Titel:
Frist zur Beantragung von Beihilfe
Normenketten:
BayBG Art. 96 Abs. 3a
BayBhV § 48 Abs. 6 S. 1
BayVwVfG Art. 32
Leitsätze:
1. Bei der Frist zur Beantragung von Beihilfe (Art. 96 Abs. 3a BayBG iVm § 48 Abs. 6 S. 1 BayBhV) handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, die nicht verlängert werden kann; die Fristversäumnis führt zum Erlöschen des Anspruchs. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für den Fall der Versäumung der Ausschlussfrist nach Art. 96 Abs. 3a BayBG iVm § 48 Abs. 6 S. 1 BayBhV besteht ausnahmsweise die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer Ausschlussfrist, auf die die Wiedereinsetzungsregeln nur ausnahmsweise Anwendung finden, sind diese restriktiv zu handhaben, sodass an eine Entschuldigung der Fristversäumnis erhöhte Anforderungen gestellt werden dürfen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versäumung der Jahresfrist für Beihilfeantrag, Krankenhausaufenthalt, Erkrankung der Tochter, Corona-Pandemie, Beihilfeantrag, Ausschlussfrist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Fundstelle:
BeckRS 2021, 7703
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin ist mit einem Bemessungssatz von 70 v.H. beihilfeberechtigt und beantragte mit Beihilfeantrag vom ... 2020, eingegangen beim Landesamt für Finanzen - Dienststelle Straubing - (Landesamt) am 9. Dezember 2020, Beihilfe zu Aufwendungen in Höhe von insgesamt 3.052,14 €.
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Mit Bescheid vom 14. Dezember 2020 lehnte das Landesamt die Gewährung von Beihilfe für die entsprechenden Aufwendungen ab. Die eingereichte Rechnung vom ... könne wegen Ablauf der Antragsfrist nicht mehr berücksichtigt werden. Der Bescheid enthält hierzu den Hinweis, dass eine Beihilfe nur gewährt werde, wenn sie innerhalb eines Jahres nach Entstehen der Aufwendungen oder Ausstellung der Rechnung beantragt werde (Art. 96 Abs. 3a und Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BayBG und § 48 Abs. 6 BayBhV).
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Mit Schreiben vom 6. Januar 2021 legte die Klägerin gegen den Beihilfebescheid vom 14. Dezember 2020 Widerspruch ein.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2021, zugestellt am 4. Februar 2021, wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
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Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 28. Februar 2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 4. März 2021, Klage. Sie beantragte sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Dezember 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2021 zu verpflichten, der Klägerin für die Aufwendungen für die Rechnung vom ... Beihilfe in Höhe von 2.122,80 € zu gewähren.
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Zur Begründung trug die Klägerin vor, dass sie die Jahresfrist aus den folgenden Gründen versäumt habe: Durch einen unverschuldeten Fahrradunfall sei sie vom ... 2019 bis zum ... 2019 und vom ... 2019 bis zum ... 2019 im Klinikum … behandelt worden; an den Krankenhausaufenthalt habe sich eine Reha in der Klinik … vom ... 2019 bis zum ... 2019 angeschlossen. Bei der Tochter der Klägerin sei im Oktober 2019 ein Nierentumor festgestellt worden. Nach Operation und Krankenhausaufenthalt sei die Tochter der Klägerin seit April 2020 arbeitsunfähig. Die Klägerin verwies auf ihr hohes Lebensalter und die bestehenden gesundheits-, alters- und zeitgeistbedingten Herausforderungen sowie auf die Corona-Pandemie. Aufgrund des durch die Corona-Pandemie verursachten Ausnahmezustands würden Fristen in allen Bereichen ausgedehnt und verlängert. Mit Schreiben vom 25. März übersandte die Klägerin ergänzend den Schriftverkehr aus dem behördlichen Verfahren.
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Mit Schreiben vom 25. März 2021 legte das Landesamt die einschlägige Beihilfeakte vor und beantragte,
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Die Krankenhausaufenthalte der Klägerin und die Erkrankung der Tochter der Klägerin würden eine Wiedereinsetzung nicht begründen. Der Reha-Aufenthalt der Klägerin sei im Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung des Klinikums … vom ... bereits beendet gewesen. Der Antrag auf Beihilfe sei erst mehr als 16 Monate später eingereicht worden.
