Titel:
Unzulässigkeit einer Klage wegen doppelter Rechtshängigkeit
Normenketten:
GVG § 17 Abs. 1 S. 2
VwGO § 90
Leitsatz:
Eine doppelte Rechtshängigkeit führt zur Unzulässigkeit des zeitlich später anhängig gewordenen Verfahrens. Zweck der Vorschrift ist es, doppelte Prozesse mit gegebenenfalls divergierenden Entscheidungen zu vermeiden. Das Verbot ist Prozesshindernis; wegen seines zugleich objektiven Zwecks ist es von Amts wegen zu beachten. Die verbotswidrig erhobene zweite Klage ist als unzulässig abzuweisen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässigkeit der Klage, entgegenstehende Rechtshängigkeit, dieselbe Sache, baurechtliche Nachbarklage, Klageerhebung vor Zustellung der Baugenehmigung an den Nachbarn
Fundstelle:
BeckRS 2021, 7790
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich als Miteigentümer des Anwesens auf dem Grundstück Fl.Nr. …4 der Gemarkung …, G.straße ... und ...a in …, gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 13. Mai 2020 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Anbaus im 1. Obergeschoss als Wintergarten für Besucher und eines Besucherzimmers mit Nasszelle im Hospiz auf dem Grundstück Fl.Nr. …6 der Gemarkung …, F.Straße … in … (Baugrundstück).
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1. Das Baugrundstück wie auch das klägerische Grundstück befinden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… … - … … - Gebiet südlich der …straße zwischen der Bahnlinie … und dem Main“ vom 26. September 1962 / 24. Juli 1963 / 12. Februar 1964, ortsüblich bekannt gemacht am 18. Februar 1965. Dieser setzt u.a. ein Allgemeines Wohngebiet und vordere Baugrenzen fest.
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Das Baugrundstück der Beigeladenen grenzt östlich an das mit einem Mehrfamilienwohnhaus bebaute Grundstück des Klägers an. Das Wohnhaus des Klägers weist einen Abstand von ca. 5 m zur östlichen Grundstücksgrenze auf. Das Baugrundstück, das straßenmäßig von Osten, von der F. Straße, erschlossen ist, ist mit einem zweigeschossigen Gebäude bebaut, in dem die Beigeladene ein Hospiz betreibt (Baugenehmigung vom 21.12.2011 für den Neubau einer Pflegeeinrichtung/Hospiz Würzburg, BV-Nr. 1466/2022). Im Erdgeschoss - hier befinden sich die Bewohnerzimmer - weisen die Außenwände des Gebäudes im Westen einen Abstand von 6,11 m zur Grundstücksgrenze des Klägers auf, das Obergeschoss ist deutlich zurückgesetzt.
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2. Mit Antrag vom 3. September 2019, eingegangen bei der Beklagten am 2. Oktober 2019, beantragte die Beigeladene eine Baugenehmigung für die Erweiterung des Hospizes zur Errichtung eines Anbaus im 1. Obergeschoss als Wintergarten für Besucher und eines Besucherzimmers mit Nasszelle im Hospiz auf dem Baugrundstück. Mit Antrag vom 23. Oktober 2019 wurde eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von der Überschreitung der Grundflächenzahl begehrt und am 23. November 2019 ein Antrag auf Abweichung der Barrierefreiheit nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO gestellt. Ausweislich der Nutzungsbeschreibung vom 25. November 2019 soll der Anbau als Rückzugsmöglichkeit für Angehörige und Patienten genutzt werden. Des Weiteren könnten im Anbau verschiedenen Therapiemöglichkeiten wie z.B. Yoga, Phantasiereisen oder ein Kinoabend angeboten werden. Der Zeitraum der Nutzung werde sich zwischen 11:00 Uhr und 18:00 Uhr, an Kinoabenden bis ca. 20:30 Uhr bewegen. Der Anbau werde mit Verdunkelungs- und Beschattungsmöglichkeiten ausgestattet. Das geplante Angehörigenzimmer sei ein zusätzlicher Raum, der Angehörigen zur Übernachtung im Hospiz angeboten werden solle.
