Ergebnis vorgenommen haben. 3Die dem Testergebnis zu Grunde liegende Testung oder der in der Schule vorgenommene Selbsttest dürfen höchstens 48 Stunden, im Fall des Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 höchstens 24 Stunden vor dem Beginn des jeweiligen Schultags vorgenommen worden sein. 4Soweit Tests in der Schule vorgenommen werden, verarbeitet die Schule das Testergebnis ausschließlich für den schulischen Zweck der Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts; eine Übermittlung an Dritte findet vorbehaltlich von Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz nicht statt. 5Das Testergebnis wird höchstens 14 Tage aufbewahrt. 6Für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf kann das Staatsministerium für Unterricht und Kultus Ausnahmen bekanntmachen. 7Für die Lehrkräfte und das Schulverwaltungspersonal gelten hinsichtlich ihrer Tätigkeit in den Schulräumen die Sätze 1 bis 5 mit der Maßgabe entsprechend, dass ein Selbsttest auch außerhalb der Schule und ohne Aufsicht vorgenommen werden kann, wenn die Person versichert, dass das Testergebnis negativ ausgefallen ist.“
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3. Mit ihrem Eilantrag vom 9. April 2021 trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, durch die angegriffene Norm in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Variante 2 GG (Recht auf körperliche Unversehrtheit), Art. 2 Abs. 1 GG (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit), Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheit vor dem Gesetz) sowie Art. 14 Abs. 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh - Recht auf Bildung) verletzt zu sein. Die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Beschluss vom 2. März 2021 (Az.: 20 N E 21.353) zur sog. „Testpflicht in Pflegeheimen“ würdensinngemäß auch für Schüler einer Fachoberschule gelten. Die beanstandete Regelung in § 18 Abs. 4 Satz 1 12. BaylfSMV bewege sich nicht im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des § 29 IfSG. Die angegriffene Maßnahme sei in Ermangelung von Ausnahmetatbeständen etwa für geimpfte Schüler oder Schüler mit Antikörpern nach bereits durchlaufener Infektion weder erforderlich noch im Hinblick auf die mit der häufigen Testung verbundenen gesundheitlichen Auswirkungen angemessen. Bis dato sei nicht nachgewiesen, dass Schüler überproportional zum Infektionsgeschehen beitragen würden. Es bestehe nicht nur die Gefahr der Selbstverletzung durch teils noch kleine Kinder im Grundschulalter, sondern auch die Ansteckungsgefahr auf dem Schulweg. Es sei kein verständiger Grund dafür ersichtlich, weshalb der Verordnungsgeber nicht die Möglichkeit eines Testes zu Hause eröffne. Weiter sei durch die angegriffene Regelung mit einer erheblichen Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen wie der Antragstellerin im Fall eines positiven Testergebnisses zu befürchten. Auch der Schutz von Gesundheitsdaten vor der Teilöffentlichkeit der Klassen- und Schulgemeinschaft werde nicht gewahrt. Der durch die Pflicht zur Testung verursachte Eingriff rufe teils starke Schmerzen oder Würgereize hervor und verursache bei den Kindern auch erheblichen psychischen Druck. Auf alle Schüler werde ein unverhältnismäßiger Zwang ausgeübt, da eine Testverweigerung zwingend zum Distanzunterricht für den Schüler führe. Die angegriffene Norm verletze Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Verweigerung des Tests führe zwingend zum Ausschluss vom Präsenzunterricht und zur verpflichtenden Teilnahme nur am Distanzunterricht, welcher nicht die gleiche Qualität wie Präsenzunterricht habe. Der Ausschluss vom Präsenzunterricht entziehe Schülern die Möglichkeit, in Interaktion mit der Lehrkraft Wissen aufzunehmen und verletze Art. 14 GrCh. Das Grundrecht auf Bildung ergebe sich auch aus Art. 7 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 35 Abs. 1 BayEUG. Die angegriffene Rechtsnorm sei mit der Schulpflicht unvereinbar.
