Inhalt

VGH München, Beschluss v. 13.04.2021 – 20 NE 21.770
Titel:

Schließung von Tattoo-Studio wegen Corona-Pandemie, hier: Normenkontrollverfahren

Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
12. BayIfSMV § 12 Abs. 2 S. 1
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14, § 32 S. 1
Leitsätze:
1. Die Regelung der 12. BayIfSMV betreffend der Öffnungsregelungen von Dienstleistungen mit körperlicher Nähe zum Kunden (hier: Tattoo-Studio) ist verfassungsgemäß, da sie mit der Ermächtigungsgrundlage der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG in Einklang steht, ihre Voraussetzungen vorliegen und sie sich bei summarischer Prüfung nicht als offensichtlich unverhältnismäßig darstellt; auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liegt voraussichtlich nicht vor . (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Regelung zur Schließung von Tattoo-Studios handelt es sich ausgehend von der Risikoeinschätzung des Bundesgesetzgebers, dass es in Betrieben, Gewerben und im Einzel- oder Großhandel zu einer Vielzahl von Kontakten kommt, welche das Risiko der massenhaften Übertragung des Sars-CoV-2-Virus mit sich bringt, grundsätzlich um eine kraft Gesetzes geeignete und erforderliche Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Regelung zur Schließung von Tattoo-Studios erweist sich bei summarischer Prüfung voraussichtlich auch nicht als offensichtlich unverhältnismäßig, da sie Teil eines Maßnahmenbündels zum Schutz der Kapazitäten des Gesundheitssystems ist und mildere, aber gleichermaßen wirksame Mittel zur Eindämmung und Verlangsamung der Infektionszahlen nicht ersichtlich sind. (Rn. 23 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die streitige Regelung verstößt nicht offensichtlich gegen den Gleichheitsgrundsatz, da für die Öffnungsregelung auf die Erforderlichkeit im Sinne einer Unverzichtbarkeit für die tägliche Lebensführung abgestellt wird und damit hygienisch oder pflegerisch erforderliche Dienstleistungen zulässig sind, die von einem Tattoo-Studio nicht erbracht werden. (Rn. 29 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine Folgenabwägung zwischen dem betroffenen Schutzgut der freien wirtschaftlichen Betätigung mit dem Schutzgut Leben und körperliche Unversehrtheit ergibt insbesondere im Hinblick auf die wieder steigenden Infektionszahlen, dass die wirtschaftlichen Folgen hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen. (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Tattoostudio, Betriebsschließung, Normenkontrollverfahren, Gleichheitsgrundsatz, körperliche Unversertheit, Gesundheit, Infektionsgeschehen, Folgenabwägung, körpernahe Dienstleistungen, Alltagsbedürfnis, Deckung des täglichen Lebensbedarfs
Fundstelle:
BeckRS 2021, 7566

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
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1. Der Antragsteller, der in Bayern ein Tattoo-Studio betreibt, beantragt nach § 47 Abs. 6 VwGO die vorläufige Außervollzugsetzung des § 12 Abs. 2 Satz 1 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. März 2021 (12. BayIfSMV, BayMBl. Nr. 171) in der Fassung vom 9. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 261).
2
2. Der Antragsgegner hat am 5. März 2021 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
㤠12
3
Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte
4
(1) 1In Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen eine 7-Tage-Inzidenz von 50 überschritten wird, ist die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe untersagt. 2Ausgenommen sind der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Versicherungsbüros, Pfandleihhäuser, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermitteln sowie der Großhandel. 3Der Verkauf von Waren, die über das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäfts hinausgehen, ist untersagt.
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(2) 1Dienstleistungen, bei denen eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist, wie zum Beispiel Massagepraxen, Tattoo-Studios oder ähnliche Betriebe sind untersagt. 2Abweichend von Satz 1 und von Abs. 1 Satz 1 dürfen die Dienstleistungen der Friseure sowie im hygienisch oder pflegerisch erforderlichen Umfang die nichtmedizinische Fuß-, Hand-, Nagel- und Gesichtspflege angeboten werden; insoweit gilt Abs. 1 Satz 4 entsprechend mit den Maßgaben, dass das Personal eine medizinische Gesichtsmaske im Rahmen der arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen tragen und eine Steuerung des Zutritts durch vorherige Terminreservierung erfolgen muss. 3Die FFP2-Maskenpflicht entfällt insoweit, als die Art der Leistung sie nicht zulässt. …“
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Die 12. BayIfSMV ist seit 8. März 2021 in Kraft und tritt mit Ablauf des 18. April 2021 außer Kraft (§ 30 12. BayIfSMV).