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Mit Schreiben vom 28. Februar 2021 und vom 25. März 2021 verzichteten die Klägerin und der Vertreter des Beklagten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Mit Beschluss vom 12. April 2021 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
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Der Bescheid des Beklagten vom 14. Dezember 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr beantragte Beihilfe zu den Aufwendungen für die Rechnung vom ... (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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1. Ansprüche der Klägerin auf Gewährung von Beihilfeleistungen zu den streitgegenständlichen Aufwendungen sind wegen der Versäumnis der Antragsfrist erloschen. Nach Art. 96 Abs. 3a des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) vom 29. Juli 2008 (GVBl S. 500) in der Fassung vom 26. März 2019 (GVBl S. 98) und § 48 Abs. 6 Satz 1 der Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung - BayBhV -) vom 2. Januar 2007 in der Fassung vom 12. Oktober 2018 (GVBl S. 794) wird Beihilfe nur gewährt, wenn sie innerhalb eines Jahres nach dem Entstehen der Aufwendungen oder der Ausstellung der Rechnung beantragt wird. Bei dieser Antragsfrist handelt es sich um eine sogenannte materiell-rechtliche Ausschlussfrist (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2009 - 14 C 09.1567 - juris Rn 2). Eine Ausschlussfrist kann nicht verlängert werden; die Fristversäumnis führt zum Erlöschen des Anspruchs.
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Im vorliegenden Fall ging der Beihilfeantrag für die Rechnung vom ... unstreitig erst am 9. Dezember 2020 bei der Beihilfestelle ein. Für die Feststellung der Einhaltung der einjährigen Antragsfrist kommt es auf das Datum des Eingangs des Beihilfeantrags bei der Feststellungsstelle an (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2012 - 14 ZB 11.1379 - juris Rn 5). Die Jahresfrist endete gemäß Art. 31 Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des ... (Freitag) um 24 Uhr. Demnach ist der Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen für die streitgegenständlichen Aufwendungen wegen Versäumung der Jahresfrist gemäß Art. 96 Abs. 3a BayBG und § 48 Abs. 6 Satz 1 BayBhV erloschen.
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Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer solchen materiellen Ausschlussfrist bestehen keine Bedenken (BVerwG, U.v. 28.6.1965 - VIII C 334.63 - BVerwGE 21, 258). Die Ausschlussfrist dient aus haushaltstechnischen Gründen dazu, eine baldige Klärung etwa noch bestehender Beihilfeansprüche herbeizuführen und ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist sie jedenfalls dann unbedenklich, wenn die Möglichkeit besteht, im besonderen Einzelfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (vgl. BayVGH, U.v. 5.4.1990 - 3 B 89.2831 - juris Rn 14 - zu § 17 Abs. 9 BBhV; VG München, U.v. 23.4.2015 - M 17 K 14.517). Obwohl es sich bei der Jahresfrist nach § 48 Abs. 6 Satz 1 BayBhV um eine materielle Ausschlussfrist handelt, gehen Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend von der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Dies ist auch in den entsprechenden Vorzugshinweisen des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen zu § 48 BayBhV ausdrücklich vorgesehen.
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2. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die abgelaufene Ausschlussfrist liegen jedoch nicht vor. Nach Art. 32 Abs. 1 BayVwVfG ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
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Die Klägerin war nicht ohne Verschulden darin gehindert, die Jahresfrist einzuhalten. Verschuldet ist eine Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (BVerwG, U.v. 8.3.1983 - 1 C 34/80 - BayVBl 1983, 476). Rechtsunkenntnis kann die Fristversäumnis grundsätzlich nicht entschuldigen. Ein juristisch nicht vorgebildeter Bürger muss sich bei ihm nicht geläufigen juristischen Problemen grundsätzlich in geeigneter Weise juristischen Rat einholen (zum insoweit wortgleichen § 60 VwGO vgl. Eyermann/Schmidt, VwGO, 15. Auflage 2019, § 60 Rn. 6).