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4. Auf den Hinweis auf die ablehnende Senatsentscheidung vom 12. April 2021 (Az. 20 NE 21.926) hat die Antragstellerin ihren Eilantrag nicht zurückgenommen. Vielmehr ergänzte und vertiefte sie mit Schriftsatz vom 14. April 2021 ihren Vortrag. Auf Risiken und Nebenwirkungen des Tests würde nicht in ausreichender Weise hingewiesen. Eine Testung zuhause würde das Infektionsgeschehen noch effektiver eindämmen.
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5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
A.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
8
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein in der Hauptsache zu erhebender Normenkontrollantrag gegen § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei summarischer Prüfung keinen Erfolg (2). Eine Folgenabwägung geht zulasten der Antragstellerin aus (3.).
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1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
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Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
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Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 u.a. - juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
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2. Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV abzulehnen, weil der in der Hauptsache zu erhebende Normenkontrollantrag bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg hat. Eine weitergehende Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Norm bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
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a) Der Senat geht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass die Maßnahme nach § 18 Abs. 1 und 4 12. BayIfSMV mit § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage hat (BayVGH, B.v. 8.12.2020 - 20 NE 20.2461 - juris Rn. 24 ff.). Die Antragstellerin geht fehl in der Annahme, dass sich die angegriffene Regelung auf die Ermächtigungsgrundlage des § 29 IfSG stützen würde, so dass ihre Verweisung auf die Senatsentscheidung vom 2. März 2021 (Az.: 20 N E 21.353) zur sog. „Testpflicht in Pflegeheimen“ nicht weiterführt.
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b) Die Regelung in § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV ist voraussichtlich materiell rechtmäßig, weil sie sich bei summarischer Prüfung an die Vorgaben in § 28a IfSG hält. Durch die streitgegenständliche Regelung wird keine Testpflicht im Rechtssinne statuiert, weil die Erfüllung der Testung nicht vom Antragsgegner erzwungen werden kann. Vielmehr trifft durch § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV Schülerinnen und Schüler die Obliegenheit, ein entsprechendes negatives Testergebnis vorzuweisen, um am Präsenzunterricht teilnehmen zu können. Erfüllen Schülerinnen und Schüler diese Testobliegenheit nicht, findet für sie Distanzunterricht und Distanzlernen statt. So verstanden, ist § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV in rechtlicher Sicht voraussichtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Zur Begründung kann zunächst auf die Senatsrechtsprechung verwiesen werden. Anträge auf vorläufige Außervollzugsetzung der Schulschließungen (Ausschluss von Präsenzunterricht) nach § 18 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV hat der Senat mit Beschlüssen vom 29. Januar 2021 (Az. 20 NE 21.201 - BeckRS 2021, 791), 15. Februar 2021 (Az. 20 NE 21.411 - juris), 2. März 2021 (Az. 20 NE 21.469 - BeckRS 2021, 3794) zur 11. BayIfSMV und vom 16. März 2021 (20 NE 21.627) zur 12. BayIfSMV abgelehnt. Auch die Regelungen, inzidenzabhängig Präsenzunterricht in Schulen durchzuführen, hat der Senat als voraussichtlich rechtmäßig erachtet (BayVGH, B.v. 22.3.2021 - 20 NE 21.754 - juris).
