Inhalt

VG München, Beschluss v. 01.04.2021 – M 26a S 21.1762
Titel:

Quarantäneanordnung gegenüber Grundschulkind als Kontaktperson der Kategorie 1

Normenkette:
IfSG § 2 Nr. 7, § 28 Abs. 1 S. 1, § 30 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Ansteckungsverdächtiger gem. § 2 Nr. 7 IfSG ist, wer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Dafür ist es nicht erforderlich, dass sich die Aufnahme von Krankheitserregern "geradezu aufdrängt"; eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt aber nicht. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kontaktpersonen der Kategorie 1 können auch Kinder sein (Rn. 34 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Quarantäne eines 10-jährigen Grundschulkindes als Kontaktperson der Kategorie 1, Erfolgloser Eilantrag, Corona-Pandemie, Quarantäne, Isolation, Kinder, Kontaktperson der Kategorie 1, Ansteckungsverdächtige
Fundstelle:
BeckRS 2021, 7708

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Anordnung häuslicher Quarantäne als Kontaktperson der Kategorie 1.
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Die Antragstellerin ist den Ausführungen des Bevollmächtigten zufolge zehn Jahre alt und besucht die …Schule A... A... Mit Schreiben des Landratsamts des Antragsgegners zu 2) wurden die Eltern der Antragstellerin darüber informiert, dass diese in ihrer Schule Kontakt zu einer positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Person gehabt habe und daher vom 24. März 2021 bis einschließlich 6. April 2021 eine 14-täge häusliche Quarantäne zu halten habe. Für Kontaktpersonen der Kategorie 1 ende die häusliche Quarantäne, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliege, während der Quarantäne keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten seien und eine frühestens an Tag 14 durch geschultes Personal vorgenommene Testung (PCR- oder Schnelltest) ein negatives Ergebnis zeige. Die Quarantäne ende demnach mit dem Vorliegen des negativen Ergebnisses dieser Abschlusstestung. Aufgrund der sich rapide verbreitenden Virusvarianten könne entsprechend den Regelungen des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege keine Verkürzung der Quarantäne auf 10 Tage mehr erfolgen. Auf ein beigefügtes Infoblatt und den Tenor der AV-Isolation wurde hingewiesen, um Führung des beigefügten Tagebuchs während der Quarantäne wurde gebeten.
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Mit am 1. April 2021 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 31. März 2021 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin im Wortlaut:
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1. Es wird festgestellt, dass aufschiebende Wirkung der Quarantäneanordnung wiederhergestellt wird, soweit sich diese auf Kinder im Alter von 10 Jahren und jünger bezieht.
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2. Es wird festgestellt, dass bezüglich der Anordnung des in der AV Isolation angeordneten Testpflicht nach absolvierter Quarantäne wiederhergestellt wird, soweit sich diese auf Kinder im Alter von 10 Jahren und jünger bezieht.
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Die Antragstellerin richte sich gegen den Vollzug der AV Isolation. Auf dieser AV beruhe die Anordnung der Quarantäne durch das Gesundheitsamt mit Schreiben vom 25. Februar 2021 bis 6. April 2021 sowie die Pflicht, sich einem PCR-Test nach Ende der Quarantäne zu unterziehen. Da ein Kind der 3. Klasse positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden sei, sei die Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie 1 eingestuft worden und es sei die 14-tägige Quarantäne für die gesamte Klasse verhängt worden. Der Verwaltungsakt des Gesundheitsamtes sowie die AV-Isolation würden gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen; die Behörde habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Eine zweiwöchige Quarantäne für zehnjährige Schulkinder wegen des kursierenden SARS-CoV-2 Virus sei nicht angemessen. Die möglichen Gesundheitsrisiken für Kinder seien gering. Zudem trügen Kinder nicht maßgeblich zur Pandemie bei. Die Folgen der Quarantäne für Kinder und Eltern seien jedoch beträchtlich. Sobald ein Kind einer Klasse (ohne Symptome) positiv getestet werde, müssten alle Kinder und die Betreuer für zwei Wochen in Quarantäne. Ein normaler Schulbetrieb sei so nicht möglich. Die Quarantäneanordnung bringe gravierende Folgen für den Antragsteller (gemeint wohl die Antragstellerin) mit sich. Aufgrund der Ungenauigkeit der PCR-Tests sei nicht einmal sicher, dass eine wirkliche Infektionsgefahr vorgelegen habe. Die Antragstellerin richte sich auch gegen die Anordnung, nach Absolvierung der Quarantäne einen PCR-Test zu absolvieren. Alleine durch die Ungenauigkeiten der PCR-Tests habe man bei dem derzeitigen Testverhalten eine enorme Fehlerquote. Die für die einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Gründe würden die gegenläufigen für den weiteren Vollzug der Verordnung (sic!) streitenden Interessen überwiegen. Eine einstweilige Außervollzugsetzung des § 1 Abs. 1 bis 3 der CoronaEinreiseVO (sic!) lasse nicht befürchten, dass sich die derzeitige Infektionssituation bedingt bei Schülern verschlechtere. Das Gericht habe die Verordnung (sic!) für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegner zu 1) und zu 2) äußerten sich in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere den Antragsschriftsatz, Bezug genommen.