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Mit Bescheid vom 13. Mai 2020 erteilte die Beklagte der Beigeladenen nach den Plänen vom 10. Juli 2019, geändert am 23. Oktober 2019, die Baugenehmigung für das Vorhaben. Es wurde unter Ziffer 1000 eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der festgesetzten Geschossflächenzahl (GFZ zulässig: 0,7; geplant: 0,85) gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilt. Ziffer 1020 enthält die Formulierung, dass aufgrund des Art. 48 BayBO (Barrierefreies Bauen) die Barrierefreiheit zu gewährleisten sei, ausgenommen sei das Besuchszimmer für Angehörige.
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Ausweislich der genehmigten Planunterlagen zeigt sich im westlichen Bereich des Obergeschosses des Bestandsgebäudes ein Anbau, der in den Plänen als „Wintergarten“ beschrieben wird. Dieser soll die gesamte Breite des Gebäudes von ca. 17 m einnehmen und eine Tiefe von ca. 8 m bei einem Abstand von 8,44 m zur westlichen Grundstücksgrenze. Auf der westlichen, dem klägerischen Grundstück zugewandten Seite weist die ca. 13 m lange und ca. 4,30 m hohe Fassade (im Obergeschoss) eine Fensterfläche mit einer Breite von ca. 6 m und einer Höhe von ca. 2 m auf. Auf der Südwestseite befindet sich über Eck ein Fenster in etwa der gleichen Größenordnung. An den Wintergarten anschließend ist im südöstlichen Teil des Erweiterungsbereichs ein „Besucherzimmer“ mit „Bad“ aufgeplant.
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Die Baugenehmigung wurde der Beigeladenen per Einschreiben zugestellt (Aufgabe zur Post am 14.5.2020). Den beiden weiteren Miteigentümern des Grundstücks Fl.Nr. …4 wurde eine Ausfertigung am 15. Mai 2020 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt. Eine Zustellung ebenfalls gegen Postzustellungsurkunde an den Kläger blieb erfolglos, weil dieser unter der angegebenen Anschrift („… …, 97. …“) nicht zu ermitteln war (vgl. Zustellungsurkunde, Bl. 109 der Bauakte). Nachdem der Klägerbevollmächtigte am 12. Juni 2020 Akteneinsicht bei der Beklagten genommen hatte, erfolgte an diesen am 19. Juni 2020 die Zustellung der Ausfertigung gegen Postzustellungsurkunde.
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3. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 15. Juni 2020, bei Gericht eingegangen per Fax am selben Tag, ließen die beiden weiteren Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …4 und der Kläger - der Kläger zu 3) im dortigen Verfahren - gegen den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2020 Klage erheben; diese wird unter dem Az. W 5 K 20.792 geführt.
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Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2020 erhob der Klägerbevollmächtigte „vorsorglich zur Fristwahrung gegen den Bescheid der Stadt Würzburg vom 13.05.2020, uns zugestellt am 19.06.2020, Az. 2223-2019 für den Kläger zu 3) Klage“, mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag,
den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2020, Az. 2223-2019, aufzuheben.
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Zur Begründung brachte der Klägerbevollmächtigte im hiesigen Verfahren mit der Klageschrift vor, dass die „jetzige weitere Klage zur Fristwahrung erhoben“ werde, da die Beklagte ihm den angegriffenen Bescheid nochmals für den Kläger zugestellt habe. Die Klage sei ohnehin mit dem anhängigen Verfahren zu verbinden, wobei er davon ausgehe, dass „rechtzeitig und wirksam die Klage auch für den Kläger zu 3) bereits mit unserem ursprünglichen Antrag erhoben“ worden sei.
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Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2020 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass die jetzige Einreichung der Klage lediglich der Rechtssicherheit gedient habe, und zwar im Hinblick darauf, dass ein weiterer Bescheid dem Kläger nochmals über ihn zugestellt worden sei.