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Die vom Verordnungsgeber getroffene Gefährdungsprognose ist auch für die Regelung des § 18 12. BayIfSMV gegenwärtig nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3 Satz 4, 5 und 10 IfSG liegen weiterhin vor. Die Anzahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Inzidenz) betrug am 16. April 2021 bundesweit 160 und in Bayern 180. Wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 sind nach § 28a Abs. 3 Satz 4 und 5 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Die vom Verordnungsgeber gewählten Inzidenzwerte samt den hieran geknüpften Rechtsfolgen in § 18 12. BayIfSMV sind vor diesem Hintergrund rechtlich nicht zu beanstanden. Nach dem Situationsbericht des RKI vom 15. April 2021 (abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Corona-virus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-15-de.pdf? blob=publicationFile) steigt die 7-Tages-Inzidenz für ganz Deutschland seit Mitte Februar 2021 stark an und liegt bereits bei über 100/100.000 Einwohner. Das Geschehen ist nicht regional begrenzt, die Anzahl der Landkreise mit einer 7-Tages-Inzidenz über 100/100.000 Einwohner nimmt seit Mitte Februar 2021 deutlich zu. Der 7-Tage-RWert liegt über 1. Etwa seit Mitte März hat sich der Anstieg der Fallzahlen beschleunigt. Nach einem vorübergehenden Rückgang der Fallzahlen über die Osterfeiertage setzt sich der starke Anstieg der Fallzahlen fort. Die COVID-19-Fallzahlen stiegen in den letzten Wochen in allen Altersgruppen wieder an, besonders stark jedoch in jüngeren Altersgruppen. Auch bei den über 80-Jährigen hat sich der wochenlang abnehmende Trend nicht fortgesetzt. Beim Großteil der Fälle ist der Infektionsort nicht bekannt. COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen momentan insbesondere private Haushalte, zunehmend auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld, während die Anzahl der Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen abgenommen hat. Insgesamt ist die VOC B.1.1.7 inzwischen in Deutschland der vorherrschende COVID-19-Erreger (vgl. nun auch § 28a Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 IfSG i.d.F.v. 29.3.2021, BGBl. I S. 370). Das ist besorgniserregend, weil die VOC B.1.1.7 nach bisherigen Erkenntnissen deutlich ansteckender ist als andere Varianten. Zudem vermindert die zunehmende Verbreitung und Dominanz der VOC 1.1.7 die Wirksamkeit der bislang erprobten Infektionsschutzmaßnahmen erheblich. Der Anstieg der Fallzahlen insgesamt und der Infektionen durch die VOC B 1.1.7. werden zu einer deutlich ansteigenden Anzahl von Hospitalisierungen und intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten führen. Bundesweit ist seit Mitte März wieder ein deutlicher Anstieg der COVID-19-Fallzahlen auf Intensivstationen (ITS) zu verzeichnen.
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Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Antragstellerin ist die Heranziehung von PCR-Tests nicht grundsätzlich ungeeignet, um das Pandemiegeschehen abzubilden. Solange keine zuverlässigere Testmethode vorhanden und anerkannt ist, stellt der PCR-Test ein geeignetes Instrument zur Einschätzung der Übertragungsgefahr von SARS-CoV-2 dar (vgl. BayVGH, B.v. 25.2.2021 - 20 NE 21.475 - juris Rn. 28 m.w.N.; vgl. auch BayVerfGH, E.v. 1.2.2021 - Vf. 98-VII-20 - juris Rn. 20 f.).
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bb) Damit ist die Konzeption in § 18 12. BayIfSMV, inzidenzabhängig Präsenz-, Wechsel- und Distanzunterricht durchzuführen, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Regelung ist auch verhältnismäßig. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die oben genannten Beschlüsse des Senats verwiesen.
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cc) Wird nach diesen Regelungen Präsenzunterricht durchgeführt, so steht die daran gebundene Testobliegenheit der Schülerinnen und Schüler in Bayern derzeit wohl mit höherrangigem Recht im Einklang. Der Senat geht bei der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage insbesondere aufgrund der im aktuellen Situationsbericht des RKI geschilderten Entwicklung der Infektions- und Gefährdungslage davon aus, dass auch die ausschließliche Durchführung von Distanzunterricht mit der einhergehenden Schließung der Schulen sogar bei sog. Abschlussklassen gerechtfertigt wäre. Dennoch steht die Entscheidung des Verordnungsgebers, Schülerinnen und Schülern in Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen eine 7-Tage-Inzidenz von 100 überschritten wird, in der Jahrgangsstufe 4 der Grundschulstufe, der Jahrgangsstufe 11 der Gymnasien und der Fachoberschulen sowie in Abschlussklassen