II.
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Angesichts der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit ergeht die Entscheidung nach § 80 Abs. 8 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch die Vorsitzende.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Das Gericht legt die Anträge im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin dahingehend aus (§§ 88, 122 VwGO), dass beantragt wird, die aufschiebende Wirkung einer gegen die Allgemeinverfügung „Quarantäne von Kontaktpersonen der Kategorie 1 und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Isolation)“ noch zu erhebenden Klage der Antragstellerin anzuordnen (§ 80 Abs. 5 VwGO). Aus der Antragsbegründung, insbesondere der beigefügten Anlage 1 - dem Schreiben des Gesundheitsamtes -, wird deutlich, dass sich die beantragte Anordnung zumindest auch auf die Antragstellerin persönlich bezieht.
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Da sich die Quarantäneanordnung aus der AV Isolation vom 25. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 151), geändert durch Allgemeinverfügung vom 9. März 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 176), ergibt, die gemäß Art. 35 Satz 2 BayVwVfG Verwaltungsaktqualität besitzt, ist in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft. Die Mitteilung des Landratsamtes über die Einstufung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie 1 ist als unselbstständige Mitwirkungshandlung zur Allgemeinverfügung gemäß § 44a Satz 1 VwGO nicht selbständig anfechtbar. Nachdem sich sämtliche Pflichten des Betroffenen unmittelbar aus der Allgemeinverfügung ergeben und sich die Bedeutung der Mitteilung des Gesundheitsamts darin erschöpft, für den konkret Betroffenen die Allgemeinverfügung in Kraft zu setzen, geht die Mitteilung über die Einstufung als Kontaktperson 1 als unselbstständige Verfahrenshandlung in der Allgemeinverfügung auf. Dementsprechend wird diese Einstufung in der Allgemeinverfügung als „Mitteilung“ und nicht als „Anordnung“ bezeichnet. Die Frage, ob die Einstufung als Kontaktperson 1 zu Recht erfolgt ist, wird vom Gericht im Rahmen des Rechtsschutzes gegen die Allgemeinverfügung inzident geprüft.
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Soweit die Anträge ihrem Wortlaut nach die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (noch zu erhebender Klagen) zugunsten aller Schulkinder im Alter von 10 Jahren und jünger, soweit diesen gegenüber Quarantäneanordnungen ergehen sollten, zum Gegenstand haben, sind diese bereits unzulässig, da die Antragstellerin hinsichtlich aller anderen Kinder nicht antragsbefugt analog § 42 Abs. 2 VwGO ist.
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Der so verstandene Antrag ist statthaft, da nach § 28 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 Infektionsschutzgesetz (IfSG) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfalten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
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Gegen die Antragstellung vor Klageerhebung bestehen keine rechtlichen Bedenken (vergleiche § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO; VG Regensburg, B.v. 22.12.2020 - RN 14 S 20.3125 - juris Rn. 33; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 139 m.w.N).
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2. Der Antrag ist, soweit sie sich auf die Antragstellerin bezieht, unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung unter Abwägung des von der Behörde geltend gemachten Interesses an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und des Interesses des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung einer Klage. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
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Im vorliegenden Fall hat die in der Hauptsache zu erhebende Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg, so dass das öffentliche Interesse am Vollzug der Anordnung das private Interesse der Antragstellerin überwiegt.
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2.1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Sach- und Rechtsage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, da es sich bei der Quarantäneanordnung um einen Dauerverwaltungsakt handelt. Maßgeblich ist die AV Isolation vom 25. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 151) in der Fassung vom 9. März 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 176).