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Nachdem das Gericht den Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 29. September 2020 darauf hingewiesen hatte, dass sich die im hiesigen Verfahren erhobene Klage nach vorläufiger Auffassung der Kammer wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG) als unzulässig erweisen werde, brachte der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsätzen vom 29. Oktober 2020 und vom 23. Dezember 2020 vor, dass die Einreichung der Klage nur deshalb veranlasst gewesen sei, weil die Beklagte „offensichtlich fehlerhaft den Baubescheid der Beigeladenen nochmals uns als den Anwälten“ des Klägers zugestellt habe, allerdings erst nachdem bereits Klage erhoben gewesen sei. Wenn ihm eine Behörde einen Bescheid zustelle und eine Rechtsbehelfsbelehrung:anfüge, so müsse er davon ausgehen, dass ein neuer Bescheid erlassen worden sei. Als Anwalt sei er verpflichtet, den sichersten Weg zu gehen, also auch entsprechende Rechtsmittel einzulegen. Der Erlass eines neuen Bescheids durch die Beklagte sei nicht notwendig gewesen, denn diese hätte aufgrund der Klagegerhebung und der Akteneinsicht, die ja aufgrund des Bescheids erfolgt sei, erkennen können, dass dies alles auch für den Kläger erfolgt sei. Es liege also ausschließlich im Verantwortungsbereich der Beklagten, dass sie einen neuen Bescheid erlassen habe; wegen der Vorlage der Vollmacht sei dies nicht notwendig gewesen. Der Beklagten stehe es jederzeit frei, den Bescheid gegen den Kläger zurückzunehmen.
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4. Die Beklagte beantragte,
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Sie brachte Folgendes vor: Die Klage W 5 K 20.792 sei am 19. Juni 2020 bei der Beklagten eingegangen. Demgegenüber sei die Zustellung einer Ausfertigung des Baugenehmigungsbescheids an den Klägervertreter bereits mit Schreiben vom 15. Juni 2020, zur Post gegeben am 18. Juni 2020, veranlasst worden, nachdem der Klägerbevollmächtigte anlässlich seiner Akteneinsicht am 12. Juni 2020 erklärt habe, dass er auch den Kläger vertrete. Der erneute Zustellversuch sei daher vor Kenntnis der Klageerhebung erfolgt und sei auch nicht „offensichtlich fehlerhaft“, sondern erforderlich gewesen, um den Lauf der Klagefrist in Gang zu setzen. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, warum mit Schriftsatz vom 17. Juli 2020 nochmals eine gesonderte Klageerhebung für den Kläger erfolgt sei, nachdem der Klägervertreter bereits mit Schreiben vom 22. Juni 2020 an die Stadt Würzburg und mit der Klageschrift vom 17. Juli 2020 erklärt habe, dass er von einer bereits wirksam erhobenen Klage für den Kläger mit Schriftsatz vom 15. Juni 2020 ausgehe.
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5. Die Beigeladene ließ durch ihre Prozessbevollmächtigte beantragen,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die vom Kläger im Verfahren W 5 K 20.792 zusammen mit den weiteren dortigen Klägern erhobene Klage betreffe exakt denselben Bescheid wie die im hiesigen Verfahren erhobene Klage. Dies sei auch dem Kläger bekannt gewesen. Dem Kläger sei der Bescheid vor der Zustellung an den Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis gelangt, andernfalls hätte er nicht Klage erheben können, sodass er mit Zustellung an den Prozessbevollmächtigten in der Lage gewesen sei zu erkennen, dass es sich um ein und denselben Bescheid handele. Insoweit habe dem Kläger klar sein müssen, dass eine zweite Anfechtungsklage gegen denselben Bescheid wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig sei. Fehler seitens der Beklagten könnten demgegenüber nicht festgestellt werden. Nach dem gescheiterten Zustellungsversuch habe die Beklagte richtigerweise im Nachgang an den Bevollmächtigten des Klägers zugestellt. Die beantragte Verbindung werde für unzulässig gehalten; die doppelte Rechtshängigkeit könne nicht durch eine Verbindung geheilt werden.