bzw. in Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen die 7-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100 liegt, Präsenzunterricht stattfinden zu lassen, soweit dabei der Mindestabstand von 1,5 m durchgehend und zuverlässig eingehalten werden kann, oder Wechselunterricht zu unterrichten (§ 18 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 1 und 2 12. BayIfSMV) mit den Anforderungen des § 28a IfSG im Einklang. Denn nach §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG kann der Verordnungsgeber einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, von den Schutzmaßnahmen ausnehmen, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nicht zwingend erforderlich ist. Hierzu hat der Antragsgegner in der Begründung zur Verordnung (BayMBl. 2021 Nr. 262) ausgeführt:
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„Die Bestimmung stellt eine geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Maßnahme i. S. des § 28a Abs. 1 Nr. 16 i. V. mit § 33 Nr. 3 IfSG dar. Schulschließungen können zu schwerwiegenden Einschränkungen und Belastungen betroffener Kinder und ihrer Familien führen sowie Bildungsungerechtigkeit verstärken. Durch die Einführung von Zugangsbeschränkungen als gegenüber einer Schließung milderes Mittel soll erreicht werden, den Schülerinnen und Schülern möglichst weitgehend ein Bildungsangebot in Präsenzform zu ermöglichen, zugleich aber alle betroffenen Schülerinnen und Schüler sowie an der Schule tätiges Personal (Lehrkräfte und Schulverwaltungspersonal) unter den gegebenen Umständen bestmöglich vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen. Nach Einschätzung des Verordnungsgebers stellt die an einen negativen Testnachweis geknüpfte Beschränkung des Zugangs zum Präsenzunterricht in der aktuellen Situation ein geeignetes Mittel dar, die Dynamik des Infektionsgeschehens einzudämmen. Durch die Anknüpfung der Teilnahme am Präsenzunterricht an einen negativen Testnachweis gelingt es in höherem Maße, infektiöse Schülerinnen und Schüler frühzeitig zu erkennen, vom Unterrichtsbesuch in Präsenz fernzuhalten und Ansteckungen in der Schule zu vermeiden…
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Durch diese Zugangsbeschränkung und die damit verbundene Möglichkeit, einen Schulbesuch infektiöser Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen, erscheint es auch angesichts des äußerst dynamischen und durch VOC geprägten Infektionsgeschehens vertretbar, flächendeckende Schulschließungen abzuwenden und weiter Unterrichtsangebote in Präsenzform anzubieten. Die Zugangsbeschränkung dient daher gerade der Verwirklichung des Bildungsanspruchs aller Schülerinnen und Schüler.“
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Dies stellen tragfähige Erwägungen dar, um im Rahmen einer Abwägungsentscheidung besonderen schulischen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler wie auch der Lehrkräfte und sonstigen Beschäftigten im Rahmen der Anordnung von Infektionsschutzmaßnamen nach § 28a IfSG Rechnung zu tragen. Die Zugangsbeschränkung mit Testobliegenheit soll die Erfordernisse des Infektionsschutzes im Rahmen einer Entscheidung nach § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG sicherstellen. Wegen dieser besonderen Erwägung liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vor im Vergleich zu Schülerinnen oder Schülern, welche grundsätzlich nicht im Präsenzunterricht unterrichtet werden.
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So gesehen stellt die Zugangsbeschränkung mit Testobliegenheit wohl aber eine Infektionsschutzmaßnahme mit Eingriffsqualität dar und muss für sich gesehen verhältnismäßig sein. Die Testobliegenheit ist voraussichtlich geeignet und erforderlich, um bei der gegenwärtigen Infektionslage Präsenzunterricht zu gewährleisten. Nach der Einschätzung des Netzwerks Universitätsmedizin vom 22. März 2021 (abrufbar unter: https://www.umg.eu/fileadmin/Redaktion/Medizinische_Informatik/Forschung/ Teststrategien_fu r_Schulen-B-FAST-20210326.pdf) sollte der Präsenzunterricht an Schulen zwingend begleitet werden durch die Anwendung systematischer Testungen, mit denen die Ausbreitung von SARS-CoV-2 erkannt und kontrolliert werden kann. Die häusliche Testung - bei jüngeren Kindern durch Anleitung der Eltern - dürfte schon deshalb kein gleich effektives, milderes Mittel darstellen, weil sie nicht wirksam zu kontrollieren ist. Soweit Schülerinnen und Schüler oder ihre Eltern Vorbehalte gegenüber einer Testung gemeinsam mit Mitschülern haben, z.B., weil sie eine „Stigmatisierung“ befürchten, belässt ihnen § 18 Abs. 4 Satz 2 12. BayIfSMV die Möglichkeit, stattdessen ein schriftliches oder elektronisches negatives Testergebnis vorzulegen.