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2.2. Rechtsgrundlage für die Quarantäneanordnung ist § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde unter anderem dann, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Sie kann gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG insbesondere die Absonderung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern anordnen (vergleiche zur Anwendung von § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG auf die häusliche Quarantäne: BayVGH, B.v. 6.11.2020 - 20 CS 20.2573 - beck online Rn. 14; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Oktober 2020 - 13 ME 386/20 -, Rn. 5, juris; Johann/Gabriel in BeckOK, Infektionsschutzrecht, Stand 1.7.2020, § 30 Rn. 5.1; a.A. Lindner in Schmidt, COVID-19, 2. Aufl. 2020, § 17 Rn. 79).
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2.3. Formelle Mängel der Allgemeinverfügung wurden weder vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich.
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2.4. Die Anordnung der Quarantäne als Kontaktperson der Kategorie 1 sowie die Durchführung eines PCR-Tests am 14. Tag der Quarantäne begegnet auch materiellrechtlich keinen Bedenken.
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2.4.1. Das Virus SARS-CoV-2 ist ein Krankheitserreger im Sinne von § 2 Nr. 1 IfSG, der zur Lungenkrankheit COVID-19, einer übertragbaren Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG, führen kann und rechtfertigt daher grundsätzlich die Anordnung einer Quarantäne als Schutzmaßnahme. Insoweit folgt das Gericht der zutreffenden Begründung der AV Isolation (BayMBl. 2021 Nr. 151, S. 5ff.) und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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2.4.2. Gemäß Nr. 1. 1 und 2.1.1 der AV Isolation haben sich Kontaktpersonen, d. h. Personen, denen vom Gesundheitsamt mitgeteilt wurde, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts Kontaktpersonen der Kategorie 1 sind, unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes in Quarantäne zu begeben, sofern keine andere Anordnung der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erfolgt.
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Kontaktpersonen der Kategorie 1 nach der geltenden Einstufung des Robert Koch-Instituts sind Ansteckungsverdächtige im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG und daher richtige Adressaten einer Schutzmaßnahme. Nach § 2 Nr. 7 IfSG ist ein Ansteckungsverdächtiger eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Letzteres anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Dafür ist es nicht erforderlich, dass sich die Aufnahme von Krankheitserregern „geradezu aufdrängt“; eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt aber nicht. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil (vgl. grundsätzlich BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, 3 C 16/11, BVerwGE 142, 205, juris Rn. 31). Für die vorzunehmende Risikoprognose gilt der allgemeine Grundsatz des Gefahrenabwehrrechts, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Bei der Risikoabschätzung ist also das Gewicht des drohenden Schadens bzw. des zu schützenden Rechtsguts wertend einzubeziehen.
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Konkrete Einwendungen gegen die Einordnung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie 1 und damit als Ansteckungsverdächtige wurden in der Antragsschrift vom 31. März 2021 nicht angeführt. Nach den derzeit gültigen Kriterien des Robert Koch-Instituts, dem der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat, werden Kontaktpersonen der Kategorie 1 (höheres Infektionsrisiko) zugeordnet, wenn entweder (A) ein enger Kontakt (< 1,5 m, Nahfeld) länger als 15 Minuten ohne adäquaten Schutz, d. h. Quellfall und Kontaktperson tragen durchgehend und korrekt einen Mund-Nasen-Schutz oder eine Mund-Nasen-Bedeckung, bestand, oder wenn (B) ein Kontakt unabhängig von Abstand mit wahrscheinlich hoher Konzentration infektiöse Aerosole im Raum für einen Zeitraum von mehr als 30 Minuten bestand. Unter den beispielhaften Konstellationen für Kontaktpersonen der Kategorie 1 sind optional, d.h. nach Ermessen des Gesundheitsamtes, auch im Hinblick auf die Praktikabilität, genannt: Personen mit Aufenthalt mit dem bestätigten COVID-19-Fall in relativ beengter Raumsituation oder schwer zu überblickender Kontaktsituation, zum Beispiel Schulklassen, gemeinsames Schulessen, Gruppenveranstaltungen) unabhängig von der individuellen Risikoermittlung (A, B) (Robert Koch-Institut, Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei SARS-CoV-2-Infektionen, Stand 5.3.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Kontaktperson/Management.html).
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2.4.3. Zu Recht hat das Gesundheitsamt angenommen, dass angesichts einer positiven Testung davon auszugehen war, dass sich eine mit SARS-CoV-2 infizierte Person in der Schulklasse der Antragstellerin befunden und somit ein Ansteckungsverdacht bestanden hat.