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6. Mit den Beteiligten wurde in der mündlichen Verhandlung vom 25. März 2021 die Sach- und Rechtslage erörtert. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte W 5 K 20.792 sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage war als unzulässig abzuweisen.
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Die im hiesigen Verfahren gegen den an die Beigeladene gerichteten Baugenehmigungsbescheid der Stadt Würzburg, Az. 2223-2019, vom 13. Mai 2019 erhobene (Dritt-)Anfechtungsklage des Klägers vom 17. Juli 2020 erweist sich wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit als unzulässig.
20
Nach § 173 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG kann während der Rechtshängigkeit - im verwaltungsgerichtlichen Prozess ab Erhebung der Klage, § 90 Satz 1 VwGO - die Sache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG verbietet, die Sache „anderweitig“ anhängig zu machen. Dies ist dann der Fall, wenn der Streitgegenstand erneut gerichtlich geltend gemacht wird (vgl. Ehlers in Schoch/Schneider, VwGO, Stand 39. EL Juli 2020, § 17 GVG Rn. 43), sei es bei einem anderen Gericht desselben oder eines anderen Rechtswegs oder bei demselben Gericht (vgl. Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand 39. EL Juli 2020, § 90 VwGO Rn. 24). Eine doppelte Rechtshängigkeit führt zur Unzulässigkeit des zeitlich später anhängig gewordenen Verfahrens. Zweck der Vorschrift ist es, doppelte Prozesse mit gegebenenfalls divergierenden Entscheidungen zu vermeiden. Das Verbot ist Prozesshindernis; wegen seines zugleich objektiven Zwecks ist es von Amts wegen zu beachten. Die verbotswidrig erhobene zweite Klage ist als unzulässig abzuweisen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41 / §§ 17-17b GVG Rn. 11).
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Mit Einreichung der Klageschrift des Klägerbevollmächtigten vom 15. Juni 2020 per Telefax am 15. Juni 2020 um 16:49 Uhr im Verfahren W 5 K 20.729 wurde die Streitsache rechtshängig (§ 90 i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem steht auch nicht entgegen, dass eine (Nachbar-)Ausfertigung der Baugenehmigung (vgl. Art. 66 Abs. 1 Satz 4 BayBO) dem Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugestellt worden war, vielmehr der Zustellungsversuch vom 15. Mai 2020 erfolglos geblieben war, weil der Kläger unter der angegebenen Anschrift („… …, 97. …“) nicht zu ermitteln war (vgl. Zustellungsurkunde, Bl. 109 der Bauakte). Eine Anfechtungsklage, die vor Ergehen des Verwaltungsaktes erhoben wird, ist zwar grundsätzlich unzulässig und wird auch durch das Ergehen des Verwaltungsaktes nicht nachträglich zulässig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 74 Rn. 4a). Denn die Anfechtungsklage kann nur erhoben werden, wenn der Verwaltungsakt bereits äußerlich wirksam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 11). Der Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Allerdings muss der Kläger nicht Bekanntgabeadressat des Verwaltungsakts sein. Erst durch die Bekanntgabe an jedenfalls einen (ersten) Adressaten oder Betroffenen wird der Verwaltungsakt existent und kann von diesem Zeitpunkt an mit Rechtsbehelfen angegriffen werden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 43 Rn. 4; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 11). Bedeutung hat dies bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung, wie der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung. Hier kann sich der Dritte gegen den einen anderen begünstigenden Verwaltungsakt auch dann mit der Anfechtungsklage wenden, wenn ihm der Verwaltungsakt nicht bekannt gegeben wurde (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 11).