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Die Zugangsbeschränkung mit Testobliegenheit dürfte aber auch angemessen sein. Zweck der Regelung ist es das Infektionsrisiko mit dem Coronavirus bei der Durchführung von Präsenzunterricht an Schulen möglichst abzusenken, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit besonders ansteckende Menschen mit hoher Viruslast schnell detektiert werden können. Der mit der Testung ggf. verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Schüler und Lehrkräfte (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist demgegenüber nach den dem Senat gegenwärtig vorliegenden Erkenntnissen als gering einzustufen. Auf der anderen Seite ist aber auch zu berücksichtigen, dass falsch-positive Testergebnisse zu unnötigen Freistellungen vom Schulbesuch infolge einer Isolierung oder einer Quarantänisierung führen, die auch für die Betroffenen psychische Belastungen mit sich bringen können. Zusätzlich könnten falsch-negative Testergebnisse möglicherweise auch erhöhtes Risikoverhalten infolge vermeintlicher Sicherheit hervorrufen und damit kontraproduktiv wirken (vgl. Teststrategien zur COVID Diagnostik in Schulen, https://dgpi.de/wp-content/uploads/2021/02/Stellungnahme-Schnelltests_final_logos_28_02_2021.pdf). Insoweit erfordert die Testung in Schulen eine ständige Begleitung und Evaluation, welche die bestehenden Vor- und Nachteile der eingeschlagenen Teststrategie bewertet.
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Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Maßnahme ist entscheidend, dass gerade im Hinblick auf den Schutz besonders sensibler Gesundheitsdaten (Art. 9 DSGVO) die Teilnahme an den Testungen nach § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV ausschließlich freiwilliger Natur ist. Dies gilt auch für die Verarbeitung der hierdurch gewonnenen Gesundheitsdaten. Eine Einwilligung (Art. 4 Nr. 11 DSGVO) setzt zunächst eine freiwillige Entscheidung voraus. Nach der Datenschutz-Grundverordnung kann eine Willensbekundung nur freiwillig sein, wenn die betroffene Person „eine echte oder freie Wahl hat und somit in der Lage ist, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden“ (Erwägungsgrund [ErwGr] 42 DSGVO). Die Einwilligung ist jederzeit frei widerruflich, worüber der Betroffene zu belehren ist (Art. 7 Abs. 3 DSGVO). Ob der Verordnungsgeber auch sonstige Gründe nach Art. 9 Abs. 2 GDVO, welche eine Verarbeitung der Gesundheitsdaten auch gegen den Willen der Betroffenen erlauben würden, in Erwägung gezogen hat, lässt sich der Begründung der Verordnung nicht entnehmen und muss deshalb im Rahmen der Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren außer Betracht bleiben. Dies bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler, welche einen Test nicht durchführen wollen oder können, nicht vom Unterrichtsangebot ausgeschlossen werden dürfen, sondern am Distanzunterricht und am Distanzlernen teilnehmen können.
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Diesbezüglich führt die Begründung der Änderungsverordnung (a.a.O.) aus:
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„Nicht am Präsenzunterricht teilnehmende Schülerinnen und Schüler erfüllen ihre Schulbesuchspflicht durch die Wahrnehmung der Angebote im Distanzunterricht bzw. im Distanzlernen; ein Anspruch auf bestimmte Angebote besteht nicht. Dies bedeutet: Wenn es Distanzunterricht an der Schule für die jeweilige Jahrgangsstufe gibt, sind die Schülerinnen und Schüler, die keinen negativen Coronatest nachweisen können bzw. wollen, verpflichtet, am Distanzunterricht teilzunehmen. Andererseits sind die Schulen nicht verpflichtet, bestimmte Distanzangebote für diese Schülerinnen und Schüler einzurichten. Die Schülerinnen und Schüler können auch keinen Anspruch darauf erheben. Es gilt