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Eine Erkrankung kann eine Fristversäumung nur dann entschuldigen, wenn sie so schwer war, dass der Betroffene weder selbst handeln konnte, noch im Stande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfang zu informieren (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 32 Rn. 29; VG München, U.v. 13.11.2019 - M 17 K 18.2550). Die diesbezüglichen Tatsachen sind vom Wiedereinsetzung Begehrenden glaubhaft zu machen (Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Bei einer Ausschlussfrist, auf die die Wiedereinsetzungsregeln ohnehin nur ausnahmsweise Anwendung finden (vgl. oben), sind diese restriktiv zu handhaben, so dass an eine Entschuldigung der Fristversäumnis erhöhte Anforderungen gestellt werden dürfen (BayVGH, B.v. 2.10.2018 - 14 ZB 17.1841). Es kommt darauf an, ob dem Beteiligten nach den Umständen des Falles ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 32 Rn. 21). Vorliegend hat die Klägerin nicht die ihr zumutbare Sorgfalt walten lassen, um eine rechtzeitige Antragstellung sicherzustellen. Der Krankenhausaufenthalt der Klägerin mit anschließender Reha war bereits am ... 2019 beendet, sodass der Klägerin ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung noch mehr als elf Monate zur Beantragung der Beihilfe bzw. - sofern sie hierzu aus altersbedingten oder gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sein sollte - zur Beauftragung eines Bevollmächtigten zur Verfügung standen.
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Es ist nachvollziehbar, dass die Klägerin aufgrund der Erkrankung ihrer Tochter psychisch stark belastet war. Es ergibt sich daraus jedoch nicht, dass sie deshalb nicht in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig Beihilfe zu beantragen. Die Klägerin hätte im Hinblick auf die konkrete Situation durch Treffen von organisatorischen Maßnahmen die ihr zumutbaren Anstrengungen unternehmen müssen, um den Beihilfeantrag rechtzeitig stellen zu können (VG Bayreuth, GB.v. 25.1.2011 - B 5 K 10.259 - juris Rn. 29). Die sicherlich hochbelastende Ausnahmesituation aufgrund der Sorge um ihre Tochter und die damit einhergehenden psychischen Belastungen sind menschlich verständlich, genügen aber nicht, um die Klägerin von ihren organisatorischen Pflichten vollumfänglich zu befreien. Als sich abzeichnete, dass die Bewältigung des Alltags die Klägerin aufgrund der Erkrankung ihrer Tochter über einen nicht absehbaren Zeitraum über das gewöhnliche Maß hinaus beanspruchen würde, hätte sie entsprechend, gegebenenfalls auch durch Beauftragung Dritter, reagieren müssen. Bei derartig unwägbaren Hinderungsgründen erfordert es die auch in eigenem Interesse aufzubringende Sorgfalt, sich um Abhilfe zu bemühen und nicht lediglich zuzuwarten (VG München, U.v. 10.12.2015 - M 17 K 15.402).
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Auch die Corona-Pandemie und die zur Eindämmung des Infektionsgeschehens getroffenen staatlichen Maßnahmen können keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen. Die Klägerin hätte von Mitte Juli 2019 bis ... Zeit gehabt, den Beihilfeantrag zu stellen. Das Landesamt war während dieses Zeitraums zu keinem Zeitpunkt aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen.
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3. Schließlich liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte die Wahrung der Frist durch eigenes Verhalten treuwidrig verhindert hat und er sich ausnahmsweise nach den Rechtsgedanken der §§ 242, 162 BGB nicht auf das Versäumnis einer die Anspruchsberechtigung vernichtenden Ausschlussfrist berufen darf (BVerwG, U.v. 18.4.1997 - BVerwG 8 C 38.95 - NJW 1997, 2966 m.w.N.). Der Beklagte hat die Geltendmachung des klägerischen Anspruchs weder erschwert oder unmöglich gemacht noch den Eindruck erweckt, die Klägerin könne darauf vertrauen, dass der Anspruch auf Beihilfe aufgrund der Corona-Pandemie noch nach Ablauf der Ausschlussfrist des Art. 96 Abs. 3a BayBG, § 48 Abs. 6 BayBhV erfüllt werden würde.
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4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.