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3. Der Antragsteller trägt zur Begründung seines am 15. März 2021 gestellten Eilantrags im Wesentlichen vor, in seinem Betrieb komme es nicht zu infektionsschutzrechtlich bedenklichen Menschenansammlungen. Es sei kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung seines Betriebs mit den oftmals nur auf „Schönheitsgewinn“ gerichteten Nagel- und Kosmetikstudios ersichtlich. Letztere seien hauptsächlich im aus Gründen der Infektionsübertragung besonders problematischen Gesichtsbereich tätig und nähmen auch Tätowierungen (permanent make up) vor. Er sei in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG verletzt.
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4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen.
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5. Mit Schreiben vom 17. März 2021 wurde der Antragsteller unter Übersendung des Beschlusses vom 16. März 2021 (20 NE 21.712) um Mitteilung gebeten, ob der Antrag aufrechterhalten bleibt. Hierzu wurde mit Schreiben vom 24. März 2021 auf die bereits im Antragsschriftsatz dargelegte Ungleichbehandlung des Betriebs des Antragstellers mit Friseuren, Nagel- und Kosmetikstudios hingewiesen. Das dem Antragsgegner zustehende normative Ermessen habe im Rahmen des § 12 Abs. 2 12. BayIfSMV nur dahingehend ausgeübt werden dürfen, auch den Betrieb des Antragstellers zuzulassen. Auch im Hinblick auf die Zulassung weiterer Betriebe nach § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV und die geringe Infektionsgefahr beim Betrieb eines Tattoo-Studios sei die Norm vorläufig außer Vollzug zu setzen. Dies gelte wegen der Bußgeldbewehrung bereits, wenn von offenen Erfolgsaussichten auszugehen sei.
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6. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
12
A. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein noch zu erhebender Normenkontrollantrag in der Hauptsache gegen § 12 Abs. 2 Satz 1 12. BayIfSMV wäre unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei der nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich nicht erfolgreich (2.). Eine Folgenabwägung geht zulasten des Antragstellers aus (3.).
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1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 - 4 B 480/19.NE - NVwZ-RR 2019, 993 - juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.
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Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 u.a. - ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12).
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2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 - ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 14) davon aus, dass ein Antrag in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg hätte.
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a) Der Senat geht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass die angegriffene Maßnahme nach § 12 Abs. 2 Satz 1 12. BayIfSMV mit § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage hat (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2020 - 20 NE 20.2461 - juris Rn. 22 ff.).
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b) Die von dem Antragsteller angegriffene Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 1 12. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG in Einklang, weil ihre Voraussetzungen vorliegen (aa.), und erweist sich bei summarischer Prüfung nicht als offensichtlich unverhältnismäßig (bb.). Auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liegt voraussichtlich nicht vor (cc.).
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aa) Die Anzahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Inzidenz) betrug am 12. April 2021 bundesweit 136 und in Bayern 153. Wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 sind nach § 28a Abs. 3 Satz 4 und 5 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Die 7-Tage-Inzidenz nimmt derzeit wieder deutlich zu, nun insbesondere in den Altersgruppen unter 60 Jahre. Auch der Anteil der besorgniserregenden Virusvarianten (VOC) nimmt zu. Dies betrifft vor allem die v.a. in Großbritannien verbreitete Variante B.1.1.7, die nach vorläufigen wissenschaftlichen Untersuchungen leichter übertragbar ist (vgl. RKI, Lagebericht vom 12.4.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situa-tionsberichte/Maerz_2021/2021-04-12-de.pdf? blob=publicationFile).
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Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist nach dem Willen des Gesetzgebers, der in § 28a Abs. 3 IfSG zum Ausdruck kommt, ein gestuftes Vorgehen geboten, das sich an dem tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientieren soll (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 31). Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG). Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben (§ 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG).
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Nach der seit dem 29. März 2021 geltenden Fassung der Norm (BGBl. 2021 I S. 370) sind bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen absehbare Änderungen des Infektionsgeschehens durch ansteckendere, das Gesundheitssystem stärker belastende Virusvarianten zu berücksichtigen (§ 28a Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz). Bei der Prüfung der Aufhebung oder Einschränkung der Schutzmaßnahmen nach den Sätzen 9 bis 11 sind insbesondere auch die Anzahl der gegen COVID-19 geimpften Personen und die zeitabhängige Reproduktionszahl zu berücksichtigen (§ 28a Abs. 3 Satz 11 IfSG).