dann letztlich dasselbe, wie bei Schülerinnen und Schülern, die aufgrund einer individuellen Gefährdung vom Präsenzunterricht bzw. den Präsenzphasen des Wechselunterrichts beurlaubt sind. Die Schulen werden sich im Rahmen der (v. a. personellen) Kapazitäten darum bemühen, auch für diese Schülerinnen und Schüler mindestens angemessene Lernangebote zur Verfügung zu stellen. Die Schulpflicht wird durch diese Lernangebote erfüllt. Im Übrigen wird es oftmals jeden zweiten Tag Distanzunterricht für Schülerinnen und Schüler, die nicht am Präsenzunterricht teilnehmen können oder wollen, geben, da der Mindestabstand im Klassenzimmer gewahrt werden muss und deshalb für viele Klassen angesichts der Inzidenzwerte ohnehin Wechselunterricht gilt. Die Schülerinnen und Schüler bleiben daher auch bei einer Testverweigerung regelmäßig an das Unterrichtsgeschehen angebunden und im Klassenverband verwurzelt. Selbstverständlich sind die Schülerinnen und Schüler, die kein negatives Testergebnis vorweisen möchten, aber verpflichtet, am Distanzunterricht teilzunehmen, wenn und solange dieser von der Schule ohnehin angeboten wird.“
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Der Senat versteht die Begründung der Verordnung nicht in der Weise, dass Schülerinnen und Schüler, die keinen negativen Test vorweisen, nur dort am Distanzunterricht teilnehmen können, wo dieser gegebenenfalls angeboten wird, sondern in der Weise, dass ähnlich dem Wechselunterricht, soweit erforderlich grundsätzlich Präsenz- und Distanzunterricht flächendeckend stattfindet. Nur so sind die Freiwilligkeit der datenschutzrechtlichen Einwilligung und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) gewährleistet. Denn entfiele eine Beschulung insgesamt, könnte nicht mehr von einer freien Wahl der Schülerinnen und Schüler bzw. ihrer Erziehungsberechtigten ausgegangen werden. Es bestünde die Gefahr, dass die Einwilligung gerade nicht aufgrund eines freien Entschlusses erfolgt, sondern nur unter dem „Druck“, ansonsten vom Schulunterricht gänzlich ausgeschlossen zu werden und damit womöglich Bildungsnachteile zu erfahren.
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Der Senat geht im Übrigen selbstverständlich davon aus, dass bei den Testungen nur solche Antigen-Tests zur Eigenanwendung durch Laien (Selbsttests) zum Nachweis von SARS-CoV-2 zur Anwendung kommen, bei denen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Sonderzulassungen nach § 11 Abs. 1 Medizinproduktegesetz (MPG) erteilt hat und die auch für die Altersgruppen der Anwender, insbesondere die Grundschulklassen, zur Selbstanwendung freigegeben sind.
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Im Hinblick darauf hat der Verordnungsgeber bei der weiteren Entwicklung der pandemischen Situation zu berücksichtigen, dass gemäß § 28a Abs. 3 IfSG nach Unterschreitung eines in den Sätzen 5 und 6 genannten Schwellenwertes die in Bezug auf den jeweiligen Schwellenwert genannten Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden können, soweit und solange dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich ist. Zudem sind nach § 28a Abs. 3 Satz 12 IfSG bei der Prüfung der Aufhebung oder Einschränkung der Schutzmaßnahmen nach den Sätzen 9 bis 11 insbesondere auch die Anzahl der gegen COVID-19 geimpften Personen und die zeitabhängige Reproduktionszahl zu berücksichtigen. Dies bedarf jeweils einer erneuten Prüfung der Notwendigkeit der angeordneten Infektionsschutzmaßnahme. Weil in Bayern aufgrund der vorliegenden Inzidenzzahlen derzeit kein Stadt- oder Landkreis unterhalb einer 7-Tages-Inzidenz von 50 liegt, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Anwendung die Regelung des § 18 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3, Abs. 4 12. BayIfSMV mit den vorgenannten Grundsätzen vereinbar ist.