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Das Gericht teilt nicht die Zweifel des Bevollmächtigten der Antragstellerin an der Aussagekraft des PCR-Tests. Solange keine zuverlässigere Testmethode vorhanden und anerkannt ist, stellt der PCR-Test ein geeignetes Instrument zur Einschätzung der Übertragungsgefahr von SARS-CoV-2 dar (BayVGH, B.v. 8.9.2020 - 20 NE 20.2001 - juris Rn. 28; OVG NW, B.v. 30.11.2020 - 13 B 1658/20.NE - juris Rn. 32 f.) Der PCR-Test wird vom Robert-Koch-Institut als auch von der Weltgesundheitsorganisation auch bei SARS-CoV-2 als geeigneter Test zum Nachweis einer Infektion angesehen.
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Die Frage, ob eine ansteckende Person zum Zeitpunkt der Übertragung bereits erkrankt (symptomatisch) war, ob sie noch keine Symptome entwickelt hatte (präsymptomatisches Stadium) oder ob sie auch später nie symptomatisch wurde (asymptomatische Infektion) spielt für die Beurteilung keine Rolle. Zur Verminderung des Übertragungsrisikos sind in allen drei Konstellationen die schnelle Isolierung von positiv getesteten Personen, die Identifikation und die frühzeitige Quarantäne enger Kontaktpersonen erforderlich, da von infizierten Personen eine Ansteckungsgefahr bereits ein bis zwei Tage vor Ausbruch der Symptome ausgeht (Robert Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand 25.2.2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html).
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Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Quarantäneanordnung liegen daher im vorliegenden Fall vor. Gegenteiliges wurde von der Antragstellerin auch nicht vorgetragen.
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2.4.4. Die Anordnung der Quarantäne steht im Ermessen der Behörde, welches gemäß § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar ist. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, insbesondere verstößt die Anordnung nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist auch deren Länge nicht zu beanstanden.
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Das Gericht verkennt nicht, dass die Anordnung einer Isolation (Quarantäne) erheblich in die Grundrechte der Antragstellerin, insbesondere in die Bewegungsfreiheit, die allgemeine Handlungsfreiheit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Grundgesetz - GG) eingreift und zudem das Familienleben einer erheblichen Belastung aussetzt ist. In Anbetracht des gewichtigen Ziels der Pandemiebekämpfung und des damit verfolgten Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und des Funktionierens des staatlichen Gesundheitssystems erweist sich die Quarantäneordnung dennoch als verhältnismäßig.
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Die Quarantäneanordnung dient einem legitimen Zweck. Das Isolieren von Erkrankten und die Nachverfolgung von Kontaktpersonen ist seit Beginn des Corona-Geschehens in Deutschland eine zentrale Säule der Bekämpfungsstrategie. Die Quarantäneanordnung ist geeignet, Infektionsketten zu unterbrechen und der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken. Sie ist auch erforderlich, dieses Ziel zu erreichen. Da die Nachverfolgung und Isolation von Kontaktpersonen eine wesentliche Säule der Pandemiebekämpfung darstellt, ist ein milderes, aber ebenso wirksames Mittel in der derzeitigen Situation nicht ersichtlich. Die getroffene Anordnung ist auch angemessen. Dem Eingriff in die Rechte der Antragstellerin steht der Schutz von Gesundheit und Leben der Allgemeinheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), insbesondere demjenigen von Risikopatienten, sowie der Schutz des öffentlichen Gesundheitssystems vor einer Überlastung bei ungehinderter Ausbreitung des Infektionsgeschehens gegenüber. Angesichts der hochwertigen Rechtsgüter Leib und Leben, der möglichen gravierenden, teils irreversiblen Folgen eines möglichen erneuten Anstiegs von Infektionen und Erkrankungen einer Vielzahl von Personen ist der Eingriff trotz seiner Intensität als angemessen zu bewerten.
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Der Einwand des Bevollmächtigten der Antragstellerin, von Kindern gehe kein signifikantes Ansteckungsrisiko aus und diese zeigten meist keine oder nur milde Symptome, so dass im Fall von Schulkindern im Alter von 10 Jahren und jünger in Wahrheit keine Gefahr bestehe, die eine Quarantäne rechtfertige, trifft nicht zu.
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Nach der aktuellen Risikobewertung des Robert Koch-Instituts vom 15.3.2021 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) steigen die Fallzahlen im Bundesgebiet seit Februar 2021 wieder an und beschleunigen sich aktuell in allen Altersgruppen unter 65 Jahren. Ein besonders rascher Anstieg ist bei Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen. Zahlreiche Häufungen werden vor allem in Privathaushalten, in Kitas und Schulen sowie dem beruflichen Umfeld beobachtet. Dabei spielt auch die Verbreitung einiger neuer Varianten von SARS-CoV-2, sogenannte besorgniserregende Varianten (VOC) eine Rolle, die noch leichter von Mensch zu Mensch übertragbar sind und daher die Notwendigkeit einer konsequenten Einhaltung der Kontakt reduzierende Maßnahmen unterstreichen. Insbesondere die VOC B. 1.1.7 (sogenannte britische Variante) ist bereits relativ weit in Deutschland verbreitet.