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Mit einer landesweiten Inzidenz von 153 am 12. April 2021, die im Vergleich zu der 7-Tage-Inzidenz zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verordnung am 5. März 2021 bereits angestiegen ist (69, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-05-de.pdf? blob=publicationFile), besteht Handlungsbedarf zur effektiven Eindämmung des Infektionsgeschehens.
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Bei den Betriebsschließungen nach § 28a Abs. 1 Nr. 14, Abs. 3 Satz 5 und Satz 10 IfSG handelt es sich grundsätzlich um eine kraft Gesetzes geeignete und erforderliche Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Dem liegt die Risikoeinschätzung des Bundesgesetzgebers zu Grunde, dass es in Betrieben, Gewerben und im Einzel- oder Großhandel zu einer Vielzahl von Kontakten kommt, welche das Risiko der massenhaften Übertragung des Sars-CoV-2-Virus mit sich bringt.
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bb) Die Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 1 12. BayIfSMV erweist sich bei summarischer Prüfung aller Voraussicht nach derzeit nicht als offensichtlich unverhältnismäßig.
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(1) Die Untersagung bestimmter Betriebe, die körpernahe Dienstleistungen anbieten, ist geeignet, die Reduzierung von Kontakten und damit einer Vermeidung möglicher Ansteckungen zu fördern. Sie trägt - als Teil des Maßnahmenbündels, mit dem der Verordnungsgeber dem Anstieg der Infektionszahlen begegnet - dazu bei, dass persönliche Begegnungen reduziert und das Infektionsgeschehen verlangsamt wird (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2020 - 20 NE 20.2485 - juris Rn. 27).
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(2) Dass dem Normgeber, der verpflichtet ist, die personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitssystems zu schützen, mildere, aber gleichermaßen wirksame Mittel zur Verfügung stünden, um in den geregelten Bereichen die Infektionsgefahr zu minimieren und damit der weiteren Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken, ist nicht offensichtlich. Insbesondere erscheinen Hygienekonzepte derzeit nicht ausreichend, um das stark ansteigende Infektionsgeschehen (vgl. auch Begründungen vom 5.3.2021, BayMBl. 2021 Nr. 172, S. 2, 25.3.2021 BayMBl. 2021 Nr. 225 und vom 9.4.2021, BayMBl. 2021 Nr. 262) einzudämmen.
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Der Senat geht nach wie vor davon aus, dass die Betriebsschließungen mit der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag kraft Gesetzes eine grundsätzlich zur Bekämpfung der Coronavirus-Krankheit-2019 geeignete und erforderliche Infektionsschutzmaßnahme sind. Davon ist der Gesetzgeber durch den Erlass des mit Artikel 1 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) eingefügten § 28a IfSG ausgegangen und hat dies mit dem Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen vom 29. März 2021 (BGBl. 2021 I Seite 370) bestätigt. Zwar sind die dadurch eingeräumten Befugnisse der Infektionsschutzbehörden und damit vor allem des Verordnungsgebers nach § 32 IfSG, Untersagungs- und Beschränkungsmaßnahmen für ganze Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie allgemeine Verhaltenspflichten für jedermann zur Bekämpfung von COVID-19 zu erlassen, zum Teil sehr weitgehend und in die Grundrechte der Betroffenen tief eingreifend. Auf der anderen Seite muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Befugnisse allein auf das Ereignis der Corona-Pandemie zugeschnitten sind und jedenfalls flächendeckend nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag erlassen werden können. Dadurch hat der Bundestag eine Gefährdungseinschätzung durch die Corona-Pandemie, welche sowohl Gefahrenabwehrelemente als auch Gefahrenprognoseelemente (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 28.6.2004 - 6 C 21.03 - BeckRS 2004, 25030) enthält, zum Ausdruck gebracht, welche grundsätzlich solch einschneidende Maßnahmen voraussichtlich rechtfertigen kann. Dass der Bundestag hier seinen weiten Gestaltungsspielraum bei der Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflichten gegenüber Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 12.5.2020 - 1 BvR 1027/20 - NVwZ 2020, 1823 - juris Rn. 6) überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Auch die Formulierungshilfe der Bundesregierung zu einem Entwurf Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes, Bearbeitungsstand 9. April 2021, geht für Landkreise und kreisfreie Städte, in welchen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten wird, davon aus, dass die Öffnung von Ladengeschäften und Märkten mit Kundenverkehr für Handels -, Dienstleistungs - und Handwerksbetriebe untersagt ist, wobei der Lebensmittelhandel einschließlich Direktvermarktung, Getränkemärkte, Reformhäuser, Apotheken, Drogerien und Tankstellen mit weiteren Maßgaben davon ausgenommen sein sollen (§ 28b IfSG neu).