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Die Erlaubnis, am Präsenzunterricht und an Präsenzphasen des Wechselunterrichts sowie an der Notbetreuung und Mittagsbetreuung nur teilzunehmen, wenn sich die Schülerinnen oder Schüler zwei Mal wöchentlich, im Fall des § 18 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 12. BayIfSMV mindestens zwei Mal wöchentlich einem Test in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 unterziehen, stellt nicht deshalb eine unzumutbare Belastung dar, weil damit der Bildungsanspruch bestimmter Schülergruppen völlig zunichte gemacht würde. Die Frage, inwieweit und unter welchen Bedingungen Unterrichtsformen aus der Ferne, auch mithilfe digitaler Angebote, insbesondere auch für jüngere Kinder geeignet sind und zu Lernerfolgen führen können, hat zuvörderst der Verordnungsgeber bzw. der Träger der öffentlichen Bildungsangebote zu beantworten. Ein Anspruch auf bestimmte Lerninhalte besteht grundsätzlich nicht (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2020 - 20 NE 20.1443 - juris Rn. 29; nachgehend BVerfG, B.v. 15.7.2020 - 1 BvR 1630/20). Dass die Fortführung des Distanzunterrichts in den unteren Klassen bzw. betreffend diejenigen Schülerinnen und Schüler, die ihrer Testobliegenheit nicht nachkommen möchten, aufgrund der in den vergangenen Monaten gewonnenen Erfahrungen völlig unvertretbar sein könnte, ist zumindest gegenwärtig nicht zu erkennen (vgl. BayVerfGH, E.v. 22.03.2021 - Vf. 23-VII-21 - BeckRS 2021, 5200 Rn. 33).
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Inwieweit durch die Testpflicht in das Recht auf Bildung aus Art. 14 Abs. 1 GrCh eingegriffen wird, kann offenbleiben. Denn nach summarischer Prüfung dürfte die Einschränkung verhältnismäßig sein. Die Träger der Bildungseinrichtungen können die Teilhabe, insbesondere den Zugang zu den Einrichtungen, näher ausgestalten. Dabei kommt ihnen ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu (Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 14 Rn. 15). Die Regelungen dienen einem legitimen Zweck. Der Verordnungsgeber durfte bei ihrem Erlass davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie nach wie vor eine ernstzunehmende Gefahrensituation begründet, die staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit der Bevölkerung weiterhin gebietet. Dies gilt insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass COVID-19-bedingte Ausbrüche momentan insbesondere private Haushalte, zunehmend auch Kitas, Schulen betreffen. Ausgehend hiervon steht der beabsichtigte Verordnungszweck nicht außer Verhältnis zu der Schwere des - unterstellten - Eingriffs.
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3. Auch wenn man von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgeht, ergibt eine Folgenabwägung insbesondere im Hinblick auf die derzeit wieder tendenziell steigenden Infektionszahlen, dass die Folgen des weiteren Vollzugs der angegriffenen Norm - insbesondere die Durchführung von Distanz- und Wechselunterricht - weniger schwer wiegen als die Folgen einer zu erwartenden Verstärkung des Infektionsgeschehens bei einer einstweiligen Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm.
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Das pandemische Geschehen verstärkt sich aktuell erneut. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 15. April 2021 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-15-de.pdf? blob=publicationFile) nimmt die Zahl der Übertragungen von COVID-19 in der Bevölkerung in Deutschland stark zu. Etwa seit Mitte März 2021 - also in zeitlichem Zusammenhang zur Ausweitung des Präsenzunterrichts nach Inkrafttreten der 12. BayIfSMV zum 8. März 2021 - hat sich der Anstieg der Fallzahlen beschleunigt, besonders stark bei Kindern und Jugendlichen, von denen zunehmend Übertragungen und Ausbruchsgeschehen ausgehen. COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen momentan insbesondere private Haushalte und zunehmend auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld. Das RKI schätzt aufgrund der anhaltend hohen Fallzahlen und des aktuell beschleunigten Wiederanstiegs der Inzidenz die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Der Anstieg der Fallzahlen insgesamt und der Infektionen durch die VOC B 1.1.7. werden zu einer deutlich ansteigenden Anzahl von Hospitalisierungen und intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten führen. Bundesweit ist seit Mitte März wieder ein deutlicher Anstieg der COVID-19-Fallzahlen auf Intensivstationen (ITS) zu verzeichnen. Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI (Stand 31.3.2021, vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) ist die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten (VOC) von SARS-CoV-2 besorgniserregend.
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In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres Vollzugs für die Interessen der Normadressaten.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von der Antragstellerin angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 18. April 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 hier nicht angebracht erscheint.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).