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Zur Rolle von Kindern im Rahmen der Pandemie stellt das Robert Koch-Institut in seinem Epidemiologischen Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19 vom 25.2.2021 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html) Folgendes fest: Zwar liegt die auf der PCR-Testung basierende Prävalenz (Häufigkeit) als Ausdruck eines aktiven Infektionsgeschehens Kindern in den meisten Studien niedriger als bei Erwachsenen. Da die Studien meist während oder im Anschluss an Kontaktbeschränkungen bzw. Lockdown-Situationen durchgeführt wurden, ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Alltag allerdings begrenzt. Im Hinblick auf die Empfänglichkeit für eine Infektion hat sich gezeigt, dass Kinder im Kindergartenalter weniger empfänglich für eine Infektion waren als solche im Schulalter. Studien zur Viruslast bei Kindern zeigen keinen wesentlichen Unterschied zu Erwachsenen. Die Mehrzahl der Kinder zeigt nach bisherigen Studien einen asymptomatischen oder milden Krankheitsverlauf, jedoch benötigt ein sehr kleiner Teil auch intensiv medizinische Versorgung und wird beatmungspflichtig. Angesichts dieser Erkenntnislage mögen Kinder zwar nicht der vielzitierte „Treiber der Pandemie“ sein, doch tragen sie jedenfalls auch zum Infektionsgeschehen bei. Nachdem Kinder im Falle einer Infektion das Virus auch an Erwachsene (Eltern, Erzieher, Verwandte, sonstige Bezugspersonen) weitergeben können, ist die konsequente Umsetzung von Quarantänemaßnahmen zur Unterbrechung von Infektionsketten auch bei Kindern im Kindergartenalter geboten.
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Nach alledem bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Quarantäneanordnung.
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2.4.5. Auch die voraussichtliche Dauer der Quarantäne von 14 Tagen und die Erforderlichkeit eines negativen Testergebnisses ist nicht zu beanstanden. Nach Nr. 6.1.1 der AV Isolation endet die häusliche Quarantäne, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt, während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind und eine frühestens 14 Tage nach dem letzten Kontakt durchgeführte Testung (PCR-Test oder Antigentest, durchgeführt durch medizinische Fachkräfte oder vergleichbare, hierfür geschulte Personen) ein negatives Ergebnis zeigt, mit dem Vorliegen des negativen Testergebnisses. In anderen Fällen entscheidet die zuständige Kreisverwaltungsbehörde über das Ende der Quarantäne.
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Der Bemessung der Quarantänedauer liegt die Inkubationszeit von in den meisten Fällen maximal 14 Tagen zugrunde (Robert-Koch-Institut, Kontaktpersonennach Verfolgung bei SARS-CoV-2 Infektionen, Stand 5.3.2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html). Die Forderung eines negativen Testergebnisses am Ende der Quarantänezeit findet seine Rechtfertigung in der Überlegung, dass damit ausgeschlossen werden kann, dass ein Betroffener etwa gegen Ende der Quarantänezeit - ggf. auch asymptomatisch - an COVID-19 erkrankt, nach Ablauf der Quarantänezeit unerkannt infektiös ist und so die Gefahr der Ansteckung weiterer Personen besteht.
40
Die Durchführung eines PCR-Tests oder Antigentests ist auch Kindern zumutbar. Der mit der Vornahme des Tests verbundene vorübergehende Eingriff in das körperliche Wohlbefinden des Kindes ist angesichts des gewichtigen Ziels der effektiven Unterbrechung von Infektionsketten hinzunehmen.
41
Nachdem sich die Quarantäneanordnung einschließlich der voraussichtlichen Dauer und der bestehenden Testpflicht am Ende der Quarantänezeit somit aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweist, war der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung abzielt, erscheint eine Anhebung des Streitwerts auf der Grundlage von Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angebracht. Zugunsten der Antragstellerin geht das Gericht hingegen davon aus, dass die in der Antragsschrift vom 31. März 2021 gestellten (beiden) Anträge zueinander keinen selbständigen materiellen Gehalt haben und sieht von einer Addition der Streitwerte entsprechend Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ab.