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Die hiesige Klage betrifft auch dieselbe „Sache“ wie die im Verfahren W 5 K 20.729. Denn § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG betrifft die Streitsache (vgl. § 90 VwGO), meint also den Streitgegenstand. Dies ist im Verwaltungsprozess der prozessuale Anspruch, der einerseits durch den Klageantrag, d.h. durch die erstrebte Rechtsfolge (Klageanspruch) und andererseits durch den konkreten Sachverhalt, auf dem der Streit beruht (Klagegrund) gebildet wird (zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff, vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1994 - 9 C 501.93 - BVerwGE 96, 24, 25; Wolff in BeckOK VwGO, 56. Edition, § 90 Rn. 11). Bei der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist nach Auffassung der Rechtsprechung der Streitgegenstand die Behauptung des Klägers, der angefochtene Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.1992 - 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256, 257). Die Drittanfechtungsklage im hiesigen Verfahren betrifft denselben Streitgegenstand wie die im Verfahren W 5 K 20.792, da jeweils die Aufhebung der Baugenehmigung der Beklagten vom 13. Mai 2020 (Az. 2223-2019) mit der Behauptung des Klägers, dieser Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten, begehrt wird. Wenn der Klägerbevollmächtigte insoweit vom „Erlass eines neuen Bescheids“ oder eines „weiteren Bescheids“ spricht, verkennt er, dass hier lediglich ein einziger Bescheid erlassen wurde, nämlich die an die Beigeladene (Bauherrin) gerichtete Baugenehmigung vom 13. Mai 2020, die am 14. Mai 2020 zur Post gegeben wurde (zum Begriff des Erlasses und der Abgrenzung zur Bekanntgabe eines Verwaltungsakts vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 41 Rn. 18).
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Dass es sich hier um ein- und denselben Bescheid handelt, musste für den Kläger und erst recht für den juristisch geschulten Bevollmächtigten des Klägers ohne Weiteres erkennbar sein. Form, Inhalt und Bescheidsdatum der den weiteren Klägern im Verfahren W 5 K 20.792 am 15. Mai 2020 zugestellten (Nachbar-)Ausfertigung (von der der Kläger wohl Kenntnis erlangt haben muss, wenn er hiergegen Klage erheben ließ) sowie der dem Bevollmächtigten des Klägers am 19. Juni 2020 zugestellten (Nachbar-)Ausfertigung erweisen sich als identisch. Damit musste aber dem Kläger wie auch seinem Bevollmächtigten klar sein, dass im hiesigen Verfahren eine zweite Anfechtungsklage gegen denselben Verwaltungsakt erhoben wird, der dann die Rechtshängigkeit der früher erhobenen Klage entgegensteht.
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Abschließend bleibt festzuhalten, dass nicht davon die Rede sein kann, dass - wie der Kläger vortragen lässt - der Bescheid „nochmals für den Kläger zu 3) zugestellt“ wurde und dass die Beklagte „nicht ordnungsgemäß reagiert“ habe. Zum einen wurde eine Ausfertigung der Baugenehmigung vom 13. Mai 2020 dem Kläger über dessen Bevollmächtigten am 19. Juni 2020 nicht nochmals, sondern erstmals zugestellt, nachdem der Zustellungsversuch vom 13. Mai 2020 gescheitert war. Zum anderen hat die Kammer keinerlei Zweifel daran, dass die Zustellung über den Bevollmächtigten des Klägers ordnungsgemäß und - mangels bisher erfolgter Bekanntgabe an den Kläger - auch notwendig war, um die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Gang zu setzen. Schließlich irrt die Klägerseite, wenn sie meint, dass die Situation von der Beklagten dadurch bereinigt werden könne, dass sie „den Bescheid gegen den hiesigen Kläger (…) alleine aufhebt“. Denn eine Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids kann nicht isoliert gegenüber einem Nachbarn als Drittbetroffenen erfolgen, sondern nur uneingeschränkt. Auch die Aufhebung des Verwaltungsakts ist gemäß Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, der von ihm betroffen wird, also dem Adressaten der Baugenehmigung, dem Bauantragsteller, hier also der Beigeladenen.
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Nach allem war die Klage bereits als unzulässig abzuweisen.
26
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Aufwendungen dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
27
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.