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cc) Durch die Änderung des § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV vom 9. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 261) werden die Bedenken, die der Senat im Hinblick auf die Anforderungen der Norm an den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG unter anderem in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 16. März 2021 (20 NE 21.712) formuliert hat, zwar nicht ganz ausgeräumt. Darüber hinaus hätte ein Gleichheitsverstoß der Norm im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens aber auch - wie bereits im genannten Beschluss ausgeführt - nicht zur Folge, dass die angefochtene Regelung vorläufig außer Vollzug zu setzen ist.
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Mit der Änderungsverordnung vom 9. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 261) wurde die „Generalklausel“ der „sonstigen für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte“ in § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV gestrichen und der Kreis der bedarfsnotwendigen Ladengeschäfte auf diejenigen Geschäfte begrenzt, die nach Auffassung des Antragsgegners tatsächlich im engeren Sinn zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlich sind (Begründung vom 9.4.2021, BayMBl. Nr. 262 Seite 3; vergleiche hierzu aber den Entwurf zu § 28b Abs. 1 Nr. 6 IfSG, der diesen Kreis wesentlich enger definiert). Die Formulierung in § 12 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 12. BayIfSMV, blieb unverändert. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 12. BayIfSMV ausdrücklich untersagt ist der Betrieb u.a. von Tattoo-Studios. Hygienisch oder pflegerisch erforderliche körpernahe Dienstleistungen im Bereich der Fuß -, Hand -, Nagel - oder Gesichtspflege bleiben ebenso erlaubt wie die Dienstleistungen der Friseurbetriebe. Die zur Neufassung des § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV ergangene Begründung stellt maßgeblich darauf ab, dass durch die Schließung von Betrieben und Ladengeschäften Kontakte zwischen Personen aus unterschiedlichen Hausständen auf ein Mindestmaß reduziert werden sollen und durch angemessene Schutzvorkehrungen die Ansteckungsgefahr bei den verbleibenden Kontakten soweit wie möglich verringert werden soll.
29
Da die Norm nun auch in § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV wesentlich deutlicher als in ihrer Vorgängerfassung vom 25. März 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 224) mit der abschließenden Aufzählung der vom Verbot nach § 12 Abs. 1 Satz 1 ausgenommenen Ladengeschäfte auf das Kriterium der Erforderlichkeit im Sinne einer Unverzichtbarkeit für die tägliche Lebensführung abstellt, ist auch § 12 Abs. 2 Satz 2 12. BayIfSMV bereits seinem Wortlaut nach so zu verstehen, dass lediglich hygienisch oder pflegerisch erforderliche Dienstleistungen zulässig sind, also solche, die durch ein Alltagsbedürfnis ausgelöst werden, durch die Empfänger der Dienstleistungen aber nicht selbst ausgeführt werden können.
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Diese Kriterien treffen auf die in § 12 Abs. 2 Satz 1 12. BayIfSMV genannten Betriebe wie den des Antragstellers nicht zu. In Tattoo-Studios werden - unstreitig - keine hygienisch oder pflegerisch erforderlichen Dienstleistungen erbracht.
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Bei dieser am Wortlaut orientierten restriktiven Auslegung des Begriffs der hygienischen oder pflegerischen Erforderlichkeit, mithin bei einem engen Normverständnis der Öffnungsklausel in § 12 Abs. 2 Satz 2 12. BayIfSMV kann die streitgegenständliche Norm als in Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG stehend angesehen werden.
32
3. Auch eine Folgenabwägung zwischen dem betroffenen Schutzgut der freien wirtschaftlichen Betätigung aus Art. 12 Abs. 1 GG mit dem Schutzgut Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG insbesondere im Hinblick auf die wieder steigenden Infektionszahlen ergibt, dass die von dem Antragsteller dargelegten wirtschaftlichen Folgen hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen.
33
Die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten fallen schwerer ins Gewicht als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Interessen der Normadressaten. Gegenüber den bestehenden Gefahren für Leib und Leben durch eine in ihrem Verlauf und ihren Auswirkungen bisher nicht zuverlässig einzuschätzende Pandemie, vor der zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der Betroffenen derzeit zurücktreten.
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B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 18. April 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).